Englisch ab Klasse 1 - Grundlage für kontinuierliches Fremdsprachenlernen

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Englisch ab Klasse 1 - Grundlage für kontinuierliches Fremdsprachenlernen
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Annika Kolb / Michael K. Legutke

Englisch ab Klasse 1 - Grundlage für kontinuierliches Fremdsprachenlernen

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

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ePub-ISBN 978-3-8233-0155-4

Inhalt

 Englisch ab Klasse 1. Anmerkungen zu einer bildungspolitischen Diskussion1 Das Projekt Englisch ab Klasse 1 (PEAK1)2 Was spricht für den Beginn in Klasse 1?3 Voraussetzungen3.1 Die Lehrerbildung und die Lehrersprache3.2 Einheitliche Mindeststandards3.3 Der Übergang in die Sekundarstufe4 Das PROJEKT – der Sonderfall und seine ImplikationenLiteratur

 Zur Dynamik kollaborativer Forschung. Das Projekt Englisch ab Klasse 1.1 Das PROJEKT. Ein Fall2 Kollaborative Forschung2.1 Wissenschaftliche Begleitung, Lehrer- und Praxisforschung2.2 Parameter für die Entwicklung einer Gemeinschaft der Forschenden (community of inquiry)2.3 Die Gemeinschaft der Forschenden: Rollen, Aufgaben und Teilprojekte3 „Der Fall im Fall“: Forschungsbeziehungen und Lernprozesse bei Untersuchungen zur Inszenierung von Lernaufgaben3.1 Interdiskursivität und Forschungsbeziehungen3.2 Patricias Lernprozess3.3 Jane und ihre Beziehungen zur Forscherin4 Perspektiven kollaborativer Forschung. Über die Grenze des FallsLiterature

 Assessing Speaking: Language Performance at the End of Grade 41 From the BIG-Study to the PEAK1 speaking test2 Test Development Process2.1 The Tasks2.2 Assessment bands3 Rater training and test organization4 Transcription and organization of test data5 Data analysis and discussion5.1 Overall performance5.2 Language production5.3 Student Profiles6 Future research and implicationsBibliographyAppendix

 Inszenierung von Lernaufgaben in der Grundschule1 Konzeption der Studie2 Lernaufgaben – ein Versuch der Systematisierung2.1 Lernaufgaben in den Klassen 1/22.2 Lernaufgaben in den Klassen 3/43 Inszenierung von Lernaufgaben im Unterricht3.1 Analyse3.2 Die vier Kernpraktiken4 Herausforderungen bei der Inszenierung5 Die Rolle der Kernpraktiken in der LehrerausbildungLiteratur

 Lernaufgaben in Klasse 51 Englischunterricht in Klasse 52 Charakteristika von Lernaufgaben in Klasse 52.1 Lebensweltlich relevante Inhalte2.2 Individuelle Schwerpunktsetzungen2.3 Raum dafür, vorhandene Kompetenzen zu zeigen, sie wahrzunehmen, wertschätzen und weiterzuentwickeln2.4 Gelegenheit zur Interaktion2.5 Unterstützungsangebote bieten2.6 Focus on Form3 Zusammenfassung und AusblickLiteratur

 Englischunterricht zu Beginn von Klasse 5 – Sprachliches Können sichtbar machen1 Tobias und sein Traumhaus2 Unterricht zu Beginn von Klasse 5 – eine Fallstudie3 Wie werden die sprachlichen Kompetenzen der Schüler*innen sichtbar?3.1 „Dass ich nicht ständig dann (…) der Akteur, Dompteur bin“ – Verantwortung abgeben3.2 „Mir ist (…) wichtig, dass die überhaupt reden“ – Schüler*innen zu Wort kommen lassen3.3 „Dass die Schüler (…) die Chance wittern, dass sie das irgendwann mal können“ – Stärken in den Vordergrund stellen4 Diskussion und AusblickLiteratur

 Der Übergang von Klasse 4 nach 5 aus der Sicht von Schüler*innen1 Der Übergang von Klasse 4 nach 52 Methodisches Vorgehen: Die Schüler*innenbefragung3 Die Stichprobe: Die Schüler*innen4 Ergebnisse: Der Übergang von Klasse 4 nach 5 aus der Sicht aller Schüler*innenDer Schulwechsel allgemeinDer Englischunterricht in der GrundschuleDer Englischunterricht in der weiterführenden SchuleHotspot 1: KommunikationHotspot 2: SchriftHotspot 3: Vorkenntnisse und Anknüpfungspunkte5 Fazit und AusblickLiteraturAnhang

 Der Übergang von Klasse 4 nach 5 aus der Sicht von Lehrkräften1 Der Englischunterricht in Klasse 52 Methodisches Vorgehen: Die Lehrer*inneninterviews3 Die Stichprobe: Die Lehrpersonen4 Ergebnisse: Der Übergang von Klasse 4 nach 5 aus der Sicht der LehrpersonenVorhandene Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen aus der GrundschuleVorstellungen der Fünftklasslehrpersonen zum Englischunterricht in der GrundschuleDer Englischunterricht in Klasse 5Das Anforderungsniveau in Klasse 5 steigtDie Eingangsvoraussetzungen in Klasse 5Die Rolle der Diagnostik in Klasse 55 Fazit und AusblickLiteraturAnhang

  Projekt Englisch ab Klasse 1 – Bilanz und Perspektiven 1 Gesprächsangebote 2 Lernende Netzwerke von Lehrer*innen und Forscher*innen 3 Nachhaltigkeit Literatur

  Verzeichnis der Autor*innen

Kapitel 1

Englisch ab Klasse 1. Anmerkungen zu einer bildungspolitischen Diskussion

Annika Kolb / Michael K.Legutke

1 Das Projekt Englisch ab Klasse 1 (PEAK1)

Immer früher und immer öfter – auf europäischer Ebene scheint der Trend beim frühen Fremdsprachenlernen klar zu sein. Zahlreiche Länder haben in den vergangenen Jahren den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule deutlich ausgebaut, in vielen Ländern ist er nun sogar schon im Elementarbereich verpflichtend (Enever 2018, Mourão / Lorenço 2015: 2). 2016 lernten in mehr als der Hälfte der Länder der europäischen Union mindestens 80 % aller Grundschüler*innen eine Fremdsprache, in 8 Ländern sogar nahezu alle. Dem gegenüber sind es in Deutschland nur 60 %, auf einer Rangliste der 27 Länder der EU steht Deutschland damit lediglich auf Platz 20. In Baden-Württemberg, das 2005 als erstes Bundesland in Deutschland Fremdsprachenunterricht ab Klasse 1 eingeführt hatte, wurde der Beginn aktuell wieder auf Klasse 3 zurückverlegt. Seit seiner Einführung wurde der Fremdsprachenunterricht auf der Primarstufe immer wieder von Diskussionen um seine Effektivität begleitet. Debattiert wurde dabei auch die Frage, in welchem Schuljahr begonnen werden sollte. Der vorliegende Band schaltet sich aus unterschiedlichen Perspektiven in diese Diskussion ein. Argumente liefern Erfahrungen und Ergebnisse des Projekts Englisch ab Klasse 1 (PEAK1), eines sechsjährigen Entwicklungs- und Forschungsprojekts in Frankfurt am Main.

 

Das PROJEKT1 geht auf die Initiative dreier Grundschulen und zweier weiterführender Gymnasien zurück, die den Wunsch der Eltern und Lehrkräfte aufnahmen, auch in der Primarstufe Englisch ab Klasse 1 anzubieten, denn im Bundesland Hessen beginnt der verpflichtende Englischunterricht erst mit der dritten Klasse. Eine solche Initiative schien nicht zuletzt deshalb geboten, weil die privaten Grundschulen, deren Zahl kontinuierlich wächst, selbstverständlich mit der Fremdsprache Englisch in Klasse 1 beginnen. Dem Wunsch auf Unterstützung der Initiative durch die Zuweisung zusätzlicher Unterrichtsstunden für die Klassen 1 und 2 in den Grundschulen entsprach das Hessische Kultusministerium unter der Bedingung, dass das Projekt wissenschaftlich begleitet werde. Es gelang dem Team der Forscher*innen, die Gruppe der Grundschulen und der aufnehmenden Sekundarstufenschulen so zu erweitern, dass ein breiteres Spektrum an Schulen in dem Projekt vertreten war. Im Schuljahr 2010/11 begann das Projekt mit zunächst vier Grundschulen und drei weiterführenden Schulen. Ab dem Schuljahr 2013/14 arbeiteten sechs Grundschulen und fünf weiterführende Schulen kontinuierlich zusammen (drei Gymnasien, eine Realschule und eine Integrierte Gesamtschule). Weitere Grundschulen kamen als assoziierte Mitglieder hinzu. Eine Lehrerin aus einer der beteiligten Schulen übernahm mit der halben Stundenzahl ihres Deputats die Koordination des Projekts. Mit der wissenschaftlichen Begleitung wurde die Justus-Liebig-Universität Gießen beauftragt. Partner war die Pädagogische Hochschule Freiburg.

Zu den Zielen des Projekts gehörte u.a. der Versuch, einen detaillierten und fundierten Einblick in die Unterrichtspraxis des frühen Englischunterrichts zu gewinnen, begründete Aussagen über den Leistungsstand der Kinder am Ende der vierten Klasse zu machen und zu dokumentieren, was aus den Schüler*innen wurde, die Englisch ab Klasse 1 erhielten. Von Anfang an wollte man eine kontinuierliche Weiterführung des Englischunterrichts in der Sekundarstufe in den Blickpunkt rücken (Details im Kapitel 2 dieses Bandes).

Nach Abschluss des Projekts lassen sich nun einige interessante Schlaglichter auf die Diskussion um den Frühbeginn werfen. Zum einen steht immer wieder die Frage im Fokus, welchen „Mehrwert“ ein Einstieg schon in Klasse 1 mit sich bringt, zum anderen liefert das Projekt Erkenntnisse dazu, welche Bedingungen für einen erfolgreichen Englischunterricht ab Klasse 1 gegeben sein müssen.

2 Was spricht für den Beginn in Klasse 1?

Bei der Beurteilung des Erfolgs des Grundschulfremdsprachenunterrichts steht zunächst die Frage nach den erreichten Sprachkompetenzen im Zentrum. Untersucht wurde in zahlreichen Studien, ob die Kinder zum einen die von Bildungsplänen und Curricula geforderten Standards erreichen und zum anderen, ob Schüler*innen, die in der Grundschule schon in Klasse 1 oder Klasse 3 beginnen, eine Fremdsprache zu lernen, in der Sekundarstufe einen Vorteil haben. Zum ersten Aspekt stellten sowohl die 2009 in Nordrhein-Westfalen durchgeführte EVENING-Studie (Engel et al. 2009) als auch die 2015 im ganzen Bundesgebiet erhobenen Daten der BIG-Studie fest, dass die von den Kindern erreichten Sprachkompetenzen teilweise deutlich über den jeweiligen Erwartungshorizonten liegen. Die BIG-Studie (BIG 2015, Müller 2017) zeigt, dass die beteiligten Schüler*innen in allen untersuchten Kompetenzbereichen (Sprechen, Hörverstehen, Lesen und Schreiben) das angestrebte Niveau A1 gelegentlich übertreffen. Ca. 20 % der Kinder wären sogar in der Lage gewesen, noch weitaus schwerere Aufgaben als die im Test geforderten zu lösen (Müller 2017: 111). Was die Curricula von den Kindern im Fremdsprachenunterricht der Grundschule erwarten, wird demnach von der überwiegenden Mehrzahl der Schüler*innen erfüllt, die Erwartungshorizonte sind tendenziell sogar eher zu niedrig angesetzt. Dabei muss nicht zuletzt in Rechnung gestellt werden, wie viele Unterrichtsstunden für das Fach Englisch zur Verfügung stehen. „Insgesamt lässt sich festhalten, dass der fremdsprachliche Grundschulunterricht in den einzelnen Bundesländern derzeit die Schüler*innen vermehrt genau dahinführt, wie weit man in 90 Minuten pro Woche kommen kann“ (Elsner 2017: 107).

Zur Frage, ob ein Beginn schon in Klasse 1 zu nachweislich höheren sprachlichen Kompetenzen als der Start in Klasse 3 führt, gibt es ebenfalls empirische Befunde, die allerdings nicht ganz so eindeutig ausfallen. So stellte eine Untersuchung in NRW fest, dass Schüler*innen, die in Klasse 1 mit dem Englischlernen begonnen hatten, am Ende der Grundschulzeit besser im Lese- und Hörverstehen abschnitten, als solche, die erst in Klasse 3 starteten (Wilden / Porsch / Ritter 2013). Auch die detaillierte Auswertung der BIG-Studie zeigt, dass die Schüler*innen in allen Kompetenzbereichen bessere Ergebnisse erzielen, je früher mit dem Englischlernen begonnen wurde (Müller 2017: 182ff.). Die Dauer des Sprachunterrichts konnte in der Studie als zweitwichtigster Faktor für den Lernerfolg des Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule identifiziert werden (ebd.: 334).

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang sind ferner die Ergebnisse des Sprechtests, der im Rahmen des PROJEKTS entwickelt und am Ende der Grundschulzeit nach vier Jahren Englischunterricht durchgeführt wurde. Die Ergebnisse erlauben es, die erreichte Sprechkompetenz der Kinder differenzierter zu beschreiben, als es auf der Basis des BIG-Tests möglich war. Sie vermitteln einen prägnanten Eindruck, was Kinder in diesem Kompetenzbereich zu leisten in der Lage sind. Lambrini Loumbourdi und Darja Brotzmann stellen im 3. Kapitel dieses Bandes den Test und ausgewählte Ergebnisse vor.

Aufsehen erregte eine Studie von Jaekel et al. (2017) in NRW, die die Leistungen im Lese- und Hörverstehen von Schüler*innen, die in Klasse 1 gestartet waren, mit solchen, die in Klasse 3 begonnen hatten, verglichen. Während die „Frühstarter“ am Anfang von Klasse 5 noch signifikant bessere Leistungen zeigten, hatten die „Spätstarter“ sie in Klasse 7 eingeholt und übertrafen sie sogar sowohl im Lese- als auch im Hörverstehen. Die Studie bestätigt andere vor ihr, die sich gegen die naive Annahme aussprechen, dass je früher mit einer Fremdsprache begonnen werde, desto bessere Ergebnisse zu erwarten seien. Hier ist den Autor*innen unbedingt zuzustimmen. Ob sich jedoch die folgende Aussage über den Englischunterricht der Grundschule zwingend aus der Studie ergibt, scheint uns aus mindestens vier Gründen fraglich:

In Germany, the current practice of beginning EFL in Year 1 with 90 minutes or less of instructional time does not yield the expected results that policymakers may have hoped for, at least not in the long run. Extending EFL into elementary school did not seem to produce the anticipated linguistic outcomes (Jaekel et al. 2017: 654).

(1) Die Studie untersucht nur zwei Teilkompetenzen und blendet den Bereich Sprechen, dem in der Grundschule große Aufmerksamkeit gewidmet wird, völlig aus. Dieser Fertigkeitsbereich ist unter schulischen Bedingungen und in großer Breite zweifellos schwer zu erfassen. Erreichte Leistungen der Kinder sind jedoch unbedingt einzubeziehen, will man Erträge von Programmen bewerten. Kapitel 3 dieses Bandes gibt hier einen Einblick in Leistungen der PROJEKT-Schüler*innen. (2) Ob aus den besseren Ergebnissen der Spätstarter in Klasse 7 wirklich auf die Leistungsfähigkeit des Grundschulenglisch geschlossen werden kann, ist mehr als problematisch, wenn man berücksichtigt, dass die Kinder in Klasse 5 und 6 im Durchschnitt 304 Stunden Englischunterricht haben. Aus der Perspektive des PROJEKTS sind gerade die ersten Monate in Klasse 5 entscheidend für die Weiterentwicklung der mitgebrachten Kompetenzen, den Erhalt von Motivation und den Umstieg auf eine veränderte Lernkultur. Die Studie von Jaekel et al. wirft deshalb die spannende und bisher nicht untersuchte Frage auf, wie Lehrkräfte tatsächlich mitgebrachtes Können wahrnehmen, einordnen und unter den Bedingungen von Regelunterricht ausbauen. Sie verweist zwar auf die unterschiedlichen Zielsetzungen und Lernkulturen der beiden Schulstufen, ohne jedoch diesen Aspekt weiter auszuführen und ohne den Unterricht von zwei Schuljahren in Rechnung zu stellen. (3) Ferner bemerken die Autoren einschränkend, dass die Studie zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem mit Sicherheit davon auszugehen war, dass ein beachtlicher Anteil von Grundschullehrkräften nicht entsprechend qualifiziert war. Das PROJEKT hat mehr als deutlich gemacht, dass vor allem eine fachdidaktisch fokussierte Sprachkompetenz der Lehrkräfte unerlässlich für einen kommunikativen Englischunterricht ist (s. unten). (4) Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung im Herbst 2017 hat die Forschergruppe einen weiteren Teil der Studie vorgestellt, der interessanterweise zeigt, dass sich der Trend, den sie zunächst für Klasse 7 festgestellt hatte, nun in Klasse 9 wieder ins Gegenteil zu kehren scheint. Mit anderen Worten, frühbeginnende Lerner*innen ab Klasse 1 zeigen in Klasse 9 einen kleinen Vorsprung vor Fremdsprachenlernenden ab Klasse 3. Sind damit die oben zitierten Schlussfolgerungen hinfällig?

Beachtung in diesem Zusammenhang verdient auch die Studie von Pfenninger / Singleton (2016). Untersucht wurde eine Kohorte Schweizer Schüler*innen am Beginn und Ende der Sekundarstufe. 100 von ihnen hatten Englisch in der Grundschule gelernt, während 100 erst in der Sekundarstufe mit dem Fach begannen. Neben der Frage, ob die Frühstarter die Spätstarter am Ende der Sekundarstufe im sprachlichen Leistungsbereich übertreffen, wurden auch motivationale und einstellungsbezogene Aspekte untersucht. Die differenziert angelegte Studie in einem mixed-method design zeigt stimmig und nachvollziehbar, dass die Spätstarter innerhalb eines halben Jahres zu den Leistungen der Frühstarter aufgeschlossen haben und dass beide Gruppen mit vergleichbaren, fast identischen Leistungen die Sekundarstufe verlassen, die Frühstarter demnach keinen Leistungsvorteil gegenüber den Spätstartern aufweisen:

While there were clear differences with respect to rate of acquisition in favor of the late starters, we found no main effect for age at the end of mandatory school time, which was also reflected in the qualitative data, e.g. in the reported comparisons that late learners did with their younger siblings who had experienced early English – and who failed, according to the reports, to perform better than the late starters (Pfenninger / Singleton 2016: 336).

Bevor von diesen Schweizer Ergebnissen generalisierend auf die Leistungsfähigkeit des frühen Englischunterrichts geschlossen werden kann, müssen zwei Fragen beantwortet werden, die nicht im Fokus der Studie lagen. Die erste betrifft die Qualität der 440 Stunden Englischunterricht in der Grundschule, mit denen die Untersuchung rechnet. Leistet er das, was er wirklich leisten könnte? In diesem Zusammenhang wäre u.a. der Ausbildungsstand der Grundschullehrkräfte von Interesse, sowohl ihre methodisch-didaktischen wie die fremdsprachlichen Kompetenzen als auch das Niveau ihrer Lehrersprache (s.u.). Die zweite Frage betrifft die Fortführung des Englischunterrichts in der Sekundarstufe, den Komplex Übergang. Eine Reihe qualitativer Lernerdaten, nämlich Äußerungen der Frühstarter zur Erfahrung mit dem Englischunterricht in der Grundschule und zur Weiterführung, unterstreichen die Notwendigkeit, diese Fragen in den Blick zu nehmen:

72% of the responses in question concerned the perceived inefficiency of the way that English was taught. … 56 % of comments expressed criticism of the teachers’ choice of language of instruction … 41 % of students’ answers to the question complained about the experience of starting everything again from scratch in secondary school (ebd.: 332-333).

Zum Zeitpunkt der ersten Testung, also nach ca. sechs Monaten Englischunterricht in der Sekundarstufe, diagnostiziert die Studie bei den Frühstartern eine auffällig negative Haltung gegenüber dem Fremdsprachenunterricht. Die Schüler*innen zeigen mangelnden Enthusiasmus, gepaart mit Vorstellungen der Ineffektivität der schulischen Lernumgebungen. Sie sind erkennbar unzufrieden mit ihrem Englischunterricht aus der Grundschule und mit der Lehr- und Lernpraxis der Sekundarstufe. Während die Spätstarter in der kontinuierlich strukturierten Lernkultur der Sekundarstufe von fachdidaktisch qualifizierten Lehrkräften unterrichtet werden, mussten sich die Frühstarter mit einer veränderten Lehr- und Lernkultur arrangieren, was deutlich mit negativen Erfahrungen konnotiert ist. Aus der Sicht des PROJEKTS stimmen wir Pfenninger / Singleton zu, wenn sie formulieren: „The ECLs‘[early classroom learners] responses also raise the question as to whether the skills that are acquired in primary school are adequately measured and accredited in secondary school“ (ebd.: 334).

 

Neben den sprachlichen Kompetenzen, die die Kinder im Fremdsprachenunterricht der Grundschule erwerben, sollen auch interkulturelle Kompetenzen gefördert werden. Als um die Jahrtausendwende in vielen Ländern Europas Fremdsprachenprogramme für die Primarstufe entwickelt wurden, wurde vielerorts die Einigung Europas, die Bedeutung des Sprachenlernens für die interkulturelle Verständigung und die Erziehung zu Offenheit, Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt betont. In einer Zeit, in der europaweit nationalistische Tendenzen zunehmen, scheint dieser Begründungszusammenhang umso mehr von Bedeutung. Ein Beginn des Fremdsprachenlernens in Klasse 1 setzt hier ein Signal und gibt interkulturellem Lernen Raum und Zeit (vgl. u.a. Elsner 2017).

Für Kinder mit anderen Erstsprachen als Deutsch bietet gerade der Englischunterricht oft Möglichkeiten, ihr Können zu zeigen; ein Unterricht, der die kindliche Mehrsprachigkeit produktiv einbezieht, ist dabei besonders hilfreich. In einzelnen Bundesländern ist die Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit bereits curricular verankert, beispielsweise wird angeregt, die Herkunftssprachen zu Sprachvergleichen heranzuziehen und Kindern die sprachliche Vielfalt ihrer Lebenswelt bewusst zu machen (Hempel / Kötter / Rymarczyk 2017: 31f.). Gleichzeitig besteht die Herausforderung darin, in der Grundschule genügend Gelegenheiten zum Erlernen der Schulsprache Deutsch bereit zu stellen, die für den Schulerfolg unabdingbar ist. Ein „Gegeneinander-Ausspielen“ der Sprachen Englisch und Deutsch scheint dabei allerdings wenig sinnvoll, da sprachliche Kompetenzen integriert entwickelt werden.