Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik

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Gegen eine Identifikation von Diskursanalyse und Beschreibung von Sagbarkeiten lässt sich Bührmanns These anführen, dass »Foucault Diskurse nicht rekonstruiert, sondern zuerst konstruiert«27. Hinsichtlich einer proto-medientheoretischen Perspektive bereits bei Foucault kann überdies in der Tat gesagt werden, dass künstlerische und literarische Manifestationen der jeweils interessierenden Epochen gerade einschneidende, markante, schwellenmarkierende Aufgaben übernehmen:

»Schon in Wahnsinn und Gesellschaft deutet sich […] an, dass Foucault dazu tendiert, Epochenschwellen über künstlerische und literarische Manifestationen einzuführen. Insofern übernimmt die Interpretation von Rameaus Neffe in Wahnsinn und Gesellschaft eine ähnliche Funktion wie die des Don Quijote oder des Werkes des Marquis de Sade in Die Ordnung der Dinge.«28

Wesentlich deutlicher als Foucault referiert Butler in Raster des Krieges29 auf mediale Sichtbarkeit und das heißt: auf Zeigbarkeit. Sie fokussiert auf »Bedingungen der Wahrnehmbarkeit«30, »die Begrenzung der Sphäre des Erscheinens«31, »Möglichkeitsbedingen des Sichtbarwerdens«32, »visuelle und diskursive Rahmen«33, (mediale) »Repräsentierbarkeit«34. Die Arbeiten von Butler und Foucault sind besonders gut medienkulturwissenschaftlich anwendbar, und Butler fokussiert dezidiert in Raster des Krieges auf mediales Zeigen/Nicht-Zeigen:

»Daher lässt sich das Feld der Repräsentierbarkeit nicht verstehen, indem wir einfach seine expliziten Inhalte untersuchen, denn es wird grundlegend gerade durch das Ausgesparte konstituiert, durch das, was außerhalb des Rahmens bleibt, innerhalb dessen Repräsentationen in Erscheinung treten. […] Den innerhalb des Rahmens gezeigten Geschehnissen und Handlungen geht eine aktive, wenn auch unbemerkte Abgrenzung des Feldes selbst und damit ganz bestimmter Inhalte und Perspektiven voraus, die nie in Erscheinung treten und die auch nicht gezeigt werden können.«35

Auf der anderen Seite muss jedoch auch hinzugefügt werden, dass doch Butlers Überlegungen in Raster des Krieges buchstäblich in die Form eines Essays36 und eben nicht in die Form einer reinen Diskursanalyse gebracht werden. Es lässt sich nicht behaupten, dass Medienkulturwissenschaft als Diskursanalyse und vice versa betrieben wird. Die Annahme einer Symmetrie zwischen den beiden Konzeptionen wäre ein theorielogischer Kurzschluss37. Damit geht einher, dass hier gelegentlich abschnittsweise ein je medienkulturwissenschaftlicher oder diskursanalytischer Fokus vorhanden ist. Zwar ist wohl Diskursanalyse in der Umsetzung nicht ausschließlich deskriptiv im Sinne einer reinen Feststellung von Sagbarem. Weiterhin werden selbstverständlich auch mediale Aspekte in einer Diskursanalyse aufgearbeitet. Gleichwohl verschiebt die medienkulturwissenschaftliche und mediensyntagmatische Perspektive die diskursanalytische Tendenz der beschreibenden Feststellung von Aussagegruppierungen38 zugunsten der Zusammenstellung von medial-performativen Zeigbarkeiten in der Medienkultur. Der Mehrwert der medienkulturwissenschaftlichen Perspektive im Methodendesign wird darin festgemacht, dass dezidiert neuere Medientheorien (Mann, Zierold, Krämer) und daran anschließende Potenziale verarbeitet werden. So geht es explizit darum, dass Medien wahrnehmbar machen39. Im Rekurs auf Mann ist darüber hinaus die selbstbedingende Passung der Medien, »nicht rein unauffällig (störungsfrei)«40 zu funktionieren, medienkulturwissenschaftlich anwendbar. Schließlich können in Anlehnung an die von Zierold konturierte Doppelrolle von Medien als erinnerungsbasierte Resultate und Formulierungen von Voraussetzungszusammenhängen41, die medienkulturell zeigbar sind, gesellschaftliche Konstitutiva ermittelt werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Arbeit sich zum Ziel setzt, in einer an Foucault und Butler angelehnten Diskursanalyse familienpolitische Manifestationen der Gegenwart in unserer Medienkultur herauszuarbeiten, wovon auch andere Disziplinen profitieren könnten, und zwar insofern, als die betrachteten vielfältigen medialen Arrangements »Kontroversen um Gesellschaftsentwürfe und Menschenbilder«42 durchspielen, herausheben und insbesondere wahrnehmbar machen43. Der Medizinethiker Johann S. Ach betont gerade die Notwendigkeit, über die Technologien (an sich) hinauszugehen und gesellschaftliche und anthropozentrische Konzeptionen zu berücksichtigen:

»Man versteht die – zum Teil sehr heftig ausgetragenen – bioethischen Kontroversen über Reproduktionsmedizin, Gentechnologie, Embryonenforschung etc. vermutlich erst dann richtig, wenn man erkennt, dass sie zugleich immer auch Kontroversen um Gesellschaftsentwürfe und Menschenbilder sind und letztlich um die zentrale Frage kreisen, welche Aspekte des Menschseins uns wirklich wichtig sind.«44

Gesellschaftliche und anthropozentrische Apriori sowie Grenzen werden besonders gut sichtbar, wenn Medienkulturwissenschaft und Diskursanalyse verbunden werden.

3. Manege frei: Zur gegenwärtigen Konstitution familientechnologischer Gesundheitsmelancholie

Das folgende Kapitel nimmt seinen Ausgang in der Dokumentation Der Traum vom perfekten Kind1 (Deutschland 2013, Autor/Regie: Dr. Patrick Hünerfeld, Südwestrundfunk; DVD), um beispielorientiert in den Diskurs um pränatale Untersuchungen einsteigen zu können. Wenn die Dokumentation als Ausgangsbasis thematisiert und analysiert wird, dann sind damit zwei Aspekte verbunden. Zum einen kann die Dokumentation hinsichtlich diskursiver Elemente untersucht werden, was sich insofern als besonders fruchtbar erweist, als sie gerade spannungsreiche Antagonien über unterschiedliche Perspektivierungen bietet. Zum anderen kann ihr Design selbst wiederum beleuchtet werden. Die Dokumentation fungiert demnach sowohl als Objektebene, die verschiedene diskursive Elemente integriert, als auch als Metaprodukt. Im Hinblick auf Der Traum vom perfekten Kind als diskursive Objektebene richtet sich die Frage auf die dargebotenen Elemente innerhalb eines Wirkungszusammenhangs. Ganz basal stelle ich mit Foucault folgende Frage:

»Welches sind die für eine gegebene ›Pro­ble­ma­tisierung‹ relevanten Elemente?«2

Dargeboten werden in der Dokumentation im Kontext der pränatalen Untersuchungen verschiedene diskursive Elemente. Kommuniziert werden Elemente, die den Wunsch nach einem gesunden Kind als natürliche elterngemeinschaftliche Universalie nahelegen (Unterkapitel 3.1). So lauten die Worte einer Mutter: »Ich wünsche mir natürlich wie alle Eltern auch ein gesundes Kind.« In der Artikulation einer elterngemeinschaftlichen Universalie innerhalb einer vordergründig individuierten Welt werden Konstanten ins natürlich-unbezweifelte Abseits hineingeschoben, die gerade aufgrund der universell-natürlichen Abseitigkeit unhintergehbar erscheinen. Die Annahme unhintergehbarer Universalien, hier etwa des gesunden Kindes, sollte strenggenommen eo ipso Bedenken entgegenwirken. Allerdings werden in den Argumentationssträngen werdender Eltern im Umfeld von Pränataldiagnostik diskursive Elemente sichtbar, die Bedenkenlosigkeit drastisch unterlaufen. Aus diesem Grund untersuche ich Argumentationsfiguren und Begründungszusammenhänge im Umfeld pränataler Diagnostik (Unterkapitel 3.2). Der in den Diskursen um Pränataldiagnostik durchwegs unreflektiert verwendete Begriff Ratsuchende wird dabei kritisch in einen religiösen Kontext gestellt, wobei die Diskrepanz zwischen Ideal und Ist-Zustand in Verbindung mit Schuld und Unsicherheit zu konturieren sein wird. Aufgrund der Persistenz von Unsicherheit werden konkrete Spielarten derselben aufgezeigt (Unterkapitel 3.3). Neben den Konfigurationen von Unsicherheit (gedimmt, punktuell-verschleiernd, konzessiv, adversativ) werden auch wissenschaftliche Stimmen eingeflochten, die auf die Existenz von Unsicherheit verweisen. Die pro­ble­ma­tische Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität im Umfeld von Fa­mi­lia­li­tät wird an zwei zusätzlichen, über die Dokumentation hinausgehenden medienkulturellen Beispielen (Zeitungsartikel und Werbung) expliziert. Beide referieren auf gegenwärtige medienkulturelle Ausformulierungen von Mutterschaft (und indirekt von Vaterschaft). Zwar zeichnen sich die Beispiele nicht durch eine Nähe zur Pränataldiagnostik aus; allerdings sind über die diskursiven Elemente Unsicherheit und Schuld durchaus Anschlussmöglichkeiten gegeben. Der Rekurs auf weitere Beispiele soll gewährleisten, dass facettenreich Manifestationen von Familienpolitik beleuchtet werden. Über Unsicherheit/Schuldgefühle sind eben mehrere Wirkungskreise verbunden. Bisher existieren zwar zahlreiche Klassifikationen des diskursiven Feldes, wobei das Wort Unsicherheit wohl dasjenige ist, welches am häufigsten zu lesen ist. Eine diskursorientiert-inhaltliche Einordung der Deskription Unsicherheit steht jedoch noch aus. Die Frage lautet deshalb: In welchem diskursiven Rahmen erweisen sich Unsicherheit und Schuld als wirkmächtig? Aufbauend auf Bruner und anderen Vertreter_innen der Disability Studies werden die Diskurselemente Unsicherheit, Schuld, Ich-Verarmung, Narzissmus und Schamlosigkeit zusammen betrachtet (Unterkapitel 3.4).

Unter Zuhilfenahme von Butlers Konzept der Geschlechtermelancholie wird die These entfaltet, dass wir in einer Medienkultur familientechnologischer Gesundheitsmelancholie leben. Im deutlichen Rekurs auf die Dokumentation Der Traum vom perfekten Kind und auch auf Butler kann Trauer als Mittel konturiert werden, das Gesundheitsmelancholie unterbrechen kann.

 

Neben Bewusstheit für Trauer soll aber auch ein anderer Weg, der progressiv Veränderung ermöglichen kann, ausgearbeitet werden: Lachen (Unterkapitel 3.5). Ein knapper Exkurs zur Krankenhausserie Scrubs – die Anfänger3 (Scrubs, USA 2001–2010, NBC, Buena Vista Home Entertainment und Touchstone Television; DVD) lädt dazu ein, über diskursive Ideale und Entwicklungen rund um Schwangerschaft und Geburt zu lachen, freilich im Modus des Toleranten. Ich zeige, wie in den betreffenden Sequenzen Lachen durch persiflierende Momente evoziert wird. Verlacht werden mindestens sechs Hintergrundfolien: Diskursive Echtheits- und Authentizitätsansprüche rund um Geburt – dargeboten ist nämlich gerade die Media­lität von Geburt (1). Tradiert-verklärende Vorstellungen von Geburt in artifiziellen Kontexten – inszeniert und herausgehoben ist dementsprechend die unromantisch-anstrengende und unangenehme Dimension der Geburt (2). Schamlose Veröffentlichung von intimen Angelegenheiten in einschlägigen Medienangeboten – fokussiert wird auch auf die mediale Persistenz intimer Rhetorik und Visualisierung (beispielsweise von Befruchtungsvorgängen oder Geburten) (3). Die Naturalisierung von Geschlechtlichkeit und politischer Gesinnung – exponiert wird nämlich der Herstellungscharakter (4). Schließlich erscheint allgemein unser Medizinsystem als Folie – welches in Scrubs facettenreich persifliert und dadurch sichtbar gemacht ist (5). Zuletzt wird auch omnipräsente Unsicherheit desavouiert – ausgestellt wird diese vielmehr als diskursives Produkt denn als objektives Gebot (6).

3.1 Kommunikation des Wunsches nach einem gesunden Kind als »natürliche« elterngemeinschaftliche Universalie

Die kritisch-problemorientierte Dokumentation Der Traum vom perfekten Kind konstatiert einen radikalen fortpflanzungsbezogenen Wandel, und zwar in situ. Traummetaphorik ist bekanntlich mehrdeutig. Der Traum kann als Wunsch, Ziel und teleologische Referenz verstanden werden, als Vision in enger Kopplung mit der Sorge, als Motor des Handelns, aber auch als Hirngespinst oder als traumatischer Alptraum. In der Dokumentation werden fünf Paare begleitet und interviewt. Ich spreche von den Paaren jeweils in der Chronologie der Dokumentation von Mutter 1, Mutter 2 und entsprechend Vater 1 etc. Die Entscheidung für schematisierende Rollenbezeichnungen ist unter anderem dadurch gerechtfertigt, dass sich auf diese Weise die Potenzialität diskursiver Praktiken leichter sichtbar machen lässt. Ferner sollen die Termini Mutter und Vater nicht auf real (bereits) gelebte Mutterschaft/Vaterschaft oder auf mütterliche/väterliche Bindung (was normativ und politisch wäre) zum Ungeborenen verweisen, vielmehr geht es um die diskursive Position als werdende Mutter und werdender Vater1. Die jeweiligen Äußerungen (dialektal und mündlich) werden in der Standardsprache wiedergegeben, einer möglichen Form der Verschriftung2. Hierbei ist zu berücksichtigen, »dass die Herstellung und die Verwendung von Transkripten theoriegeladene, konstruktive Prozesse sind.«3 Wenn ich nun also die Zitate standardsprachlich anpasse, dann zeigt sich darin auch die Zurechtlegung der Objektebene meiner Analyse. Prosodische Merkmale (Sprechpausen, Betonung etc.), parasprachliche Merkmale (Lachen, Seufzen etc.) sowie außersprachliche Merkmale (Gesten, Blickzuwendung etc.) – so klassifizieren es Kowal und O’Connell4 – sind sicherlich wichtige Momente in einem Gespräch. Zudem sollen dialektale Färbungen durch die standardsprachliche Umformung keineswegs herabgesetzt werden. Wenn ich mich dennoch für eine Wiedergabe in Standardsprache entscheide, dann weil sich dies meines Erachtens am besten mit dem diskursanalytischen Theoriedesign verträgt. Innerhalb eines diskurs­analytischen Rahmens kann es nicht um psychologische, oder gar tiefenhermeneutische Bedeutungsdimensionen beispielsweise einer Pause gehen, womöglich einer Pause, die zwei Sekunden und nicht vier Sekunden dauert oder um dialektal-individuelle Äußerungen. Dennoch behalte ich es mir aber vor, gelegentlich parasprachliche Merkmale zu erwähnen.

Der Voice-Over-Erzähler (Patrick Blank) der Dokumentation fungiert als narratives Bindeglied und kritischer Kommentator. Außerdem kommen Expert_innen wie Humangenetiker_innen und Medizinethiker_innen zu Wort. Explikativ-bildhafte Einschübe visualisieren plastisch die unsichtbaren Vorgänge im Körper. Die nun folgende Analyse wendet sich nicht gegen Pränataldiagnostik an sich, nicht gegen etwaige persönliche Entscheidungen, auch nicht gegen »Optimale Förderung als Gebot«5. Vielmehr wird der gegenwärtige Raum, das diskursive Feld kritisch beleuchtet. Es geht im Anschluss keinesfalls um eine Kritik an den Argumentationsfiguren der jeweiligen Eltern, auch nicht an denjenigen der Expert_innen. Vielmehr sollen diese als diskursive Praktiken betrachtet werden. Menschliche Handlungen sind stets eingelassen in nicht immer bekannte Relationen:

»In der Summe erscheint der Anthropos heute als eine durch vielfältige Andere besessene, verwaltete und mitkonstituierte Größe, deren Mitläuferperspektive sich in teils unbekannte bio- und sozio(techno)logische Dispositive verschiedener Größenordnungen eingelassen erkennen muss.«6

Die Exposition der Dokumentation, die auch spätere Sequenzen ohne spezifische Situierung antizipiert, führt zunächst kommentarlos-visuell in medias res in die Thematik um Babys und Fa­mi­lia­li­tät ein. In schleppender Schnittfolge sind verschiedene Babys in anmutiger Atmosphäre von der Kamera fokussiert. Der Raum, in dem sich die Babys befinden, wird nicht gezeigt. Die Babys als solche sind de facto im Mittelpunkt. Die ersten verbalen Äußerungen (Mutter 1, Mutter 2 und Expertin) werden von der Erzählerstimme gerahmt.

Mutter 1 (in der Exposition wird niemand namentlich eingeführt, eine Repräsentanzstrategie, die in ihrer Verallgemeinerung kulturelle Symbolkraft suggeriert) verbalisiert ihren natürlichen Wunsch nach einem gesunden Kind:

»Wir hoffen natürlich auf ein gesundes Kind«7 (T 00:00:12).

Kulturelle und diskursive Repräsentativität dieser Äußerung kann auch deshalb angenommen werden, da ich einen ähnlichen Satz andernorts gelesen habe:

»Man hofft natürlich auf ein gesundes Baby mit 46 Chromosomen.«8

Mutter 2 kategorisiert die etablierte Kommunikation über ein mögliches Vorliegen eines positiven Testergebnisses (demnach einer Krankheit) als vollends natürlich:

»Wir haben natürlich darüber geredet, was wir machen würden, aber ich weiß nicht, ob ich es abgetrieben hätte«9 (T 00:00:15).

Eine Expertin (als solche erkennbar durch den weißen Kittel und die medizinische Gerätschaft) rekurriert auf die Ereignishaftigkeit einer Schwangerschaft und die gewiss vorhandene Beispiellosigkeit (T 00:00:20).

Die drei anschließenden Statements des Erzählers (»Sehnsucht nach Sicherheit«; »jede Menge Untersuchungen«; »und jetzt die Revolution«) werden korrelativ bebildert. Die »Sehnsucht nach Sicherheit« (T 00:00:28) wird mit einem dicken Babybauch parallelisiert. Die zahlreichen Untersuchungen (»jede Menge Untersuchungen« (T 00:00:30)) werden durch ein Ultraschallgerät visualisiert. Den thematisierten temporalen Einschnitt, den revolutionären Bruch (»und jetzt die Revolution« (T 00:00:32)) in der Pränataldiagnostik drücken zwei kontrastive Bilder gemäß der Logik eines »Damals« und »Jetzt« aus: Zu Ende sind die Zeiten der Fruchtwasseruntersuchung, jetzt gibt es den »Gen-Check des Ungeborenen aus dem Blut der Mutter« (T 00:00:34). In den darauffolgenden Sequenzen wird ein neues Zeitalter proklamiert (T 00:00:37) und die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Wissens (»Wissen-Dürfen«) gestellt (»Ist eigentlich die Schwangere berechtigt, das ganze Wissen um Veränderungen im Erbgut ihres Kindes wirklich wissen zu dürfen?« (T 00:00:44)). Im Anschluss daran wird das Entsetzen über die drohende »Ausrottung« solcher Menschen, die den natürlichen Gesundheitsnormen nicht entsprechen, zum Ausdruck gebracht (»Das gab es in der ganzen Menschheitsgeschichte nicht, dass einfach eine Art Mensch – wenn man so will – ausgerottet wurde« (T 00:00:52)).

Bereits der Anfang der Dokumentation zeichnet die Komplexität des Themas Pränataldiagnostik durch die perspektivische Vielfalt nach. Das letzte Wort innerhalb der Exposition hat der Erzähler aus dem Off, der eine rhetorische Frage nach dem Ausschluss von Krankheit durch die Technologien stellt: »Nur noch gesunde Kinder dank der neuen Technologie?« (T 00:01:01) und einen fulminanten Umbruch festhält (T 00:01:04).Worin besteht aber nun dieser Umbruch?

Mutter 1 und Mutter 2 zitieren (wohl unbewusst) in ihren ersten Äußerungen ein Natürlichkeitsparadigma an, in dem natürlich durch selbstverständlich ersetzt werden kann. Es ist glasklar, unhinterfragt, normal, gang und gäbe, auf ein gesundes Kind zu hoffen oder über Eventualitäten, über konjunktivische Modalitäten mit Bezug auf Gesundheit zu reden. Es ist kein Zufall, dass beide Mütter ihre Gedanken in eine natürliche Spur legen, die in ihrer normativen Qualität unsichtbar ist, da sie unhinterfragt, eben natürlich, selbstverständlich, unhintergehbar und stimmig erscheint. Stimmigkeit korrespondiert dabei mit Normalität, wobei Letztere wiederum in ihrer Selbstverständlichkeit als blinder Fleck unhinterfragt funktioniert:

»Akzeptierte Aussagen, die zu Erwartungen (Strukturen) kondensiert werden können, führen ihre Wahrheitsqualität als Stimmigkeit mit sich, das heißt, sie passen in das Ensemble von Erfahrungen, die Aktanten mit diesen Aussagen in ihren bisherigen Geschichten&Diskursen gemacht haben. Diese Stimmigkeit resultiert aus der Vereinbarkeit mit den im Wirklichkeitsmodell und Kulturprogramm konstituierten Normalitätsstandards, die wie ein System blinder Flecken das Selbstverständlichkeitsprofil des Wissens einer Gesellschaft konstituieren – sozial verbindlich und unabhängig von einzelnen Aktanten.«10

Bei aller Pluralität der Vorstellungen rund um Schwangerschaft ist der Wunsch nach Gesundheit, also derjenigen Gesundheit, die über basales Wohlergehen hinausgeht und nicht selten mit Perfektion (so suggeriert es der Titel Der Traum vom perfekten Kind) verwechselt wird, als die gesamte Elternschaft einendes Moment artikuliert. In Differenz zu bekannten Narrationen, in denen von Eigenem mit stolz abgrenzender Exklusivität berichtet wird, etwa: »Wir (als Familie) haben bewusst keinen Fernseher«; »Bei uns wird immer um acht gemeinsam gegessen«; »Unsere Tochter konnte schon mit zwei Jahren alleine spielen«, erscheint hier eine Artikulation als elterngemeinschaftliche Universalie konstruiert, wobei die Konstruktion im Natürlichkeitsparadigma unsichtbar gemacht ist.

Hille Haker profiliert in Hauptsache gesund? den verständlichen Wunsch nach Gesundheit als Sorge für und um ein Kind, relativiert jedoch gleichermaßen diese Verständlichkeit:

»Es ist der verständlichste Wunsch, den Eltern überhaupt haben können: dass ihr Kind gesund auf die Welt kommen und gesund bleiben möge. Der Wunsch drückt die Sorge aus, die die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern prägt, sind sie es doch, die für einen langen Zeitraum für das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Kinder Verantwortung tragen. Eltern wissen, dass es keine Garantie für die Gesundheit ihrer Kinder gibt. Elternschaft bedeutet daher nicht nur die aktive Sorge für ein Kind, sondern eben auch die Sorge um ein Kind. Dies drückt sich in dem immer wieder zu hörenden Satz schwangerer Frauen aus: Hauptsache, es ist gesund!«11

Die relationale Bewegung ist in einer Art Beziehungshaftigkeit, die den Wert der Gesundheit anders betrachten lässt, begründet:

»Hauptsache gesund – dieser Satz stimmt nicht immer. Wenn erst einmal eine Beziehung zu einem Menschen besteht, dann tritt unter Umständen der Wert der Gesundheit hinter dem Wert dieser Beziehung zurück. Dann sagen Eltern womöglich: ›Wir schaffen das schon irgendwie.‹ Dies ist ebenfalls ein sorgenvoller Satz, und er zeugt neben dem Selbstvertrauen auch von Ungewissheit und Unsicherheit – ganz gleich, ob er nun mit Blick auf die Belastungen der Paarbeziehung, im Kontext einer reproduktionsmedizinischen Unfruchtbarkeitsbehandlung gesagt wird, oder ob es um die Entscheidung geht, eine Schwangerschaft nach Feststellung eines Krankheitsbefunds fortzusetzen.«12

Auffällig ist, dass auch im Paradigma der Beziehungshaftigkeit Unsicherheit und Ungewissheit vorhanden ist.

Mutter 1 konturiert aus einer eindeutigen Positionalität heraus:

»Ich wünsche mir natürlich wie alle Eltern auch ein gesundes Kind. Ich habe ja zwei fantastische gesunde Kinder und hoffe, dass es so gut geht wie die zwei Male zuvor« (T 00:02:12).

 

In Anbetracht der Äußerungen des natürlichen Wunsches, gesunde Kinder zu bekommen und zu haben, ist entscheidend, dass der situative Kontext der betreffenden Paare bisher noch nicht relevant erscheint (insofern er nicht einbezogen wird), wodurch die Annahme eines diskursiven natürlichen Wunsches nach Gesundheit als artikuliert-konstruierter elterngemeinschaftlicher Universalie untermauert wird. Erwähnung und Beachtung als kommunikative Artikulation findet das Paradigma der Natürlichkeit des Wunsches nach Gesundheit unabhängig von der jeweiligen Entscheidung, technologische Maßnahmen in Anspruch zu nehmen.

Warum aber ist es natürlich, Gesundheit (eingedenk des Titels der Dokumentation wohl auch Perfektion) als elterngemeinschaftliche Universalie zu artikulieren?

Spezifisch mit Butler orientiert sich die Frageperspektive auf den implementierten Nutzen allgemein angenommener Grundlegungen:

»Welche Art von Garantie vermittelt die Fixierung von Grundlagen und welche Art Schrecken verhindert sie?«13

Das Statement »Sehnsucht nach Sicherheit« könnte eine erste vorläufige Antwort sein, obschon damit noch nicht geklärt ist, wodurch die Sehnsucht motiviert ist und weshalb sie als einende Universalie (»Ich wünsche mir natürlich wie alle Eltern auch [Hervorhebung M.P.] ein gesundes Kind.«) artikuliert wird. Die Universalität ist dreifach abgesichert durch die Kommunikation einer Natürlichkeit als selbstverständlicher Normalität, durch einen Vergleichstopos (wie) und die Annahme einer Korrespondenz mit allen Eltern (auch). In der Artikulation einer elterngemeinschaftlichen Universalie innerhalb einer vordergründig individuierten Welt werden in einem natürlich-unbezweifelten Abseits Konstanten festgelegt, die aufgrund solcher universell-natürlicher Abseitigkeit unhintergehbar erscheinen. Durch Abseitigkeit wird etwas zum Fakt. Eine Logik, die Butler hinsichtlich der Konstruktion von Vordiskursivem nachgezeichnet hat:

»Die Geschlechtsidentität umfaßt auch jene diskursiven/kulturellen Mittel, durch die eine ›geschlechtliche Natur‹ oder ein ›natürliches Geschlecht‹ als ›vordiskursiv‹, d.h. als der Kultur vorgelagert oder als politisch neutrale Oberfläche, auf der sich die Kultur einschreibt, hergestellt und etabliert wird.«14

Die verschiedenen Konstanten, die hergestellt und etabliert wurden, erscheinen im Modus des Neutralen.

Festgehalten werden kann also, dass die Kommunikation eines natürlichen Wunsches nach einem gesunden Kind ein pro­ble­ma­tisiertes, also virulent thematisiertes diskursives Element ist. Diesen Umstand – im Gewand einer Kommunikation nicht als einfach Vorhandenes – gilt es zu berücksichtigen. In Unterkapitel 3.4 soll dann erneut die Frage aufgegriffen werden, warum die Kommunikation eines natürlichen Wunsches nach einem gesunden Kind (respektive Perfektion) als elterngemeinschaftliche Universalie überhaupt manifest ist.

Universalität sollte strenggenommen zu bedenkenlosen und eindeutigen Standpunkten führen. Gleichsam werden aber diskursive Elemente dargeboten, die Eindeutigkeit im Umfeld von Technologien drastisch unterlaufen. Aus diesem Grund sollen im folgenden Abschnitt Argumentationsfiguren und Begründungszusammenhänge im Umfeld pränataler Diagnostik untersucht werden.

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