Begegnung der besonderen Art

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Begegnung der besonderen Art
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Monika Starzengruber

Begegnung der besonderen Art

Erzählung

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Begegnung der besonderen Art

Impressum neobooks

Begegnung der besonderen Art

Jonas hieß er. Und genauso betagt wie er selbst, schien die Kleidung, die er am Leibe trug. Die zerknitterte, viel zu schlottrige Hose ähnelte seinem Gesicht, das von Furchen und Falten übersät war. Jedoch waren es keine harten Furchen und Falten, sondern weiche, ineinander fließende, die ihm ein vertrauenerweckendes, gutmütiges aussehen verliehen. Die zu ihm passten, ihn charakterisierten, wie das schneeweiße, noch immer sehr dichte Haar. Die Altersflecken auf seiner runzeligen Haut kamen kaum zur Geltung, erfasste man seine noch jung gebliebenen Augen. Er war hager. Fast zu hager. Sein kariertes Flanellhemd wölbte sich um seine Statur, als wäre es aufgeblasen und ihm viel zu groß. Nur die Hosenträger zwängten es in eine halbwegs körpergerechte Form. Aber das waren Äußerlichkeiten, auf die Jonas keinen Wert legte. Er saß da, den Kopf zurückgelehnt, die Augen geschlossen, die Hände gefaltet, auf einer kühlen, lederbezogenen Zweierbank und horchte auf das immer wieder kehrende, gleichmäßige Geräusch, das die Räder des Zuges unter ihm verursachten. Er spürte das monotone Vibrieren des Waggons in regelmäßigen Abständen, wenn eine Stelle überfahren wurde, wo ein Gleis sich dem nächsten anfügte. Tack, tack – tack, tack, - tack, tack. Die Landschaft grüßte in gleißendem Sonnenlicht durchs Fenster und flog scheinbar vorüber. Dazu pfiff die Lok ihr Signal, das weit im Tal widerhallte, während sie durch Landstriche und Regionen brauste. Ein Bild, das sich in stetigem Wechsel ablöste. Das turnusmäßige „tack, tack“ der Räder, erfüllte Jonas mit einer Ruhe, die er unbewusst an die Mitreisenden ausstrahlte, deren Anwesenheit er durch seine innere Einkehr kaum wahrnahm. Er genoss das Gefühl zu sitzen und sich gleichzeitig fortzubewegen, dem Ziel näher zu rücken, ohne etwas dafür tun zu müssen. Das war nicht oft so gewesen, in seinem Leben. Das verrieten seine Hände, und die dicken, rauen Stellen auf seiner zerfurchten Haut. Hart zupacken, das war sein Lebensinhalt gewesen, all die Jahre bis zu seiner Pension. Rationalisierungsmaßnahmen an seiner Arbeitsstelle verdrängten ihn und zwangen ihn in den Ruhestand. Für seine Begriffe viel zu früh. Gern wäre er noch geblieben. Zeit seines Lebens hatte er gearbeitet. Was sonst hätte er tun sollen? Wenn er zurückdachte, wurde im klar, wie schnell die Jahre vergangen waren, ohne dass er Zeit gehabt hätte, lange darüber nachzudenken. Alles war so selbstverständlich gewesen. Und nun saß er hier allein und fuhr in eine Stadt, die er genauso wenig kannte, wie die Menschen neben ihm, in dem Abteil. Aber es war gut. Solange er noch in der Lage war, seiner Zweizimmerwohnung zu entfliehen, deren Wände ihn manchmal zu erdrücken schienen, und der Einsamkeit, die ihn dort immer öfter einholte, wollte er zufrieden sein.

Jonas nahm ein Rucken wahr und er schlug die Augen auf. Der Zug wurde langsamer. Betulich richtete er sich auf. Er sah sich nach seinem Beutel um, in den er das allernötigste gesteckt hatte, für seine Odyssee in die Menschenmenge und Hektik einer Großstadt. Was ihn hier erwartete, wusste er nicht. Alles auf sich zukommen lassen, nichts erzwingen wollen. Mit dieser Einstellung war er bisher gut durchgekommen. Es kommt ja ohnehin alles so, wie es muss, meistens anders als man denkt und viel zu oft, wie man nicht will. Trotzdem. Aus allem das Beste zu machen, war sein Bestreben. So war er gewillt diesem Tag seine schönste Seite zu entlocken. Er wollte sich am Gipfel seines Lebens an seiner Freiheit erquicken, die ihm mehr als ihm lieb war zur Verfügung stand. Viel mehr, als er brauchte.

Jonas erhob sich von der Lederbank, hing sich seinen Beutel umständlich über die Schulter und tastete sich langsam vorwärts. Hinter den anderen nach, die ebenfalls ihr Ziel erreicht hatten und nach dem Ausgang strebten. Der Zug hielt mit einem Quietschton an, was einige veranlasste, mit kleinen, unbeholfenen Schritten nach vorne trippelnd das Gleichgewicht auszubalancieren. Auch Jonas verlor den Halt und stützte sich gerade noch auf seinen Vorgänger, der sich abrupt umdrehte und ihn rüpelhaft anschnauzte: Passen Sie doch auf! Worauf Jonas seinen Arm von ihm nahm und gelassen erwiderte: Ist ja nichts passiert. Es dauerte, bis er an der Reihe war, er aus dem Waggon die zwei Treppen hinab stieg und auf dem Bahnsteig endete. Befremdlich sah er sich um. Er war noch nie hier gewesen. Aus dem Trichterlautsprecher seitlich von ihm erklang eine verzerrte Männerstimme, mit dem Hinweis des nächsten einfahrenden Zuges. Die Menschen um ihn strebten vorwärts. Die meisten in die gleiche Richtung. Jonas schloss sich ihnen an, vermengte sich in ihrem Gewühl, in der Hoffnung, so zum Ausgang zu gelangen. Er passierte ein Tunnel, wo eine Rolltreppe nach oben führte und in eine Wartehalle mündete. Angestellte verschiedener Kaufhäuser und Geschäfte verrichteten dort ihren regelmäßigen Trott, wie wo anders um diese Uhrzeit auch. Sitzbänke in Inselgruppen angelegt luden zum Warten oder Ausruhen ein, was kleinere und größere Menschenansammlungen hervorbrachte. Ihr murmelndes Wortgeflecht raunte durch die Halle und vermischte sich mit der Lautsprecherstimme, die wiederholt aktuelle Ansagen verlautbarte. Dazwischen hasteten Leute mit tönendem Schuhwerk vorüber, ohne sich groß umzusehen, versehen mit dem Drang, ihr Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Ein Gewirbel, dem Jonas sich nicht gewachsen fühlte. Deshalb war er froh, als ihm ein Hinweisschild mit der Aufschrift „Ausgang“ den Weg wies. Zügig - so gut es ihm halt gelang, bewegte er sich quer durch den Menschentrubel, mit vorgeneigtem Oberkörper, um so den Schmerz in seinem Rücken zu mildern. Der Beutel auf seiner Schulter war nicht besonders schwer, dennoch drückte er auf seine alten Knochen. Im Versuch es zu ignorieren, strebte er unversehens auf eine Glasfront zu, wo der dahinter sichtbare Straßenverkehr versprach, dass die Richtung stimmte. Erleichtert trat er durch eine Drehtür hinaus ins Freie, wo ihm die Sonne grell ihre Strahlen ins Gesicht warf, sodass er für Sekunden die Augen schließen musste, da sie ihn blendeten. Es war noch früher Vormittag, dennoch lagen die Temperaturen im Bereich des angenehmen. Nach anfänglichem Blinzeln gewöhnte Jonas sich an das helle Licht und er versuchte sich zu orientieren. Er sah nichts, außer dicht befahrene Straßen, umringt von den typischen Geschäftshäusern und hörte nichts, außer den unverkennbaren Verkehrslärm, der durch seine leichte Schwerhörigkeit nur sanft in seine Ohren drang. Er wusste seine Schwerhörigkeit zu nutzen, manchmal, wenn die Situation es erforderte.

Nach kurzem Zögern entschied er sich für irgendeine Richtung. Wobei er keine Ahnung hatte, wohin sie ihn führte. Im Grunde war es ihm gleichgültig und fragen mochte er keinen. Meistens durchstreifte er die Straßen der Städte ohne besonderes Ziel. Aber es wäre schön, wenn diese Richtung ihn diesmal in einen Park führen würde, sagte er sich. Jede Stadt besaß einen Park. Und so umfangreich wie diese hier war, hatte sie bestimmt einen sehr großen und schönen Park. Einen Park in dem Menschen sich begegneten und sich unterhielten. Einen Park, wo man die Natur einatmen konnte und wo die Bäume mit einem sprachen.

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