Festspiel-Kurier #15

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Festspiel-Kurier #15
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Liebe Leser,


Michael Weiser

ist Kulturchef des „Nordbayerischen Kuriers“ in Bayreuth

auf dem Titelbild sehen Sie einen Mann wie ein Denkmal: Starr und ein bisschen fremd blickt Sie Wolfgang Windgassen an. Der große Tenor, den Wieland Wagner „mein Held“ nannte. Für uns Heutige ist er einer der Künstler, die Bayreuth nach dem Krieg in neue Höhen beförderten. Ein Bild, das für die Tradition der Festspiele steht, aber eben auch dafür, dass Tradition nicht umsonst zu haben ist.

Denn um die Fortsetzung dieser Tradition musste stets gerungen werden. Immer wieder betraten Regisseure und Dirigenten Neuland. Sie setzten sich damit immer auch dem brutalen Risiko des Scheiterns aus. Und ob sie gewonnen hatten, war in dem Moment, da der Vorhang fiel, längst noch nicht klar. Es ist eben so: Zwischen Jahrhundert-„Ring“ und Jahrhundert-Reinfall liegt nicht nur ein schmaler Grat, es liegen oft auch ein paar Jahre dazwischen. Denken Sie an Patrice Chéreau und seinen „Ring“: am Anfang ausgebuht, in bis dahin ungekannter Härte, am Ende anerkannt als Sternstunde des Musiktheaters. Auch über Wieland Wagners Bühnenrevolution schüttelte mancher erst einmal den Kopf ...

In dieser Saison nimmt Festspielleiterin Katharina Wagner dieses Risiko auf sich: 150 Jahre nach der Uraufführung setzt sie „Tristan und Isolde“ in Szene, mit Christian Thielemann am Pult. Am 25. Juli wird die Wagner-Welt nach Bayreuth blicken. War das Werk der Urenkelin die Arbeit wert? Die Arbeit und die Diskussionen und Rangeleien, die den Festspielen – mal wieder – vorangegangen sind? Kann sie mit Richard Wagners bahnbrechendem Drama den Festspielen neue Wege ebnen? Es geht, wie so oft, um die Zukunft der letzten deutschen Dynastie.

Wir möchten Sie einstimmen auf die neue Saison. Auf den „Tristan“ natürlich, aber auch auf die anderen Ereignisse der Festspiele 2015. Zum letzten Mal wird der „Lohengrin“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels zu sehen sein, die dem Publikum so ans Herz gewachsen ist. Alain Altinoglu beerbt Andris Nelsons am Pult, ein neues Gesicht in Bayreuth, ein junger Kosmopolit, dem viele Beobachter eine ganz große Karriere zutrauen. Jan Philipp Glogers „Holländer“ wird erneut ins Datenmeer stechen, umwabert von Computer-Ziffern, mit dem erfahrenen Axel Kober als Navigator am Pult.

Nicht die geringste Frage: Wird Frank Castorfs „Ring“ die Hürde zum Klassiker nehmen? Sie wissen ja, zwischen „Buuuh“ und „Boah!“ liegen manchmal nur ein paar Jahre. Vielleicht versilbert der bevorstehende Hügel-Abschied des hoch gepriesenen Kirill Petrenko die dritte Auflage der heiß diskutierten Inszenierung.

Appetit möchten wir Ihnen machen, mit einem Überblick über Katharina Wagners Regie-Stationen, mit der Geschichte, wie‘s überhaupt zum „Tristan“ kam

und mit der Erklärung, warum Ludwig II. ohne „Tristan“ baden ging. Natürlich liefern wir Ihnen, was Sie über ein weiteren Großereignis der kommenden Festspielzeit wissen müssen, die Wiedereröffnung von Haus Wahnfried und dem Richard-Wagner-Museum. Aber auch mit grandiosen Fotostrecken beispielhafter Aufführungen wollen wir Sie ins Bayreuth des Jahres 2015 geleiten. Eine sentimentale Reise ist das, ein Augenbad, aber auch eine Erinnerung. Daran, dass auch die Großen heutiger Tage gewissermaßen auf den Schultern von Riesen stehen.

Auf dass Sie in Bayreuth Freude haben! Ihr Michael Weiser

P.S.: Mit unserem Festspielkurier liefern wir Ihnen Geschichten und Geschichte, aber auch Gegenwart. Und die ganz gegenwärtig: Unsere Kritiken zur Premierenwoche erhalten Sie privilegiert, flott und frei Haus. Übers Internet. Wie, das erfahren Sie auf Seite 74.

Foto: Ronald Wittek

Inhaltsverzeichnis

Kein Schiff wird kommen

Ludwig II., König von Bayern, verehrte von frühester Jugend an Richard Wagner. Schließlich holte er den Komponisten nach München. Und erlebte den „Tristan“. Bedingungslos glücklich wurden die beiden dennoch nicht miteinander.

An ihren Händen sollt ihr sie erkennen

Das wichtigste sichtbare Werkzeug eines Dirigenten? Klar, seine Hände. Versuchen Sie doch zu raten: Wer dirigiert hier eigentlich? Tipp: ein neues Gesicht ist auch darunter.

Der Gral lockt an der Friedrichstraße

Auch Bayreuth selbst hat eine Menge zu bieten. Unter anderem in der Klaviermanufaktur Steingraeber, wo der Besucher Originalinstrumente aus der Zeit Wagners und Liszts bestaunen und sich schon mal auf den „Parsifal“ 2016 einstimmen kann.

Verpasster Neuanfang

1945 lag halb Bayreuth in Trümmern. Und mit der Stadt auch die Idee der Festspiele. Wagners „enterbter Enkel“ Franz Beidler entwickelte Ideen für den Neuanfang. Und scheiterte am Clan.

Die Muse vom „Grünen Hügel“

Mathilde Wesendonck, eine Verehrerin Wagners, war die Frau seines Mäzens in Zürcher Jahren. Und, nach allem, was wir wissen, war sie der tiefere Anlass für „Tristan und Isolde“.


Mild und leise? Von wegen!

Katharina Wagner inszeniert den „Tristan“ 2015 neu. Für uns der passende Anlass, über den Werdegang der Festspielchefin zu berichten: Was hat sie eigentlich als Regisseurin bislang gemacht?

Neu-Wahnfried auf der Zielgeraden

„Ärgersheim“, so soll Richard Wagner sein Haus Wahnfried genannt haben. Von Ärger frei blieb auch die Sanierung und der Ausbau des museal genutzten Hauses nicht. Nun soll das Wähnen erneut Frieden finden: Das neue Haus öffnet seine Pforten.

Zeitreisen

Als Wieland Wagner Bayreuth revolutionierte, als Patrice Chéreau im Buh-Sturm stand, Harry Kupfer mit Laserstrahlen schoss: Mit Fotostrecken entführen wir sie in große

Inszenierunen des aktuellen Repertoires. Das waren noch Zeiten, oder vielmehr: Das sind noch Bilder!

Wenn Tristan „Parsifal“ inszeniert

Er ist der Sohn von Lioba Braun. Er heißt Tristan. Und er bereitet den „Parsifal“ für Kinder auf. Wir sprachen mit Kinderoper-Regisseur Tristan Braun. Und fragten, wie man Erlösung erklärt.

„Tristan“-Alphabet

Wir rüsten Sie fürs Pausengespräch aus. Wenn Sie aus dem Ärmel schütteln wollen, wo Wagner nach dem „Tristan“ entspannte, was Schweinehunde im Nationaltheater zu suchen hatten und in welches Irrenhaus ein Kritiker Wagners bahnbrechendes Werk verbannt sehen wollte: Hier erfahren Sie’s.

IMPRESSUM

Herausgeber: Nordbayerischer Kurier GmbH & Co. Zeitungsverlag KG, Theodor-Schmidt-Straße 17, 95448 Bayreuth

V.i.S.d.P.: Joachim Braun

Konzeption & Produktion: Michael Weiser (Redaktion), Nicole Kunze (Gestaltung), Silke Haase

Autoren: Jürgen-Volker Ern, Heike Hampl, Eva Kröner, Joachim Lange, Michael Weiser

Mitarbeit: Dieter Schnabel, Rudolf Pöhlmann

Titelfoto: Wilhelm Rauh/Archiv

Verantwortlich für Anzeigen: Alexander Süß

published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-5680-4


[no image in epub file]König und Komponist waren entzückt: Ludwig und Malwine Schnorr von Carolsfeld 1865 als Tristan und Isolde, so wie sie auch Ludwig II. und Richard Wagner sahen.

Foto: Joseph Albert/Verwaltung der Schlösser und Seen

Ludwig II. liebte Wagner, bevor er ihn kennengelernt hatte. Kaum König geworden, schickte er dem flüchtigen Komponisten seine Kontaktleute hinterher. Holte Wagner nach München. Und erlebte seinen ganz persönlichen „Tristan“-Rausch. Die Freundschaft zwischen Wagner und Ludwig II. war sensationell, sie war anstößig, und sie war folgenreich: Der Komponist, der Politik machen wollte, und der König, der Musikgeschichte schreiben ließ, befeuern bis heute die Gemüter.

Von Michael Weiser

War es Besessenheit? Anders kann man es wohl nicht nennen, wenn man den König erzählen hört. Als er nach einem langen Ritt in einem warmen Bade Erquickung gesucht habe, da habe er „zufällig mit beiden Händen, aber abwechselnd und mit verschiedener Kraft, auf die Fläche des Wassers“ geklatscht. „Der dadurch verursachte Tonfall erinnerte mich sofort an das Leitmotiv von Tristan, so dass die ganze Scene – Isolde an Tristans Leiche – mit allen Einzelheiten, wie gezaubert mir im Ohre lag.“

Ach ja, Ludwig II. und „Tristan“, Wagner und das Wasser. Wenn es eine Melange gab, die dicker war als Blut, dann diese. Im Bade den „Tristan“ nachgeplanscht: So oder so ähnlich erzählt Ludwig II. die nächtliche Begebenheit einem seiner Spitzenbeamten. Und dass dieser nüchterne Beamte diese Begebenheit für erinnerungswürdig hält, sagt schon einiges über den zweiten Ludwig.

Wie schon seine, nun ja, Flottenpolitik zeigt. Der junge König kauft ein Dampfboot für den Starnberger See. Kurz darauf, der sächsische Dichterkomponist ist, von des Monarchen Huld aus einem Meer von Schulden gerettet, bereits in Bayern an Land gegangen: Da lässt Ludwig den kleinen Dampfer auf den Namen „Tristan“ taufen. Und dann, am 10. Juni 1865, feiert denn auch endlich Wagners bahnbrechendes Drama Stapellauf: „Tristan und Isolde“, am 10. Juni 1865 im Nationaltheater in München.

 

Untergehen im Wagner-Rausch, rauschender Beifall auch im Theater, ein „Tristan“-Schifflein auf dem schönen Starnberger See: Näher kommen einander König und Traumwelt nie. „Wonne des Lebens! Höchstes Gut! Alles!“ So preist Ludwig II. den geliebten Wagner. Dass er im nämlichen Würmsee (so hieß das Gewässer seinerzeit noch) ertrinken würde, 1886, gerade mal vierzig Jahre alt – das konnte der König damals ja nicht ahnen. Ebenso wenig, wie eine Lebensfreundschaft in Stürme geraten kann.

Eine sensationelle Verbindung

Ludwig und Richard: Das ist eine der sensationellsten Verbindungen des 19. Jahrhunderts. Zwei Männer, die von den unterschiedlichsten Voraussetzungen gestartet sind. Der eine König, der andere ein halbwegs verkrachter, wegen seiner Revolutionsumtriebe lange Jahre polizeilich gesuchter Künstler. Man kann nicht einmal sagen, das die beiden dasselbe wollen. Es ist wohl eher so, dass der eine jeweils das hat, was der andere will. Der freie Markt in Reinform. Mit viel Zuckerguss darüber. Also: Der eine – Richard Wagner – will endlich wieder flüssig sein. Und hofft auf einen Brunnen, der Dukaten sprudeln lässt.

Der andere – Ludwig II. – sucht nach dem heilgen Quell, der seinen dürstenden Geist laben soll: mit Klängen nicht von dieser gemeinen Welt, mit tönendem Zauber, Klangreligion, hehren Bildern, kurz: die Welt, wie sie nie war, doch wie sie sein sollte, mittelalterlich verklärt, mit gesalbten Herrschern, geheimnisvollen Rittern, sich und allen andern ein ewig Geheimnis. Und er weiß, wer über diesen Born gebietet: Richard Wagner, niemand anders als der Barrikadenkämpfer des Dresdner Maiaufstands von 1849.

„Ludwig sieht im
Theater die bessere Welt.“

Er weiß es seit Jugendtagen. Wagners „Lohengrin“ hat Ludwig als 15-Jähriger zum ersten Mal gesehen. Ein Tag, dessen er – genauso wie des Tages seines „Tannhäuser“-Debüts – alljährlich gedenkt: „Diese Tage sind für mich Feiertage, deren Bedeutung für mich und mein Leben nicht einmal durch die höchsten Feiertage der Christenheit erreicht wird.“

Ludwig sieht im Theater seine Ersatzreligion und die bessere Welt. „Vom Ministerium und der Ministerialbürokratie eingeschränkt, vom Parlament bedrängt, vom Kabinettssekretär partiell gelenkt“ – so hat Hermann Rumschöttel des Königs Lage treffend zusammengefasst – sieht Ludwig II. reichlich Gründe, sich in ein Traumreich zu sehnen. Und dann ist da die Großwetterlage in den deutschen Landen. Österreich und Preußen sind einander nicht mehr grün, über die Beute des gemeinsamen Krieges gegen Dänemark – Schleswig und Holstein – wird man sich zerstreiten. Bayern wird eine Entscheidung fällen müssen – und sich für die falsche Seite entscheiden. Für Österreich, das gegen Preußen ein Debakel erleidet.

Hilferuf und Antwort

Im Jahre 1863 funkt es. Wagner wirbt da in seinem Vorwort zur Ausgabe der „Ring“-Dichtung um einen Gönner für die Aufführung seiner Tetralogie: „Wird dieser Fürst sich finden?“ Und fleht gleichsam: „Im Anfang war die That!“ Und es ist Ludwig, der ihm die ersehnte

Antwort gibt: „Der Satz, den Sie in der Vorrede zum Gedichte ,Der Ring des Nibelungen‘ anführen, soll in das Leben treten; ich rufe es aus: Im Anfang sei die That!“ Wie der König dem Komponisten seine Sendboten nachjagt, wie er ihn nach München holt, er, der junge, allzu junge König, den schon reichlich abgezockten, 32 Jahre älteren Sachsen – das ist, bei aller Berechnung, irgendwie auch eine der großen romantischen Geschichten des 19. Jahrhunderts. Eine Seifenoper. Aber so schön.

„Im Anfang Sei die That!“
Endlich frei

Für Ludwig ist die Bekanntschaft zu Wagner auch das Manifest einer persönlichen Befreiung. Als Zwölfjähriger bereits hat er begonnen, sich mit den Schriften Wagners zu beschäftigen. Vor allem „Das Kunstwerk der Zukunft“ hatte es ihm angetan, dieses Versprechen von bruchlosem, harmonischem Verschmelzen von Dichtung, Bild und Musik. Sein Vater allerdings, der brave Maximilian II., mag die Schwärmerei des Sohnes nicht dulden. Und er verbietet ihm den Besuch der Erstaufführung des „Lohengrin“ am 28. Februar 1858. Endlich, es ist 1861, darf Ludwig die Wiederaufführung des „Lohengrin“ sehen, bewacht von seiner Erzieherin. Und mag er die Wiederholung unter der Leitung von Franz Lachner auch als schlecht empfunden haben, so sieht er doch den „Keim gelegt zu Unserer Liebe und Freundschaft bis zum Tod, und dort ward (sic!) der bald zur mächtigen Flamme werdende Funke für unsere heiligen Ideale in mir entzündet“, schreibt Ludwig II. später an Wagner.

Der König und sein „Flaggschiff“: Ludwig II. vor dem Dampfer „Tristan“.

Foto: akg-images

Für Wagner sind die Folgen dieser Liebe bis zum Tod schon in der Gegenwart segensreich. „Die niedern Sorgen des Alltagslebens will ich von ihrem Haupte für immer verscheuchen, die ersehnte Ruhe will ich Ihnen

bereiten, damit Sie im reinen Äther Ihrer wonnevollen Kunst die mächtigen Schwingen Ihres Genius ungestört entfalten können“, beruhigt ihn Ludwig II. nach der ersten persönlichen Begegnung am 4. Mai 1864. Kaum der väterlichen Kontrolle ledig, erfüllt sich der Bayernkönig seinen Lebenstraum in einer großzügigen, hoheitsvollen Geste. Wagner, um es kurz zu machen, wird in München keine Not leiden. Und auch Wagners Gläubiger hat der König schon zufriedengestellt. Der wichtigste Plan der beiden taugt dennoch nur für ein Luftschloss. Ludwig will nach der Uraufführung von „Tristan und Isolde“ für Wagners Werk in München einen Tempel errichten, mit Wagners Dresdner Barrikadenkameraden

Gottfried Semper als Architekten. Einen Theaterbau am Hochufer der Isar, nicht weit vom Maximilianeum. Der Plan scheitert. Wagner hat sich – anonym, aber erkennbar – unklug in Zeitungen geäußert. Fordert die Entlassung von Gegenspielern. Ludwig lehnt das ab, folgt aber seinem Komponistenfreund in anderen Bereichen so eng, dass er dessen Denkschriften abschreiben und im Kabinett verteilen lässt.

Den Münchnern stößt die enge Verbindung zwischen Ludwig und Richard auf. Den Großvater, Ludwig I., hatte die Liaison zur Tänzerin Lola Montez den Thron gekostet. Nun spottet man in der Residenzstadt über „Lolus“. Und gemeint ist Richard Wagner. Mit dem Geld sieht es auch nicht mehr so günstig aus: Der Landtag will keine Mittel bewilligen. Und da ist die Angelegenheit zwischen Cosima von Bülow und Richard Wagner. Die beiden haben ihn beschwindelt, der König geht also lediglich von einer platonischen Beziehung aus und legt seine Ehre darein, die Reinheit der Beziehung öffentlich zu bezeugen. Im Dezember 1865 ist Schluss, Wagner muss München verlassen. Und geht nach Tribschen in der Schweiz. Nicht lange danach erfährt Ludwig II. die Wahrheit über Cosima und Richard. Er ist getroffen und verärgert, besucht aber 1868 Wagner überraschend in Tribschen. Wenige Wochen darauf sehen die beiden gemeinsam die Uraufführung der „Meistersinger“ in München. Ein Triumph. Wieder versichert man einander der unverbrüchlichen Freundschaft. Dann geht man wieder auseinander. Was die beiden sich aber auch immer wieder rausnehmen. Ludwig selber stößt Wagner vor den Kopf, indem er „Rheingold“ und „Walküre“ gegen Wagners Willen in München uraufführen lässt.

Ludwig baut sich eigene Traumschlösser, mit einer Hundinghütte, einer Venusgrotte und einer Gurnemanz-Klause in Linderhof nahe Ettal, mit einem „Tristan“-Schlafzimmer und vielen anderen sagenhaften Gemächern in Neuschwanstein.

Richard Wagner wird sein Theater endlich bekommen, und zwar in Bayreuth. Weit genug entfernt von München, aber immer noch in Ludwigs Königreich. Erneut hilft ihm der König. 1876 begegnen sich die beiden beim „Ring“ in Oberfranken. Hörig ist der König seinem Meister nicht mehr, vielleicht war er’s überhaupt nur in Fragen der Sehnsucht. 1881 überlegt Wagner, seinen „Parsifal“ mit dem Orchester des Königs aufzuführen, aber ohne dessen Dirigenten – den Juden Hermann Levi. Ludwig ist verärgert über den Judenfeind Wagner, macht seinen Einfluss geltend, stimmt (oder zwingt) Wagner um und schreibt ihm schließlich, nach Levis Bestätigung: „Dass Sie, geliebter Freund, keinen Unterschied zwischen Christen und Juden bei der Aufführung ihres großen heiligen Werkes machen, ist sehr gut. Nichts ist widerlicher, unerquicklicher als solche Streitigkeiten. Die Menschen sind ja im Grunde genommen doch alle Brüder, trotz der konfessionellen Unterschiede.“

1883, im Februar, stirbt Richard Wagner. Und Ludwig klagt: „Entsetzlich, fürchterlich!“ Etwas mehr als drei Jahre später wird der entmündigte König seine letzten Schritte tun, hinein in den Würmsee. Und kein Dampfboot „Tristan“ wird kommen, ihn zu retten.

Nachsatz: München wurde durch die Uraufführungen von „Tristan und Isolde“ (1865), „Die Meistersinger von Nürnberg“ (1868), „Das Rheingold“ (1869) und „Die Walküre“ (1870) zur Wagnerstadt und für einige Zeit zur Musikhauptstadt Europas. 1888 folgten die „Feen“.


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