94,3 rs2 – 20 Jahre mitten im Leben

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94,3 rs2 – 20 Jahre mitten im Leben
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Impressum

Copyright: © 2012 94,3 rs2 Radio-Information Audio-Service Zwei GmbH

Text: Grace Pönitz

Bilder: Archiv, wenn nicht näher bezeichnet

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de Layout: Marte Kiessling www.martemarte.de ISBN 978-3-8442-2286-9

Bertram Schwarz und Christian Schalt: Fester Platz im Berlin-Brandenburger Radiomarkt

Wir Radiomacher haben ähnlich viele gute Ratgeber wie der Bundestrainer der Fußballnationalmannschaft. Das sei doch alles ganz einfach.

Informativ soll ein gutes Radioprogramm sein und natürlich unterhaltsam. Die beste Musik muss es spielen, Gesetze und sonstige Regelungen selbstverständlich beachten, aber auch den einen oder anderen Tabubruch riskieren. So richtig herzhaft Lachen wäre auch mal schön. Auf keinen Fall darf es langweilig sein. Noch etwas vergessen?

Ach ja, der Hörer muss ein gutes Radioprogramm bekommen. Die wenigen professionellen Kulturnörgler, für die geringe Quote ein unbedingtes Zeichen für Qualität ist, lassen wir hier ausnahmsweise mal außen vor. Jawoll, 94,3 rs2 braucht Hörer, viele Hörer. Wir sind seit 20 Jahren ein werbefinanziertes Programm. Das heißt, es muss gänzlich ohne Gebühren auskommen. Ohne Hörer, keine Werbung. Ohne Werbung, kein 94,3 rs2.


© by Jan Kopetzky

Und doch stellen wir uns der gesellschaftlichen Verantwortung. Wir leben gern in Deutschland mit seiner parlamentarischen Demokratie und der nicht selbstverständlichen Meinungsfreiheit. Die Grundwerte gilt es zu unterstützen und auch manchmal zu verteidigen.

Dazu braucht es nicht den sauertöpfischen Kommentar vom Oberlehrer am Mikrofon. Ein klares Wort zum richtigen Zeitpunkt von lebensfrohen Moderatoren hilft der Sache meist viel mehr. Da sind wir privaten Radiomacher in Berlin uns einig. Übrigens auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gibt es durchaus dem alltäglichen Leben zugeneigte Stimmen.

Ein Wort noch zum Wettbewerb: Ja, wir lieben ihn. Er gibt uns Ansporn und macht (meistens) Spaß. In den vergangenen 20 Jahren haben die Macher und Hörer von 94,3 rs2 viel erlebt. Der Wettbewerb der Sender in Berlin und Brandenburg hat vieles hervorgebracht: Schrilles und Stilles war dabei und manches würde man im Nachhinein anders machen. In der Rückschau wird dennoch eines deutlich: Langweilig war es in 20 Jahren 94,3 rs2 nie.

Wir sind stolz auf diese reiche Vergangenheit und sehen der Zukunft freudig entgegen.

Grußwort des Regierenden Bürgermeisters

Jüngere Leute im Internet-Zeitalter muss man inzwischen daran erinnern, wie wenig Radiosender wir früher einmal hatten: In Berlin gab es in den 1960er- oder 1970er-Jahren SFB und RIAS, mehr nicht. Da war es schon sensationell, als 1985 der RIAS seine seit 1953 – meinem Geburtsjahr – existierende 2. Welle auf ein Spartenprogramm umstellte, das speziell auf junge Menschen ausgerichtet war und das dann nach dem Fall der Mauer im Zuge der Privatisierung zu 94,3 rs2 geworden ist.

1985, vor dem Hintergrund des Starts erster privater Radios in Deutschland, hatte rias2 einen fulminanten Erfolg. Dieser Erfolg gab denen Recht, die den Bedarf nach einem jungen Programm mit aktueller Musik erkannt hatten, nicht zuletzt mit Blick auf die zunehmende Konkurrenzsituation.


Klaus Wowereit, Regierender

Bürgermeister von Berlin

Es ist durchaus bemerkenswert: 94,3 rs2 ist einer der wenigen privaten Radiosender, die eine lange und durchaus politische Vergangenheit haben. Aber das war in der besonderen Situation des geteilten Berlins in gewisser Weise unvermeidlich.

Damals spielte der Rundfunk noch eine weit wichtigere Rolle als heute. Schließlich gab es zunächst auch nur ein oder zwei Fernsehprogramme, jeweils eines aus dem Westen und aus dem Osten. Der RIAS als »Rundfunk im amerikanischen Sektor« hatte auch im abflauenden Kalten Krieg nach wie vor seine politische Aufgabenstellung. RIAS war auch und gerade der Sender, der sich an die Hörerinnen und Hörer im »anderen Teil Deutschlands« richtete. Das galt auch für die junge Welle rias2 in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre.

Für heutige Verhältnisse auch nicht mehr vorstellbar: Da gab es Musiksendungen zum Mitschneiden. Man hatte einen Radiorecorder, bei dem ein Radio mit einem MusikKassetten-Player zusammengebaut war. Dann hörte man diese Sendungen und hat die Lieder, die man gut fand, aus dem Radio aufgenommen. Im Osten war das für viele junge Leute die einzige Möglichkeit, an bestimmte Titel aus dem Westen heranzukommen. Solche Sendungen machten Barry Graves und Olaf Leitner.

Vieles, was dann später privates Radio ausmachte, hatte der Vorläufer von 94,3 rs2 quasi-öffentlich-rechtlich schon erprobt. Ich habe auch noch andere Namen im Ohr, die damals vor dem Mikrophon mit von der Partie waren: Andreas Dorfmann, Christine Westermann, Gregor Rottschalk oder Irina von Bentheim. Mancher von ihnen ist mir dann später wieder begegnet wie Christine Westermann bei Zimmer frei. Andreas Dorfmann ist dem Rundfunk ja auch bis in die Gegenwart weiter treu geblieben.

Eine unvergessliche Persönlichkeit ist und bleibt natürlich der »alte Ami«. Rik DeLisle kam als US-Soldat nach West-Berlin und ist der Stadt treu geblieben. Er ist der Mann, der dann auch 94,3 rs2 als privaten Sender wesentlich mit vorangebracht und zum Erfolg des Unternehmens ganz wesentlich beigetragen hat. Seine sonore Stimme und sein starker amerikanischer Akzent sind unvergessen als Markenzeichen sowohl für ihn selbst als auch für den Sender.

20 Jahre sind eine lange Zeit auf dem hart umkämpften Radiomarkt in Berlin. Wer da mit guten Zahlen als Sender und als Unternehmen ein solches Jubiläum feiert, der kann stolz sein, zumal er viele Konkurrenten hat kommen und gehen sehen. Allen, die bei 94,3 rs2 zum Erfolg beigetragen haben, herzlichen Glückwunsch. Als Regierender Bürgermeister von Berlin wünsche ich der »Berliner Pflanze« 94,3 rs2 weiterhin viel Erfolg und gute Ideen, den Hörerinnen und Hörern stets störungsfreien Empfang!

Vom öffentlich-rechtlichen rias2 zum privaten 94,3 rs2: Ein neuer Name – ein bewährtes Programm
Mit dem Gute-Laune-Song »Hello, Goodbye« von den Beatles verabschiedet sich rias2 am 31. Mai 1992 von seinen Zuhörern.

Seit der deutschen Wiedervereinigung war um das Programm intensiv gerungen worden. Viele wollten sich nicht damit abfinden, dass mit der Einheit plötzlich kein Platz für die im September 1985 gestartete Welle sein sollte, gab es doch in West und in Ost eine treue und begeisterte Hörergemeinde. Doch eine Übernahme durch den nationalen Hörfunk konnte bei den Ministerpräsidenten der Länder nicht durchgesetzt werden. Auch ein Fortbestehen unter dem Dach der öffentlich-rechtlichen ARD-Anstalten in der Region, dem Sender Freies Berlin (SFB) und dem Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB), wie das die Politik und der Vorläufer der heutigen Medienanstalt, der Kabelrat, angedacht hatten, scheitert recht schnell.

Der einzige Ausweg bleibt die Privatisierung. Die Idee ist es, ein anspruchsvolles privates Radioprogramm mit einem hohen Informationsanteil in der Tradition von rias2 umzusetzen. Ex-Chef Gerd Besserer, Programmchef Jörg Brüggemann und Christoph Lanz, zwischen 1987 und 1989 stellvertretender Programmdirektor, holen Peter Schiwy mit an Bord. Er hatte 1985 als RIAS-Intendant die Idee für die junge Welle und drückte sie gegen heftige Widerstände im eigenen Haus durch. Zunächst wird mit Schiwy eine skurrile Begriffskombination ersonnen, um dem neuen Kind einen Namen zu geben. »Radio-Information Audio-Service Zwei« – kurz rias2 – soll zumindest ermöglichen, dass der alte Name weiterlebt. Doch der RIAS will sein traditionsreiches Kürzel nicht an ein kommerzielles Radio übertragen.

Euphorisch bewirbt sich die Radio-Information Audio-Service Zwei GmbH beim damaligen Kabelrat um die ausgeschriebene Frequenz 94,3 MHz. Zu den fünf Mitbewerbern zählen zunächst SAT.1, die Verlagsgruppe Holtzbrinck mit Radio Brandenburg in Gründung und Konzertveranstalter Peter Schwenkow mit seinem geplanten Radio 2. Er kommt letztlich gemeinsam mit den rias2-Machern in die engere Wahl. Der Kabelrat bescheinigt ihm sogar die höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, dennoch sieht er bei Schiwy und Co. die besseren Chancen, Programmelemente und journalistische Standards von rias2 fortzuführen.

Schwenkow ist kein Unbekannter für die rias2-Mannschaft. Mit ihm veranstaltete seit 1987 die Welle, initiiert von Christoph Lanz, Konzerte. Doch das Team wäre zu keinem der Mitbewerber gewechselt. Immerhin beteiligen sich 22 Mitarbeiter über eine Mitarbeiter-Beteiligungs-Gesellschaft an der Radio-Information Audio-Service Zwei GmbH. Die 5 Prozent der festangestellten Mitarbeiter hält treuhänderisch Sylvio Dahl, heute Chef der Electronic Media School (ems).

Der Zuschlag des Kabelrats kommt am 25. April 1992 und ist an harte Auflagen gekoppelt: So werden ein überdurchschnittlicher Anteil an Information und ein herausgehobener journalistischer Standard festgeschrieben. Um den Wettbewerbsvorteil des bereits etablierten Programms gegenüber Newcomern im wachsenden Hörfunkmarkt auszugleichen, wird die Werbung beschränkt. Nach drei Monaten völliger Abstinenz soll bis zum 31. Dezember 1993 höchstens fünf Minuten pro Stunde geworben werden. Der Kabelrat gibt selbst ein Gutachten in Auftrag, wie der Wettbewerbsvorteil auszugleichen sei. Drei Klagen, von Info-Radio, 104.6 RTL und Radio 2000, hinter dem sich Energy verbirgt, können abgewehrt werden. So argumentiert etwa 104.6 RTL, dass private Rundfunksender die zwölf zugestanden Werbeminuten selten ausnutzten. Die Medienwächter um Direktor Hans Hege schätzen die Schwierigkeiten der Privatisierung sehr realistisch ein. Für Hege bleibt im Rückblick die rias2-Privatisierung die schwierigste Entscheidung des Kabelrates. Die Transformation ist für ihn vergleichbar mit den Problemen, die die Treuhandanstalt zu lösen hatte.

 

Für Optimisten wie den letzten stellvertretenden rias2-Chefredakteur Konstantin Klein stellen die Auflagen zunächst kein Problem dar. Sie sind überzeugt davon, dass sich der Vorwurf des Dudelfunks durch ihr journalistisches Konzept schnell entkräften lässt. Noch im Sommer 1990 hatte die rias2-Mannschaft auf solche Vorhaltungen in eigener Form reagiert: Sie stellte damals alle Wortbeiträge eines Tages zusammen, die als Zeitung aufgemacht und gedruckt wurden. Zeitansagen, Wetterberichte und doppelte Nachrichtenmeldungen wurden aussortiert für die 80 Manuskriptseiten, für die Klein im Vorwort schrieb: »Gegen die ‚Kritik der reinen Vernunft’ des Philosophen Immanuel Kant mag der eine oder andere rias2-Beitrag etwas oberflächlich erscheinen …« Der Leser möge sich selbst ein Urteil verschaffen, inwiefern das Etikett »Dudelfunk« dieses Programm träfe.

An jenem 1. Juni 1992 geht es um Mitternacht endlich los: Mit »People Get Ready« von Jeff Beck und Rod Stewart begrüßt Uwe Hessenmüller in der 94,3 rs2-Diskothek seine Hörer. Fast nahtlos mit einer Umschaltsekunde übernimmt 94,3 rs2 vom Vorgänger in den neugebauten Studios im Wedding, erinnert sich der heutige Fernsehdirektor der Deutschen Welle, Christoph Lanz. Später drückt der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen den roten Knopf, wünscht dem Sender »launige Stunden« mit vielen Informationen und wirtschaftlichen Erfolg. Viele bekannte rias2Namen wie Dennis King, Ben Posener oder Ariane Wälzer sind in der ersten 94,3 rs2-Mannschaft dabei. Ähnlich provisorisch wie beim rias2-Start gestaltet sich der private Neuanfang für viele der rund 50 Festangestellten: Statt in Containern auf dem RIAS-Parkplatz in Schöneberg sitzen sie diesmal in Containern in der Weddinger Voltastraße. Das kratzt aber überhaupt nicht an ihrer Überzeugung, dass der Slogan stimmt: »Ein neuer Name, ein bewährtes Programm«.


Das 94,3 rs2-Team im Mai 1993

Eine bittere Erkenntnis kommt bei den Machern recht schnell: Ihr hehrer und kostenintensiver Qualitätsanspruch lässt sich nicht hundertprozentig verwirklichen. Mal eben zu Korrespondenten in Washington oder Moskau zu schalten, um authentisch von Ereignissen zu berichten – das war einmal. Der kleine Privatfunk hat keine echten Außenposten, die kann er sich schlicht nicht leisten. Vor allem aber, so beschreibt es Christoph Lanz, hatten »wir völlig den Markt aus dem Blick verloren. Wir haben ausgeblendet, wie die Quoten von rias2 absackten und die der neuen Konkurrenz wuchsen.« Wenn Lanz den Erfolg von rias2 beschreibt, vergleicht er ihn gern mit seinen persönlichen Erinnerungen an die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung. Da wurde die bittere Substanz mit einem Stück Würfelzucker verabreicht. rias2 habe die harten politischen Fakten und Informationen in Popmusik eingebettet. Viele zog vor allem die Musik an, die nun auch andere Stationen anboten. Dadurch seien die wirtschaftlichen Kalkulationen Makulatur geworden. Lanz beschreibt die Unerfahrenheit des Teams so: »Ich kann nicht morgen eine Schnapsfabrik aufmachen, nur weil ich schon welchen getrunken habe und glaube, ich könnte das managen.«

»Sie haben versucht, das Gleiche weiterzumachen und sind grandios gescheitert. Nicht weil das plötzlich schlecht war, sondern weil neue Programme wie 104.6 RTL oder Energy auf dem Markt waren. Plötzlich war anderes neu und aufregend«, kommentiert der spätere 94,3 rs2-Geschäftsführer Stephan Hampe die schnell auftretenden Finanznöte. Auch Konstantin Klein räumt ein: »Mit Geld lässt sich leichter Qualitätsjournalismus machen, immerhin wurde der RIAS vom innerdeutschen Ministerium und dem amerikanischen Bundeshaushalt finanziert.« Der letzte rias2- und erste 94,3 rs2- Programmchef Jörg Brüggemann sieht es 20 Jahre später folgendermaßen: »Wir waren in den anderthalb Jahren so mit uns selbst beschäftigt, dass wir die entstehende private Radiolandschaft gar nicht wahrnahmen.«

Lanz resümiert nüchtern: »Ich bin froh, dass die Mitarbeiter-Beteiligungs-Gesellschaft ohne finanzielle Verluste aus dem Verkauf hervorging. Für die anderen ehemaligen rias2-Mitarbeiter, die sich am unternehmerischen Risiko beteiligten, gelang dies nicht.«

Doch eines eint alle: Sie würden das Projekt noch einmal angehen. Allerdings würden sie nüchterner testen, wie weit ein kommerzielles Projekt inhaltlich ausgereizt werden kann.


© by Jan Kopetzky

Der alte Ami Rik DeLisle übernimmt das Ruder

Bei einem Benefizkonzert in Huxleys neuer Welt sprach mich Christoph Lanz an und fragte, ob er mich auf eine Liste möglicher Programmchefs für 94,3 rs2 setzen könne? »Logo, Alter!«, hab ich gemeint. Da kommt doch sowieso nichts, dachte ich mir, und so war es auch lange Zeit. Ich moderierte mittlerweile bei 104.6 RTL. Jörg Brüggemann hatte mir vor der Privatisierung von rias2 gesagt, dass er mir keinen Job garantieren könne. Für diese klare Ansage war ich ihm dankbar, denn ich brauchte als alleinerziehender Vater zweier Kinder Sicherheit.

Bei 104.6 RTL hatte ich als Mittagsmann ein Jahr durchgearbeitet. Meine ersten sieben freien Tage wollte ich in der brandenburgischen Sommerfrische genießen. Schon am ersten Tag hielt aber ein Taxi vor dem Bauernhaus mit einer aufgeregten Postfrau in Kittelschürze. Sie brachte ein Telegramm von Karsten Klaue aus Berlin, damals gab es ja kaum Handys. Ich sollte dringend in Berlin anrufen, Peter Schiwy wolle mit mir reden. Meine ersten freien Tage und ich sollte gleich wieder nach Berlin! Ich hab geantwortet, wenn er mit mir reden will, solle er hier raus kommen. Zwei Stunden später kündigte die Postfrau Schiwys Besuch für den kommenden Tag an. Wir saßen draußen und haben Mücken erschlagen, von denen es im Sommer 1993 mehr als genug gab. Dabei ging es um Visionen, Wünsche und Machbares.

Die bisherigen Programmverantwortlichen hatten aus meiner Sicht einen Fehler nach dem anderen gemacht. Die Einführungskampagne »Wir können mehr als nur Dudelfunk« warb für die Konkurrenz. Der Informationsanspruch funktionierte ohne das Korrespondentennetz nicht. Man kann einfach nicht mal bei Claus Kleber in Washington anfragen. Dadurch wurde in den ersten anderthalb Jahren viel vom rias2-Image zerstört. Es waren ja auch nicht mehr die Leute mit dem Pioniergeist da, die Mitte der 1980er-Jahre das neue Programm aufgebaut hatten. Der Punkt war, du musstest was anderes machen, was Neues.

Nachdem ich an einem Freitag unterschrieben hatte, habe ich gleich Dennis King, der mittlerweile bei einem Privatsender in Ulm arbeitete, angerufen. Dennis hatte mich bei meiner ersten Radiosendung 1985 beim RIAS an die Hand genommen, weil ich so nervös war. Am Samstagmorgen saß er in meiner Küche und wir haben gequatscht. Danach hat er seine Sachen in Ulm gepackt und am Montag bei uns moderiert.

Der zweite Anruf ging an Gerlinde Jänicke, die zusammen mit meiner Tochter in die Schule ging und immer der Klassenclown war. Damals briet sie Burger, bis ich sagte: »Du hast deinen letzten Burger gedreht, ab Montag bist du Volontärin bei 94,3 rs2.« An Gerlinde habe ich geglaubt!

Mit den beiden fing die Neuzeit von 94,3 rs2 an. Dann kam Karsten Klaue dazu, danach Andreas Dorfmann. Mit Arno Müller von 104.6 RTL hatte ich die Abmachung, dass er mich ein bisschen früher ziehen lassen würde, wenn ich ihm verspräche, keinen von 104.6 RTL mitzunehmen. Als erster wollte Karsten zu 94,3 rs2. Ich sagte ihm: »Ich kann dich nicht abwerben, du musst kündigen und 90 Tage warten, und dann stell ich dich ein.« Danach wollte Dorfmann zurück und fing an, in Sachsen das Mittagsmagazin für den MDR zu machen.


Mit Dorfi und Dennis hatte ich zwei Leute, mit denen ich die Verbindung zum alten RIAS wieder herstellen konnte. Dazu kam Karin Kuschik, die früher bei rias2 noch Volontärin war, jetzt aber festangestellt und Morgenmoderatorin. Karin war gigantisch! Mit ihr machte der Sender die erste Plakatierung in Berlin, die eine Moderatorin zeigte. Die großen Kampagnen zeigten damals nie Discjockeys. Ich sagte: »Die Karin sieht gut aus, klingt gut, die kommt auf das Plakat.« Leider hat ihr dann der SFB das dreifache Geld für die halbe Arbeit angeboten, was eigentlich den Anfang vom Radiokrieg darstellte.

Bernd Ortwig, der Chefredakteur, war ein Profi. Als bei Siemens in der Voltastraße eine Bombe gefunden wurde, sollten wir den Sender räumen, doch Dennis, Bernd und ich haben uns in einer Kammer eingeschlossen. Von dort aus sind Bernd und ich aufs Dach geklettert, um live zu berichten, während Dennis im Studio blieb. Als ich Bernd fragte, was machst Du, wenn die Bombe hochgeht, sagte er: »Keine Ahnung, aber es ist geiles Radio.«

Unverwechselbar: Rik 1994 und 2012


Anstelle der zweistündigen Kirchensendung wollte ich jemanden für den morgendlichen »Radio-Express«. Ich sprach Jürgen Fliege an, der auch gleich zusagte. Ab dem 11. Oktober 1993 moderierte er die 5-Uhr-Stunde selbst und brachte auch Themen ein. Danach hat er mehrmals die Woche am Telefon gesessen. Uns ging es wegen der Quoten damals relativ beschissen, das waren ganz trübe Zeiten. Jürgen blieb oft den ganzen Tag im Sender, bis ihn dann leider Antenne Bayern wegkaufte. Was mich echt ärgerte, war, dass bei den Kirchen in Berlin und Brandenburg niemand diese tägliche Aufgabe übernehmen wollte, obwohl sie jeden Sonntag vor leeren Kirchen predigen.

Markant war auch unsere Stimme der Nacht: Mike Dee, dem eine Diskothek in Rudow gehörte, in der ich aufgetreten war.

Als ich hier Programmchef war, ging es darum, dieses große Schiff mit den riesigen Hörerverlusten wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen. Ich hatte beim Einstieg wirklich unterschätzt, was es bedeutet, die Verantwortung für so viele Leute zu tragen. Am Anfang musste ich so viele entlassen, das war hart. In dieser Zeit bot mir Peter Schwenkow an, als geschäftsführender Programmchef bei seinem Radio jfk mitzumachen, doch ich habe abgelehnt.

Glücklicherweise haben wir aber die richtigen Mitarbeiter gefunden. Viele aus dem Westen wollten unbedingt beim RIAS arbeiten oder eben weitermachen – unabhängig vom Geld. Die Ostler, es ist schon fast peinlich, wie die diesen Sender geliebt haben. Wir haben sehr davon profitiert, dass nach der Wende gut ausgebildete Ostmoderatoren als alte RIAS-Fans unbedingt hier arbeiten wollten. Diese Begeisterung in Ost und West – das war am Ende die Rettung von 94,3 rs2. Die neue Mannschaft arbeitete mit Liebe und Stolz, weil sie definitiv nicht wegen des Geldes bei uns war. Wir alle wollten ein Radio für den bodenständigen, normalen Berliner machen, den Klempner aus Neukölln, den Nachbarn aus dem Wedding oder in Pankow.

Fünf Jahre Programmchef von 94,3 rs2 zu sein, war ermüdend, vor allem nach den verheerenden Zahlen in der Anfangszeit. Nicht immer läuft es rund, Radiostar zu sein, heißt zwangsläufig, dass dich mehr Leute hassen als mögen. Wir haben das Ding umgedreht. Als ich wegging, waren wir die Nummer 1 bei den 30- bis 39-Jährigen in Berlin.

Rik DeLisle, Programmdirektor (1993 – 1997)