Das materialgestützte Schreiben aus literaturdidaktischer Perspektive

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Das materialgestützte Schreiben aus literaturdidaktischer Perspektive
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Nicola König

Das materialgestützte Schreiben aus literaturdidaktischer Perspektive

Geschichte – empirische Untersuchungen – Unterrichtspraxis

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© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de

ISBN 978-3-8233-8470-0 (Print)

ISBN 978-3-8233-0268-1 (ePub)

Inhalt

  Einleitung Aufgabenstellung: Die Herausforderungen des Aufgabenformats Die empirischen Untersuchungen

 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten SchreibensI.1 Die Genese der Einführung des materialgestützten SchreibensI.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens im Kontext der Geschichte des SchulaufsatzesDer Einfluss der RhetorikDer Beginn eines DeutschunterrichtsAufsatzformen im 20. JahrhundertDie Einführung einer neuen AufsatzformI.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen und AufgabenartenI.3.1 Die InterpretationI.3.2 Die ErörterungI.3.3 Handlungs- und Produktionsorientierung (HPU)I.3.4 Kreatives Schreiben

 II Didaktisches KonzeptII.1 Zur Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter SchreibaufgabenII.1.1 Die Rolle des Lesens im Rahmen materialgestützter SchreibaufgabenII.1.2 Zur Notwendigkeit der Entwicklung eines SchreibmodellsII.2 Das argumentierende Schreiben im schulischen Kontext: Textsorten und Textmuster des ArgumentierensHerausforderungen einer TextsortenzuordnungDas Handlungsmuster der ArgumentationII.3 Schemata als Prototypen sprachlichen Handelns oder über die Bedeutung kognitiver Strukturen für die TextproduktionZwischenergebnisII.4 Die Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens: Ein Vergleich zwischen den USA und Deutschland und seine Konsequenzen für eine veränderte Schreibdidaktik in DeutschlandII.4.1 Grundgedanken eines LändervergleichsII.4.2 Unterschiede zwischen Deutschunterricht und English Language Arts (ELA)II.4.3 Zur Vermittlung sprachlichen Musterwissens

 III UnterrichtspraxisIII.1 Über die Notwendigkeit empirischer Untersuchungen – zum Studiendesign der InterventionsstudienEmpirische Untersuchungen in der LiteraturdidaktikDas StudiensettingIII.2 Die empirische Studie in der MittelstufeIII.2.1 Aufgabenkonzeption und Analysekriterien einer materialgestützten Aufgabe für die MittelstufeIII.2.2 Auswertung der empirischen Studie in der MittelstufeIII.3 Die empirische Studie in der OberstufeIII.3.1 Aufgabenkonzeption und Analysekriterien einer materialgestützten Schreibaufgabe in der OberstufeIII.3.2 Auswertung der empirischen Studie in der OberstufeIII.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der empirischen Studien in der Mittel- und Oberstufe und erste Konsequenzen für Forschung und PraxisIII.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe: Ein Vorschlag zur alternativen Einführung des materialgestützten SchreibensIII.5.1 Grundgedanken einer Unterrichtseinheit zum Verfassen eines literarischen Essays in der gymnasialen UnterstufeIII.5.2 Die Eingangsdiagnose: Zielsetzung und AuswertungIII.5.3 Durchführung und Auswertung einer schemabasierten Unterrichtseinheit zum literarischen EssayIII.5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse und Konsequenzen für das materialgestützte Schreiben

  IV Fazit

  Anhang

  Bibliographie

Einleitung

Die 2012 durch die Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (BS AHR) im Fach Deutsch vorgenommene Einführung des materialgestützten Schreibens als neuem verbindlichen Aufgabenformat des Abiturs (s. Abb. 1) markiert einen „Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik im Sinne von „outcome-Orientierung“ Rechenschaftslegung und Sytemmonitoring“.1 Folgt man Becker-Mrotzeks Einschätzung, dass Bildungsstandards das „zentrale bildungspolitische Instrument [sind], das die normativen Erwartungen der Gesellschaft an die Fähigkeiten der nachfolgenden Generation in Bezug auf bestimmte thematisch-inhaltliche Anforderungen verbindlich beschreibt“,2 dann stellt sich die Frage nach den Ursachen gleichermaßen wie den Intentionen der Einführung eines neuen Aufgabenformats.

Die Implementierung des materialgestützten Schreibens in allen sechzehn Bundesländern stellt die an Schule Beteiligten vor große Herausforderungen. Dies liegt nicht nur im Aufgabenformat selbst begründet, sondern auch in dem Umstand, dass die Bildungsstandards zwar eine Angleichung der Leistungsunterschiede intendieren, nicht aber methodische oder curriculare Vorgaben machen. Die Bildungsstandards bilden dabei einen verbindlichen Orientierungsrahmen und jede Schule ist dazu verpflichtet, die Regelstandards umzusetzen. Ziel dieser Arbeit ist es, diese Herausforderungen aus literaturdidaktischer Perspektive in den Blick zu nehmen und Umsetzungsvorschläge aufzuzeigen. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist dabei dreigeteilt: Wenn die zentrale Änderung in den BS AHR die Einführung eines neuen Aufgabenformats markiert, dann gilt es zunächst, die Defizite zu rekonstruieren, die zur Einführung des Formats geführt haben. Becker-Mrotzek, fachdidaktischer Berater der Arbeitsgruppe, die mit der Entwicklung der Bildungsstandards betraut war, nennt als entscheidende Herausforderungen des materialgestützten Schreibens die Anbahnung eines propädeutischen Wissens, die Vermittlung der Argumentationsfähigkeit sowie der Schreibkompetenz.3 Diese decken sich mit den übergeordneten Zielen der BS AHR Deutsch, in denen die Vermittlung einer vertieften Allgemeinbildung, die allgemeine Studierfähigkeit sowie die wissenschaftspropädeutische Bildung4 angeführt werden. Diese Arbeit folgt Becker-Mrotzeks eindringlicher Forderung, dass das Schreiben in den Unterricht zurückgeholt werden muss, und versucht eine Beurteilung der Notwendigkeit dieser Forderung aus historischer (Teil I), aus schreibdidaktischer (Teil II) und aus praxeologischer Perspektive (Teil III).

Können Aufgabenformate als Überprüfung der Bildungsstandards verstanden werden, so bilden die illustrierenden Prüfungs- und Lernaufgaben ihre Konkretisierung. Die Merkmale und daraus resultierenden Herausforderungen des Aufgabenformats sollen anhand einer konkreten Beispielsaufgabe des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das mit der wissenschaftlichen Betreuung und der Umsetzung der Bildungsstandards betraut ist, erläutert werden.5 Die BS AHR sind in fünf Kompetenzbereiche gegliedert,6 die prozess- und domänenspezifischen Kompetenzbereiche. Das Schreiben als prozessbezogene Kompetenz wird anhand der domänenspezifischen Bereiche – sich „mit Texten und Medien auseinandersetzen“ sowie „Sprache und Sprachgebrauch reflektieren“7 – konkretisiert. Hier wird die Verzahnung deutlich, die eine literaturdidaktische gleichermaßen wie eine sprachdidaktische Perspektivierung auf das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens erforderlich macht.

Abb. 1:

BS AHR (2012), S.24

Die Aufgaben der beiden Ausprägungsarten des materialgestützten Schreibens – das Verfassen informierender und argumentierender Texte – werden demnach immer zu domänenspezifischen Themen gestellt. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf dem argumentierenden Schreiben: Dies ist darin begründet, dass eine Progression vom informierenden zum argumentierenden Schreiben angenommen wird, die sich auch in den veröffentlichten Unterrichtsmodellen widerspiegelt.8 Auch in Bezug auf die Domänenspezifik lässt sich eine Weiterentwicklung beobachten. Während in der Mittelstufe Beispielsaufgaben noch fächerübergreifende Themen behandeln, wird erst in der Oberstufe die Domänenspezifik durchgehend berücksichtigt. Die Konzentration auf das argumentierende Schreiben ist aber auch im Hinblick auf die Aspekte des Problemlösens und der Propädeutik, die eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der BS AHR spielen, wichtig: „Besonderes Gewicht erhält die Entwicklung der Argumentations- und Reflexionsfähigkeit in Bezug auf die Bereiche des Faches und in fächerübergreifenden Kontexten“9. Das Erlernen des Argumentierens und Positionierens stellt eine zentrale Herausforderung für die Entwicklung der Schreibkompetenz, aber auch für den Umgang mit Literatur dar, die nicht erst in der oberen Mittelstufe in den Blick genommen werden darf.

 

Die folgende Beispielsaufgabe mit erhöhtem Niveau ist dem Aufgabenpool der Länder entnommen und dem argumentierenden Typ zugeordnet.

Aufgabenstellung:

Die Intendantin des städtischen Theaters hat in einem Interview mit der lokalen Tageszeitung Bedenken geäußert, „Kabale und Liebe“ auf den Spielplan zu setzen. Dabei bezog sie sich auf kritische Diskussionsbeiträge, wonach das Stück nicht mehr zeitgemäß sei. Ihr Deutschkurs, der Schillers Drama im Unterricht behandelt hat, will sich hierzu in einem Offenen Brief an die Intendantin äußern.

Verfassen Sie auf Grundlage der Materialien M1 bis M9 und Ihrer fachlichen Kenntnisse einen Offenen Brief (siehe dazu M10), der begründet darlegt, inwieweit es auch im 21. Jahrhundert sinnvoll ist, „Kabale und Liebe“ für die Bühne zu inszenieren.1

Die Schüler:innen werden aufgefordert, sich mit der Frage der Aktualität des Dramas Kabale und Liebe zu beschäftigen, indem sie – als Mitglied des Deutschkurses – an die Intendantin des Theaters einen Offenen Brief schreiben. Damit werden in der Aufgabenstellung Zieltext – der Offene Brief – und Situierung – Stellungnahme des Deutschkurses zur Debatte – vorgegeben. Die für den Aufgabentyp des materialgestützten Schreibens typische Adressierung bewegt sich dabei im Spannungsfeld zwischen der genannten Adressatin – der Intendantin – und den eigentlichen Adressat:innen – den Leser:innen des Mediums, in dem der Offene Brief veröffentlicht werden soll. Zum Verfassen des Zieltextes erhalten die Schreibenden elf Materialien mit insgesamt 1659 Wörtern. Darin sind acht lineare pragmatische Texte, zwei Abbildungen und eine Tabelle enthalten.2

Dieses Beispiel veranschaulicht die Grundgedanken des neuen Aufgabenformats: Neben den textgebundenen Aufgaben der Erörterung, Interpretation und Analyse rücken damit Aufgaben ins Zentrum, „die keine vollständige Textanalyse mehr erfordern, da das vorgelegte Material auf der Grundlage von Rezeption und kritischer Sichtung für eigene Schreibziele genutzt werden soll (Materialgestütztes Schreiben).“3 Auf der Basis zahlreicher kontinuierlicher und diskontinuierlicher Texte gilt es, einen eigenen, individuellen informierenden oder argumentierenden Text zu verfassen, der eine vorher bestimmte Adressat:innengruppe berücksichtigt und auf der Basis der zur Verfügung gestellten Materialien sowie des eigenen Weltwissens erfolgt. Das Neuartige des Aufgabenformates ist somit das Zusammenspiel von Textrezeption und -produktion. Das vorgegebene Material muss nicht nur gelesen, in Bezug auf die Aufgabenstellung ausgewertet und mit dem eigenen Vorwissen in Verbindung gebracht werden, sondern es muss vor allem eine Transformation geleistet werden. Pertzel und Schütte4 weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Synthese für dieses Aufgabenformat eine entscheidende Rolle spielt. Es gilt, aus den unterschiedlichen Materialien diejenigen auszuwählen, die für die Adressat:innen und das jeweiligen Schreibziel angemessen sind. Damit wird das Material – und hier liegt ein entscheidender Unterschied zur Interpretation – zum Ausgangspunkt des eigenen Schreibprozesses. Lag bis 2012 durch die EPA – Einheitliche Prüfungsanforderungen Abitur – vorgegeben eine Begrenzung des Umfangs der zu bearbeitenden Texte bei 900 Wörtern, so wurde diese beim textbezogenen Schreiben auf 1500 erweitert.5

Die Herausforderungen des Aufgabenformats

Die Darstellung der Beispielsaufgabe ermöglicht, die Herausforderungen des Aufgabenformats zu beschreiben. Da sie den Aufbau dieser Arbeit bedingen, sollen sie an dieser Stelle kurz skizziert werden. Der Aufgabe muss eine Strittigkeit zugrunde liegen, die ein Argumentieren und Positionieren erforderlich macht. Da eine Vielzahl unterschiedlicher Zieltexte sowohl für das informierende als auch für das argumentierende Schreiben existiert,1 erfordert dies von den Schreibenden ein umfangreiches Textsortenwissen. Im vorliegenden Fall müssen die Schüler:innen wissen, dass der Offene Brief nicht nur die Intendantin, sondern auch die Kulturschaffenden und -interessierten der Stadt ansprechen soll. Gleichzeitig impliziert der Offene Brief eine Asymmetrie zwischen Autor:in und Adressat:innen: Obwohl es sich um einen Brief handelt, liegt ein „öffentlicher Akt der Intimität“2 vor, der in konkrete Sprachhandlungen übersetzt werden muss. Adressat:innenbezogenes Schreiben erfordert demnach die Berücksichtigung der kommunikativen Funktionen des jeweiligen Zieltextes. Damit aber rückt zugleich ein dialogisches Schreiben in den Vordergrund.

Zentral ist weiterhin der Umgang mit der Materialfülle, die einen veränderten Umgang mit Texten sowohl im Hinblick auf den Lese- als auch den Schreibprozess erforderlich macht. Damit zeichnet das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens eine „Hybridität“3 aus, die die Zieltextsorten ebenso wie die Materialien betrifft. So werden literarische Texte neben pragmatischen Texten, journalistische Artikel neben Aphorismen und Abbildungen neben Gedichten präsentiert. Das Material ist somit nicht nur polytextuell, sondern auch „fragmentiert und entkontextualisiert“.4

Auf die Komplexität und die daraus resultierenden didaktischen Herausforderungen ist seit Einführung des Aufgabenformats in zahlreichen Veröffentlichungen verwiesen worden5 und sie wird weder auf Seiten der Praktiker noch in der Forschung bestritten. In dieser Arbeit aber soll es nicht ausschließlich darum gehen, diese Herausforderungen aufzuzeigen. Der erste Teil der Arbeit wirft – ausgehend von einer historischen Verortung des Schulaufsatzes – einen Blick auf die Entwicklungslinien der Aufsatz- und Schreibdidaktik. Ein Abriss der Geschichte des Schulaufsatzes fragt nach den Vorläufern des materialgestützten Schreibens und fokussiert auf die Lehrbarkeit des Schreibens und damit auf die Rolle des Musterwissens, die Rolle der Literatur und das Verhältnis von Mündlich- und Schriftlichkeit. Damit werden Textformen gleichermaßen wie Aufgabenarten in den Blick genommen und ihre Implikationen für die Konstruktion eines Schreibmodells erläutert. Die Darstellung bewegt sich demnach im Spannungsfeld zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft.

Die empirischen Untersuchungen

Damit das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens von den Schülerinnen und Schülern erfolgreich umgesetzt werden kann, bedarf es zum einen geeigneter Aufgabenstellungen und Materialien, zum anderen aber sind Unterrichtsarrangements erforderlich, die die entsprechende Lese- und Schreibkompetenz vermitteln. Wenn Feilke darauf abhebt, dass das materialgestützte Schreiben „nicht nur ein Gegenstand, sondern eine Form des Lernens im Deutschunterricht“ ist,1 das die Textplanung und die Erschließung von Materialien betrifft und somit in den Gesamtunterricht integriert werden muss, dann sind in diesem Sinne die drei empirischen Untersuchungen des dritten Teils dieser Arbeit angelegt. Die Vermittlung einer Schreibkompetenz soll die Schüler:innen dazu befähigen, auf die jeweils variierenden Zieltexte, kommunikativen Situationen und Adressat:innen adäquat zu reagieren und die Materialien angemessen für den eigenen Schreibprozess zu nutzen. Vor allem das Argumentieren und Positionieren stellt in diesem Zusammenhang erhöhte Anforderungen an die Problemlösekompetenz. Die drei empirischen Studien sind als Interventionsstudien angelegt, d.h. sie untersuchen in Feldstudien kausale Zusammenhänge und damit die Wirksamkeit von Interventionen, also Maßnahmen, die dazu geeignet erscheinen, die Schreibfähigkeit zu verändern.

In einem ersten Schritt der empirischen Untersuchung soll es darum gehen, detaillierte Informationen darüber zu erhalten, wie Schüler:innen mit materialgestützten Schreibaufgaben umgehen. Auf der Basis von zwei Aufgaben, konzipiert jeweils für die Mittel- und die Oberstufe, wird untersucht, über welche Präkonzepte die Schreibenden verfügen, wenn sie eine materialgestützte Schreibaufgabe bearbeiten. Um die Schwierigkeiten und Herausforderungen zu beschreiben, hätte es allerdings gereicht, die Schüler:innen die Aufgabe bearbeiten zu lassen. Die Entscheidung für eine Interventionsstudie beruht auf dem Grundverständnis einer eingreifenden Didaktik mit dem Ziel, die Schreibkompetenz der Schüler:innen zu verbessern und Schreibarrangements zu entwickeln, die sie dazu befähigen. Diese müssen, basierend auf aktuellen Lese- und Schreibmodellen, durchgeführt, untersucht, evaluiert und weiterentwickelt werden. Versteht man im Sinne Feilkes materialgestützte Schreibaufgaben primär als Form des Lernens, denn als Gegenstand und nimmt man die in der didaktischen Diskussion antizipierten Herausforderungen ernst, dann kann eine einzige Intervention dem Untersuchungsgegenstand nicht gerecht werden. Zwar ließen sich beispielsweise Prozeduren des Argumentierens valide, objektiv und reliabel auf der Textoberfläche nachweisen und ein derartiges Setting würde den Ansprüchen an eine empirische Untersuchung weitgehend genüge leisten. Aber ein solches Vorgehen bildet weder die Komplexität des Aufgabenformats noch die Unterrichtswirklichkeit ab. Bei den 107 Mittelstufen- und 68 Oberstufenschüler:innen, mit denen die beiden Unterrichtseinheiten durchgeführt wurden, handelt es sich um einen Erstkontakt mit dem Aufgabenformat und auch die Lehrkräfte konnten bisher keine einschlägigen Erfahrungen mit dem Aufgabenformat sammeln.2 Deshalb würde es aus Sicht der Lernenden wie der Lehrenden defizitorientiert anmuten, nur den Ist-Zustand zu erheben, bzw. ausschließlich eine Intervention durchzuführen, die zwar operationalisierbar ist, aber den Bedürfnissen der Durchführenden nicht entspricht.

Aus diesem Grund basieren die beiden Interventionsstudien, durchgeführt jeweils in 5 Klassen und 5 Oberstufenkursen, auf einer vollständigen Unterrichtsreihe mit ungefähr 9–12 Unterrichtsstunden. Die Konzeption der Interventionen für die Mittel- und Oberstufe stützt sich auf eine erfahrungsgeleitete Hypothesenbildung und berücksichtigt bereits erschienene Publikationen3 ebenso wie theoretische schreibdidaktische Modellierungen. Die Schüler:innen verfassen zu Beginn und am Ende der Unterrichtsreihe ihren Zieltext, so dass die Wirksamkeit der Interventionen beurteilt werden kann und die Schreibenden den eigenen Kompetenzzuwachs demonstrieren können. Die Interventionsstudien erlauben es, einen Schreibprozess über einen längeren Zeitraum in den Blick zu nehmen und nicht nur die Schwierigkeiten der Schüler:innen zu beschreiben, sondern auch den Einsatz der Interventionen zu reflektieren. Dadurch sollen Rückschlüsse auf die Aufgabenkonstruktion, die Materialauswahl ebenso wie auf die Planung von Interventionen und die curriculare Anbindung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens möglich sein.4 Die Gegenüberstellung der Daten der Mittel- und der Oberstufe erlaubt zudem, die Schwierigkeiten beim Bearbeiten der Aufgaben und damit die Herausforderungen über einen größeren Zeitraum zu betrachten und somit Alterseffekte zu berücksichtigen.5

Die dritte empirische Untersuchung wurde in einem qualitativen Untersuchungsdesign in der Unterstufe des Gymnasiums zum literarischen Essay durchgeführt und nimmt einen Perspektivwechsel vor. Die Forderungen der Didaktik lauten, dass das Schreiben wieder im Unterricht selbst verortet und das Argumentieren gelehrt werden muss.6 Um diesen Anspruch umsetzten zu können, ist es jedoch erforderlich, neu zu denken. Die literarische Perspektive soll daher nicht als Gegenpol, sondern als Ausgangspunkt gesehen werden. Die Unterrichtseinheit ist an aktuelle US-amerikanische schreibdidaktische Modelle angelehnt und basiert auf den Studien und Publikationen des Teachers College Reading and Writing Project der Columbia University, New York. Diesen Ansatz konnte ich während eines Forschungsaufenthaltes kennen lernen. Hospitationen in Schulen und bei Lehrer:innenfortbildungen vermittelten mir einen Einblick in die Chancen dieses Schreibansatzes, der ausgehend von einem literarischen Text ein argumentierendes Schreiben in den Blick nimmt. Anhand einer qualitativen Studie soll überprüft werden, welche argumentativen Schreibkompetenzen Schüler:innen erlangen können, wenn sie frühzeitig in ihrer Schullaufbahn dazu angeleitet werden, schemabasiert in einem literarischen Essay zu argumentieren. Sprach- und Literaturdidaktik werden in diesem Sinne nicht als Kontrahenten verstanden, sondern als Partner mit demselben Ziel, die Schreibkompetenz im Deutschunterricht nachhaltig zu verbessern und die Schüler:innen zum differenzierten, authentischen sowie propädeutischen Schreiben zu befähigen.