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Severins Gang in die Finsternis

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IX

Der Wind, der in den Vormittagsstunden mit den Firmatafeln der Kaufleute geklappert hatte, war zur Ruhe gekommen. Ein stiller Abend machte den Himmel klar und eine blasse und schöne Sonne fing an zu scheinen. Severin richtete sich in dem zerwühlten Bette auf und sah nach der Uhr. Der lange Schlaf nach der durchwachten Nacht hatte ihn nicht gekräftigt. Er wusch sich die heiße Betäubung aus den Augen und kleidete sich sorgfältig an.



Auf der Gasse kamen ihm die Gruppen halbwüchsiger Gymnasiasten entgegen, die eben aus der Schule heimkehrten und aufgeregte Gespräche miteinander führten. Severin schaute sich mit einem unbestimmten Gefühle des Neides nach ihnen um. Der Wetterumschlag lockte die Menschen aus den Häusern heraus und eine Schar von Spaziergängern schlenderte den Gehsteig entlang und sammelte sich vor den Auslagefenstern der Geschäfte. Mit kleidsamen Samthauben auf der koketten Frisur drängten sich die Mädchen durch die Menge. Ein Liebespaar blieb an der Straßenkreuzung stehn und bewunderte den Sonnenuntergang. Mohnblumenfarbene Streifen tauchten am Rande der Dächer auf und setzten die Kamine in Brand. Eine dicke Wolke kam plötzlich in Glut und schwamm über dem Karlsplatze wie ein großer, aus Goldblech gerollter Klumpen.



Severin ging gemächlich, mit einer kalten und entschlossenen Neugier seinen Weg. Jene halbdunkle Empfindung überrumpelte ihn, die ihn immer nach einer Erschöpfung heimsuchte und der er sich widerstandslos überließ. Sein Bewußtsein spaltete sich und lebte getrennt von ihm ein selbständiges Leben. Die Vergangenheit und die Gegenwart zogen wie die Bilder eines Panoramas an ihm vorbei und er sah verwundert und willenlos in seine eigene Existenz. Die Gesichter der Leute, die sich neben ihm bewegten, die Profile der Häuser, die er kannte, gewannen eine neue und besondere Anschaulichkeit, die seine Aufmerksamkeit reizte.



An den Ecken der Quergassen hatten die Kastanienbrater ihre Öfen aufgestellt. Ein freundlicher Lichtglanz lagerte über der Stadt. Ein verrunzeltes Weiblein humpelte umständlich mit dem Krückstocke über das Pflaster. Vor den Haustoren standen langhaarige Studenten mit den Dienstmädchen im Gespräch, und die blaue Dämmerung holte behagliche Schatten aus den Winkeln. Vor der Kreuzherrnkirche funkelte eine verfrühte Laterne auf und füllte die Luft mit gläsernen Farben.



Severin trat auf die Brücke. Ein kalter Windhauch blies vom Wasser herauf und verscheuchte die Stimmung, an die er sich hingab. Messerscharf kam die Erinnerung wieder und zerschnitt das betrügerische Spiel seiner Sinne. Der Abend gaukelte über dem Flusse. Ein Automobil mit großen, milchweißen Lampen tutete melancholisch, und die Glocke der kleinen Kapelle am Fuße der Burgstiegen läutete zum Segen. Severin schritt an den schwarzen Steinfiguren der Brüstung vorüber. Er biß mit den Zähnen auf seine Zunge und das Blut floß ihm in den Mund und schmeckte wie Galle. Das war nicht die Stadt, die er kannte. Das war ein Guckkasten, wo brave Bürger und Bürgerinnen ihre Besorgungen machten, und wo der heilige Nepomuk mit gleißnerischen Händen die Moldau bewachte.



Das Zwielicht dunkelte immer stärker, als Severin durch die Turmeinfahrt der Kleinseite zum Radetzkydenkmale einbog. Bei dem Tore der Hauptwache ging ein Soldat mit geschultertem Gewehr auf und ab und auf dem alten Platze mit den Laubengängen lag der Farbton vergilbter Kupferstiche. Severin kletterte durch die Spornergasse zum Hradschin hinauf. Die Stadt, die er kannte, war anders. – Ihre Straßen führten in d