Jana und Vivian auf Sirius

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Jana und Vivian auf Sirius
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Dhamilha

Jana und Vivian auf Sirius

Zwei Mädchen entdecken die faszinierende Welt des Planeten Sirius und erleben, wie Fremdes vertraut und Vertrautes fremd werden kann

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Wie alles anfing

Sirius

Reise ins Unbekannte

Geheimnisse

Heimliche Reise

Der Alltag kehrt zurück

Das Geheimnis meiner Mutter

Die Aufklärung

Die Abendnachrichten

Enthüllungen, die es in sich haben

Die Welt steht Kopf

Eine schlimme Nachricht

In geheimer Mission

Ein trauriges Wiedersehen

Marduk

In Gefahr

Eine unheimliche Entdeckung

In Sicherheit

Die Kuppelstadt

Die Rückkehr

Freude und Wehmut

Impressum neobooks

Kapitel 1

Jana und Vivian auf Sirius

Wie alles anfing

Sie hieß Vivian und wohnte bei uns gegenüber. Ihre Eltern hatten ein Geschäft mit Geschenkartikeln. Dort hatte ich sie vor zwei Jahren kennengelernt. Ich suchte eine Geburtstagskarte und ein kleines Geschenk für eine Schulfreundin. Da sprach sie mich an. Ich sei doch das Mädchen von gegenüber und ob wir nicht mal zusammen spielen könnten. Ich war überrascht und erfreut. Klar hatte ich sie auch schon gesehen, sie musste ungefähr in meinem Alter sein. Aber sie ging auf eine andere Schule und sie war mit ihren Eltern und dem kleinen Bruder erst vor kurzem in unsere Straße gezogen. Das Geschäft, in dem ich Vivian traf, gehörte jetzt ihrem Vater, nachdem es vorher bereits eine Weile leer gestanden hatte. Früher war dort ein Schreibwarenladen, wo ich manchmal mit meiner Mutter Hefte oder Bleistifte gekauft hatte.

Seit Vivians Vater den Laden übernommen hatte, herrschte dort ein reger Betrieb. Die Hauptkundschaft bestand aus Kindern aller Altersstufen und deren Eltern. Das war auch kein Wunder. Es gab dort so schöne kleine Herrlichkeiten, die viele Kinder magisch anzogen. Mit einer gewissen Magie hatte auch unsere Freundschaft angefangen. Aber dazu später.

Es begann eine ziemlich verrückte Zeit damals, was wir natürlich nicht ahnen konnten, als wir das erste Mal miteinander sprachen.

Inzwischen sind Vivian und ich unzertrennlich. Am Wochenende übernachte ich manchmal bei ihr und sie schläft manchmal auch bei uns. Das war meinen Eltern offensichtlich lieber, da ich bei ihr nicht immer ausreichend Schlaf bekam, wie mein Vater sich ausdrückte. Nun – tatsächlich haben wir manchmal nicht viel geschlafen. Und das lag an dem unbegreiflichsten Geheimnis, das ich in meinem gesamten 11jährigen Alter bis dahin erlebt hatte. Und ich wette, dass ihr es ebenso unbegreiflich findet, wenn ich euch davon erzähle. Soll ich?

Ach so – ihr müsst noch ein wenig Geduld haben... es gibt nämlich noch eine Vorgeschichte, und die hat mit Vivians kleinem Bruder Marvin zu tun. Zuerst fand ich ihn süß, dann fand ich ihn nervig (alle Mädchen mit kleinen Brüdern kennen das!!), und schließlich fand ich ihn erstaunlich! Vor allem erstaunlich mutig! Er war es nämlich, der sich als Erster traute, dem „Geheimnis“ auf den Grund zu gehen.

Es begann an einem langweiligen Sonntagnachmittag. Wir spielten in Vivians Kinderzimmer – das heißt, wir spielten nicht, wir langweilten uns. Irgendwie wussten wir an diesem Tag nicht so richtig, was wir tun sollten (und das war noch nie vorgekommen!!), ja --- fast stritten wir uns sogar vor lauter Langeweile! Auch das war noch nie vorgekommen!! Und dann drückte uns Vivians Mutter Elke auch noch den kleinen Marvin aufs Auge. Sie müsse mal eben für zwei Stunden weg und ob wir uns ein bisschen um Marvin kümmern würden. Der Vater von Vivian war ebenfalls nicht da, er hatte einen Termin bei seinem Steuerberater. Wir hatten keine Ahnung, was ein Steuerberater ist und es interessierte uns auch nicht sonderlich.

Marvin war fünf Jahre alt und wollte immer entweder Ritter spielen oder Zoo oder Außerirdische! Wir fanden seine Spiele und vor allem seine Art zu spielen oft ziemlich kindisch und unter unserer Würde! Schließlich waren wir mehr als doppelt so alt! Trotzdem bequemten wir uns manchmal, auf seine Drängelei einzugehen, krabbelten mit ihm auf dem Boden herum (als wilde Tiere), kämpften gegen sein Plastikschwert oder zogen uns die unmöglichsten Dinge über den Kopf, wenn wir Außerirdische waren. Das war noch das Annehmbarste, weil wir Vieles mitentscheiden durften und er sogar manches Mal von unseren Ideen begeistert war.

An diesem besagten Nachmittag, an dem meine Geschichte beginnt, spielten wir schließlich mit Marvin „Außerirdische“. Wir waren nur ein Viertel bei der Sache, weil wir unbedingt später noch diese neue CD hören wollten, die Vivian von der Freundin ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte. Wir hatten uns die Strategie überlegt, Marvin „müde zu spielen“, damit er irgendwann von selbst nicht mehr wollte und stattdessen lieber seine Saurierbilder anschaute oder es vielleicht vorzog, Sams-Geschichten auf dem Kassettenrecorder anzuhören, wobei er dann meistens einschlief. Aber – es kam ganz anders!

Als Außerirdische waren wir gerade mit unserem Raumschiff auf der Erde gelandet und gaben durch ein Teesieb in einer Phantasiesprache Funksprüche zu unserem Heimatplaneten, da geschah etwas äußerst Merkwürdiges! Ihr werdet es bestimmt nicht glauben! Wir haben es ja selber nicht geglaubt!

Wir bekamen Antwort!!

Stellt euch vor: Vivian sprach gerade in einem völlig unverständlichen Kauderwelsch in ein Teesieb! Und da knisterte es im Lautsprecher von Marvins altem Kassettenrecorder, der übrigens NICHT eingeschaltet war, und dann hörten wir eine knarrende Stimme, die in dem gleichen Kauderwelsch zu uns sprach.

Marvin wurde blass, seine Augen wurden riesengroß, sein Mund stand offen! Vivian fiel das Teesieb aus der Hand und ihre Hand zitterte. Mir wurde es ganz seltsam zumute und ich glaubte für einen ziemlich langen Moment, dass ich inmitten eines Traumes sei und sicher gleich aufwachen würde!

Marvin sagte keinen Ton. Er war zwar schreckensbleich, aber auch fasziniert und lauschte völlig hingerissen dieser Stimme aus dem nicht angeschalteten Kassettenrecorder. Wir verstanden natürlich kein Wort. Schließlich hatten wir unsere Phantasiesprache ja auch nur erfunden, und sie war nicht etwa systematisch aufgebaut, sondern entstand erst beim Sprechen.

Ich war wie gelähmt! Vivian fing sich als Erste. Sie „redete“ und fast hörte es sich nach einer wirklichen Unterhaltung an. Vivian sagte etwas auf „außerirdisch“ und die Stimme sagte etwas und wieder Vivian und so weiter. Wir schauten uns an, keiner von uns verstand, was da vor sich ging. Je länger dieses merkwürdige „Gespräch“ dauerte, umso mehr verloren wir die Angst. Sogar Marvin wurde ganz mutig. Er nahm plötzlich seiner Schwester das Sieb-Mikrofon aus der Hand und begann in dieser seltsamen Sprache zu reden, als wisse er genau, was er da sagte. Und genauso antwortete das „Wesen“ am Ende der Leitung.

Plötzlich knisterte es wieder und wir hörten, wie unser Gesprächspartner aus dem All sich verschluckte. Dann war alles still. Wir saßen immer noch wie paralysiert da, keiner redete und dann redeten wir alle drei durcheinander. Wir waren zum Platzen aufgeregt!

Marvin begann plötzlich, den Kassettenrecorder zu untersuchen. Das heißt, er nahm ihn auseinander. Vivian wollte ihn bremsen. Vielleicht könnten wir sonst nie wieder mit diesem Wesen von einem anderen Stern sprechen, versuchte sie ihrem Bruder klarzumachen. Das überzeugte auch Marvin und wir begannen das Zimmer zu untersuchen. Wir wussten natürlich nicht, wonach wir suchten, aber irgendetwas musste es schließlich geben, eine Verbindungsleitung, ein Telefonkabel, eine Antenne. Irgendwas!!

Wir fanden NICHTS! Das war irgendwie enttäuschend – aber auch auf eine seltsame Weise beruhigend. Hatten wir uns doch alles nur eingebildet? Oder gab es für dieses Erlebnis irgendeine, ganz „normale“ Erklärung? Wir wussten es nicht. Wir verhedderten uns in einer sinnlosen Diskussion darüber, was alles als mögliche Erklärung in Frage kam.

 

Marvin war der festen Überzeugung, dass wir tatsächlich mit einem Außerirdischen geredet hatten, auch wenn er nicht wusste, worüber. Vivian glaubte an irgendeine magische Geschichte, für die sie zwar keine Erklärung fand, aber sie vertraute einfach dem Augenblick und seiner Magie, unabhängig von so banalen Fragen wie WARUM und WOHER.

Ich als die Bodenständigste von Allen suchte in meinem Kopf nach Erklärungen, die ich aber nicht fand. Und das machte mich ganz hibbelig. Es musste einfach eine Erklärung geben. Ich wusste schließlich, dass es keine Außerirdischen gab. Das hatte ich schon oft gelesen. Und mein Vater hatte es gesagt und überhaupt!! Aber.....wusste ich es wirklich??? Wussten die Erwachsenen es denn tatsächlich??? Oder war es nicht vielmehr so, dass die meisten von ihnen nur an das glaubten, was sie sich auch erklären konnten, was sie sehen und anfassen konnten. Außer an Gott, nun ja, daran glaubte man gewissermaßen aus Tradition. Aber dies war für die meisten wohl die einzige Ausnahme.

Obwohl – meine Mutter war da anders. Schon oft hatte ich so die leise Vermutung, sie wisse mehr als mein Vater. Ja, sogar mehr als viele andere Menschen. Sie las z.B. Bücher, über die mein Vater nur lächelte. Sie besaß Bücher über Engel, über die Magie der Zahlen, über Astrologie und manches Andere, was mein Vater manchmal halb scherzhaft, halb genervt als „Esoterikfimmel“ abtat. Ich wusste nicht, was das bedeutete, aber ich verteidigte dann meine Mutter, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie sich mit irgendetwas beschäftigte, was nur ein „Fimmel“ war. Und manches Mal hatte sie mich und meinen Vater verblüfft, weil sie Vieles im Voraus zu wissen schien, was erst später eintraf. Sie war darüber nicht überrascht, nur wir. Manchmal kam es mir vor, als sei das meinem Vater sogar ein bisschen unheimlich. Was er natürlich nicht zugab! Meine Mutter lächelte dann nur in sich hinein. Und das gab mir ein Gefühl von Vertrauen und Geborgenheit. Sie war es auch, die mich an einen Schutzengel glauben ließ, der immer auf mich aufpasste. Sie sagte aber auch, dass dies nicht bedeuten würde, dass mir niemals etwas Schlimmes passieren könnte. Der Schutzengel, so brachte sie mir bei, könne nur auf mich aufpassen, wenn ich auch aufmerksam sei bei allem, was ich tu. Wenn ich auf mein eigenes Gefühl höre, lausche, was es mir sagt. Und wenn es ängstlich ist, soll ich auf die Angst hören. Und wenn es traurig ist, dann ist es gut, traurig zu sein. Und wenn es wütend, mutig, und alles Mögliche ist, dann ist es eben wütend, mutig und alles Mögliche. Und das ist gut. Und davor brauche ich keine Angst zu haben. Gefühle machen stark, sagte meine Mutter.

Und was hatte ich jetzt für ein Gefühl??? Ich war verwirrt. Ja. Einfach verwirrt. Punkt.

Und Vivian und Marvin? Ich glaube, die waren es auch. Das heißt, Marvin war eher aufgeregt und gespannt und neugierig und vielleicht ein ganz kleines bisschen ängstlich. Aber das gab er nicht zu. Naja, er war ein Junge. Und ich glaube, mit den Jungs ist es schon so ähnlich wie mit den Männern. Sie wollen nicht zugeben, wenn sie Angst haben. Dabei ist das doch gar nicht schlimm. Im Gegenteil! Ich glaub sogar, manchmal ist es nützlich, wenn man Angst hat. Denn, wenn man Angst hat, macht man Sachen nicht, die nicht gut sind. Für sich selbst nicht und für Andere auch nicht.

Bei all dem Reden und Suchen nach Erklärungen verging die Zeit rasend schnell. Und plötzlich hörten wir, wie Vivians Eltern die Wohnungstür aufschlossen. Sie kamen gemeinsam und redeten über etwas Geschäftliches, etwas, das mit dem Laden zu tun hatte. Wir drei verabredeten beim heiligen Ehrenwort, dass keiner etwas erzählte. Vor allem Marvin musste seiner Schwester einen heiligen Schwur leisten, beim Leben seiner geliebten Ritterburg. Er leistete den Schwur mit erhobenem Leuchtschwert und versprach, keinem Menschen auf der ganzen Welt etwas von unserem Erlebnis zu verraten, bis wir den Tatbestand aufgeklärt haben würden. Gut, damit waren wir einverstanden. Dann versprachen wir uns noch, die Anderen vorher zu informieren, wenn einer von uns das Gefühl hätte, er müsse es doch jemandem erzählen.

Jetzt waren wir also geheime Verbündete. Das war spannend und von nun an wollten Vivian und ich uns jeden Tag treffen, weil wir den „Kontakt“ ins All wieder herstellen wollten. Das war aber gar nicht so einfach. Schließlich gingen wir auf unterschiedliche Schulen und außerdem hatten wir beide an den Nachmittagen auch noch verschiedene Freizeitaktivitäten, ganz abgesehen von den Hausaufgaben, die schließlich zum Pflichtprogramm gehörten Bevor ich an jenem Tag nach Hause ging, verabredeten wir uns für den übernächsten Tag bei ihr. Das Turnen ließ ich dieses Mal sausen und Vivian überzeugte ihre Mutter, dass es in der Gruppe der Hausaufgabenbetreuung, die sie drei Mal in der Woche besuchte, sowieso nicht mehr so toll sei, seit ihre Lieblingserzieherin nicht mehr da ist, und dass sie sich viel lieber dafür öfter mit mir verabreden würde. Und wir könnten doch gemeinsam Schulaufgaben machen und wir seien doch vernünftig, und im Notfall sei ja außerdem meine Mutter oft zu Hause, da sie als Schriftstellerin zu Hause arbeitete. Und so kam es, dass Vivian nur noch selten ihren Hort besuchte, ich die Turnerei ganz aufgab – Außerirdische suchen machte schließlich bedeutend mehr Spaß! – und Vivian und ich uns mindestens drei Mal in der Woche treffen konnten.

Marvin war natürlich eifersüchtig, denn er musste weiterhin bis vier Uhr in seinem Kindergarten bleiben. Aber kurz nach unserem gemeinsamen „Erlebnis der dritten Art“ quengelte Marvin so lange, bis er sich bei seiner Schwester und seinen Eltern durchgesetzt hatte, mindestens einen Nachmittag mit uns zu verbringen, was seine Mutter ziemlich verwunderte. Noch mehr verblüfft war sie aber, dass ihre Tochter und ich offenbar nichts dagegen hatten, mit ihm zu spielen. Sie wusste schließlich nicht, dass der kleine Teufel uns erpresst hatte. Er würde sonst alles erzählen, wenn wir ihn nicht mitsuchen lassen nach der Quelle der „Alien-Stimme“. Er schien sogar seine Ritterburg dafür opfern zu wollen.

Vivian und ich berieten uns und entschieden uns dann, ihn zweimal an unserem „Forschungsprojekt“ teilhaben zu lassen. Bis dahin hätten wir entweder das Geheimnis geknackt oder es wurde für Marvin langweilig (wir wussten, dass es ihm schnell langweilig wurde, wenn sich die Dinge nicht so entwickelten, wie er es haben wollte!), oder er erzählte dann eben alles. Es würde ihm sowieso niemand glauben. Und wir könnten dann so tun, als hätten wir uns mit ihm einen Scherz erlaubt. Was allerdings bedeuten würde, dass Marvin heftige Wutanfälle bekommen würde, die vielleicht sogar in der Zerstörung von Eigentum seiner Schwester gipfelten (es wäre nicht das erste Mal), und – was schwerer wog – Vivian würde ernsthaften Ärger mit ihren Eltern bekommen, weil sie den kleinen Bruder so verulkt hätte.

Unser nächstes Treffen nach diesem so überaus aufregenden Sonntag, der so langweilig begonnen hatte, war am folgenden Dienstag. Wir trafen uns nach der täglichen Pflicht der Hausaufgaben, die wir natürlich nicht ganz so sorgfältig erledigt hatten wie sonst, um 15 Uhr 30 bei Vivian. Dann mussten wir noch Marvin vom Kindergarten abholen, das hatten wir ihm versprochen. Um 16 Uhr 30 Uhr waren wir schließlich so weit, uns ganz der großen Aufgabe widmen zu können, eine Verbindung zu unserem „Gesprächspartner“ aus dem All herzustellen. Wir hatten genau zwei Stunden Zeit. Dann würde Vivians Mutter zurück sein. Wir brauchten eine Weile, um uns einig zu werden, wie wir vorgehen sollten. Zum Beispiel diskutierten wir fast eine viertel Stunde darüber, ob der Kassettenrecorder an oder aus sein sollte. Schließlich einigten wir uns darauf, dass er nicht eingeschaltet sein darf, weil das ja bei unserem ersten „Kontakt“ ebenso war. Vivian nahm das Teesieb-Mikrophon in die leicht zitternde Hand und holte tief Luft. Marvin hatte vor Aufregung rote Bäckchen und mir klopfte das Herz bis zum Hals, obwohl ich nach außen eine kritische und überlegene Miene aufzusetzen bemüht war.

Vivian begann zu reden, wobei wir alle drei nicht sicher waren, ob sie die richtige Kauderwelschsprache gewählt hatte. Erst mal passierte gar nichts. Bestimmt 20 Minuten lang. Unsere Spannung ließ nach. Bei Marvin entstand Ungeduld, fast wurde er wütend. Dann diskutierten wir wieder, ob wir den Recorder doch anschalten sollten, und ob Vivian die richtige „Sprache“ gewählt hatte. Die Geschwister begannen sich zu streiten, ich musste vermitteln. Das Ergebnis war: der Recorder blieb aus, Marvin übernahm das Mikrophon.

Wieder warteten wir gespannt, was geschehen würde. Es dauerte. Und dauerte. Vivian begann zu gähnen. Da änderte sich Marvins Tonfall, gleichzeitig gab der nicht eingeschaltete Kassettenrecorder ein Knacken von sich. Wie beim ersten Mal. Schlagartig waren wir alle hellwach und gespannt wie ein Drahtseil. Und dann........dann antwortete „Es“! Wieder in der gleichen Kauderwelschsprache, die wir erfunden hatten. Das war das Erstaunliche. Woher kannte dieses Wesen unsere Phantasiesprache? Wir kannten sie ja selbst nicht. Oder hatten wir sie gar nicht erfunden? Gab es sie schon, und wir wussten es nur nicht?

Marvin wurde übermütig. Er plapperte drauflos, was das Zeug hielt, baute Wörter aus unserer normalen Sprache ein, lachte, und siehe da: es lachte zurück! Wir waren sprachlos.

Dann fragte er plötzlich: wer bist du? Immer wieder: wer bist du? Der Kassettenrecorder schwieg. Marvin wurde wütend. Noch bevor wir ihn zurückhalten konnten, hämmerte er plötzlich auf das Gerät ein und schrie, er solle sich endlich zu erkennen geben, dieser blöde Außerirdische, und er, Marvin habe keine Lust mehr, sich veralbern zu lassen......weiter kam er nicht. Da packte ihn seine Schwester und rief: hör auf! Hörst du! Du machst alles kaputt. Warte doch! Wir müssen vorsichtig sein! Und dann.....schlagartig gab es einen Knall! Peng!!!! Vivian und Marvin flogen zurück! Ich war wie gelähmt vor Schreck. Der Kassettenrecorder brannte. Ohne nachzudenken warf ich Marvins Bettdecke darüber, klopfte darauf herum und erstickte so den Qualm. Marvin heulte. Vivian riss das Fenster auf. Ich nahm die Decke herunter. Sie war verbrannt. Oh je! Wie sollten wir das den Eltern von Vivian erklären. Bestimmt dürften wir vorläufig nicht mehr zusammen spielen.

Marvin heulte immer noch. Wir versprachen ihm einen neuen Recorder. Aber das war es gar nicht nur, warum er weinte. Er hatte sich erschrocken.......und überhaupt.......die ganze Aufregung! Hatten wir tatsächlich mit einem Außerirdischen geredet? Was war überhaupt geschehen? Wir waren alle drei total verwirrt. Vivian hielt ihren Bruder im Arm, ich versuchte die Folgen der kleinen Explosion zu beseitigen, weil ich viel zu aufgeregt war, um still sitzen zu können. Marvin schluchzte, er wolle nie wieder etwas mit Außerirdischen zu tun haben, und so was auch nie wieder spielen.

Wir verabredeten, den Eltern der Beiden von einem Kurzschluss zu berichten, bei dem der Kassettenrecorder plötzlich Feuer gefangen hätte, das wir dann mit der Bettdecke gelöscht hatten.

Nachdem wir wieder halbwegs Ordnung geschaffen hatten, gingen wir ins Wohnzimmer und legten eine Videokassette ein: Robbi, Tobbi und das Fliwatüt. Wir brauchten Ablenkung. Keiner von uns sprach davon, ob wir von unserem unglaublichen Erlebnis erzählen sollten, oder nicht. Wir wagten auch nicht, uns von Marvin ein Versprechen abzutrotzen. Vielleicht hofften wir sogar insgeheim, dass er etwas erzählen würde, damit sich die Erwachsenen darum kümmern könnten. Irgendwie fühlten wir uns wohl auch überfordert.

Und so saßen wir immer noch da, als wir den Türschlüssel hörten. Vivian und ich schauten auf Marvin: würde er etwas verraten? Er legte den Finger auf den Mund. Und wir nickten. Völlig unbewegt saß Vivians kleiner Bruder da. Das hätten wir ihm nicht zugetraut. Dass er die Fassung behielt! Er stieg in meiner Achtung gehörig! Also konnten wir unser Geheimnis noch eine Weile für uns behalten. Vielleicht etwas herausfinden. Wir waren still. Alles war irgendwie so unwirklich geworden. Elke, Vivians Mutter, blieb erstaunt in der Wohnzimmertür stehen, als sie uns so still und einträchtig auf der Couch sitzen sah. Gerade als sie lachend etwas sagen wollte, nahm sie den leichten Brandgeruch wahr, der wohl immer noch in der Luft hing und sie fragte sofort, woher dieser Rauch käme. Da fing Marvin an zu weinen und wir dachten schon, dass er jetzt alles ausplaudern würde. Vivian wurde noch etwas blasser, als sie sowieso schon war. Marvin lief zu seiner Mutter und schluchzte. Jetzt kommt alles raus! Ich schluckte. Gerade wollte Vivian mit der Schilderung des unglaublichen Erlebnisses beginnen, als Marvin unter Tränen erzählte, das sein Kassettenrecorder kaputt sei. Es habe Peng gemacht und er habe gequalmt. Und seine Decke sei auch hinüber, weil ich damit den Qualm erstickt hätte und er hätte sich so erschreckt und jetzt könne er gar keine Samsgeschichten mehr hören und ..........er schluchzte weiter. Aber zu unserem Erstaunen sagte er kein Wort von unserem „Kontakt ins All“. Wir atmeten auf.

 

Elke hielt Marvin im Arm und ging mit ihm ins Kinderzimmer, um den Schaden zu begutachten. Sie sprach dabei tröstend auf ihren Sohn ein, versprach ihm einen neuen Recorder und bedankte sich bei mir, dass ich das Feuer so schnell gelöscht hätte. Dann spendierte sie uns allen ein großes Eis auf den Schreck.

Marvin beruhigte sich, die verkohlte Bettdecke wurde in den Müll geworfen, ich durfte noch ein bisschen bleiben und das Video zu Ende schauen. Dann verabschiedete ich mich, gerade als Vivians Papa Lutz die Tür aufschloss. Ich hörte noch, wie Marvin ihn aufgeregt begrüßte und vom brennenden Kassettenrecorder erzählte.

Ich war ziemlich aufgewühlt. Am liebsten hätte ich meiner Mutter sofort alles berichtet. Aber wir hatten uns schließlich etwas versprochen. Meine Eltern hatten gerade Besuch. Das war gut, so waren sie abgelenkt und achteten nicht allzu stark auf mich und meine Gemütsverfassung.

In dieser Nacht konnte ich lange nicht einschlafen. Ich fragte mich, was das Alles zu bedeuten hatte und ob es nicht vielleicht doch klüger war, alles unseren Eltern zu berichten. War dies hier nicht einfach eine Nummer zu groß für uns? Aber würden sie uns denn glauben? Mein Vater ganz bestimmt nicht! Meine Mutter? Na ja.....sie wusste durchaus, das es Dinge gab, die nicht mit unserem begrenzten Verstand erklärbar waren. Das hatte sie sogar schon oft selbst gesagt. Aber Außerirdische? Mit denen man durch ein Teesieb reden konnte? Na, ich weiß nicht. Das wäre wohl auch ihr zu abgedreht. Aber was sollten wir tun? War es am Ende vielleicht sogar gefährlich, wenn wir unsere schräge Kommunikation mit diesem Wesen aus fremden Welten wieder aufnehmen würden? Verdammt noch mal! Wieso konnte es überhaupt unsere erfundene „Sprache“ verstehen? Ja, konnte es das? Wir wussten ja nicht mal selbst, was wir da geredet hatten. BINGO!!! Lag hier der Schlüssel für den explosiven Ausgang unserer „Unterhaltung“? Hatten wir, ohne es zu wissen, irgendetwas Schlimmes gesagt? Etwas, worüber sich unser Gesprächspartner geärgert haben könnte?

Das musste ich unbedingt mit Vivian besprechen. Wir mussten uns eine richtige Sprache ausdenken. Damit wir die Kontrolle über das Gesagte behalten. Aber das wäre ja viel zu kompliziert! Nein!!! Wir müssen ganz normal reden. Das ist schließlich am einfachsten. Und wenn es dann nicht mehr funktionieren würde?

Schluss jetzt! Mir platzt gleich der Kopf! Ruhe! Ihr Gedanken! Ich will endlich schlafen!

Irgendwann muss ich tatsächlich eingeschlafen sein. Ich erwachte, als der Wecker klingelte nach einem wilden, unruhigen Traum und brauchte ein paar Minuten, um mich zu Recht zu finden. Da hörte ich die Stimme meiner Mutter, die mich zum Frühstück rief. Sie hatte es heute selbst eilig, da sie zu einem Termin mit ihrem Verleger musste. Das war gut für mich, weil sie dadurch nicht allzu sehr auf mich achtete. Sonst hätte sie mich sicher gefragt, ob mir nicht gut sei wegen meiner dunklen Ränder unter den Augen und dem verwirrten Gesichtsausdruck, den ich schon selbst im Spiegel an mir wahrgenommen hatte.

Meine Mutter sah mich nur kurz prüfend an, strich mir über den Kopf und sagte: „Entschuldige Liebes, bin schon ein bisschen spät, in der Küche steht warmer Kakao, der Papa ist noch im Bad, er muss heute auch früher los – Du weißt doch: heute bringen sie die neuen Lampen in seinem Büro an. Das kann er nicht dem neuen Kollegen allein überlassen. Du musst dann gleich selbst die Uhr im Blick behalten, damit Du rechtzeitig zur Schule kommst. Habe Dir ein Butterbrot in die rote Dose getan – so, ich bin dann weg. Tschüss, mein Schatz!“ Und fort war sie. Normalerweise hasste ich diese hektische Art von Verabschiedungen – heute war sie mir ganz lieb. So musste ich wenigstens keine Fragen beantworten wie: du bist aber blass heute. Geht es dir nicht gut? oder : erzähl doch mal, wie war denn das gestern mit dem Kassettenrecorder von Vivians kleinem Bruder ....nein, heute Morgen war es gut, ein wenig alleine mit mir zu sein, mein Vater würde auch gleich aus dem Haus gehen, er hatte sowieso nie diesen prüfenden Blick auf mich, er würde nichts fragen. Also setzte ich mich in die Küche, aß in Gedanken versunken mein Müsli, trank meinen Kakao – er schmeckte heute besonders gut, fand ich. Warmer Kakao hat immer etwas Tröstliches, wenn man besonders durcheinander oder traurig ist. Kennt Ihr das auch? Bei Vivian ist es heiße Milch mit Honig, hat sie mir erzählt. Die Erwachsenen haben auch manchmal so einen Tröster. Meine Mutter z.B. kocht sich dann einen Kräutertee und legt sich in die Badewanne. Mein Vater trinkt ein Bier und macht den Fernseher an, oder er zieht seine Sportklamotten an und geht joggen. Meine Oma hat mir mal erzählt, - das war, als sie noch lebte, sie ist leider letztes Jahr gestorben – dass sie in solchen Stimmungen immer strickte, das beruhigt die Nerven, sagte sie.

An diesem Tag ging noch ziemlich viel schief: ich hatte meine Sportsachen vergessen, was mir einen Tadel der Lehrerin eintrug. Später zerriss ich mir auf dem Schulhof die neue Jacke. Dann fand ich meinen Schlüssel nicht.....ach, es war grässlich! Ich wollte nichts wie nach Hause und mit Vivian telefonieren. Als ich sie anrief, war keiner da. Ich sprach auf den Anrufbeantworter: „Vivian, hier ist Jana, ruf bitte dringend zurück!“ Dann setzte ich mich an die Hausaufgaben. Als ich gerade anfangen wollte, kam meine Mutter. Sie hatte eingekauft und schlug mir Pfannkuchen vor, mit Preiselbeeren, was ich normalerweise sehr gern aß. Aber heute hatte ich irgendwie gar keinen Hunger. Und jetzt passierte es: meine Mutter wurde aufmerksam! Sie schaute mich besorgt an und sagte: „Hatte ich mir doch gestern schon gedacht, dass etwas nicht stimmt, Jana, was ist los?“ Als ich nicht sofort antwortete, fragte sie. „Oder fühlst du dich krank? Du siehst blass aus.“ Was sollte ich denn sagen – ich fühlte mich nicht krank, nur verwirrt! Ich verstand das alles nicht mit dieser „Explosion“ und dem Teesieb – Kontakt und überhaupt: das konnte man doch niemandem erzählen? Am Ende hielten sie mich noch für verrückt? Ich muss wohl ziemlich ratlos dreingeschaut haben, denn meine Mutter streichelte ganz sanft meine Wange und sagte: „Liebes, ist irgendetwas passiert? Möchtest du mir irgendetwas erzählen und weißt gerade nicht, wie?“ Verdammt! Sie hatte mich durchschaut! Wie immer! Ich merkte, wie mir die Tränen kamen – jetzt nur nicht heulen, dachte ich. Sie nahm mich in die Arme und sagte: „Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst. Aber ich sehe, dass dich etwas bedrückt, und du weißt ja, dass es oft leichter wird, wenn man es teilen kann. Und vielleicht kann ich dir ja auch helfen.“ „Nein, Mama, es ist einfach zu verrückt – du kannst mir nicht helfen. Und außerdem habe ich Vivian versprochen, nichts zu verraten.“ Mist! Jetzt hatte ich viel zu viel gesagt. Meine Mutter schaute mich jetzt sehr ernsthaft an. Aha! stand in ihrem Gesicht geschrieben. Aber sie sagte es nicht. Sie strich mir nochmal ganz liebevoll übers Haar, stand auf, begann mit der Zubereitung des Pfannkuchens, und als wir uns dann setzten, sagte sie: „Hör zu, Jana, du weißt, das du mit mir über alles sprechen kannst, auch über Verrücktes. Ich erlebe auch manchmal Verrücktes. Das ist nun mal so in unserer Welt: manchmal hat man das Gefühl, irgendwie sei alles total verrückt. Und man versteht es nicht und kann es nicht erklären und ist vielleicht ein bisschen durcheinander ......das geht auch den Erwachsenen manchmal so, glaub mir. Ich respektiere, dass du nicht darüber reden möchtest. Ich möchte dir nur nochmal sagen, dass ich immer für dich da bin, wenn du Hilfe brauchst. Das weißt du doch. Willst du dich mit Vivian verabreden? Es scheint ja wichtig zu sein, das ihr beiden erst mal miteinander sprecht................“ In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Ich stürzte hin: „Ja? Vivian, Gott sei Dank.“ Ich warf meiner Mutter einen entschuldigenden Blick zu und verschwand mit dem Telefon in meinem Zimmer.

Und dann telefonierten wir eine ganze Stunde lang. Es gab so viel zu besprechen, zu überlegen, zu entscheiden. Z.B. suchten wir auch noch immer nach irgendeiner ganz banalen Erklärung für unser Erlebnis. Also eigentlich war ich es, die suchte. Vivian hatte sich offenbar schon eher damit abgefunden, dass es sich um wirklichen „Alien – Kontakt“ gehandelt hatte. Wir überlegten auch ganz ernsthaft die Frage, welche Vorteile oder Nachteile es haben würde, wenn wir doch unsere Eltern einweihen würden. Schließlich einigten wir uns darauf, dies nach einem erneuten Versuch zu entscheiden. Vivian kam dann auf die Idee, ihren Onkel Josef zu besuchen. Er war Physiker und Professor an der Uni und irgendwie glaubte Vivian, er könnte uns Erklärungen liefern. Allerdings galt es selbstverständlich zu vermeiden, die ganze Geschichte zu erzählen. Wir müssten es so verpacken, als handelte es sich um eine Geschichte, die wir von irgendjemand gehört hätten, oder vielleicht hatten wir sie in einem Buch gelesen. Und es könnte uns ja schließlich interessieren, ob so was möglich war. Oder wir würden ihn zu seiner Meinung befragen über die Möglichkeit, dass es Außerirdische gab und ob man über einen Recorder mit ihnen reden könnte.......................ach nein, das war wohl doch zu verrückt. Womöglich würde er sich mit Vivians Eltern in Verbindung setzen und sie fragen, ob seine Nichte vielleicht zu viel Science – Fiction - Filme sieht. Im Grunde waren wir doch ziemlich ratlos. Während des Telefonats hörte ich im Hintergrund Marvins Stimme: „komm mal, Vivi (so nannte er seine Schwester häufig, was dieser gar nicht gefiel), das musst du sehen, schnell!“ Vivian brüllte: „Lass mich in Ruhe! Du siehst doch, dass ich gerade telefoniere!“ Aber ihr Bruder gab nicht auf, er zerrte sie jetzt offenbar vom Telefonhörer weg und rief immer noch ganz hysterisch: „Jetzt komm mal, schnell! Du kannst doch gleich weiter telefonieren!“ Daraufhin brüllte sie ins Telefon: „Ich ruf gleich wieder an!“ und legte auf.