Veronas Wolke

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Veronas Wolke
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DERHANK

Veronas Wolke

Die Cloud, die Insel, das Leben und das Meer. Eine unschöne Erzählung.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Veronas Wolke

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DERHANK

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Leseprobe Meeresspiegel Spiegelmeer

Impressum neobooks

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Verlag Literarische Sammlung DERHANK

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Veronas Wolke Die Cloud, die Insel, das Leben und das Meer. Eine unschöne Erzählung.

»Die Wolke von All-In-Cloud Inc. Corp. ist aber mehr als nur eine Verdichtung des World-Wide-Web. Unsere Cloud ist die Vorstufe von Heaven, sie ist das, in das Verona irgendwann - und möglichst bald - hineintransferieren wird.«

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Auftragsarbeit für eine Lesung beim Yachtclub Phoenixsee e.V., geschrieben mit fachkundiger Unterstützung durch Seglerin und Autorin Cornelia Franken.

Veronas Wolke

Regenstränge verdrahten die Insel mit schwarzen Wolken, wie zahllos flirrende Drachenleinen ohne Drachen, die Wolken sind die Summe aller Drachen, und Verona klammert sich an ihre eigene Wolke im Schoß, als könnte die verhindern, über Bord zu gehen. Veronas Wolke, das ist ihre Handtasche, eine Art Flokatiplüschbeutel im Hippielook. Und die Insel dort hinter dem prasselnden Aussichtsfenster, das ist die Nordseeinsel Spiekeroog.

Eine Woche Urlaub, auf der Insel, weil man da nichts machen braucht und kein Lärm ist, und das »deinem Körper mal guttun wird« (sagt Mutter).

All-In-Cloud Inc. Corp. fusioniert mit iTech-Han-Wan Lloyd und Verona lässt sich in den Urlaub schicken. Weil sie seit zwei Jahren nicht einen Tag genommen hat und ihre Mutter die einzige Person ist, die es sich erlauben darf, über Veronas Körperfunktionen so was wie ein persönliches Ranking abzugeben. Und das Mutterranking ist in den letzten Wochen schlecht ausgefallen. Teint, Fingernägel und Haarfestigkeit, Augen, Zahnfleisch und Körperhaltung, überall gehen die Zeiger nach unten, Verona ist dabei, ihren Körper zu »verschleißen«.

Alles kann man auswechseln, Nur für den Körper gibt es keinen Ersatz, und genau das wird bald die letzte entscheidende Lücke sein, wenn wir bei Apple anklopfen. All-In-Cloud Inc. Corp. und iTech-Han-Wan Lloyd sind noch kleine Lichter, unbekannte Softwarefirmen, aber wenn wir uns in den Wolkenmarkt erst mal reingeboxt haben, dann wird das auch einen Riesen wie Apple nervös machen, und bis dahin muss man sich ausreichend vernetzt haben mit Meditech-Firmen, die die entsprechenden Ersatzteile für Biotools liefern. Biotools, wie ihr Körper eines ist.

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Den sie nicht ungeschützt der Sonne aussetzen will, als der Regen sich am nächsten Tag verzogen hat. Warum muss ein Körper braun sein? Was funktioniert besser, wenn er braun ist?

Verona hat sich einen Strandkorb gemietet, sitzt im Schatten und blickt aufs Meer, das echte Meer, das sich zurückzieht, das sich verschlagen wegduckt und dabei kilometerweit blanken Sand freilegt, wie ein hämisches Angebot, »... komm doch!«, säuselnd. Nur die vielen anderen Körper lenken ab von der Heimtücke, die das Meer nie ganz verbergen kann oder will. Wellenreiter und Segelgleiter eiern johlend über die Wasseroberfläche, Jugendliche, die einen sinnlosen Aufriss um ihre Körper machen, das sind Tools!, widerspenstig wie veraltete Rechner! Am Schlimmsten aber die Touristen, die in großen Herden oder Horden im Sand nach Muscheln suchen: weißrotbraune Schlickgrubber, die sich paaren und vermehren und das Gequäke und Gezeter ihrer Brut zerrt mehr an den Nerven, als eine Zwölfstundenschicht im Büro.

Affen, denkt Verona, als hätten wir keine zehntausendjährige Kultur-Evolution hinter uns. Eine Evolution, die demnächst einen Quantensprung vollziehen wird. Aber es gibt auch kluge Menschen: zum Beispiel der mißmutige Junge dort, der sich in seine Strandmuschel verkrochen hat und mit seinem iPod spielt. Recht hat er.

Verona betrachtet ihre Unterarme, auf denen schon wieder Härchen sprießen.

Wie ein Tier! Auch ich sehe wie ein Tier aus! Mein nächstes Tool wird keine Haare haben. Die Neandertalerzeit ist vorbei und jetzt, sie grinst, freut sich wie ein Kind, das seinen Eltern ein Schnippchen geschlagen hat, und jetzt: greift sie in ihre Wolke. Darin ist kein Platz für Tampons, Lippenstift und Frauennippes. Ihre letzte Regel ist vorgestern ausgelaufen, die nächste wird sie erst in 19 Tagen wieder daran erinnern, dass ihr Körper technisch überholt ist; und Schminke benutzt Verona nur im Notfall. Statt Nippes zieht sie ihren Tablett-PC heraus, der mit der Wolke von All-In-Cloud Inc. Corp. verbunden ist, mit der Unendlichkeitswolke, mit der Wolke, die keine Grenzen kennt, keine lächerlichen drei, vier Gigabite wie bei Apple, wir sind open, just open for you!

Anderthalb Terrabite hat Verona da oben, ihr ganzes Leben ist da oben. Alles!

Verona besitzt schon lange keinen PC mehr, nur noch Bildschirme mit W-LAN, in jedem Raum ihrer Eigentumswohnung einen, und alles, was jemals wichtig oder zu dokumentieren war, das lebt fort in der Wolke.

Im Laufe der letzten zwei Jahre hat sie sich allen Ballastes entledigt, jedes Poesiealbum, jede Kinderzeichnung, ihre Fotoalben, Schulhefte, Impfbücher, alle je erhaltenen Briefe, Alles, was man scannen konnte, hat sie eingescannt und anschließend weggeworfen; Hat auch ihre einstigen und heutigen Lieblingsbücher weggeworfen und als eBooks runtergeladen, nein, nicht RUNTER-geladen, RAUF-geladen, und die, die es nicht als eBook gibt, die hat sie bei einem Scanservice digitalisieren lassen. Alles musste nach oben.

Und wenn auch 'oben' nur eine Metapher ist, so umspannt doch letztlich die in Großservern physisch gebundene virtuelle Wolke mit ihren unzähligen Verflechtungen ins Internet und dessen auf der Welt verteilten sensorischen und projektorischen Außentools genauso wie die physikalische Atmosphäre den Globus lückenlos.

Die Wolke von All-In-Cloud Inc. Corp. ist aber mehr als nur eine Verdichtung des World-Wide-Web. Unsere Cloud ist die Vorstufe von Heaven, sie ist das, in das Verona irgendwann - und möglichst bald - hineintransferieren wird.

Derzeit ist ihr persönlicher Wolkenabschnitt einer von ein paar Tausend - noch. Schon bald werden es Hunderttausend sein, Millionen, bis irgendwann jeder Mensch ein Teil der Wolke ist - und keiner wird MEHR benötigen als das Nötigste, um sein Biotool instand zu halten. Bald wird jeder Mensch frei sein. Verona jedenfalls ist frei. Sie überlegt, ihre viel zu große, weitgehend leer stehende Wohnung zu verkaufen, und sich in einem Hotel einzuquartieren. Wie hier, auf der Insel. Das reicht völlig. So lange, bis sie ihren anfälligen, weitgehend überflüssigen Körper ebenfalls verkaufen oder besser noch verschrotten kann, um sich SELBST in der Wolke einzuquartieren ...

Doch vorher muss sie diese Fusion ans Laufen bringen. Urlaub hin oder her, wenn sie Mails hat, dann hat sie die eben, dann muss man auch, und Verona hat, wie jeden Tag um diese Uhrzeit, bereits an die Hundert Mails, das meiste interner Müll, CC-Zeug, aber dieser Softwarefritze aus London, Jonathan, der nölt schon wieder ...

Verona holt ihr Smartphone aus der Handtasche und sucht London in den Kontakten. Auf Bildtelefonie verzichtet sie lieber, muss der doch nicht sehen, wie ich im Bikini im Strandkorb sitze ...

»Jonathan, ... Hi ... Verona hier, hab deine Mail ... ja ... nein ... nein, nein, ich dachte ... Jonathan, ich dachte, das wäre abgesprochen ... keine Software auf die Endgeräte ... Ja ja, Browser, nein, ... nur ein Browser! Das Endgerät soll NICHT rechnen ... nein, nein! Jonathan! Moment, da ruft ... klopft jemand an ... warte, bleib mal in der Leitung, weißt du eigentlich, dass ich Urlaub habe? ... Ja genau, seit zwei Jahren mein erster ... Moment! Ja hallo? ... Ach Mama, ich ... ja ja, ich telefoniere ... nein nein, privat ... was soll das heißen? Meinst du, ich kenne nur dich ... privat ... ist doch egal, ... ja ja, in der anderen Leitung, nein, keine Geschäftsgespräche ... ich ... ich weiß, dass ich nicht die Einzige in der Firma bin, die ... aber die Beste! ... Nein, ich bilde mir nicht ... ich bin nicht eingebildet, ich bin realistisch ... du, ich muss auflegen ... der wartet, ... was heißt 'also doch'?, ich sagte, das ist privat ... ja ist eben trotzdem dringend ... Moment, was ...«

 

Verona fuchtelt, das Smartphone ans linke Ohr gepresst, mit der rechten Hand auf dem Tablett herum.

»Was steht da?! Der spinnt wohl! ... Wie wer ...? Ja Mama, aber München hat London angewiesen, die sollen die Office-Applikationen an den Quellcodes der Betriebs... was? Woher ich das weiß? Ja Mama, ... da sollen DIE sich drum kümmern ... ja du hast recht, ich habe Urlaub ... Ja Mama ... nein Mama ... ich melde mich ... ja? Ich rufe dich an ... Ja, ich dich auch ... tschüss ...!

Jonathan, hallo? ... Ja meine ... das war ... eh ... jemand aus München, die ... die ... Jonathan, spinnt ihr eigentlich alle? Das sind Endgeräte! Verschleißteile! Tools, ja? Die Software gehört in die Wolke ... ja natürlich müssen die Server dann auch Rechenleistung übernehmen, ... ja ... Prozessoren ... ja darum geht es doch, kapiert das denn keiner? ... warum machen wir denn die Fusion? Da habe ich EINE Woche Urlaub ... ja ja ... Urlaub ... sagte ich doch, an der Nordsee ... ja ist schön hier ... ja, ich hoffe, du schaffst das ... ohne mich ... Mann, Mann, Mann, merk dir einfach, die Wolke ist alles, ja? Alles! Wir sind die Wolke ... ja? Lach nicht ... machs gut!«

Verona faltet die Beine zusammen, streckt den Rücken durch und betrachtet das Tablett in bester Meditationshaltung. Sie geht auf EARTHcloud, die firmeneigene GoogleEARTH-Variante. Eine weiße Wattekugel erscheint, wird durchsichtig und die Erde dahinter sichtbar, eine blaugrüne Kugel im All. Verona gibt im Suchmenü »Spiekeroog« ein.

Die Welt fällt ihr entgegen, sie fällt in die Welt, in die sich drehende Welt, bis sie über der Nordsee hängt, wie ein Seeadler, bevor der sich im Kamikazeflug auf die ostfriesischen Inseln stürzt. Spiekeroog. Den Rest navigiert sie mit dem Finger. Ich liebe Fingerfahrten. Virtuelle Weltreisen, DAS ist Urlaub! Durch ferne Länder streifen, ohne sich ihnen aussetzen zu müssen!

Auf diese Weise liebt sie es sogar, nach Nippes in den großen Geschäften zu stöbern, aber auch Museen oder Parks zu besuchen, es ist ja alles da!

Am meisten aber liebt Verona virtuelle Flüge übers virtuelle Meer, über die visualisierten Ozeane, und am allermeisten liebt sie das Eintauchen UNTER die grafische Meeresoberfläche, sie liebt die dreidimensional animierten Reliefs der ozeanischen Gräben, die düsterblauen Gebirgslandschaften, die Korallenbänke, die bizarren Lebensformen, die Fische, die versunkenen ... und da!, das bin ich, könnte ich sein, am Nordstrand! Nur eine Frage der Zeit, bis auch DAS in Realtime funktioniert! Dann würde ich mich wirklich sehen. Live. Von oben, aus der Wolke heraus ... und da, das da, welcher Strandkorb ist meiner? Der? Oder der? Ich kann sogar die Nummern erkennen! Welche Nummer habe ich eigentlich?

Verona springt auf, läuft mit dem Tablett in der Hand um ihren Korb herum und stößt fast gegen diesen Inseldeppen, wie hieß der noch?, der, der sie von der Fähre abgeholt hat. Bulliger Kerl, verwaschenes T-Shirt in einer farblosen Farbe, darunter eine Art Jeansshort und Gorillabeine. Und Gorillaarme, die im Moment des Zusammenpralls nach ihren Schultern greifen, diese aber sofort wieder loslassen und das dämliche Kapitänskäppi von den Blondstoppeln reißen; glotzendes Quadratgesicht, errötend.

»Tschulli'ung, ich ... ich ... eh ...«

»Was schleichen Sie um meinen Strandkorb herum?«

»Eh ... hatte dich ... Sie ... gesehn, nech'? ... wollt' nur fragen, ich hab' ein Bout, nech?!«

»Ach!«

»Ja ja, ein Segelbout, eh ... Vorschlag, eh ... mal rausfahren ... nech?«

»Und dann?«

»Nix ... eeh ... bisschen segeln ... rausfahren, gucken!«

»Sagen Sie ... was machen Sie eigentlich? Ist das ... IHR JOB?«

»Segällnn?«

»Ja, oder alleinstehenden Frauen nachstellen?«

Das Quadrat wird noch röter, die Hörtools glühen.

»Ich mach im Hotel, nech?, Kombüse putzen, Takelage flicken, so was, nech?, Mädchen für alles ...«

»Mädchen für alles, soso ...« Verona muss grinsen. Der Bursche ebenfalls, und schöpft gleich neuen Mut: »Kann Ihn' die Insel zeigen, von außen ...«

»Von außen? Ich kann DIR die Insel zeigen, von außen ...«

Verona hält ihm ihr Tablett hin. »Was willst du mir zeigen, he? Das hier ...?«, ihre Finger schlendern über das Glas.

Er sieht sie verständnislos an.

Zu hell, die Sonne ist zu hell, also winkt sie ihm, ihr unters Strandkorbdach zu folgen. Sie sitzend, er zu ihren Füßen im Sand. Wenn das Mutter sehen würde ...

Während er das Tablettfoto betrachtet, ein Google-Earth-User-Bild, Spiekeroog vom Meer aus fotografiert, hält sie unauffällig ihr Smartphone hoch, schätzt den Winkel ein und verewigt die Situation mit einem »Klick!«

»Oder hier ...?« Eine kurze Fingerpirouette, und man sieht die Seehunde auf der Ostspitze der Insel. Der Kerl ist beeindruckt.

»Oder take that ...!« Und schon hat er einen leuchtenden Sonnenuntergang in den Händen, aufgenommen vom Westend, mit der Silhouette von Langeroog.

»WAS bitte willst DU MIR zeigen? He?«

Der Bursche sieht sie von unten herauf an: »Das Echte, nech'?!«

Komisches Gefühl.

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Komisches Jucken, abends im Bett, nachts im Bett, aufgewacht, es juckt unter den Achseln. Achselhaare, wieso jucken die so? Habe ich schon geschlafen?, was riecht hier so komisch ... und dieses Jucken!

Sie tastet, da ist was, das sind aber keine Achselhaare, das sind ... Kakerlaken!

Verona fährt hoch, sitzt, Kakerlaken!

Ihr Herzrauschen ist das einzige Geräusch im Zimmer. Nein, sie fühlt noch mal, da klebt kein Insekt, das sind nur Achselhaare ... und Schweiß, dicker, perliger Schweiß, Schmand-Schweiß, wie ekelhaft! Was stinkt hier so?

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