Übersetzungstheorien

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Übersetzungstheorien
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Radegundis Stolze



Übersetzungstheorien



Eine Einführung



A. Francke Verlag Tübingen






© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.francke.de

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen





ePub-ISBN 978-3-8233-0087-3




Inhalt







Vorwort







1 Zur Vorgeschichte



1.1 Der Begriff Übersetzung



1.2 Die historische Rolle der Übersetzer



1.3 Die griechisch-römische Antike als Übersetzungsepoche



1.4 Verdeutschende Übersetzung (Luther)






Der Blick auf die Sprachsysteme

2 Relativistisch orientierte Theorien2.1 Einheit von Sprache und Denken (Humboldt)2.2 Verfremdendes Übersetzen (Schleiermacher)2.3 Die Sprachinhaltsforschung (Weisgerber)2.4 Das linguistische Relativitätsprinzip (Sapir/Whorf-Hypothese)2.5 Formbetontes Übersetzen (Benjamin)2.6 Dekonstruktion und Unübersetzbarkeit (Derrida)

3 Universalistische Übersetzungstheorie

3.1 Sprache als Kommunikationsinstrument3.2 Zeichentheorien und Funktionen der Sprache3.3 Der Zeicheninhalt3.4 Universalienforschung3.5 Strukturelle Semantik3.6 Die absolute Übersetzbarkeit (Koschmieder)

4 Der Übersetzungsvorgang als interlingualer Transfer

4.1 Wissenschaftliche Maximen moderner Linguistik, MÜ4.2 Das kommunikationstheoretische Modell des Übersetzungsvorgangs (Kade, Neubert)4.3 Die potentiellen Entsprechungen zwischen AS und ZS4.4 Translation shifts (Catford)4.5 Translation quality assessment (House)4.6 Übersetzen als Transferprozess (Wilss)4.7 Schemabasierung des Transfers als Fertigkeit

5 Die sprachenpaarbezogene Übersetzungswissenschaft

5.1 Die Stylistique comparée (Vinay/Darbelnet, Malblanc)5.2 Umsetzungsprozeduren (Jumpelt)5.3 Translation rules (Newmark)5.4 Fehleranalyse und Übersetzungsdidaktik (Truffaut, Friederich, Gallagher, Henschelmann)




Der Blick auf die Texte

6 Übersetzungswissenschaft und Äquivalenzdiskussion6.1 Ausgangspunkt Bibelübersetzung (Nida)6.2 Die Übersetzungsmethode (Nida/Taber)6.3 Philologische Genauigkeit (Schreiber)6.4 Die normativen Äquivalenzforderungen (Koller)6.5 Der Begriff „Äquivalenz“

7 Textlinguistik und übersetzungsrelevante Texttypologie

7.1 Textkonstitution durch Satzverknüpfung (Harweg)7.2 Sprachspezifische Unterschiede der Syntax7.3 Gliederungssignale in Texten (Gülich/Raible)7.4 Übersetzungsorientierte Texttypologie (Reiß)7.5 Übersetzungsrelevante Textgattungen (Koller)7.6 Aspektliste zum Übersetzen (Gerzymisch-Arbogast)

8 Die pragmatische Dimension beim Übersetzen

8.1 Die Sprechakttheorie (Austin, Searle)8.2 Illokutionsindikatoren in Texten8.3 Die funktionale Satzperspektive und Fokussierung8.4 Textsorten durch Kommunikationskonventionen8.5 Strategie des Übersetzens (Hönig /Kußmaul)

9 Die Rolle der literarischen Übersetzung

9.1 Literarische Qualität in Übersetzungen (Levý, Popovič)9.2 Literarische Übersetzung als Mimesis (Steiner)9.3 Manipulationistische Fallstudien (Bassnett, Hermans, Lefevere)9.4 Literatur als Polysystem (Even-Zohar)9.5 Kulturgeschichte der Übersetzung (SFB Göttingen)




Der Blick auf die Disziplin

10 Übersetzungsforschung als Feldtheorie10.1 Der empirische Ansatz (Holmes)10.2 Descriptive Translation Studies DTS (Toury)10.3 Korpusanalysen und übersetzerische Regularitäten (Toury, Baker)

11 Übersetzungswissenschaft als Interdisziplin

11.1 Prototypologie der Texte (Snell-Hornby)11.2 Integration linguistischer Theorien11.3 Das Scenes-and-frames-Konzept (Vannerem/Snell-Hornby)11.4 Textstatus und Stil (Leech/Short)

12 Translationstheorie als Handlungstheorie

12.1 Eine allgemeine Translationstheorie (Vermeer)12.2 Die Skopostheorie




Der Blick auf das Handeln

13 Die funktionale Translation13.1 Übersetzen als interkultureller Transfer (Reiß/Vermeer)13.2 Das Faktorenmodell der Translation (Reiß)13.3 Translation als Expertenhandeln (Holz-Mänttäri)13.4 Das Konzept der Berufsprofile

14 Der didaktische Übersetzungsauftrag

14.1 Die übersetzerische Loyalität (Nord)14.2 Analyse des Übersetzungsauftrags14.3 Die Übersetzungsprobleme14.4 Der interpretationstheoretische Ansatz (Siever)

15 Übersetzen und Ideologie

15.1 Postmoderne Strömungen des cultural turn (Arrojo, Venuti)15.2 Feministische Translation (v. Flotow, Wolf)15.3 Translation als Machtspiel und politische Ethik (Bhabha, Tymoczko)15.4 Translationssoziologie (Gouanvic, Prunč, Wolf)15.5 Der systemtheoretische Ansatz (Hermans, Tyulenev)




Der Blick auf den Übersetzer

16 Übersetzen als Interpretation16.1 Die Pariser Schule (Seleskovitch, Lederer)16.2 Die Deverbalisierung16.3 Ein sprachphilosophischer Ansatz (Ladmiral)16.4 Die Relevanztheorie (Gutt)

17 Das hermeneutische Denken

17.1 Denken – Sprache – Verstehen (Schleiermacher)17.2 Der Umgang mit Texten (Gadamer, Ricœur)17.3 Grundbegriffe der Übersetzungshermeneutik17.4 Übersummativität, Multiperspektivität, Individualität von Texten (Paepcke)17.5 Orientierungsfelder beim Übersetzen (Stolze)17.6 Formulierungsziel Stimmigkeit

18 Kognitionspsychologische Forschung zum Übersetzen

18.1 Der Blick in die ‘Black Box’ – Lautes Denken (Krings)18.2 Psycholinguistische Studien: Intuition und Kognition (Wilss)18.3 Konstruktives Übersetzen (Hönig)18.4 Kognitive Grundlagen der Expertentätigkeit (Risku)18.5 Kreativität beim Übersetzen (Kußmaul)18.6 Empirische Untersuchung von Verhaltensmustern (Hansen)18.7 Translationsprozessforschung (Göpferich)

19 Zusammenfassung

InterdisziplinaritätModellstrukturenForschungsinteresseProblembewusstsein: Theorie und Praxis





Bibliographie







Personenregister







Sachregister









Vorwort



Für Studierende des Faches ÜbersetzenÜbersetzen stellt sich die wissenschaftliche Beschreibung ihres Studieninhalts am Anfang recht unübersichtlich und komplex dar. Bei einer „Einführung in die ÜbersetzungswissenschaftÜbersetzungswissenschaft“ ist die oft unvereinbare Begrifflichkeit der verschiedenen Richtungen der ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie auffällig, die doch alle den Anspruch haben, das Gleiche, den Vorgang der Umsetzung eines Textes in eine andere Sprache,Sprache zu beschreiben. Dieses schillernde Bild wird durch das weitgehend unverbundene Nebeneinander der deutschen Übersetzungswissenschaft und von Forschungsansätzen aus anderen Ländern noch unklarer.



Die Komplexität wird besonders deutlich, wenn man Festschriften oder Kongressakten durchsieht, die ja Beiträge von Wissenschaftlern unterschiedlicher Provenienz enthalten, welche einander oft auch direkt widersprechen. In den einzelnen Theorien wird jeweils meist ein Gedanke besonders hervorgehoben, der an anderer Stelle zu wenig oder noch nicht gesehen worden war. Problematisch ist dann allerdings der Versuch, eine Einzelerkenntnis zum Dreh- und Angelpunkt einer allgemeinen ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie zu machen.



Obwohl sich die Forschungstätigkeit zum Übersetzen mittlerweile durchaus als eine Disziplin etabliert hat, zeigt das Erscheinungsbild einer Wissenschaft nach außen hin wenig Konturen, wenn sich in ein und demselben Sammelband zum ThemaThema „ÜbersetzenÜbersetzen“ die Einzelbeiträge unversöhnlich gegenüberstehen. Dies mag mit ein Grund dafür sein, dass das Übersetzen außerhalb des Kreises der damit unmittelbar Befassten zuweilen eher geringschätzig betrachtet worden ist und dass die Wissenschaft vom Übersetzen sehr lange nicht als eine eigenständige Disziplin anerkannt worden ist.



Der interdisziplinäre Charakter der Wissenschaft vom ÜbersetzenÜbersetzen, die mit unterschiedlichen Nachbardisziplinen in Kontakt steht, ist ein weiterer Grund für die Vielfalt der theoretischen Ansätze und damit auch für die Uneinheitlichkeit im Begriffsapparat. Die Fortentwicklung der noch relativ jungen Disziplin führte nicht zu einer allmählichen Herausbildung einer allgemeinen Übersetzungstheorie, vÜbersetzungstheorieielmehr wurden und werden ständig neue „Ansätze“ entwickelt.

 



Die Entwicklung verlief keineswegs geradlinig, sondern eher wie eine Spirale, immer wieder aus einem anderen Blickwinkel um dieselben Fragen kreisend. Viele Gedanken wurden unabhängig voneinander oft gleichzeitig geäußert, weil andere Denkrichtungen nur ungenügend zur Kenntnis genommen wurden. Andererseits wurden fremde Einsichten bei der Einarbeitung in eigene Überlegungen häufig anders bewertet und führten dann neben begrifflicher Umdeutung auch zu neuen Schlussfolgerungen. Die Orientierung hier zu erleichtern ist ein Anliegen des vorliegenden Studienbuches, indem Querverbindungen und Berührungspunkte der verschiedenen Übersetzungstheorien hervorgehoben werden.



TheorieTheorie ist ja der Versuch, die vielfältigen Strukturen und Zusammenhänge eines konkreten Sachverhalts in einem abstrakten Modell darzustellen, sodass eine Problematik klar hervortritt. Doch allein die Bezeichnungen des Forschungsgegenstandes variieren zwischen Ausdrücken wie (dt.)

Übersetzungswissenschaft

Übersetzungswissenschaft

, Übersetzungstheorie,


Translationslinguistik

Translationslinguistik

, Translationswissenschaft, Translationstheorie,


Translatologie

Translatologie

,


Translatorik

Translatorik

,

 (engl.)

theory of translation, translation theory, translation science, translation studies, translatology,

 (frz.)

traductologie, translatistique, traductique, théorie de la traduction,

 (it.)

teoria della traduzione, translatica,

 (sp.)

traductología, teoría de la traducción,

 (pg.)

teoria da tradução.

 Die Konkurrenz zwischen „ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie“ und „Übersetzungswissenschaft“ zeigt außerdem, dass noch nicht entschieden ist, ob es sich hier um eine allgemeine, reine Theoriediskussion handelt oder vielmehr um eine angewandte SprachwissenschaftSprachwissenschafts. Linguistik, welche die Verbesserung konkreter Übersetzungsleistungen zum Ziel hat.



Die fortschreitende DifferenzierungDifferenzierung der Wissenschaft bringt auch eine Differenzierung der Wissenschaftssprache mit sich. So gilt, dass einerseits Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Modellen nicht notwendig auch Übereinstimmung in der Sache und andererseits neue Terminologien nicht auf jeden Fall auch neue Erkenntnisse beinhalten. Gleiche Benennungen werden in den Geisteswissenschaften oft unterschiedlich definiert, mit anderen Inhalten versehen, ja sie wandern auch zwischen den Disziplinen. Daher wird ein wissenschaftlicher BegriffBegriff vor allem im Rahmen seiner Entstehung und seines geisteswissenschaftlichen Hintergrundes richtig verstanden. Umgekehrt sind für den Kenner der Materie die Begriffsbenennungen für sich schon ein Indiz dafür, um welche „Schule“ es sich gerade handelt. So zeigt sich ein Unterschied der wissenschaftlichen Herkunft, wenn etwa von „der ÜbersetzerinÜbersetzer“, vom „TranslatorTranslator“ oder vom „zielsprachlichen SenderSenders. Autor, Produzent“ die RedeRedes.

parole

 ist. Das vorliegende Studienbuch möchte hier eine Orientierung bieten, indem Herkunft und InhaltInhalt von Kernbegriffen erläutert und verbreitete Übersetzungstheorien vorgestellt werden. Zu diesem Zweck werden die ausgewählten theoretischen Ansätze bewusst mit reichlichen Originalzitaten vorgestellt, um die jeweilige Diktion erkennbar werden zu lassen. Damit soll der Zugang zu den Haupttexten der vorgestellten Richtungen erleichtert werden, wobei diese jeweils am Kapitelende als „Lektürehinweise“ genannt sind.



Fragt man sich also, worin denn – kurz gefasst – die wesentlichen Unterschiede zwischen den heute gängigsten Übersetzungstheorien liegen, so wird deutlich, dass kaum jemand eine klar umrissene, stringente TheorieTheorie als solche entworfen hat. Vielmehr wurde die eigene Vorstellung meist in der Diskussion konkreter ÜbersetzungsproblemeÜbersetzungsprobleme und nach ausführlicher kritischer Würdigung anderer Ansichten mehr oder weniger implizit mit zum AusdruckAusdruck gebracht. Kernfragen wie die ÜbersetzbarkeitÜbersetzbarkeit überhaupt, Möglichkeiten der Textanalyse, die Übereinstimmung zwischen TextvorlageTextvorlages. Ausgangstext, AS, Original und Übersetzung, die Wirkung des Übersetzungstextes als einzelner, sowie im Rahmen einer Nationalliteratur, konzentrieren jeweils eine Wolke unterschiedlicher Kommentare, Analysen und kritischer Darstellungen um sich, die oft genug die Verwirrung eher noch steigern, weil der eigene Standpunkt nicht klar genug definiert wird. Dies gilt auch für die wiederholten Versuche einer Aufarbeitung der Geschichte des Übersetzens, weil auch hier nicht nach „Schulen“ differenziert wurde, sondern wiederum die Meinungen verschiedener Autoren zu wesentlichen Übersetzungsproblemen zusammengetragen und undifferenziert miteinander verglichen wurden.



Es gibt aber gewisse Grundtendenzen im Denkansatz, die herausgearbeitet werden können. Diese verständlich zu machen dient dem Bestreben, ein gewisses Vorverständnis für die Lektüre einschlägiger Werke zu entwickeln. So lässt sich in einem Überblick über die neueren übersetzungswissenschaftlichen Studien inzwischen ein gewisser Perspektivenwandel der Wissenschaftler in der Problemdiskussion ausmachen.



Zunächst konzentrierte man sich auf die Sprachenpaare, die beim ÜbersetzenÜbersetzen aufeinandertreffen und verglich deren Wort- und Satzstrukturen. Da aber nicht nur Wörter und Sätze, sondern Texte im Rahmen einer gesellschaftlichen SituationSituation übertragen werden, wandte sich das wissenschaftliche Interesse produktorientiert alsbald mehr textlinguistischen Fragestellungen zu. Die Beobachtung der Vielschichtigkeit von Texten und die Einwirkung außersprachlicher Bedingtheiten hat schließlich den Blick auf die übersetzenden Personen selbst und prozessorientiert auf deren DenkenDenken und HandelnHandeln gelenkt. Dabei wurden einerseits Handlungsmodelle entwickelt und andererseits auch der Versuch unternommen, das Verstehen zu reflektieren und das übersetzerische Denken zu untersuchen, um so dem Prozess auf die Spur zu kommen.



Dass hier für Studienanfänger ein gewisser Klärungsbedarf besteht, macht das Erscheinen mehrerer Überblicksversuche in der ersten Hälfte der neunziger Jahre deutlich. In der vorliegenden durchgesehenen und überarbeiteten siebten Auflage der „Einführung“ wurden zwischenzeitlich erfolgte Weiterentwicklungen, einige bisher übersehene Strömungen und Perspektivenverschiebungen sowie neuere LiteraturLiteratur aufgenommen.



Zunächst geht es darum, die wichtigsten Forschungsrichtungen im Einzelnen vorzustellen und zu erläutern. Nach Denkschulen geordnet werden die wesentlichen Ansatzpunkte und Grundaussagen wichtiger Autoren zum ÜbersetzenÜbersetzen, ggf. mit Originaldefinitionen und Beispielen, vorgestellt und durch Angaben der wichtigsten LiteraturLiteratur zu jedem Kapitel ergänzt. Diese Literaturhinweise sind am Ende des Buches noch einmal in einer Gesamtbibliographie zusammengestellt. Quellenangaben zu speziellerer Literatur erscheinen in den Fußnoten. Kernbegriffe werden besonders hervorgehoben und erläutert. Während in den Naturwissenschaften das Erscheinungsdatum eines Beitrags auf dessen Aktualität schließen lässt, kann hier das Vorgehen nicht rein chronologisch erfolgen, da vieles gleichzeitig oder in partieller Auseinandersetzung entstanden ist. Dennoch ist natürlich auch eine gewisse zeitliche Weiterentwicklung ersichtlich.



Das vorliegende Studienbuch versucht, in die Vielfalt von miteinander konkurrierenden übersetzungstheoretischen Erörterungen eine gewisse Ordnung zu bringen, indem nach der PerspektivePerspektive auf den Forschungsgegenstand (SprachsystemSprachsystem, Text, Disziplin, HandlungHandlung, ÜbersetzerÜbersetzer) unterschieden wird. Die Darstellung konzentriert sich absichtlich nicht auf einige wenige „Schule machende“ Richtungen, denn der junge Wissenschaftler ist ja gerade mit der Vielfalt unterschiedlicher Ansätze konfrontiert. Und auch dem weniger anspruchsvollen „Neuling“ muss nicht unbedingt die Anstrengung der eigenen kritischen Stellungnahme und Auswahl abgenommen werden. Eine strenge Trennung zwischen „Theoretikern“ und „Didaktikern“ erschien auch nicht sinnvoll, weil jeder sich als Didaktiker gerierende AutorAutors. Sender stets auch implizit eine bestimmte TheorieTheorie vertritt (und um die geht es hier), und weil die meisten sog. Theoretiker insgeheim doch auch eine praktische Anwendung ihrer Theorie im Auge haben, sonst würden sie nicht stets ihre Modelle mit praktischen Textbeispielen ausschmücken. PraxisPraxis ohne Theorie ist funktionaler Leerlauf, und Theorie ohne Praxis ist tote Begrifflichkeit.



Die unterschiedlichen Herangehensweisen gegenwärtiger Übersetzungstheorien sowie deren Reichweite werden so deutlich gemacht und miteinander verglichen. Im Durchgang durch diese vielen Theorien ist es faszinierend zu sehen, wie diese immer umfassender werden. Dabei ist es nicht so, dass die jeweils spätere Theorie immer die bessere wäre. Vielmehr wird eher eine Gesamtwahrnehmung der verschiedenen Ansätze der tatsächlichen Komplexität des Übersetzens gerecht. Keineswegs sollen hier aber die Grenzen einer Disziplin „Translationswissenschaft“ aufgezeigt werden, weil sich die Perspektiven der Wissenschaftler und ihr frei wählbarer Standort nicht festlegen lassen.



Den Kapiteln ist jeweils ein kurzes Abstract zur Grundorientierung vorangestellt. Da in der ÜbersetzungswissenschaftÜbersetzungswissenschaft die einzelnen Ansätze mit Autorennamen verbunden sind, werden diese in den Abschnittüberschriften genannt, doch gelegentlich wird ein Ansatz auch in mehreren aufeinander folgenden Abschnitten behandelt. Am Ende jeden Kapitels erscheint ein kurzer Kommentar, welcher die LeserLesers. Empfänger und Leserinnen zu kritischer Distanz und zusammenfassendem Nachdenken anregen soll. Bewusst werden in der Bibliographie nur die für diese Einführung wichtigeren Werke der genannten Autoren aufgeführt, sodass einige speziellere und ergänzende Angaben nur in der jeweiligen Fußnote zu finden sind.



Diese Einführung ist gedacht als erste Orientierung im Bereich der Übersetzungstheorien für Studierende der Übersetzerstudiengänge, der Philologien sowie für Praktiker, die schon immer einmal wissen wollten, was denn ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie eigentlich soll. Allerdings ersetzt die Lektüre dieser Einführung nicht das Studium der Originale. Weil eine solche Einführung naturgemäß plakativ und verkürzend ist, möchte dieses Studienbuch zu selbständigem Weiterforschen anregen.





1 Zur Vorgeschichte





Frühe Äußerungen zur ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie dienen der Rechtfertigung der eigenen Arbeit und erläutern einzelne ÜbersetzungsproblemeÜbersetzungsprobleme. Römische ÜbersetzerÜbersetzer wollten ihre MutterspracheMuttersprache bereichern. Zentral war jahrhundertelang die Dichotomie von wörtlicher und sinngemäßer Übersetzung, von TreueTreue und FreiheitFreiheit. Der Ausgangstext galt als ‘heiliges Original’.







1.1 Der BegriffBegriff Übersetzung



Solange Menschen verschiedene Sprachen sprechen, gehört das Dolmetschen und ÜbersetzenÜbersetzen zu den unentbehrlichen Bemühungen um die Überwindung der Sprachbarriere – im politischen wie im wirtschaftlichen Verkehr, bei machtpolitischer Expansion wie beim friedlichen Reisen, aber vor allem bei der Übermittlung von Philosophie, Wissenschaft, Literatur und ReligionLiteratur.



Doch was ist eigentlich „ÜbersetzenÜbersetzen“? Nach dem Brockhaus1 in der 16. Auflage von 1957 ist es



die Übertragung von Gesprochenem oder Geschriebenem aus einer SpracheSprache in eine andere.



In der Encyclopædia Britannica2 heißt es ähnlich:



translation,

 the act or process of rendering what is expressed in one language or set of symbols by means of another language or set of symbols.



Jene unbestimmte Definition war freilich bald überholt. In der nächsten Auflage des Brockhaus von 19743 hieß es schon:



Übersetzung,

 die Übertragung von Gesprochenem oder Geschriebenem aus einer SpracheSprache (AusgangsspracheAusgangsspraches. AS) in eine andere (durch einen ÜbersetzerÜbersetzer oder Dolmetscher). Dabei ist die Gefahr einer Bedeutungsverschiebung dort am geringsten, wo die Wiss. bereits durch eine einheitl. TerminologieTerminologie die beste Vorarbeit für eine Ü. geleistet hat: die eindeutige Zuordnung der Wörter zu den gemeinten Sachen oder Vorstellungen. (…) Freie Ü. oder Nachdichtung ist der Versuch, das Original im anderen sprachlichen Medium gleichsam neu zu erschaffen.

 



In Meyers Enzyklopädischem Lexikon4 von 1979 wird dann unterschieden:



Die

Übersetzung

 ist die Wiedergabe eines Textes in einer anderen SpracheSprache. Sie ist FormForm der schriftlichen KommunikationKommunikation über Sprachgrenzen hinweg im Gegensatz zur aktuellen, mündlichen Vermittlung des Dolmetschers.



In der Web-Enzyklopädie Encarta 2005 heißt es:



Übersetzung

. Übertragung von Informationen einer Sprache in eine andere. Unter Übersetzung versteht man im Allgemeinen sowohl Vorgang als auch Resultat. (…)



Im Internet bei

Wikipedia

 findet sich gegenwärtig nur noch der Hinweis, man solle bei „Übersetzungen“ sehr vorsichtig sein.



In der jetzt aktuellen Brockhaus Enzyklopädie5 lesen wir:



1. Computerlinguistik:

 das ÜbersetzenÜbersetzen eines größeren gesprochenen oder geschriebenen Sprachkomplexes aus einer natürl. SpracheSprache (Quellsprache) in eine andere (ZielspracheZielspraches. ZS) mit Hilfe eines Computers. Man unterscheidet dabei grundsätzlich zw. (voll-)automat. maschineller Ü. und maschinen- oder computerunterstützter Ü. (…)



2. Philologie:

 schriftl. FormForm der Vermittlung eines Textes durch Wiedergabe in einer anderen SpracheSprache unter Berücksichtigung bestimmter Äquivalenzforderungen. Zu differenzieren sind einerseits die interlinguale (Ü. von einer SpracheSprache in eine andere), die intersemiot. (Ü. von einem Zeichensystem in ein anderes, z.B. vom Text ins Bild) und die intralinguale Ü. (Ü. von einer Sprachstufe in eine andere, z.B. vom Althochdeutschen ins Neuhochdeutsche, vom Dialekt in die Standard- oder Hochsprache), andererseits umfaßt der Oberbegriff die unterschiedlichsten Typen von Ü., z.B. Glossen, Interlinearversion, Übertragung (BearbeitungBearbeitung), Nachdichtung (Adaption) oder auch Neuvertextung (z.B. Filmsynchronisation). (…)



In den verschiedenen Bezeichnungen des Übersetzens als „Übertragung“, „Wiedergabe“, „Nachdichtung“ oder „FormForm der KommunikationKommunikation“ deutet sich schon an, dass die Auffassung von dem, was ÜbersetzerÜbersetzer und Übersetzerinnen seit Jahrhunderten leisten, bis heute durchaus nicht einheitlich ist. Die Bezeichnungen für die schriftlich fixierte Übersetzerarbeit und die spontane mündliche Sprachmittlung, die wir heute Dolmetschen nennen, variieren in den verschiedenen Sprachen erheblich, sowohl in der oft exotischen Etymologie als auch in der Verwendung.



Dafür ist gerade das deutsche Wort

Dolmetschen

 ein Paradebeispiel: Seinen Ursprung hat es wahrscheinlich im 2. Jahrtausend vor Christus in der kleinasiatischen Mitannisprache (

talami

), und von dort stammt das nordtürkische Wort

tilmaç

 mit der BedeutungBedeutung „Mittelsmann, der die Verständigung zweier Parteien ermöglicht, die verschiedene Sprachen reden“; über das Magyarische gelangt dieses dann ins Mittelhochdeutsche und erscheint im 13. Jh. als

tolmetsche.

6 In Martin Luthers berühmtem „Sendbrief vom Dolmetschen“ aus dem Jahre 1530 ist dagegen von schriftlicher Übertragung die RedeRedes.

parole

, und Friedrich SCHLEIERMACHERSchleiermacher unterschied 1813 zwischen der Arbeit des Dolmetschers als dem eher mechanischen Übertragen für den Bedarf des Geschäftslebens und dem „eigentlichen ÜbersetzerÜbersetzen vornämlich in dem Gebiete der Wissenschaft und Kunst“.7SchleiermacherStörig



Heute bezeichnen wir mit „Dolmetschen“ nur noch die mündliche Übertragung gesprochener Mitteilungen. Als „Konferenzdolmetschen“ bezeichnet man die Tätigkeit der Sprachmittler auf internationalen Konferenzen, die meist in FormForm des „Simultandolmetschens“ in einer Dolmetschkabine geschieht, wobei sich jeweils zwei Dolmetscher regelmäßig abwechseln. Dies unterscheidet sich von „synchron“, der gleichzeitigen Anwesenheit von Gesprächsteilnehmern, z.B. im Chat. Neu ist das „Remote-Dolmetschen“ wo die Dolmetscher aus dem Heimbüro oder an einem anderen zentralen Ort mittels Laptop und Headset

remote

, also aus der Ferne, die Vorträge einer Veranstaltung dolmetschen. „Schriftdolmetscher“ bringen gesprochene Texte fast zeitgleich elektronisch in Schriftform für Hörgeschädigte, die dies auf dem Tablet lesen können.



Das „Konsekutivdolmetschen“ ist demgegenüber die Aufgabe, eine RedeRedes.

parole

 in der Fremdsprache anzuhören, sich deren InhaltInhalt und Aufbau zu merken, um sie hernach zusammenhängend in der eigenen SpracheSprache wiederzugeben. Hierzu wird meist eine bestimmte „Notizentechnik“ verwendet. Beim „Gesprächsdolmetschen“ oder „Verhandlungsdolmetschen“ geht es darum, in kleinen Gruppen oder bei Besprechungen Rede