Failing Schools

Text
From the series: Wissenschaft konkret
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Choice & Accountability

Obwohl in den USA im Laufe der Achtziger- und Neunzigerjahre mehrere Reformen lanciert wurden, die eine Antwort auf die Krisendiagnose von A Nation at Risk versprachen, wurde bis zur Jahrtausendwende nicht erkennbar, dass gesteigerte Bildungsausgaben zu signifikant besseren Resultaten bei nationalen Leistungstests führen. Diese Feststellung bildete den Hintergrund dafür, dass nach der Jahrtausendwende in der Form von No Child Left Behind (NCLB) ein Programm implementiert wurde, bei dem bildungspolitische Investitionen flächendeckend eine hohe Selektionswirksamkeit auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler, der Lehr- und Leitungspersonen sowie der öffentlichen Schule als unternehmensähnlicher Institution entfalten sollte.

Mit dem No Child Left Behind Act von 2001 wird den Bundesstaaten abverlangt, dass sie eine Agenda dafür entwickeln, wie die Schülerinnen und Schüler nach Ablauf des Schuljahrs 2001/2002 im Laufe von zwölf Jahren dahin geführt werden, dass sie die bundesstaatlichen Standards in Englisch und Mathematik erreichen oder übertreffen. Durch ein Verfahren der Peer-Review sollen die Bundesstaaten Feedback erhalten, ob und wie sie ihre Agenda anpassen oder weiterentwickeln müssen. Für die Definition der Standards und die Auswahl von Tests sind die Staaten selbst verantwortlich; imperativisch wird allerdings verlangt, dass die Tests statistisch reliabel und valide sein müssen.

Sie sollen zum einen zeigen, welche Schulen zusätzliche Unterstützung brauchen – und sie müssen sich zum anderen mit einer Exit-Option verbinden, die es den Eltern erlaubt, drastische Konsequenzen zu ziehen: »There must be a moment in which parents can say, I’ve had enough of this school. Parents must be given real options in the face of failure in order to make sure reform is meaningful«.13

Im Sinne des Credos, dass kein Kind auf der Strecke bleiben dürfe, besteht man emphatisch darauf, dass es dabei nicht um den Durchschnitt der Testresultate geht, sondern dezidiert darum, dass alle Kinder die erforderlichen Grundkompetenzen erreichen. Die Exklusion von behinderten Kindern verbietet sich vor diesem Hintergrund ebenso wie die Exklusion von Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten sozialen Verhältnissen.

Durch die Messung des Adequate Yearly Progress (AYP) in Sprache und Mathematik sollen die Bundesstaaten überprüfen können, wo sie im Hinblick auf die Agenda stehen, und sie sollen in die Lage versetzt werden, Ressourcen adäquat zu verteilen – dies auch im Sinne eines Supports für Schulen in kritischer Lage oder solchen mit gravierenden Defiziten. Alle öffentlichen Schulen müssen über ihre Arbeit Rechenschaft ablegen. Fällt der AYP über zwei Jahre hinweg ungenügend aus, müssen die Bundestaaten für Support sorgen und dann zu corrective actions greifen, wenn sich zeigt, dass das nicht ausreicht.14

Verfehlt die Schule die Fortschrittsziele zweimal hintereinander, muss sie einen Entwicklungsplan vorlegen und zusätzlich durch NCLB erlangte finanzielle Ressourcen gezielt zur Stärkung professioneller Kompetenzen durch Weiterbildung oder Coaching einsetzen. Zudem muss Schülerinnen und Schülern der Übertritt an eine andere Schule ermöglicht werden: Die macht hier speziell den Aspekt der Choice aus. Fällt der Fortschritt über drei Jahre hinweg ungenügend aus, sind die zusätzlichen Ressourcen auch gezielt in schulergänzende Bildungsangebote zu investieren, wobei die ausgewählten Anbieter ein Gütesiegel nachweisen müssen.

Gelingt es binnen des nächsten Jahres nicht, die Fortschrittsnorm zu erfüllen, hat die Schule mehrere Optionen, zu denen unter anderem die Einführung eines neuen Curriculums oder die Ersetzung von Leitungspersonen gehört. Nach fünf aufeinanderfolgenden Jahren ohne adäquaten Fortschritt kommt die Option ins Spiel, die Schule zu schließen und als Charter School neu zu eröffnen. Es sind aber auch andere Zäsuren möglich: Die Schule kann als herkömmliche öffentliche Schule restrukturiert werden, wobei die Teile des Personals, denen das Versagen anzukreiden ist, zu entlassen sind. In erster Linie bezieht sich das auf die Schulleitung, mittelbar aber auch auf Teile des Kollegiums oder sogar auf die Gesamtheit der Lehrpersonen. Neben der Neueröffnung als Charter School (dazu unten mehr) besteht noch die Möglichkeit, die Schulen durch einen Kontrakt einem anderen Träger zu überantworten, des Weiteren ist ein state takeover möglich, bei dem die bundesstaatliche Bildungsadministration die Verantwortung für die Schulführung übernimmt.

Innerhalb weniger Jahre hat sich ein Bild ergeben, bei dem unverkennbar ist, dass die nationalen Bildungsziele für 2014 nicht erreichbar sind und sich eine Schere zwischen der Fortschrittsnorm des AYP und den gemessenen Lernleistungen öffnet. Die möglichen Reaktionen auf diese Kalamität sind limitiert: So kann der Versuch gemacht werden, durch levelling down das Anforderungsniveau von Tests zu senken. Die Minimalstandards werden gleichsam weiter minimiert, obwohl das der Logik nach eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Eine zweite Reaktion besteht darin, in der Form von waivers den Erfolgszwang zu mildern: Die Bundesregierung erteilt in dieser Perspektive mehr und mehr Bewilligungen, durch die die Schulen davon befreit werden, die jährlichen Fortschritte bei den student achievements nachzuweisen. Gerechtfertigt wird das mit dem Argument der Flexibilität: Die Schulen sollen größere Freiheiten erhalten, auf die lokalen Bedürfnisse einzugehen. In diesem Sinne ist die Tendenz verfehlt, die lokale Schulentwicklung einem nationalen Masterplan zu unterwerfen, der eben dadurch gekennzeichnet ist, dass lokalen Besonderheiten keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Tatsächlich ist dieser Respekt vor lokalen Bedürfnissen nur die eine Seite der Medaille: Die andere besteht darin, dass das Erfolgsziel von NCLB für 2014 schleichend aufgegeben wird. Damit wird dann aber fraglich, ob die Restrukturierungspolitik der vergangenen Jahre – unter Einschluss von Entlassungen und Schulschließungen – wirklich als legitim anzuerkennen ist.

Zu den Wendungen bei der drohenden Misserfolgsgeschichte von NCLB gehört auch, dass die Obama-Administration 2011 mit einer Meldung an die Öffentlichkeit getreten ist, wonach die Zielvorgaben von NCLB in acht von zehn Schulen nicht erreicht werden. Umgehend wird auch gleich eine Erklärung zu den Ursachen geliefert: Es fehle den Schulen an Flexibilität, um speziell auf die Bedürfnisse benachteiligter Kinder einzugehen, es fehle zudem immer noch an Ressourcen, obgleich die Bush-Administration mit den von Republikanern und Demokraten gemeinsam unterstützen Bildungsinvestitionen den richtigen Weg eingeschlagen habe. Darüber hinaus nimmt Präsident Obama selbst mit Worten Stellung, durch die er seine eigene kritische Diagnose unterläuft: Offensichtlich fehle immer noch das richtige Instrumentarium für die Diagnose von »Failing Schools«, weil der Befund dem gesunden Menschenverstand widerspreche und begründete Skepsis hervorrufe. »We know that four out of five schools in this country aren’t failing. So what we’re doing to measure success and failure is out of line.«15 Der Präsident bewegt sich damit hart am Rande der Paradoxie: Die Diagnose kann nicht zutreffend sein, ist aber doch so alarmierend, dass es einer grundlegenden Reform der Reform bedarf.

Tatsächlich ist allerdings der Wert von 80 Prozent versagenden Schulen eine politische Überdramatisierung: Eine Metaanalyse kommt für 2011 zu dem Befund, dass 48 Prozent der amerikanischen Schulen hinter den Kriterien des AYP zurückbleiben. Eine deutliche Verschlechterung im Vergleich zu 2010, als 39 Prozent der Schulen das Ziel verfehlten, ist der Wert für 2011 die negativste Jahresbilanz, die seit Einführung von NCLB zu ziehen ist. Dabei sind starke Unterschiede zwischen den Bundesstaaten erkennbar: Während rund elf Prozent der Schulen in Wisconsin den AYP nicht nachweisen können, sind es in Florida rund 89 Prozent.

Die Frage nach dem Turnaround

Im Hinblick auf den Umgang mit »Failing Schools« sind in England und den USA eine Reihe von Maßnahmen erprobt worden, bei denen sich Support mit verstärkter Kontrolle und Sanktionen verbindet und die Schließung von Schulen die Ultima Ratio bildet.

Special measures

Aus der Sicht der englischen Schulinspektion besteht das Hauptproblem von »Failing Schools« in Führungsschwäche, die sich vor allem darin manifestiere, dass es an klarer Fokussierung auf Steigerung der Unterrichtsqualität fehlt (Ofsted, 2001, S. 6f.; Ofsted, 2008, S. 7–9). »Failing Schools« leiden demnach nicht primär an Ressourcenmangel, oft sei sogar das Gegenteil der Fall: »… the school does not provide good value for money, but is often funded above the national average« (Ofsted, 2001, S. 9). Wenn materielle Faktoren nicht als Ursache ausschlaggebend sind, erscheint es folgerichtig, dass die Lösung nicht primär eine Frage der Finanzierung, sondern eine des engagierten und kompetenten Handelns im schulischen Kontext darstellt. Dabei soll sich die Aktivierung von ideellen Ressourcen nicht auf das Beheben von Defiziten beschränken, sondern auf Spitzenleistungen zielen: Als Chefinspektor von Ofsted bringt Michael Wilshaw diesen Aspekt auf die Formel, dass »Failing Schools« in die Hände von Leitungspersonen gegeben werden müssten, »who are as intolerant as I am of mediocrity«.16 Indes handelt es sich hier um eine Rede auf einer Versammlung von school leaders, deren rhetorischer Duktus vielleicht nicht allzu ernst genommen werden sollte.

Der Konzentration auf die Schulführung entspricht es, dass die Schulinspektion bei der Feststellung von Mängeln zunächst mit einem Warnsignal arbeitet und damit eine intensive Selbstkorrektur der Schule einfordert (Ofsted, 2012, S. 13). Wird auf das Warnsignal nicht im geforderten Sinne reagiert, so wird die Schule im Rahmen der special measures einem Maßnahmenplan unterworfen, dessen Eckwerte durch die Inspektion definiert werden und dessen Umsetzung engmaschig kontrolliert wird, bis mit einer abermaligen regulären Inspektion darüber befunden wird, ob die Schule aus diesem Regime entlassen werden kann (vgl. Quesel, 2011, S. 180ff.). Für die Schulen ist dies insofern wichtig, als die Resultate von Inspektionen publik gemacht werden und ein negatives Label zur Abwanderung oder Nichtanmeldung von Schülerinnen und Schülern führen kann. Bei den Maßnahmen spielen Coachings, Weiterbildungen und unterrichtsergänzende Förderangebote eine wichtige Rolle, sie erstrecken sich aber auch auf die Option der Entlassung von Lehr- und Leitungspersonen.

 

Führen die special measures nicht zum Erfolg, ist die Schulschließung die unter neoliberalen Auspizien legitime und logische Konsequenz. Die Schulinspektion ist sich der Tatsache bewusst, dass ein solches Ereignis auch auf die Schülerinnen und Schüler traumatisierend wirken kann (Ofsted, 2001, S. 28). Müsse eine Schule geschlossen werden, sei trotzdem an die Lehrpersonen zu appellieren, dass sie bis zum letzten Tag vollen Einsatz zeigen. Am Ende sollte die Schulschließung mit einer Feier verbunden werden; der »proper rite of passage« soll positive Erinnerungen an die Zeit in der Schule wecken und sie mit optimistischen Zukunftserwartungen verbinden (Ofsted, 1999, S. 65). Wie immer, wenn es darum geht, den Schein zu wahren, kann diese Policy sehr unterschiedlich beurteilt werden: Auf der einen Seite lässt sich argumentieren, dass es für die Kinder und Jugendlichen besser ist, wenn der Übergang mit Würde inszeniert wird, auf der anderen Seite kann hier der Vorwurf der Heuchelei erhoben werden.

Corrective actions

Den special measures von Ofsted entsprechen im Kontext von NCLB die corrective actions, die von den Bundesstaaten zu veranlassen und auf der Ebene der Schuldistrikte umzusetzen sind. Die Diskussion über den Turnaround bei »Failing Schools« ist allerdings schon vor 2001 in Gang und bereits 1998 so weit gediehen, dass die Clinton-Administration eine Handreichung zur »Good Practice« veröffentlicht, die als exemplarische Sammlung von Erfolg versprechenden Maßnahmen an die Verantwortlichen auf der bundesstaatlichen und auf der lokalen Ebene adressiert ist (Doherty & Abernathy, 1998). Der Grundtenor lautet, es sei wichtig, den Schulen auf der Grundlage von anspruchsvollen Bildungsstandards Rechenschaft abzuverlangen. Der Unterricht müsse durch pädagogische Professionalisierung verbessert werden. Worin aber genau diese Professionalisierung besteht, wird nicht thematisiert. Ähnlich allgemein bleibt die Forderung nach inspirierter Führung und nach Partnerschaft mit Eltern, Gemeinden, Lehrergewerkschaften und Unternehmen. Die Idee der Partnerschaft mit allen Stakeholdern kreuzt sich bei genauem Hinsehen mit der Vorstellung, dass es den Schulen gelingen müsse, ihre soziale Umwelt unter Kontrolle zu bringen: »Schools must focus, get control of the school environment, and put in place rigorous curriculum and instructional practices« (Doherty & Abernathy, 1998, S. 49). In diesem Sinne hat jede Schule die Kapazität, sich gegenüber ihrer sozialen Umwelt zu verselbstständigen und diese Umwelt zu gestalten. Der in dieser Normierung artikulierte Steuerungsoptimismus wird allerdings insofern relativiert, als die Option der Schließung erfolgloser Schulen ausdrücklich auf die bildungspolitische Agenda gesetzt wird: Würden alle anderen Maßnahmen nicht greifen, müsse als letzter Ausweg eine Rekonstitution der Schule unter einer komplett ausgewechselten Führung und einem teilweise ausgewechselten Kollegium erfolgen, sodass vom erneuerten Team eine »new educational vision« (Doherty & Abernathy, 1998, S. 44) verbreitet werden kann. Der Begriff der »reconstitution«, so wird in der Expertise vermerkt, ist aber ziemlich unklar, bezieht sich oft eher auf Reorganisation der Führung und des Curriculums – gerade die radikale Variante des weitreichenden Personalwechsels löse massive Kontroversen aus (Doherty & Abernathy, 1998, S. 45).

Hatte die Strategie der Rekonstitution zunächst eher den Charakter einer Notlösung, die als Reaktion auf eine ausweglose Lage gewählt wird, ändern sich die Vorzeichen, als die bildungspolitische Agenda nach der Jahrtausendwende unter dem Begriffspaar Choice & Accountability reformuliert wird: Vor dem Hintergrund dieses Paradigmenwechsels erscheint die Rekonstitution als Element evolutionären Fortschritts, der sich über wohlfahrtsstaatliche Blockaden hinwegsetzt, die sich durch die Verneinung von Wahlfreiheit auszeichnen. Im Lichte dieses Ansatzes sind »Failing Schools« in erster Linie als Produkt des Zusammenwirkens von Lehrergewerkschaften und staatlicher Bürokratie zu begreifen (Brill, 2011; Friedman, 1995; Klein, 2011; Klein & Rhee, 2010). Dieses Zusammenwirken verhindere die Entlassung inkompetenter Lehrpersonen. Gelinge es nicht, diesen Lobbyismus zu durchbrechen, dann werde sich die Spaltung der Nation weiter vertiefen und die wachsende ökonomische Rückständigkeit zur echten Gefahr für Amerika.

Den wohlfahrtsstaatlichen Lobbyismus zu durchbrechen, heißt nach dieser Logik, Schulen und Lehrpersonen für die Schülerleistungen zur Rechenschaft zu ziehen und mit Sanktionen zu arbeiten, wenn die Leistungen dauerhaft hinter den Erwartungswerten zurückbleiben. Schulleiterinnen und Schulleiter, Lehrerinnen und Lehrer sollten von daher nach Leistung entlohnt werden; wer versage, müsse gefeuert werden. Zu den Sanktionsmechanismen müsse es auch gehören, den Eltern im Bereich der öffentlichen Schulen Alternativen anzubieten: Die Strategie marktorientierter Steuerung fußt auf dem Postulat, dass die Implementation von Wahlmöglichkeiten unweigerlich einen indirekten Optimierungsdruck erzeugt. Auf der Ebene des Unterrichts soll die Evolution durch Technologisierung vorangetrieben werden: Insbesondere sollen digitale Medien dazu genutzt werden, um Unterrichtsangebote maßgeschneidert auf die Bedürfnisse der Kinder hin anzupassen (Moe & Chubb, 2009). Die Verheißung lautet, dass der Computer das beste Hilfsmittel sei, um Kinder zu begeistern und Lehrpersonen Empowerment zu verschaffen. Im Hintergrund schwingt dabei die Erwartung mit, dass der Computer sich auch wunderbar dafür eigne, den Output des Unterrichts zu messen.

Fallstudien und Metaanalysen zur Rekonstitution von Schulen ergeben ein uneinheitliches Bild (Brady, 2003; Manwaring, 2010; McQuillan & Salomon-Fernandez, 2008; Mintrop & Trujillo, 2005; Smith, 2012; Strunk, McEachin & Westover, 2012). Als roter Faden zeichnet sich die Formel »Leadership Matters« ab, jedoch ist kein konsistentes Muster für die Wirksamkeit von Führung erkennbar. Die journalistische Quintessenz lautet, dass der Turnaround nach Akteuren verlangt, die in erster Linie etwas von Business und in zweiter Linie etwas von Macht verstehen, weil sie damit rechnen müssen, in ein »political minefield« zu geraten.17

Als weiterer wichtiger Aspekt sticht der Nutzen unterrichtsergänzender Betreuungsangebote hervor, wobei hier die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen einen neuralgischen Punkt darstellt. Ein dritter wichtiger Aspekt ist die Steigerung der Unterrichtsqualität – wobei sich die konzeptionelle Schnittmenge der Fallstudien und Metaanalysen zu Gelingensbedingungen des Turnaround auf die Binsenweisheit beschränkt, dass es engagierter und fachkompetenter Lehrpersonen bedürfe.

Turnaround als olympische Disziplin

Ähnlich wie in England die Bildungspolitik des Thatcherismus in vielen Punkten von New Labour fortgesetzt wurde, stellt die Bildungspolitik der demokratischen Obama-Administration in ihren Grundzügen eine Fortsetzung dessen dar, was unter der Ägide der Republikaner mit NCLB ins Leben gerufen wurde. So ist auch das Novum, den erfolgreichen Turnaround von »Failing Schools« im Rahmen eines nationalen Bildungswettbewerbs zu prämieren, kein Bruch mit der Vergangenheit.

Als Bildungsminister der Obama-Administration gibt Arne Duncan 2009 die Einschätzung ab, dass rund fünf Prozent der öffentlichen Schulen (in absoluten Zahlen ausgedrückt: annähernd 5000) als chronisch leistungsschwach einzustufen sind.18 Da diese Schulen nicht nur in urbanen Zentren, sondern auch in suburbanen und ruralen Gebieten zu finden seien, müsse das als ein nationales Problem eingestuft werden. Für die Überwindung der Misere gebe es vier Wege, wobei die Erneuerung der Schulkultur die zentrale Aufgabe darstelle:

1 Die Grundlagen für eine neue Schulkultur können durch den kompletten Austausch der Führung und von mindestens der Hälfte der Lehrpersonen gelegt werden.

2 Die Schule wird als Charter School oder als Privatschule neu eröffnet.

3 Das Personal bleibt weitgehend gleich, es gibt aber eine strikt leistungsorientierte Evaluation, verbunden mit Support, Training und Mentoring, einer curricularen und pädagogischen Erneuerung, mehr schulergänzenden Bildungsangeboten, mehr Ressourcen für professionelle Kooperation und viel Freiraum an der Spitze der Hierarchie bei Finanz- und Personalplanung sowie beim Zeitmanagement.

4 Die Schule wird geschlossen, und die Kinder werden auf bessere Schulen verteilt.

Ein Problem sei, dass immer noch zu viele Administratoren davor zurückschreckten, solche Schulen zu schließen. Das sei aber unter Umständen der einzig verbleibende Ausweg. Dieser Verantwortung dürften sich die Distrikte und Bundesstaaten nicht entziehen; die Bundesregierung leiste den erforderlichen Support.

Im Kern braucht es, Duncan zufolge, 5000 »high-energy, hero principals«, die die »Failing Schools« übernehmen und dabei von 250 000 »great teachers« unterstützt werden, die bereit sind, den härtesten Job im öffentlichen Bildungssystem zu übernehmen.19 Das 2009 unter Präsident Obama aufgelegte Programm »Race to the Top«20 ist als Stimulus gedacht, bei dem Schulen, Distrikte und Bundesstaaten unter anderem darum konkurrieren, wer die größten Erfolge beim Turnaround von leistungsschwachen Schulen vorzuweisen hat. Der mit mehr als vier Milliarden Dollar dotierte nationale Wettbewerb weist zudem noch drei weitere Komponenten auf:

 die erfolgreiche Implementation national und international tragfähiger Standards,

 die Rekrutierung von leistungsstarken Lehr- und Leitungspersonen,

 die Entwicklung von Datenbanken für die evidenzbasierte Schulentwicklung.

Von den insgesamt 500 zu erreichenden Punkten entfallen 50 auf den Bereich des Turnarounds; am höchsten wird die Rekrutierung von »great teachers and leaders« mit 138 Punkten gewichtet.21 Insofern folgt das Programm der von Duncan skizzierten Logik, nach heldenhaften Protagonisten zu suchen.

Aus der Sicht von Bürgerrechtsgruppen ist es nicht nur unwahrscheinlich, dass dieser Heroismus zum Erfolg führt – sie erkennen vielmehr einen Trend, dass sich die soziale Benachteiligung von Minderheiten weiter verschärft:22 dies nicht zuletzt deshalb, weil Präsident Obama im Kern an der Politik der Deregulierung des Bildungswesens festhalte, die von seinem konservativen Vorgänger in die Wege geleitet wurde.

You have finished the free preview. Would you like to read more?