94,3 rs2 – 20 Jahre mitten im Leben

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Prof. Dr. Peter Schiwy: »rias2 ist mein Baby«
Sie waren nicht mehr beim RIAS. Was hat Sie bewogen, sich derart für rias2 einzusetzen?


Prof. Dr. Peter Schiwy, 1.

Geschäftsführer von 94,3 rs2

Schiwy: Es war eine richtige Bewegung. Viele Leute wollten, dass rias2 weiterlebt. So dachten auch die Macher des Programms. Sie dürfen nicht vergessen, rias2 war mein Baby. Ich war in den 1980er-Jahren als Intendant zum RIAS zurückgekommen und hatte gesehen, wie der Sender langsam starb. Pro Jahr verlor er etwa 10 Prozent seiner Hörerin nen und Hörer. Die Jungen gin gen zu SFBeat. Samstagsvormit tags lief dagegen im RIAS noch »peruanische Hirtenlyrik«. Als ich die aus dem Programm kippte, bekam ich zehn wütende Hörer briefe, alle aus dem Umkreis des Iberoamerikanischen Instituts. 1985 habe ich dann die Programmre form durchgesetzt. Ich hatte die Unterstützung der Amerikaner, die auch sagten, so ein Sender muss wenigstens auch ein massenattrak tives Programm haben. So haben wir mit rias2 einen Vorläufer des Formatradios gestartet – mit jugendlicher Ansprache, aber reich an politischer Information. Später habe ich RIAS TV angestoßen. Kurz gesagt, ich war dem RIAS und den Programmen auch emotional verbunden. Der Sender sollte gerade wegen seiner großen politischen Verdienste um Berlin programmlich auch wieder eine publizistische Führungsrolle übernehmen.

Weswegen waren Sie sich so sicher, dass auch ein privatisiertes Radio funktionieren könnte?

Das Programm war erfolgreich, in West wie Ost. Wir haben sogar versucht, die Menschen im Osten nach ihrer Meinung zu befragen. Es gab Forscher an der Uni Bamberg, die fragten Westdeutsche nach Besuchen ihrer ostdeutschen Verwandten in der DDR nach deren Hörgewohnheiten. Das war zwar wissenschaftlich lange nicht so präzise wie die Hörerforschung heute, aber wir wollten einfach nur wissen, ob die Leute beim Frühstück Radio hörten, ob sie Ost-oder Westsender hörten, um unser Programm danach ausrichten zu können. RIAS-Anspruch war es doch, die DDR und Ostberlin zu informieren. Dabei ging es uns immer um bodenständige Information. Wir haben dabei immer streng darauf geachtet, keine Formulierungen zu gebrauchen, die uns den Vorwurf des »Hetzens« einbringen könnten.

Ich behaupte, unser Sender hatte die kompetentesten Journalisten, um politische, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklungen in der DDR zu analysieren. Beispielsweise waren die statistischen Jahrbücher nie vollständig. Wenn Sie die Kohlestatistik suchten, bekamen Sie im nächsten Jahr nur die Braunkohlestatistik. Teilweise musste man über Jahre historische Vergleiche anstellen, weil immer andere Bezugsgrößen vorkamen.

Wir haben sogar den Verkehrsfunk der DDR abgekupfert, so weit das ging. Wenn die sagten, Umleitung in Königs Wusterhausen, dann haben wir das eben gemeldet. Meldungen sind frei.

Die Ministerpräsidenten hatten rias2 keine öffentlich-rechtliche Perspektive geben wollen. Auch sonst wurde es Ihnen doch relativ schwer gemacht?

Die Politik stand einer Privatisierung sehr zögerlich gegenüber. Der Hauptwiderstand kam vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Minderwertigkeitskomplexe des SFB, die haben die Hürden nach oben getrieben.

Wer hatte denn die Idee für diese sinnige Wortschöpfung Radio-Information Audio-Service, mit der Sie sich beworben haben?

Ich. Es ging doch nur darum, den Namen RIAS zu erhalten. Ich hatte mich um den Namen bemüht, die Amerikaner hätten nichts dagegen gehabt. Aber sie hätten nie etwas getan, was die Deutschen nicht wollten. Widerstände gegen massenattraktive Programme gab es seit der Gründung auch im eigenen Haus. Ich habe damals zu Programmchef Besserer gesagt: Wenn wir mit rias2 nicht binnen Stunden Erfolg gehabt hätten, hätten die uns totgeschlagen, im Stadtpark Schöneberg ausgelegt und mit Beifall zugesehen, wie uns die Geier fressen. Aber wir konnten uns nach drei Tagen schon nicht mehr vor guter Hörerresonanz und begeisterter Zustimmung retten.

Der letzte RIAS-Intendant Helmut Drück sagte, den Namen RIAS gäbe es nicht für das privatisierte Programm. Das werde den alten Anspruch nicht halten können.

Ich weiß nicht, ob Herr Drück das gesagt hat. Aber dem RIAS ist damit zum Schluss leider ein Bärendienst erwiesen worden. Der Name verblasst, wo ist er heute noch zu finden? Im Namen des RIAS-Kammerchors und auf dem Dach in Schöneberg. Die hätten lieber sagen sollen, zahlt uns so und so viel Entschädigung für den Namen, dann hätten wir ihn ihnen erhalten. Heute ist er nur noch eine verblassende Reminiszenz.

Wäre das denn nicht eine Mogelpackung?

Keineswegs, das Programm zählt doch noch heute, nach 20 Jahren, zu den Großen der hart umkämpften Radioangebote in Berlin und Brandenburg.

Bei aller Begeisterung für die Fortführung – den Anspruch werde ein privatisiertes Programm nicht halten können, haben damals viele zu bedenken gegeben. Warum haben Sie das anders gesehen?

Weil wir am Hörer interessiert waren, ihm sollte unser Programm gefallen. Nicht den Besserwissern, die Langeweile mit Qualität verwechseln. Längst hat auch die ARD die Zeichen der Zeit begriffen und erfolgreich ihre Programme den Erkenntnissen des privaten Hörfunks und des Formatradios angepasst. Natürlich konnten wir damals nicht mehr auf das Korrespondentennetz der ARD zurückgreifen. Wir wollten das über Freie und mehr Geschichten kompensieren. Generell haben wir auch zu Anfang noch zu viel Wort gesendet. In der Lizenz waren sogar stündliche Nachrichten festgeschrieben. Ich konnte noch ein »grundsätzlich« einfügen lassen, sonst hätten Sie auch noch an Silvester gehört: »Es ist 0 Uhr. Hier ist 94,3 rs2. Sie hören Nachrichten.« Sicher wären wir aber von Anbeginn erfolgreicher gewesen, wenn wir mehr Kooperationsmöglichkeiten gehabt hätten.

Es gab doch das Angebot des Kabelrates, dass sich das private Info-Radio bei Ihnen mit 10 Prozent beteiligt?

Ich stand dem aufgeschlossen gegenüber. Aber es kam nicht mehr zu aktiven Gesprächen. Inforadio ging im April 1993 finanziell kaputt.

Es gab Angebote von ORB und SFB, das Programm bzw. die Frequenz weiterzuführen. Haben Sie da an Kooperationen gedacht?

Ich weiß nichts von solchen Angeboten. Auch wäre damals wohl keiner aus der Mannschaft je zum SFB gegangen.


Was war das Schwierigste?

Der Kabelrat mit seiner Werbebegrenzung, das hat uns fast das Genick gebrochen. Wir haben die Mitarbeiter übernommen und die öffentlich-rechtlichen Gehälter weitergezahlt. Das war teuer. Die finanzielle Durststrecke hatten wir falsch kalkuliert. Aber ich verbinde damit keinen Vorwurf, wir haben uns damit ja einverstanden erklärt. Leider durften wir uns nicht mit anderen Partnern zusammenschließen. Nicht zu vergessen, dass immer mehr Sender in den Berliner Markt kamen.

Für wen sendeten Sie?

Für alle Berliner aus Neukölln oder Friedrichshain und für die Menschen aus dem Umland. Wir sind Dienstleister und Diener der Hörer, ihnen gilt das Programm. Sie wollen wir erreichen. Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.

Rik war nicht mit in der ersten Mannschaft. Wieso wollten Sie ihn dann doch wieder?

Rik ist für mich die Inkarnation des talentierten Radiomachers. Ich bin – als wir lahmten – zu ihm ins Brandenburgische auf einen alten Bauernhof gefahren. Als ich wiederkam, war ich zwar völlig von Mücken zerstochen, aber ich hatte ihn! Er hat das Ruder übernommen und 94,3 rs2 programmlich gerettet. Wir hatten mit Rik als Chef binnen kurzem 100.000 Hörer pro Stunde und waren damit auch wieder für die Werbewirtschaft interessant. So habe ich den Sender schließlich auch verkaufen können.

Aus heutiger Sicht: wären Sie noch einmal dieses Risiko eingegangen?

Heute nicht mehr, damals in jedem Fall. Allerdings würde ich mit mehr Entschlossenheit herangehen und für eine bessere Finanzausstattung sorgen. Etwas Unternehmerisches habe ich gelernt in diesem Leben: Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, soll man nicht jammern. Man soll entweder einen Stein nehmen und untergehen oder man krempelt die Ärmel hoch und macht was Neues. Ich habe damals immer noch zu viel Rücksicht auf die Liebhaber »peruanischer Hirtenlyrik« genommen. Ich hätte gleich sagen müssen, Programmdirektor ist bei uns der Hörer. Was der Berliner, die Berlinerin morgens früh hören wollen – das wird gesendet! Es war ein großes Unterfangen und eine spannende Zeit, die ich in meinem Leben nicht missen möchte. Ich bin heute noch begeistert, dass ich mal rias2 gegründet habe, und dass sich mehr als Spuren davon bis heute gehalten haben. Darauf kann auch der Medienrat stolz sein: Immerhin ist es die einzig gelungene Überführung eines öffentlichrechtlichen Senders in ein Privatradio. Und wo geschah das? In Berlin, prima! Ich bin zufrieden.

 

Prof. Dr. Peter Schiwy, 1. Geschäftsführer von 94,3 rs2

West und Ost – zwei Beispiele Andreas Dorfmann und Andrea Ballschuh
Andreas Dorfmann: Zurück in die Zukunft

Ich habe noch vor der Privatisierung im Februar 1992 aufgehört. Damals bekam ich ein Angebot von RTL, das ich einfach nicht ablehnen konnte. Denn trotz aller Erfolge beim Radio – im Grunde wollte ich doch immer zum Fernsehen. Witzigerweise erhielt ich dieses Angebot im Januar auf dem Berliner Presseball, dem Ball, dessen Rechte ich heute besitze.


Außerdem war ich schon ein bisschen skeptisch, was die Chancen eines privatisierten rias2 anbelangten. Ich hatte gerade mehrere Wochen in Los Angeles verbracht und gesehen, wie dort erfolgreich Radio in ZweiZimmer-Wohnungen gemacht wurde. Zudem war in der Zwischenzeit in Berlin 104.6 RTL als Privatsender erfolgreich gestartet. Viele haben kurz nach der Privatisierung 94,3 rs2 verlassen, weil sich die öffentlich-rechtlichen Ansprüche nicht übertragen ließen. Ich wollte zu keinem Zeitpunkt ein privates rias2 haben. Wenn rias2, dann nur im öffentlich-rechtlichen Rahmen. Privat funktioniert das nicht.

Bei RTL konnte ich also morgens im TV moderieren und nachmittags die Drivetime-Show bei 104.6 RTL machen. Das RTL-Frühstücksfernsehen kam zu der Zeit aus der Berliner Rosenstraße. Meinem Weg zurück zu 94,3 rs2 beförderte die Entscheidung von RTL, mit dem Frühstücksfernsehen nach Köln zu wechseln. Ich bin gebürtiger Berliner, ich wollte auf keinen Fall nach Köln. Zunächst hat mich aber die damalige Sendeleiterin des MDR-Fernsehens angesprochen. Ob ich Lust hätte, das ARD-Vorabendprogramm zu moderieren? Ich dachte: wunderbar, Dresden ist nur zwei Stunden weg von Berlin. Also wechselte ich zum ARD-Fernsehen und habe für die kommende Zeit nur im TV gearbeitet. Ich habe »ARD vor acht« beim MDR gemacht und parallel im MDR-Fernsehen sowie beim SFB-Dritten B1 moderiert. In der Phase hat mich Rik angesprochen: »Wenn Du schon in Berlin moderierst, warum machst Du dann nicht auch wieder Radio?« So kam es, dass ich samstags und sonntags die Morningshow bei 94,3 rs2 moderierte. Als ich noch regelmäßiger hier war, bin ich in den Nachmittag bei 94,3 rs2 gegangen, als zugleich der Berliner Lokalsender 1A-Fernsehen startete. Da ich damals gerade meine Produktions-firma gegründet hatte, sprachen mich die 1A-Leute an, ob ich nicht Lust hätte, für sie das Wetter zu produzieren. Also fuhr ich nach der Nachmittagsshow zum Fernsehen rüber. Ich fand das Arrangement ganz angenehm, ich schlafe nämlich gern ganz lange.


Verbindung zur »guten, alten Zeit«

Mit dem Neustart von 94,3 rs2 kamen viele alte RIAS-Leute wieder zurück. Gemeinsam haben wir versucht, den Sender gegen den finanziellen und programmlichen Druck von 104.6 RTL neu aufzubauen.

Den Kampf der Sender um das Personal habe ich stets als normalen, gesunden Wettbewerb betrachtet und mehrmals selbst erfahren dürfen. Mein Erfolg in der Medien-Branche wurde dadurch noch größer.

Andreas Dorfmann, Morgenmoderator (1994 – 1997)

Andrea Ballschuh: »Mein Traum-Sender«

»Mein Gott – diese Stimme!«, schmachtet Andrea Ballschuh noch heute, wenn es um Henry Gross geht. Der rias2-Moderator verhalf ihr zur Radiokarriere. Ballschuh war schon mit elf Jahren im DDR-Kinderfernsehen aufgetreten und moderierte etwa die Sendung »Ein Bienchen für …« und mit 15 die Live-Sendung »Mobil durch die Ferien«. Später jobbte sie beim DDR-Jugendradio DT64, während Gross gemeinsam mit Andreas Dorfmann die Wunschhits bei rias2 moderierte. 1986 hatte Gross schon einmal einen ihrer Wunschhits erfüllt. »Von da an war ich ihm total verfallen. Henry Gross hat den Radiovirus in mich hineingesetzt.«

Während der Abschlussprüfungen in der 10. Klasse versuchte die 16-Jährige, ihre Euphorie ihrem Star mitzuteilen, was nur mit Schwierigkeiten zu bewerkstelligen war. Ein Anruf von Ost nach West war einfacher gedacht als gemacht. »Beim Sender bin ich nicht durchgekommen. Da habe ich irgendeine Phantasienummer gewählt und mir die Nummer der Auskunft geben lassen. Als ich endlich bei rias2 durchkam, landete ich bei Jörg Brüggemann.« Der Programmchef versprach ihr, Gross werde zurückrufen. Nach dem Auflegen zunächst der Schreck: Im Osten gab man nicht einfach seine Telefonnummer heraus, zumal wenn die Mutter im Regierungskrankenhaus arbeitete.

»Einen Tag vor meiner Matheprüfung kam meine Mutter ins Zimmer und sagte, da sei ein Henry am Telefon. ´Hallo, hier ist Henry Gross.´ Ich bin am Telefon förmlich zusammengebrochen. Worüber wir geredet haben, weiß ich nicht mehr, ich schwebte auf Wolke sieben. Nachdem ich aufgelegt hatte, heulte ich erst einmal.«

Als die Mauer fiel, fuhr Andrea Ballschuh mit einer Freundin sofort in den Westen, erbettelte Geld für einen Anruf und rief von einer öffentlichen Telefonzelle in der Invalidenstraße bei Henry Gross an. »Wir sind gleich hin und ich habe meinen großen Radioschwarm getroffen! Im Büro war eine riesengroße Plattenwand. Und ich durfte mir eine aussuchen und mitnehmen. Ich hab mir Peter Maffay für meine Mutter ausgesucht, weil sie ihn verehrte, anstatt mir selbst etwas Anständiges mitzunehmen.«

Gross gab den Mädchen 50 D-Mark, damit sie schnell zur Grenze zurückfahren konnten, um rechtzeitig zum geplanten Kinobesuch drüben zu sein. »Es war der Beginn einer Freundschaft.«

Nach dem Mauerfall ging Ballschuh als Au-pair-Mädchen nach Los Angeles. Für eine rias2Hörerin völlig selbstverständlich rief sie den LA-Korrespondenten Armin Ammler an, der ihr zu einem Praktikum bei einem der Radiosender riet. So kam sie zu KLOS 95.5. Zurück in Deutschland gab ihr Henry Gross den Tipp, sich beim mittlerweile privatisierten 94,3 rs2 zu bewerben. Doch weder Jörg Brüggemann noch die anderen Stationen hatten einen Volontariatsplatz. Ballschuh war kurz davor, auf Physiotherapeutin umzusatteln, bevor sie sich noch einmal beim 94,3 rs2-Programmchef bewarb.


Vom Fan zur Mitarbeiterin:

Andrea Ballschuh

»Rik DeLisle antwortete zwei Tage später, ich solle sofort vorbeikommen. Rik fragte, wann ich anfangen könnte. Ich erwiderte, dass ich jetzt erst mal in Ägypten heiraten würde und erst in zwei Monaten wieder da wäre. Er sagte: ‚Was in zwei Monaten ist, weiß ich nicht, melde dich dann.’ Das war die Chance meines Lebens, dachte ich. Die kriegst du nie wieder!«

Ballschuh meldete sich Ende Februar 1994 zurück. Drei Nächte ließ Rik sie mit Mike Dee mitlaufen. Wenige Tage später gehörten die 94,3 rs2-Nächte von 22 bis 2 Uhr ihr, danach moderierte sie vormittags, nachmittags oder die »Kuschelnacht ab acht«.

»Rik hat an mich geglaubt. Bis heute war das die prägendste Zeit für mich. Das war eine richtige Familie, im Team haben wir so viel zusammen gemacht, auch in der Freizeit«. Heute moderiert Andrea Ballschuh beim Hessischen Rundfunk. »Als ich von 94,3 rs2 weggegangen bin, habe ich so geheult, weil es so weh getan hat, die Leute zu verlassen.«

Andrea Ballschuh, Moderatorin (1997 – 1999)

Retter in höchster No t

Nach massiven Hörerverlusten – immerhin mehr als 100.000 seit Sommer 1992 – sucht und findet Peter Schiwy kapitalkräftige Gesellschafter mit Radio Schleswig-Holstein (R.SH) und der Nordwestzeitung Oldenburg (NWZ). Er selbst bleibt mit 14 Prozent im Boot. R.SH hatte mit dem im April 1993 eingestellten Inforadio 101 bereits Erfahrungen auf dem Berliner Markt gesammelt, die NWZ ist zu dieser Zeit unter anderem bei Radio SAW in Sachsen-Anhalt engagiert.

NWZ-Geschäftsführer Reinhard Köser kennt Peter Schiwy aus dessen Intendantenzeit beim Norddeutschen Rundfunk. »Als ich Peter Schiwy besuchte, lagen die Bilanzen schon auf dem Tisch. Ich habe mich am Kopf gekratzt und laut gefragt: ‚Was machen wir jetzt?‘. Dann rief ich den mir gut bekannten R.SH-Geschäftsführer Harald Pehlke an.« »Um Himmels Willen Berlin«, habe dieser geantwortet und an die Inforadio-Pleite erinnert. Er habe ihn mühsam überzeugen müssen, so Köser. Zu allem Unglück habe die Berliner Bank auch noch einen 4,3-Millionen-Mark-Kredit gekündigt. Der NWZ-Mann glaubte aber fest daran, dass die Berliner Station wieder auf die Beine käme, zumal Harald Pehlke, wie auch er selbst, dem Sender in der kritischen Phase weiterhin zur Seite stehen würden.


Reinhard Köser,

NWZ-Verleger und

Gesellschafter von 94,3 rs2

Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg schreibt die Frequenz nach dem Einstieg der neuen Gesellschafter aus. Neben der Bewerbung von R.SH und NWZ gehen vier weitere Anträge ein: RTL und der Verleger Norman Rentrop bewerben sich mit Talkradio-Konzepten, Communicacion France will mit Europe 1 Berlin 70 Prozent Musik und 30 Prozent Information sowie Talk bieten. Bei Preußen-Rock wollen Gruppen wie die Puhdys oder Sänger wie Reinhart Lakomy und Peter Maffay mitmachen. R.SH und NWZ bekommen den Zuschlag, weil sie sich aufgrund der Mitarbeiter und des Programms durchsetzen können. Dennoch gehen sie mit dem Kauf volles Risiko ein.

Mit dem Gesellschafterwechsel kommen neue Leute: Geschäftsführer wird Ulrich Gathmann, der als Geschäftsführer von RTL Nord guten Kontakt zu Radio Schleswig-Holstein hat. Nach dem Aufbau des später als Vox bekannten Westschienenkanals suchte der Diplom-Kaufmann neue Herausforderungen. Wie wörtlich das zu nehmen sein wird, merkt Gathmann recht schnell. Der Markt in Berlin läuft hochtourig. 94,3 rs2 wurde von den neuen aggressiven Wettbewerbern 104.6 RTL, Radio Energy und dem Berliner Rundfunk 91.4 abgehängt. Er kann zwei versierte Promotionleute für seinen Sender gewinnen: Erich Schoepe und Torsten Schütz, die beide von der Konkurrenz kommen. Außerdem holt Ulrich Gathmann die Berater von Alan Burns & Associates und BP&R aus Australien an Bord.


© by Jan Kopetzky

Ihr Ziel ist es, den Sender wieder in die Spitze führen oder – wie es Promotionschef Erich Schoepe formuliert – das Bayern München der Berliner Radioszene, 104.6 RTL, anzugreifen. Erster Coup: Andreas Dorfmann moderiert am Morgen. Er tauscht mit dem Potsdamer Karsten Klaue die Plätze. Der hatte zum Jahresende 1993 als Chef-moderator bei 104.6 RTL gekündigt und war nach einer »Ruhepause« zu 94,3 rs2 in die Frühschiene gewechselt.

Dorfmann moderiert fortan gemeinsam mit Gerlinde Jänicke. Schoepes simpler Slogan zur neuen Konstellation lautet: »Morgens Dorfmann«. Der Sender verschickt eine Postkarte mit und von Dorfmann an alle Berliner Haushalte. »Die Resonanz war riesig, fühlten sich doch alle Hauptstädter persönlich angesprochen«, erinnert sich Erich Schoepe.

Der neuen Spitze wird schnell klar, dass es neben internen und programmlichen Änderungen weiterer Impulse bedarf, um – wie es Gathmann nach Sichtung der ernüchternden Zahlen formuliert – Menschen zu veranlassen, den Sender einmal auszuprobieren. »Es müsste mal wieder was los sein, ein bisschen Stimmung, ein paar Aktionen«, fordert Gathmann. »Es war die große Zeit des Radios. Sender wie 104.6 RTL und 94,3 rs2 verfügten noch über Promotionetats von drei Millionen Mark«, schwelgt Schoepe.

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