Natascha

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»Nein«, zu mehr war mein Gehirn nicht bereit.

Auf dem nackten Boden laben zwei Gestalten, es sah aus, als seien sie tot. Kein Atmen hob ihren Brustkorb, kein Finger rührte sich, nichts. Sie hatten die Köpfe unnatürlich verdreht, ihr Genick war gebrochen.

Erneut streichelte ich über den Bildschirm, über Ansgars Gestalt und auch über Josh, der neben ihm lag.

»Wie konnte das nur…«

Die Stimme, die plötzlich aus den Boxen ertönte, unterbrach mich.

»Sieh sie dir an, Tascha. SIEH HIN!«, die laute Stimme ließ die Boxen krachen und knacken.

»Jetzt können sie dich nicht mehr beschützen, keiner kann dir mehr helfen. Du bist alleine.«

Das Bild verschwand kurz und ich dachte schon das war alles. Dann flackerte es wieder und die nächste Einstellung kam. Diesmal hingen Ansgar und Josh nebeneinander an langen, dicken Ketten, die um ihre Handgelenke gewickelt waren und zur Decke führten. Beide hatten den Oberkörper nackt und waren mit unzähligen Wunden übersät, aus denen Blut austrat und langsam an ihnen herab floss. Ihre Köpfe waren nach vorne gelehnt, aber ich konnte sehen, dass der Genickbruch verheilt war. Also dauerte ihre Gefangenschaft bereits ein paar Stunden.

Die Kamera fuhr nach rechts und zeigte den Hals von Ansgar. Zwei Einstichstellen prangten an der Seite.

Sie haben sie ausgesaugt und sie so geschwächt, schoss es mir durch den Kopf.

Die Einstellung änderte sich, ich sah beide wieder an den Ketten hängen. Ganz plötzlich stand Justin zwischen ihnen und blitzte in die Kamera.

»Na, Tascha, wie gefällt dir das?« Sein Blick war wie irre. Er ist wahnsinnig, dachte ich, völlig verrückt.

Justin griff in Ansgars kurze Haare und riss seinen Kopf hoch. Ansgar hatte die Augen offen, aber ich konnte sie nicht richtig erkennen, da die Kamera wackelte und zu weit weg war. Sie fuhr näher heran, auf Justin, der wie verrückt grinste und dabei seine langen Dolche entblößte. Er beugte sich zu Ansgar hin und schlug ihm seine Zähne in den Hals.

In der linken oberen Ecke des Bildschirmes, konnte ich noch ein Auge von Ansgar sehen. Das Feuer in der Pupille war fast verloschen, aber der pulsierende glutrote Ring erweiterte sich für eine Sekunde, wuchs an und drehte sich kurz träge im Kreis, die Lava-Augen lebten noch.

Justin ließ von ihm ab und kam auf die Kamera zu, seine Augen waren gelb, Raubtieraugen, an seinen Zähnen lief Blut herunter. Ansgars Blut, dachte ich bestürzt.

Justin fixierte mich durch die Kamera und brüllte: »Acht Uhr heute Abend, unten am Fluss, wenn du Glück hast, sind sie dann noch nicht tot.« Er warf den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. Schlagartig wurde er ernst und sah wieder in die Kamera. » … und hast du jemals Glück gehabt, Tascha?« Es folgte dieses irre Lachen, dann war der Bildschirm schwarz.

Die CD war zu Ende.

Ich versendete die Daten per E-Mail, an die Adressen, die ich in Joshs Programm unter dem Eintrag Bewahrer finden konnte. Vielleicht hatte ich ja doch Glück.

Als ich den Computer ausschaltete, fiel mein Blick auf die Wand hinter dem Bildschirm, dort hing ein Bilderrahmen mit einem Spruch.

Donec eris sospes, multos numeribasamicos,

terpora si fuerint nubila, solus eris.

Solange du glücklich bist, wirst du viele Freunde zählen,

wenn die Zeiten trübe sind, wirst du alleine sein.

Was hatten die alten Vampire nur immer mit ihrem Latein, ich verstand es nicht. Aber der Spruch passte.

Meine beiden besten Freunde waren weg, es waren trübe Zeiten angebrochen und ich war allein.

Allein mit meinem Monster.

Ich blickte auf den schwarzen Bildschirm und sah darin meine Augen, wie sie sich spiegelten, sie glühten, die Lava drehte sich im Kreis, das Feuer loderte kurz.

»Ich bin auf dem Weg mein Geliebter, ich komme zu dir«, meine Stimme glich einem Reibeisen, »in perpetuum, für immer und ewig.«

Ich stand auf und ging langsam aus dem Büro.

»Ich komme …«

Abermals stand ich auf der Stadtmauer, der beißende Wind wollte mich mit aller Macht von den Zinnen wehen, hinab in die Tiefe reißen.

Ich aber stand ganz still, die Arme ausgebreitet und den Kopf in den Nacken gelegt.

Ich tankte Kraft, stand auf dem bröckeligen Gestein der alten Mauer und konzentrierte mich.

Zuerst sah ich noch Ansgars Auge auf dem Bildschirm vor mir und wie die Lava kurz rotierte.

Dann war auch dieses Bild weg und ich sah nur noch eine rote Wand vor mir, eine Wand aus Nebel. Ich ahnte, dass ich nur hindurch treten brauchte und die Lösung lag vor mir, dann wusste ich genau, was geschehen würde und geschehen musste.

Ich stand vor der riesigen Wand, sie war höher, als ich blicken konnte, sie schien das ganze Universum einzunehmen. Ich streckte meine Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen die nebelige rote Masse.

Der Nebel driftete ein wenig auseinander, machte meinen Fingern Platz. Wie roter Qualm, kräuselte er sich um meine Fingerspitzen. Ich zog die Hand zurück und fuhr mit dem Daumen über die anderen Finger, der Nebel war eiskalt, dann kam die Wärme. Die Fingerspitzen, die eben noch den Qualm berührten, wurden warm, richtiggehend heiß.

Ich schloss meine Augen und holte tief Luft und trat durch die Nebelwand.

Es war ein Gefühl, als tauchte ich in Eiswasser, es war kalt, die Kälte berührte meine Haut, ließ sie gefrieren, drang durch sie hindurch und kroch in meinen Körper. Augenblicklich erstarrte alles in mir zu Eis, dann war ich durch.

Hinter dem Nebel sah es genauso aus wie davor. Das Eis in mir schmolz, es verflüchtigte sich fast schlagartig und eine herrliche Wärme breitete sich in meinem Körper aus.

Es war anders, als die Wärme, die entstand, wenn ich Blut trank. Es war heißer, viel heißer. Innerlich kochte ich, so stellte ich mir die Hölle vor. Nur verspürte ich keinerlei Schmerzen, bloß dieses Gefühl der Hitze in mir. Ich fühlte mich ausgesprochen gut.

Ich riss meine Augen auf und sah die Dunkelheit vor mir, spürte den kalten Wind auf meiner Haut. Aber die Wärme war noch in mir, ich konnte sie fühlen.

Ich machte einen Schritt nach vorne und fiel in die Tiefe, der plötzliche Windstoß riss meine Haare nach oben und zerrte an meinen Sachen.

Sanft landete ich auf meinen Füßen und lief los.

Mein Geliebter, ich komme.

Ich kam am Fluss an und hielt die Nase in den Wind. Ansgar konnte ich nicht riechen, er verströmte keinen Geruch. Aber ich hatte die Fährte von Josh aufgenommen und von Justin. Ich folgte ihnen. Es führte mich an den Bürogebäuden vorbei. Hinter jeder Ecke, in jeder Gasse vermutete ich eine Falle. Befürchtete, dass Justin plötzlich vor mir stand und mich angriff. Aber alles war ruhig, ja geradezu unheimlich still.

In einiger Entfernung hörte ich einen Hund heulen, das lenkte mich eine Sekunde ab.

Ich wurde gerammt und flog im hohen Bogen durch die Luft. Ich war noch nicht ganz gelandet, da packten mich schon unzählige Hände und drückten mich zu Boden. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, keinen Zentimeter mehr rühren.

Ich blickte mich um, sechs Vampire hielten mich an Armen und Beinen fest, ich kannte ein paar von ihnen. Josh hatte mir von ihnen erzählt, sie gehörten noch dem harten Kern der Vernichter an, er hatte sie bis heute nicht schnappen können. Dann sah ich Dennis vor mir, er grinste mich an und hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt.

»Hab ich dich doch erwischt«, seine Stimme hatte mit seiner früheren nichts mehr gemein.

»Los, packt sie, wir tragen sie zu den Anderen.«

Ich wurde hoch gehoben, je einer an meinem Arm und je zwei an meinen Beinen. Ich kam mir vor wie eine Antilope, die gerade erlegt wurde und jetzt zum weiteren Verzehr in die Höhle getragen wurde.

Ich war wütend auf mich selbst, aber so brauchte ich Ansgar und Josh nicht suchen, ich kam wie von selbst zu ihnen.

Die Vampire trugen mich am Flussufer entlang, wir passierten mehrere Gebäude, bis wir zu einer langgestreckten Lagerhalle gelangten.

Schon von außen konnte ich das Knurren und Geifern von anderen meiner Art hören, noch bevor ich ihren staubigen, pergamentartigen Geruch roch.

Dennis hielt uns die Tür auf, ließ die Vampire mit ihrer Beute vorgehen. Als ich an ihm vorbei getragen wurde, blickte er mich kurz an und knurrte:

»Gleich ist es aus mit dir, mein Schätzchen.«

Sie trugen mich weiter in die Halle hinein, eine Wand mit Flügeltüren, Dennis öffnete eine von ihnen und schloss sie hinter uns gleich wieder.

Ich blickte mich in dem rechteckigen Raum um. Er war bevölkert mit etlichen Vampiren, alles niederträchtige Schurken, die Gefolgsleute der Vernichter, schätzte ich. Gegenüber an der Wand befand sich eine große Fensterfront, in die ich in die Dunkelheit draußen blicken konnte.

Genau davor hingen Ansgar und Josh an ihren Ketten, die an der Decke befestigt waren.

Sie sahen beide schlimm aus, bluteten aus verschiedenen Wunden und ihre Haut war kalkweiß, weißer als je zuvor.

Die Vampire holten aus und schmissen mich durch die Luft. Ich landete ungefähr in der Mitte des Raumes, nicht weit entfernt von Ansgar und Josh.

Fast im gleichen Augenblick stand Justin vor mir, er hielt ein Schwert in der Hand.

»Hallo, Tascha.«

Sein Grinsen war vom Wahnsinn durchzogen, seine Augen riesengroß, sie leuchteten mich an.

Er ist total verrückt geworden, schoss es mir durch den Kopf.

Das war auch der Grund, warum die anderen ihm folgten. Ich hatte mich schon im Stillen gewundert, wie ein neuer Vampir so viele alte um sich versammeln konnte. Normalerweise hörten sie nicht auf ihn.

 

Er war ein Neuling, ein Frischling, sie würden ihn auslachen und er konnte froh sein, hinterher nicht in Flammen aufzugehen, als Strafe für seine Arroganz.

Aber Justin hatte es geschafft, er hatte zusammen mit Dennis die alten Vampire mobilisiert und für sich gewinnen können. Er hatte sie zu den Vernichtern gemacht, wahrscheinlich auch dank seines Wahnsinns.

»Hallo Justin, lange nicht gesehen«, meinte ich munter zu ihm, »du siehst … echt ziemlich verrückt aus.«

Er lachte nur. »Das kann sein, ich habe ja auch verrücktes Blut in mir.«

Ich blickte auf den Boden vor mir und dachte: ja mein Blut trägst du in dir.

Aber ich mag alles sein, böse, schlecht und verdorben. Ich habe vielleicht auch meine Seele verspielt, die Reinheit meiner Art verraten und meine Unschuld verloren. Aber ich bin ganz bestimmt nicht verrückt.

Ich spürte die Wut in mir hoch steigen, fühlte die Hitze, von eben. Etwas von dem roten, eisigen Nebel schien noch in mir zu sein. Er dehnte sich in meinem Inneren aus, füllte die Grenzen, gab mir die Kraft, um dieser Sache hier gewachsen zu sein. Langsam hob ich meinen Blick und sah vor meinen Augen kleine Feuerbälle explodieren.

Justin zuckte zurück, dann hob er sein Schwert.

Er hielt es mir an den Hals, seine Augen glühten gelb.

»Jetzt gleich ist es aus mit dir, Tascha Schätzchen.«

Er hob das Schwert an, presste die Lippen zusammen.

Da geschahen zwei Dinge fast gleichzeitig, ich hörte Ansgar hinter mir.

»Nein!« Seine Stimme klang rau und ich konnte einen Moment nicht sagen, ob ich sie in meinem Kopf hörte, oder in meinen Ohren.

»Doch.« Justin grinste kurz, da hatte ich meine Antwort.

Im gleichen Augenblick flogen die Türen auf und Vampire stürmten den Raum, alte Vampire, in altertümlichen Gewändern. Der hohe Rat, endlich.

Justin blickte erschrocken zu Seite und ich rammte ihm meinen Fuß in den Leib. Er klappte mit einem Keuchen zusammen.

Die Luft war erfüllt von Knurren, Brüllen und Geschrei. Überall sah ich Schwerter blitzen und Blut spritzen. Eine wunderhübsche, blonde Vampir-Frau lief an mir vorbei und warf mir ein Schwert zu, dabei sah sie mich an und zwinkerte kurz mit einem Auge, sie waren golden, wie goldene Lava. »Vae victis«, sagte sie dabei und ihre Stimme klang sanft. Das war Lea, ich war mir sicher, Lea die Löwenstarke.

Ich fing das Schwert auf, keine Sekunde zu spät, denn schon sauste Justins Stahl auf mich nieder. Ich konnte noch das Schwert hoch reißen und den Schlag abfangen, er hätte mich in der Mitte längs zerteilt. Ich sah die wütenden Augen von Justin, hörte sein Knurren und Brüllen, so hatte er sich das nicht vorgestellt.

Er wendete sich um, wollte fliehen, da wurde er von einem Vampir gerammt, ich hatte nicht gesehen, wer es war und er flog im hohen Bogen durch die Luft.

Ich lief hinterher, er prallte mit dem Rücken gegen jemand anderen und begrub ihn unter sich. Justin wollte sich hoch rappeln, er hatte sein Schwert verloren, aber ich war schneller. Mit einem Streich meiner Waffe brachte ich ihm eine tiefe Wunde quer über den Rücken bei. Er schrie auf, lief auf allen Vieren, bevor ihn mein Schwert erneut traf. Er kreischte wie verrückt und fiel hin, er drehte sich auf den Rücken und blickte mich an. Seine Augen waren riesengroß, rund und sehr braun, so normal, wie sie nur sein konnten.

»Tascha, mein Liebling, du willst mir doch nichts zu leide tun.« Seine Stimme war leise und flehend. Ich erhob mein Schwert und erstarrte in der Bewegung.

Ich sah in seine Augen, nahm den Tumult um mich herum nicht mehr wahr, starrte ihn nur noch an.

»Tascha, ich liebe dich doch, mein Monster ist nicht mehr, ich bin wieder der Alte, mein Liebling, mein kleiner Schatz. Verzeih mir, was ich dir angetan habe, ich war irre.«

Er schloss kurz die Augen und der Lärm um mich herum wurde sofort lauter. Schon schlug Justin seine Augen wieder auf und verdrängte jegliches Hintergrundgeräusch aus meinem Kopf, ich war weiterhin wie erstarrt.

»Wir könnten doch wieder zusammen sein, nur du und ich.« Seine braunen Augen suchten meinen Blick, verschlangen ihn, begannen mich mit in ihre unendlichen, grausamen Tiefen zu reißen. Fast war ich versucht ihnen nachzugeben, ich brauchte nur einen Schritt nach vorne zu wagen, die alles verschlingenden Brunnen würden mich willkommen heißen, würden mich mit Freuden empfangen.

Justin versuchte sich zu erheben.

»Wir könnten zusammen sein, für immer und ewig.«

Ich zwinkerte einmal, das Gebrüll und metallische Klirren der Kämpfenden war wieder da.

»In perpetuum?«, murmelte ich heiser.

»Was…?« Justin schien kurz irritiert.

Ich hob mein Schwert an und brüllte:

»Ich hasse dich.«

Dann ließ ich meinen Stahl auf ihn niedersausen. Ich sah noch, wie seine Augen größer wurden, wie sie mich fixierten und erneut versuchten, sich mit meinem Blick zu vereinen, um mich von meinem Vorhaben abzubringen.

Aber er hatte keine Macht mehr über mich, wenn er die je gehabt hatte, wirklich besessen hatte.

Mein Schwert traf ihn im Brustkorb und bohrte sich tief hinein, er stieß ein wahres Löwengeschrei aus und krümmte sich ein bisschen. Ich stieß mein Schwert so tief hinein, dass es durch ihn hindurch, auf der anderen Seite in den Boden fuhr.

Gestützt auf den Schwertgriff, schloss ich kurz meine Augen, ging zu Justins Kopf, riss ihn schnell herum. Mit einem gewaltigen Krachen brach sein Genick.

»Wir sind Quitt, möge ein höheres Gericht über dein weiteres Schicksal entscheiden.«

Ich erhob mich und sah mich in dem Raum um, es brannte. Überall waren kleine Feuerstellen zu sehen, von den geköpften Vampiren. Die Mitglieder des hohen Rates und der Bewahrer kämpften noch vereinzelt. An der hinteren Wand standen einige Vampire, die Vernichter, sie wurden bewacht von Conrad und Oberon, der hohe Rat hatte sie als Gefangene genommen. Dennis stand auch dabei, er blutete stark und sah wütend aus.

Ich sah mich nach meinen Freunden um, die Ketten waren leer, sie schwangen noch leicht. Darunter saßen zwei Gestalten in alte Gewänder gehüllt.

Mit steifen Schritten ging ich zu ihnen. Gerade fiel neben mir der letzte Kopf. Alarich riss die Arme in die Luft und brüllte. Der letzte der Vernichter war gefallen.

Der Sieg war unser.

Vorsichtig näherte ich mich Lea und Eleonore, sie knieten bei Ansgar und Josh.

Eleonore strich Josh gerade sanft über die Stirn. Beide Frauen flüsterten miteinander, ich konnte sie nicht verstehen, es war zu schnell und zu leise für meine Ohren.

Ich ging auf die andere Seite, zu Ansgar und blickte ihn an. Er sah furchtbar aus, er sah tot aus. Ich fiel neben ihm auf die Knie.

»Ansgar, mein Geliebter«, ich hörte keine Antwort, weder in meinem Kopf noch sonst eine. Ich blickte Lea an, sah zu Josh, seine Augenlider zuckten, die Lippen bebten, zum Glück, er lebte noch.

Mein Blick fiel wieder auf Ansgar, seine weiße Haut schien noch weißer zu sein, die Lippen völlig farblos. Die tiefe Halswunde hob sich strahlend ab von seiner hellen, fast glänzenden Haut.

Erneut warf ich einen Blick auf Lea.

»Was…?«, zu mehr war ich nicht fähig. Ihre goldenen Augen sahen betrübt aus, die Lava drehte sich träge im Kreis. Lea zuckte kurz mit den Schultern und wendete ihren Blick ab.

Eleonore ergriff meinen Arm, hielt mich fest.

»Natascha.« Auch ihre Augen waren von goldener Farbe. Ich erinnerte mich, dass sie Eleonore, die Barmherzige hieß. Ich wollte aber jetzt keine Barmherzigkeit, ich wollte nur eins: Dass es Ansgar wieder gut ging, dass seine Stimme in meinem Kopf erklang, dass er lebte.

Um uns herum war es still geworden, ich blickte mich um. Der hohe Rat und einige Mitglieder von den Bewahrern standen um uns herum. Sie senkten die Köpfe, die Hände steckten in ihren langärmeligen Gewändern.

Ich konnte es nicht fassen, sie alle gaben Ansgar schon auf, sie dachten alle, dass er tot sei. Ich wollte es ihnen am liebsten entgegen schreien: Wie könnt ihr nur, wie könnt ihr ihn schon aufgeben, er ist doch einer von euch.

Sie gedenken nur der vielen Toten, die Stimme in meinem Kopf war so leise, das ich sie mir genauso gut nur eingebildet haben konnte.

Ich blickte schnell auf Ansgar, er lag noch genauso da, wie vorher, wirkte wie tot.

Ansgar? Fragte ich in Gedanken, Ansgar, sag doch was, irgendwas, bitte sprich mit mir. Ich widerstand der Versuchung ihn an den Schultern zu rütteln.

Non omnis moriar, da war sie wieder, die Stimme, so leise wie ein Windhauch. Ich werde nicht sterben.

»Bitte«, flüsterte ich und legte meine Kopf auf seine Brust,

»du darfst auch nicht sterben.«

In meinen Gedanken schickte ich ihm: Ich liebe dich, bitte verlass mich nicht, wir gehören doch zusammen, In perpetuum. Mein Geliebter, bitte bleib bei mir.

Meine süße mellila, wie könnte ich dich je verlassen.

Du hast es fast getan, selbst in Gedanken klang meine Stimme verzweifelt.

Ich weiß, das ist inexcusabilis, unentschuldbar, verzeih mir.

Wie geht es dir? Er sah noch genauso tot aus, wie eben noch.

Jetzt wieder besser. Du bist da, und wahrscheinlich riechst du wieder so teuflisch gut wie immer. Ich werde nur etwas länger brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen. Nur etwas Zeit.

Du hast alle Zeit der Welt, mein Geliebter. Ich werde dir etwas zu trinken besorgen und dann gehen wir nach Hause.

Ja, nach Hause, …das hört sich gut an.

Ich stand auf und drehte mich um, die Gefangenen wurden gerade abgeführt, Justin lag bei Conrad auf dem Arm, er würde für seine Heilung auch einige Zeit benötigen. Dann wird er seiner gerechten Strafe zugeführt.

Ich griff mir den nächstbesten Vampir, der neben mir stand und frage ihn: »Hat hier jemand eine Konserve dabei? Ansgar braucht dringend frisches Blut zu trinken.«

Der junge Vampir sah mich verständnislos an »Frag Alarich.«, er drehte sich um und ging den Gefangenen hinterher.

Alarich, dachte ich, ich kann doch nicht so einfach zu dem Obersten des hohen Rates gehen und nach ein bisschen Blut fragen.

Ich drehte mich zu Ansgar um, er wirkte nach wie vor leblos. Ich suchte nach Alarich. Er stand mit Lea, Eleonore und Falk zusammen, sie unterhielten sich leise. Ich trat an die Gruppe heran und räusperte mich leise. Sie stoppten ihre Unterhaltung und wendeten sich mir zu.

»Entschuldigt bitte, aber es ist von äußerster Wichtigkeit.«

»Sprich, mein schönes Kind«, Alarichs Stimme war brüchig wie altes Papier, er lächelte mich an.

»Ansgar braucht dringend frisches Blut, hat… hat jemand von euch zufällig etwas dabei?« Ich kam mir total dämlich vor, als würde ich um Drogen betteln.

Alarich lächelte nur noch mehr, seine goldenen Augen glühten kurz auf, dann zog er eine Blutkonservendose aus seinem Umhang und reichte sie mir.

»Mit den besten Wünschen für ihn, meine kleine Schönheit.«

»Ich danke Euch«, damit nahm ich die Dose an mich und war schon wieder auf dem Weg zu Ansgar.

Ich warf mich vor ihm auf die Knie und riss die Dose auf. »Ansgar, bist du wach?«

Hm-m? Hörte ich in meinem Kopf.

Ich hab hier etwas, damit bist du schnell wieder auf den Beinen. Ich hob seinen Kopf an und versuchte die Dose an seinem Mund anzusetzen, es lief daneben.

So geht das nicht, dachte ich frustriert. Ich trank einen Schluck, behielt das Blut in meinem Mund, beugte mich zu Ansgar herunter und drückte mit einer Hand seinen Mund auf. Vorsichtig legte ich meine Lippen auf seine und ließ das Blut in seinen Mund laufen. Nochmals nahm ich einen Schluck aus der Dose und küsste ihn.

Ich sah ihn schlucken. Sehr gut.

Beim vierten Mal legte er seinen Arm um meinen Nacken und erwiderte den Kuss. In meinem Kopf vernahm ich seine Stimme jetzt lauter, da mi basia mille, … gib mir tausend Küsse.

»Später, komm erst mal wieder hoch, ich trage dich nicht.«

Würdest du mich nicht tragen, wenn ich unfähig wäre zu gehen? Das glaube ich dir nicht.

Er öffnete die Augen, die rote Lava war verschwunden, nur noch der feine Ring und die braune Farbe, die nun ganz langsam im Kreis dahin floss. Kein Feuer leuchtete in der Pupille, sie war mattschwarz, ohne jeglichen Glanz.

 

Er blickte mich an. Du hast ihn erledigt. Das war sehr tapfer von dir, einfach hierher zu kommen, sehr tapfer … und überaus dämlich.

Seine Stimme in meinem Kopf knurrte, wie kannst du dich nur in solch eine Gefahr begeben? Wie kannst du nur so … so dumm sein?

Ich senkte den Blick, und schickte ihm meine Gedanken: Aber er wollte dich umbringen, dich und Josh. Ich … ich musste kommen, ich wollte wenigstens versuchen euch zu helfen. Ich habe die anderen informiert und dann bin ich los zu dir.

Ich hob vorsichtig meinen Blick, noch grimmiger als zuvor starrte er mich an.

Du hättest auch nicht anders gehandelt, schickte ich hinterher.

Nein, aber hier geht es nicht um mich. Du hättest sterben können, er hätte dich erledigen können.

Ansgars Augen wurden ein bisschen größer Du hättest tot sein können und ich wäre alleine.

»Nein, du wärst gestorben, wenn…«

Das ist das Gleiche, unterbrach er mich unwirsch. Versprich mir, dass du dich nie wieder in solch eine Gefahr begibst, nie wieder, hast du mich verstanden?

Ja, antwortete ich kleinlaut. Ich versuchte krampfhaft an nichts zu denken, aber das ging einfach nicht. Du wärst jetzt tot, das ist das Gleiche, die Worte schwirrten mir durch den Kopf. Tot sein, dass Gleiche wie alleine sein?

Für mich schon. Er schloss wieder seine Augen. Ich muss mich dringend ausruhen, gehen wir jetzt nach Hause, bitte.

Ich half ihm auf, schwer lastete er auf meinen Schultern. Ich schleppte ihn zu seinem Wagen und ließ ihn einsteigen. Dann steuerte ich in Richtung unserer Wohnung.

Unterwegs überlegte ich, dass ich eigentlich noch etwas Anständiges für Ansgar zu trinken besorgen musste, menschliches Blut.

Da fuhr ich gerade an ihr vorbei, ich konnte mein Glück kaum fassen, mir wurde eine Beute auf dem Tablett serviert.

»Ansgar?«, flüsterte ich ihm zu, »schaffst du es, sie durch das Fenster zu ziehen?«

Er sah auf, ihm waren die Augen wieder zugefallen, ja, ich denke schon.

Langsam fuhr ich an den Straßenrand heran, ließ die Scheibe an der Beifahrerseite herunter und hoffte inständig, dass Ansgars Anblick sie nicht verschreckte, jedenfalls nicht bevor …wir nahe genug dran waren

»Entschuldigung, hallo, Entschuldigung, ich glaube ich habe mich verfahren, können Sie mir helfen?« Sie kam näher an den Wagen, näher zum Fenster. In einer schnellen Bewegung hatte Ansgar sie gepackt und in das Auto gezerrt.

Unterwegs luden wir ihren toten Körper an der Mülldeponie ab, wie immer.

Ansgar ging es nach seiner Mahlzeit bedeutend besser, er war noch nicht vollständig hergestellt, aber ich konnte wieder sein Blut durch seinen Körper rauschen hören.

Ich parkte den Bentley und wir gingen in unsere Wohnung.

Ansgar ließ sich schwer auf das Sofa fallen und schloss die Augen.

»Willst du nicht lieber ins Bett und dich da ausruhen?«, fragte ich ihn erstaunt.

»Nein, noch nicht«, er klang erschöpft. Ich wollte gerade an ihm vorbeigehen, da schnellte sein Arm vor, er packte mich und zog mich auf sich drauf. Seine Bewegungen waren annähernd so schnell wie immer. Ich konnte mir einen kleinen, erschreckten Schrei nicht verkneifen. Sofort hörte ich seine Stimme in meinem Kopf, verzeih mir bitte, das wollte ich nicht.

Er strich mit seiner Nase über meine Wange und atmete meinen Geruch ein.

»Hm-m, du riechst so gut. Wenn ich daran denke, dass ich fast nie wieder deinen Geruch in mich hätte einsaugen können, wird mir ganz übel.« Er packte mit beiden Händen mein Gesicht und blickte mich an. Seine Lava-Augen glühten und kleine Feuer flackerten immer wieder auf.

»Nie wieder darfst du dich so in Gefahr begeben, hörst du, nie wieder.« Er ließ mein Gesicht los und umarmte mich fest.

»Nichts ist das wert, gar nichts.«

»Doch«, flüsterte ich heiser, »du bist es wert, du bist jede Gefahr wert, mein Geliebter, jede.« Erneut ergriff er mein Gesicht mit beiden Händen und blickte mir tief in die Augen.

Te amo, in perpetuum. Hörte ich ihn in mir drin Ein Schauer lief mir über den Rücken, ich schickte ihm meine Gedanken zurück: Ich liebe dich auch, für immer und für ewig.

Dann trafen seine eisigen Lippen auf meine und ich saugte seinen Geruch tief in mich ein.

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