Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik

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Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik
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Miriam Preußger

Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.francke.de • info@francke.de

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-7720-0050-8

Inhalt

  Meiner Familie, also Jan-Philipp, ...

  Danksagung

  0. Impressionen in situ – Konturierung der Fragestellung

  1. Forschungsüberblick und Positionierung

  2. Methodologie: Medienkulturwissenschaft und diskursanalytische Werkzeuge

  3. Manege frei: Zur gegenwärtigen Konstitution familientechnologischer Gesundheitsmelancholie 3.1 Kommunikation des Wunsches nach einem gesunden Kind als »natürliche« elterngemeinschaftliche Universalie 3.2 Argumentationsfiguren und Begründungszusammenhänge im Umfeld pränataler Diagnostik 3.3 Konfigurationen von Unsicherheit (gedimmt, punktuell-verschleiernd, konzessiv, adversativ) 3.4 Medienkultur der familientechnologischen Gesundheitsmelancholie 3.5 Beispiel zum Lachen: Pränatale Läuse Zusammenfassung

  4. Das Brodeln der Elemente 4.1 Familiales Unbehagen 4.2 Vielfalt/Oxymorie – Anerkennung der Überblendung – ostentative Manifestation als medienkulturelle Realität 4.3 Diversität ist medienkulturell zeigbar Zusammenfassung

  5. Familiendrama: Konfliktäre Familienkonstellationen in unserer Medienkultur 5.1 Monstrosität: Chiastisch-antithetische Familienkonstellation und fehlende familiale Positionalität 5.2 Kindsmord als Chiffre des Scheiterns einer verengt-abhängigen Intelligibilität Zusammenfassung

  6. »Lass uns VaterMutterKind spielen: Du bist die Mutter, ich bin der Vater – Kind haben wir einfach keins!«

  Siglenverzeichnis

  Medienverzeichnis

  Bibliografie

  Onlineverzeichnis 1. 2.

Meiner Familie, also Jan-Philipp, Linda und Henri, in Liebe gewidmet.

Danksagung

Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2016/2017 von der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde.

Mein Dank gilt zuallererst meinem Betreuer Prof. Dr. Bernd Scheffer. Herr Scheffer ist in wissenschaftlicher und lebensweltlicher Hinsicht ein außergewöhnlicher Lehrer. Ich bin für jede einzelne Veranstaltung von Herrn Scheffer und für die Betreuung meines Promotionsprojektes sehr dankbar. Ich danke weiterhin PD Dr. Anja Gerigk für die Übernahme des Zweitgutachtens und die wertvollen Anmerkungen. Prof. Dr. Martin Zimmermann aus der Alten Geschichte danke ich besonders für die spannenden interdisziplinären Diskussionsbeiträge bei der Disputatio.

Dem Oberseminar und ganz besonders Dr. Sabrina Eisele, Dr. Angelika Voigt, Dr. Stefanía Voigt und Dr. Nora Kessler danke ich für ihre Auseinandersetzung mit meinem Thema, aber auch für ihre Zuversicht und die lieben Worte.

Der coolen Gang, also Martha & Alois, Margit & Andreas, Luisa & Vince sowie the one and onlies Paulina & Basti, danke ich für ihre bärenstarke Unterstützung.

Valeria und Daniel Kalteis danke ich für ihre Freundschaft.

Meiner ganzen Familie danke ich für ihre Unterstützung und ihr Dasein.

Valeria und Daniel Kalteis danke ich für ihre wunderbare Freundschaft.

Unserem geliebten Henri, der meinen Promotionsweg an den entscheiden-den Stellen unmittelbar begleitet hat und diesen körperlich nicht bis zum Abschluss mit mir gehen konnte, danke ich für alles und noch viel mehr! Auch wenn Henri jede einzelne Sekunde fehlt, ist er jede einzelne Sekunde bei uns.

Unserer geliebten Linda aka Wildfang und Zimtzicklein danke ich für ihr Naturell. Linda ist Liebenswürdigkeit im Quadrat!

Jan-Philipp danke ich dafür, dass er seit nunmehr 20 Jahren, in Freundschaft und in Liebe, mein konstitutives Gegenüber ist. Du bist alles, was zählt!

München, im Mai 2017 Miriam Preußger

0. Impressionen in situ – Konturierung der Fragestellung

In meiner Dissertation Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik werden aktuelle vorgeburtliche Leitideen, Geburtsparadigmen, Schwangerschaftskonzeptionen und »Herstellungsarrangements von Familie«1, also Familiendiskurse, analysiert. Die Zusammenfassung der untersuchten familialen Arrangements (darunter fällt beispielsweise die gezielte Anordnung eines Kinderwagens in einem Schaufenster) unter dem Oberbegriff Familienpolitik impliziert das nicht zu stornierende Spannungspotenzial derselben. Dass Fa­mi­lia­li­tät politisch ist, kommt deutlich und eindrucksvoll in Carolin Emckes Rede im Oktober 2016 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels zum Ausdruck. Jene politische Dimension von Fa­mi­lia­li­tät verbindet diese mit gesamtgesellschaftlich hoch umkämpften Termini wie etwa Religion und Volk:

»Zur Zeit grassiert ein Klima des Fanatismus und der Gewalt in Europa. Pseudo-religiöse und nationalistische Dogmatiker propagieren die Lehre vom ›homogenen Volk‹, von einer ›wahren‹ Religion, einer ›ursprünglichen‹ Tradition, einer ›natürlichen‹ Familie und einer ›authentischen‹ Nation. Sie ziehen Begriffe ein, mit denen die einen aus- und die anderen eingeschlossen werden sollen. Sie teilen willkürlich auf und ein, wer dazugehören darf und wer nicht.«2

Es ist kein Zufall, dass die natürliche Familie in einem Atemzug mit kontrovers diskutierten Termini wie homogenes Volk, wahre Religion, authentische Nation und ursprüngliche Tradition genannt wird. Ablesbar an Emckes Rede ist neben der Gegenwart von Familie, also der Aktualität und der Brisanz von Familie, eben auch die politisch-konfliktäre Dimension von Fa­mi­lia­li­tät.

Aber ganz konkret. Was verbindet die scheinbar private Kategorie Familie mit den Großkategorien Nation, Volk, Tradition und Religion?

Es ist das Zusammenspiel von Exklusion und Selbstvergewisserung. Familia­lität konstituiert sich wie etwa Nation und Volk stets entgegen etwas3. Fa­mi­lia­li­tät existiert nicht aus sich selbst heraus. Fa­mi­lia­li­tät braucht das Andere als Grenzmarkierung und Fa­mi­lia­li­tät braucht die Selbstvergewisserung.

Die hier zugrunde liegende Annahme einer konstitutiven Verschachtelung von Medien im weiten Sinn (so ist etwa ein Kalender als Medium zu begreifen) und Kultur als Medienkultur (Siegfried J. Schmidt) kann nicht auf einen Ansatz hinauslaufen, der sich mit der Untersuchung verschiedener Aushandlungen »in den Medien« begnügt. Die Annahme einer Medienkultur führt zu neuen und anderen Erkenntnissen rund um Familienpolitik, indem konzeptionell vielfältige, bisher noch nicht gemeinsam betrachtete, auch untypische Medien syntagmatisch zusammengedacht werden.

Wenn ich unterschiedliche Medien syntagmatisch betrachte, dann bedeutet dies, dass disparate Medien nebeneinander, antihierarchisch und zusammengestellt4 betrachtet werden. Damit ist erstens gemeint, dass aus der Analyseperspektive Medien unter Stornierung ihres kulturellen Rufs schlichtweg funktio­nal als Medien betrachtet werden. Zweitens geht damit einher, dass im Hinblick auf die Objektebene Gemeinsames zwischen medialer Disparatheit herausgearbeitet wird. Hierbei lässt sich nun der medienkulturwissenschaftliche Rekurs auf Foucault besonders gut verdeutlichen. Im Rekurs auf Die Ordnung der Dinge führt Frietsch an, dass es Foucault um Gemeinsamkeiten zwischen Disparatem geht:

 

»Foucaults Analyse gilt den Zusammenhängen zwischen den unterschiedlichen Aussagen und Disziplinen, aber auch zwischen den Instrumenten, Techniken, Institutio­nen, Ereignissen, Ideologien und Interessen«5.

Frietsch vermerkt dann auch hierin die konzeptionelle Nähe zum späteren Dispositivbegriff6. So wie Foucault auf Zusammenhänge zwischen Unterschiedlichem – vereint im Dispositiv – referiert, so geht es mir um das medienkulturell Gemeinsame zwischen medialer Disparatheit7 – vereint in der Medienkultur.

Indem unterschiedliche Medien miteinander konfrontiert werden8, kann der häufig vorhandene synekdochische Zugang, bei dem ein Medienformat zum Kronzeugen und Repräsentanten aller Medien verlängert wird, umgangen werden. Dies ist von Bedeutung, weil aktuell besonders prekär immer wieder »die Medien« mit reduktivem und demokratiefeindlichem Populismus verbunden werden. Ich leugne nun eine Verbindung von bestimmten Medienformaten und Populismus, auch Rechtspopulismus, keineswegs9. Gerade daher erscheint eine Zusammenstellung disparater Medien nicht nur hilfreich, sondern sogar auch notwendig, um nicht reduktiv zu verfahren. Dies erweist sich nicht zuletzt mit Blick auf die mediale Präsenz Kulturschaffender als sinnvoll. Zahlreiche Künstler_innen10 kommunizieren nämlich fast ausschließlich über soziale Plattformen, wie beispielsweise YouTube, mit ihrem Publikum. Es ist nun leicht einsehbar, dass ein Verzicht auf die Zusammenstellung disparater Medien zu irrigen Schlussfolgerungen hinsichtlich Absenz oder Präsenz11 der jeweiligen Künstler_innen käme. Um eine einseitige mediale Fokussierung zu vermeiden, werden also disparate Medien auf der Objektebene zusammenzustellen sein. Jene (in Anschluss an Foucault) dispositive Zusammenstellung disparater Medien mündet dann in ein Medien-Potpourri gegenwärtiger Familienpolitik. Ein Potpourri ist ja zunächst einmal etwas Diverses, Vermischtes, Verschiedenes, kurz Allerlei12. Seit dem 18. Jahrhundert dient es als Bezeichnung für ein ›aus beliebten Melodien zusammengestelltes Musikstück‹. Dies leitet sich ab vom frz. pot-pourri, was so viel wie ›verfaulter Topf‹ bedeutet. Ein Pot-pourri ist also zunächst ein ›aus verschiedenen Fleisch- und Gemüsesorten zusammengekochtes Eintopfgericht‹13. Mein Medien-Potpourri gegenwärtiger Familienpolitik ist somit eine Zusammenstellung disparater Medien. Nicht verschwiegen werden soll, dass jene negative Konnotation, wie sie in der Metapher des ›verfaulten Topfes‹ anklingt, im vorliegenden Ansatz produktiv umzuwenden sein wird, indem nämlich davon ausgegangen wird, dass die latent negativ konnotierte Vermischung von Verschiedenem, also Hochkulturellem und teils durchaus läppischem Alltäglichem gerade neue und andere Erkenntnisse ermöglicht.

Ich gehe davon aus, dass eine wissenschaftliche Fokussierung auf jene vordergründig unbedeutenden, in die Alltagskommunikation eingeflochtenen familienpolitischen Arrangements wie etwa eine Messe-Topografie oder einen Kalender, und zwar als Medien betrachtet, einen bedeutenden Erkenntnisgewinn darstellt. Grundlage der vorliegenden Arbeit sind deshalb so disparate medienkulturelle Arrangements wie Literatur, Film, Dokumentation, (Zeitungs-)Artikel, TV-Serie, Flyer, Facebook-Kommentar, Schaufenster, Kalender, Nachrichtensendung, Theater und Wunschkarten. Erst eine solche mediale Vielfalt der wissenschaftlichen Objektebene ermöglicht es, die familiale Diversität in unserer gegenwärtigen Medienkultur aufzuspüren und nicht a priori – durch eine vorgängige Eingrenzung auf beispielsweise ›Familie in Spielfilmen‹ – zu domestizieren. Eine Zusammenstellung facettenreicher Medien, die Dichotomien (privat-öffentlich; faktisch-fiktional; Ernst-Unterhaltung u.a.) skeptisch begegnet, ist eingedenk gegenwärtiger familialer Vielfalt eo ipso gerechtfertigt.

Was aber ist die Gegenwart? Es lohnt sich an dieser Stelle die Bedeutungsdimensionen von Gegenwart näher zu bestimmen, weil eine intuitive, rein zeitliche Dimension zu kurz greift. Jahraus etwa hat vermutet: »Aber vielleicht ist die Gegenwart gar keine Zeit, sondern selbst das Gegenteil der Zeit«14. Krauthausen und Kammer arbeiten im Rückgriff auf das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm Bedeutungsdimensionen von Gegenwart heraus, die eingedenk der Dominanz der zeitlichen Bedeutung in unserer Gegenwartssprache geradezu erstaunlich sind15. Festgehalten wird eine Verbindung zwischen Gegenwart und Krise: »Sie [die Gegenwart, M.P.] ist als solche krisenaffin.«16 Pointiert formulieren sie: »In diesem Sinne ist gegenwart dann eine gerichtete Bewegung (auf bzw. gegen ›mich‹ zu), impliziert also ein Ereignispotential, das ›mich‹ involviert. Ein Synonym dieser gegenwart wäre: Krise.«17 Das Grammatisch-kritische Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart von Adelung fokussiert im Hinblick auf Gegenwart gerade auf den Aspekt der Wirkung: »Der Zustand, da man durch seine eigene Substanz ohne moralische Mittelursachen, ja ohne alle Werkzeuge an einem Orte wirken kann«18.

Gegenwart lässt sich demnach als eine ortsgebundene Krise auffassen, die weder einer fernen Vergangenheit noch einer fernen Zukunft zuzuordnen ist.

Gegenwärtige familienpolitische Manifestationen zeichnen sich also dadurch aus, dass sie am Ort wirken, sich dort einfinden, sich richtungsorientiert den Zeitgenoss_innen zuwenden und einen krisenhaften Vorfall evozieren. Wenn ich von unserer gegenwärtigen Medienkultur spreche, dann beziehe ich mich eher auf eine räumliche Ausdehnung (»in situ«) denn auf eine zeitliche. Die Fokussierung auf die Gegenwart wird hier vor allem dadurch bewirkt, dass der mediale Ort der Aushandlung, die »mediale […] Vergegenwärtigung«19, sukzessive wechselt, wirkt und so stets auf mich und die Rezipient_innen herausfordernd hinzukommt. Die Analyse »medialer Vergegenwärtigung« ermöglicht also, problemorientiert das »antagonistisch Entgegenkommende«20 von Fa­mi­lia­li­tät wie etwa die konflikthafte Auseinandersetzung mit Pränataldiagnostik aufzuspüren.

Es wird mannigfaltig und beispielorientiert gezeigt – und dies ist das Hauptanliegen der Arbeit – wie wichtig bei theoretischen und praktischen Aushandlungen rund um Fa­mi­lia­li­tät im Zeitalter medizintechnologischer Bedingungen die Berücksichtigung der medienkulturwissenschaftlichen Perspektive ist.

Fokussiert wird mit der Annahme medizintechnologischer Bedingungen auf die gesellschaftliche Präsenz eines breiten Spektrums von Verfahrens- und Argumentationsmodi, die sich stets wechselseitig konturieren und bedingen. Jene medizintechnologischen Bedingungen werden aufgrund der thematischen Einschränkung schlichtweg als familientechnologische bezeichnet. Dabei geht es mir bei jenen familientechnologischen Bedingungen gerade nicht um die konkrete Einordnung und Explikation von spezifischen Verfahren als Mittel der künstlichen Befruchtung (beispielsweise In-vitro-Fertilisation) oder als Vorsorge-Technik. Die in dieser Arbeit beobachteten familientechnologischen Bedingungen, verstanden als Verfahrens- und Argumentationsmodi, bilden ein diskursives Mosaik, in welchem so verschiedene Signifikanten wie etwa Leihmütter, Samenspender, Pränataldiagnostik, Regenbogenfamilien, biologische Mütter, Perfektion, Machbarkeit und Monitoring existieren.

Der kritische und problemorientierte Impetus der vorliegenden Arbeit führt dazu, dass das Analysieren gegenwärtiger familienpolitischer Manifestationen seinerseits gleichsam zum Manifest werden kann. Dennoch: Niemals geht es um Kritik an einzelnen Protagonist_innen. Pro­ble­ma­tisiert wird hier nur das diskursive Feld (in Anlehnung an Foucault und Butler). Der kritische Impetus soll im Aufmerken auf das stets miteingeschriebene Pro­ble­ma­tische, in der Haltung des stets wachsamen Misstrauens Toleranz und Demokratie durchspielen. Dieses Vorgehen lässt entglättend Mehrdeutigkeit zu. Mit dieser Strategie kann an Butler angeknüpft werden, die in kritischer und problemorientierter Haltung ambivalentes, differenziertes, plurales, womöglich uneindeutiges und komplexes Mitdenken des stets Anderen im Kontext von Feminismus und Reproduktionstechnologien präferiert:

»Feministinnen, die die Reproduktionstechnologien kritisieren, weil sie letztlich den mütterlichen Körper durch einen patriarchalen Apparat ersetzen, müssen sich gleichwohl mit der erweiterten Autonomie auseinandersetzen, die diese Technologien für Frauen gebracht haben. Feministinnen, die solche Technologien wegen der damit eröffneten Optionen begrüßen, müssen trotz allem mit den Nutzungsweisen klarkommen, zu denen sich diese Technologien gebrauchen lassen, Nutzungen, welche durchaus die kalkulierte Perfektionierung des Menschen oder die vorgeburtliche Selektion nach Geschlecht und Rasse beinhalten können.«21

Das Gefahrenpotenzial der Reproduktionstechnologien und die durch diese eröffneten Möglichkeiten sollen demnach gleichzeitig in den jeweiligen Betrachtungskontext inkludiert werden.

Die zentrale Frage der vorliegenden Arbeit lautet daher antipräskriptiv: Welcherlei Familienpolitiken manifestieren sich in unserer gegenwärtigen Medienkultur?

Zur Beantwortung dieser Leitfrage werden in den einzelnen Kapiteln (3, 4, 5) jeweils Teilfragen diskutiert. Die argumentative Bewegung entfaltet sich insgesamt vom allgemein Diskursiven über ein spezielles Diskursphänomen hin zum konkreten Exemplum. Folgende Teilfragen können formuliert werden:

Wie lassen sich die konflikthaft-pro­ble­ma­tisierten diskursiven Elemente in einem als familientechnologisch zu definierenden Zeitalter und Möglichkeitsraum über reine Deskription hinausgehend inhaltlich bestimmen und einordnen (Kapitel 3)?

Wie arrangieren disparate Medien in unserer Medienkultur die wissenschaftlich bereits intensiv thematisierte Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit bei aktuellen Fragen rund um Familie (Kapitel 4)?

Welche Konfliktfelder und Konfliktkontexte werden medienkulturell im Zusammenhang mit Familienbildung und Familienzusammensetzung angeboten (Kapitel 5)?

Wenn es um Manifestationen von Fa­mi­lia­li­tät geht, die in unserer gegenwärtigen Medienkultur, also im Zusammenhang mit einer als grundlegend anzunehmenden Verschränkung von Kultur (Lebenspraxis) und Medien (in ihrer ganzen Disparatheit) zu beobachten sind, dann ist es heuristisch erforderlich, antipräskriptiv von jenen vielgestaltigen Observanzen auszugehen. Diese Observanzen erhalten ihren Status als Observanzen von Gewicht (in Abwandlung zu Butlers Monografie Körper von Gewicht22) dadurch, dass sie einen Familienbezug aufweisen. Ich gehe davon aus, dass der familienpolitischen Vielfalt nur durch Beachtung diverser medienkultureller Arrangements wissenschaftlich begegnet werden kann.

Noch einmal pointiert: Die Disparatheit der Familienbeispiele ist eine gewollte Strategie, um der gelebten familialen Mannigfaltigkeit gerecht werden zu können. Den berechtigten Einwänden im Hinblick auf die facettenreiche Objektebene, wonach das beispielorientierte Potpourri mich einholt, der rote Faden womöglich fehlt, oder (ich habe diese Kritik mehrfach gehört) infolgedessen die Objektebene unmöglich gezähmt, eingeordnet, ja sogar bestimmt werden kann, entgegne ich damit, dass Fa­mi­lia­li­tät nicht einzuholen ist. Aus dieser Uneinholbarkeit von Fa­mi­lia­li­tät resultiert die intendierte Offenheit der Objektebene. Daneben soll darauf verwiesen werden, dass die vereinbarte Nichtunterscheidung oder die Gleichberechtigung mannigfaltiger Medien eben durchaus diskursanalytisch ist.

Die Arbeit zeichnet sich also durch eine mediensyntagmatische Herangehensweise aus, indem disparate Medien nebeneinander stehen. Durch eine antiprä­skriptive, zum Teil anekdotische Fokussierung auf familienpolitische Aushandlungen sind neue und andere Erkenntnisse rund um Fa­mi­lia­li­tät möglich. Observanzen von Gewicht generieren sich nicht durch ihren Status im Diskurs, der ihnen eine Einordnung als etwa fiktional oder lesenswert einräumt. Observanzen erhalten Gewicht, indem sie unterschiedliche Facetten gegenwärtiger Familienpolitik illustrieren.

 

Bevor die Gliederung und die zentralen Thesen der Arbeit am Ende dieses Kapitels zusammenfassend erläutert werden, erfolgen ein anekdotischer Einstieg und eine begriffliche Erfassung unserer »Medienkultur«.

Mit Franziska Frei Gerlach kann von einer initiierenden Funktion von Intuitionen ausgegangen werden:

»Intuitionen tragen das Stigma der Unwissenschaftlichkeit und werden darum wohlweislich in der Argumentation verschwiegen, nichtsdestotrotz bezeichnen sie meist den Beginn des Nachdenkens.«23

Der Beginn des Nachdenkens ist im Folgenden völlig intentional an Impressionen in situ mit dem Ziel gebunden, auch subtile und unscheinbare Familienbezüge zu illustrieren. Im Anschluss daran wird die Synchronizität von Media­lität und Fa­mi­lia­li­tät, von Medien und Familienpraxis exemplifiziert, wobei ausgeführt wird, was es bedeutet, in einer »Medienkultur« zu leben. Jene medienkulturelle Ausrichtung ist dabei hinreichend und notwendig an einen näher zu charakterisierenden Medienbegriff gebunden, der Erkenntnis ermöglicht. Nach einer modellhaften Verdeutlichung und Explikation zentraler Begriffe der Fragestellung (Familienpolitik, Manifestation, Medienkultur) können die daran anknüpfenden disparaten Observanzen von Gewicht herangezogen werden, um den Diskussionsbedarf bei Fragen rund um Familialiät zu verdeutlichen.

Der Mehrwert des nun folgenden anekdotischen Einstiegs besteht darin, dass familiale Gewöhnlichkeit hinterfragt wird. Das erste Beispiel zeigt anschaulich und praxisbezogen geschlechterstereotype Zuschreibungen im Kontext der Geburt eines Babys. Das zweite Beispiel dokumentiert erstens Fa­mi­lia­li­tät als Herstellungsprozess (»Doing Family«24) und zweitens die selbstvergewissernde, autokonstitutive Sichtbarmachung von Familie (»Displaying Family«25).

In meinem Bekanntenkreis kommt ein Baby zur Welt. Der Vater informiert mich, nachdem ich wider besseren Wissens das ›Geschlecht‹ des Kindes erfragt habe: »Es ist ein Junge, und deshalb werden wir nun die Hausratsversicherung erhöhen«. Ich möchte nicht leugnen, dass es sich bei diesem ulkigen Beispiel, in dem Geschlechtlichkeit hochgradig stereotyp codiert ist, um eine ganz gewöhnliche nichtwissenschaftliche Alltagskommunikation handelt. Dabei handelt es sich jedoch insofern um eine Observanz von Gewicht, als deutlich zum Vorschein kommt, wie die Ankunft eines Jungen, wie Fa­mi­lia­li­tät ab ovo in kulturelle Zuschreibungen eingebettet ist.

Unlängst erhalte ich (nicht im Hinblick auf mein Dissertationsprojekt, rein zufällig) eine vermutlich mit dem Smartphone getätigte Aufzeichnung, die eine Familienkomposition medial festhält, begleitet, ja gerade konstituiert: Die Mutter und ihre zweijährige Tochter sitzen am Esstisch und nehmen eine Mahlzeit zu sich. Da der Vater filmt, ist er auf der Aufzeichnung nicht zu sehen, aber zu hören. Fa­mi­lia­li­tät erscheint als medial-performativer Signifikationsprozess26.

Im Folgenden gebe ich den Dialog der Familie Müller [Namen geändert, M.P.] wieder, wobei zum Verständnis erforderliche Informationen in Klammern beigefügt und zentrale Elemente hervorgehoben sind:

»Vater: Wo ist die Melanie Müller?

Melanie [nach einem eher unverständlich singsanghaft-tonalem Gemurmel als Mischung aus dem Familiennamen und dem Vornamen sagt sie laut und durchaus selbst- und identitätsbezogen]: Melanie

Vater: Melanie und weiter?

Melanie [erneut]: Melanie

Vater: Müller!

Mutter: Und wie heißt der Papa?

Melanie: Auch Sven [Die erste Verwendung von Melanies auch erscheint aus einer Erwachsenenperspektive falsch, da kein Bezugssubjekt zuvor genannt worden ist. Melanies Kommunikation von einem referenzlosen auch ist aber insofern interessant, als wohl äußerst entschieden von einem allgemein-identitären Zusammenschluss ausgegangen wird, bei dem eben der Vater Sven auch dabei ist]

Mutter: Genau

Melanie: Müller Sven

Mutter: Genau. Müller Sven

Vater [zeitgleich zur Mutter]: Ja genau

Mutter [Melanie isst gerade Salami]: Und wie heißt die Salami?

Melanie: Auch Müller Sven [Mutter und Vater lachen]

Vater [wohl eine Kontamination aus Müller und Salami]: Müllernami

Vater: Wie heißt die Mama?

Melanie: Auch Müller

Mutter: Ja, genau

Mutter: Und wie heißt die Stefi?

Melanie: Auch Müller

Vater: Sehr gut! Mensch, toll!«

Das gerade zitierte alltägliche Beispiel ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Zum einen wird ersichtlich, dass unter bestimmten Bedingungen (zumindest der Bedingung des gemeinsam-einheitlich rhetorischen Bezugnehmens, des kommunikativen Gewahrseins der distinkten Existenz) sogar eine Salamischeibe in den Familienbund aufgenommen ist, und zwar in den Augen von Melanie ganz selbstverständlich (»Und wie heißt die Salami? Auch Müller Sven«). Dagegen erscheint die familiale Integration der Salami für die Eltern schon nicht mehr selbstverständlich – so zeigt es zumindest das Lachen an, das Distanz markiert27. Das von Melanie wiederholt verwendete Adverb »auch« drückt – initiiert durch die Eltern in einem freilich diskursiven Kontext – eine Form der Gleichheit, eine Zusammengehörigkeit, d.h. hier in Verbindung mit dem Nachnamen familiale Gemeinschaft aus. An diesem Beispiel wird ersichtlich, dass Familie hergestellt wird, und zwar mitunter bezeichnungspraktisch und konstitutiv medial. Es ist kein Zufall, dass die Familienkomposition medial begleitet wird; vielmehr konstituiert die Aufzeichnung Familie mit. Entsprechend konstatieren Theunert und Lange:

»Nur durch ein aufwändiges Zusammenspiel von Routinen und Gemeinsamkeit, Verlässlichkeit und Flexibilität lässt sich noch ein gemeinsames Familienleben etablieren. In diesem Rahmen nehmen die Medien vielfältige unterstützende, zum Teil – so unsere These – konstitutive Funktionen für das Doing Family in symbolischer und praktischer Hinsicht ein«28.

Der Terminus »Doing Family« rekurriert dabei auf »Familie als Herstellungsleistung«29. Die damit anskizzierte aktive und agitatorische, konstruktive Vorstellung von Familie »umfasst Prozesse, in denen in alltäglichen und biografischen Interaktionen Familie als sinnhaftes gemeinschaftliches Ganzes hergestellt wird.«30

In der vorliegenden Arbeit wird konzeptionell von einer »Medienkultur«31 ausgegangen – getreu dem berühmten Ausspruch Siegfried J. Schmidts: »Das Programm Kultur realisiert sich als Medienkultur, und man könnte fast hinzusetzen: und als nichts anderes.«32 So ist auch mit Scheffer erstens davon auszugehen, dass »hauptsächlich Medien […] zur Subjektbildung bei[tragen]«33 und zweitens zu betonen, dass »Realitätserfahrung […] überhaupt erst durch eine vorauslaufende mediale Bearbeitung erzeugt und ermöglicht [wird]«34, wobei der Terminus »›Media­lität‹ im Sinne von ›grundsätzlich vermittelt‹«35 zu gebrauchen ist. Auszugehen ist also von einer Synchronizität von Medien/Media­lität und Lebenspraxis.

Synchronizität von Media­lität und Fa­mi­lia­li­tät kommt beispielsweise in einem Artikel im Magazin der Süddeutschen Zeitung zum Ausdruck. Simultan zur Injektion von Samen in die Vagina bei einem assistiert reproduktiven Verfahren soll das Lied Eye Of The Tiger abgespielt werden:

»Die Spritze mit dem Spendersperma, das sterile Behandlungszimmer, die sachliche Ärztin – das war alles so unromantisch, so wenig feierlich. Darum hatte Kate Elazegui ein Lied mitgebracht. Als die Ärztin ansetzte, den Samen in Kates Vagina zu injizieren, gab sie ihr das vereinbarte Handzeichen, Kate drückte auf die ›Play‹-Taste, lehnte sich zurück und hörte: Eye Of The Tiger.«36

Besonders deutlich ist jene Synchronizität von Medien/Media­lität und Lebenspraxis mit familienpolitischem Bezug in einer Sequenz aus Die Pinguine aus Madagascar37 (Penguins of Madagascar, USA 2014, Regie: Eric Darnell und Simon J. Smith, DreamWorks Animation; DVD) inszeniert. Vor einigen Jahren – so gibt es der Animationsfilm vor – rollte ein einzelnes Pinguin-Ei, zuvor vom Schnee verdeckt in seltsam anmutender Reminiszenz an Social Freezing (Einfrieren von Eizellen), eine abschüssige eisige Landschaft in der Antarktis hinunter. Spuren, ja Lebensspuren im Schnee hinterlassend, atemberaubend schnell vorbei an der possentreibenden Pinguin-Karawane, darunter Skipper, Kowalski und Rico. Wie bei allen kulturell relevanten Ereignissen der Gegenwart ist auch innerhalb der filmischen Diegese ein Kamerateam synchron zu den Vorgängen anwesend (P 00:02:25).

Die diegetisch-sichtbare Synchronizität von Medien/Media­lität und Lebenspraxis reflektiert unser medienbezogenes Handeln in unserer Medienkultur. Michaela Ott geht diesbezüglich davon aus, dass »unübersichtliche Durchdringungsverhältnisse zwischen medialen Artikulationen und in sie verschlungenen menschlichen Handlungs- und Äußerungsweisen«38 bestehen.

Auf die (kindliche) Frage, ob das den Abhang hinabrollende Ei zurückgeholt werden solle, antwortet ein (erwachsener) Pinguin:

»Tut mit echt leid, Kleiner. Jedes Jahr verlieren wir ein paar Eier – so ist das eben in der Natur« (P 00:02:27).

Die (kindliche) Gegenrede lautet:

»Oh klar, die Natur. Das macht irgendwie Sinn, aber irgendwas irgendwas tief in meinem Innern sagt mir, dass das überhaupt keinen Sinn macht. Wisst ihr was: Ich lehne die Natur ab« (P 00:02:31).

Diegetisch folgt eine pinguineske Geburtshilfe: gefährlich, lebensgefährlich, aufregend, auf Eisbergs Schneide, emotional und medial angestoßen durch einen gewaltigen Stoß des Mikrofons vom Medienteam. Inszeniert wird eine performativ hergestellte Form von Familie, wobei die konventionelle duale und zweigeschlechtliche Elternschaft (Mutter-Vater, männlich-weiblich) unterlaufen wird. Der Startschuss der Geburt, das Zerbrechen der Schale und das Schlüpfen des Pinguin-Babys (Private genannt) ist künstlich (obschon durch ein Missgeschick) herbeigeführt. Ein unabsichtlicher Flügelschlag (nicht etwa eine Blasensprengung oder die Verabreichung bestimmter Hormone) initiiert das »Wunder der Geburt« (P 00:05:52) – nicht ohne Ironisierung romantisch-ästhetisierender Geburtsvorstellungen. Abgelehnt wurde die Natur: Aber was nun? Wo ist die Mutter, der Vater, die Familie? Wer ist die Mutter, der Vater, die Familie? Die Pinguine können sich wohl auf ein emotionales Band einigen, vermutlich eine Form der sozialen Elternschaft: