Parkinson - nie mehr allein!

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Parkinson - nie mehr allein!
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Dopamin
Parkinson - nie mehr allein!

(Dopamin – Das Buch, Band 2)

Sammelband

Beate, Bika, Campagnol, Canty, Christian, Claudia R., Click, Collectmoments, Dini, Ella, Emma, Gisela, Gisi, Gunnar, Klaus, Kornblume, Kotti, Lindi, Mario, May, Monika, P., R4-Pilot, Riwa, Stephanie, Stina, Susanne, Sybille, Sylvi, Tony, Uwe und Annette, Vergissmeinnicht

#teamdopamin

„You are not alone

I am here with you

Though we're far apart

You're always in my heart

You are not alone”

Du bist nicht allein,

ich bin hier bei dir,

obwohl wir weit voneinander entfernt sind,

bist du immer in meinem Herzen.

Du bist nicht allein.

M. Jackson

Referenzen

„Indem man seine eigene Geschichte aufschreibt, wird die Eigenverantwortung im Umgang mit der Erkrankung gestärkt. Chapeau an die "Macher" von Dopamin - Das Buch - Weiter so!“ Stephanie Heinze, Stiftungsbeauftragte & Geschäftsführerin, Hilde-Ulrichs-Stiftung für Parkinsonforschung

„Besonders für meine künstlerische Arbeit haben mich die persönlichen Geschichten inspiriert und ich bin dankbar für diese intimen Einblicke.“ Lena Klein, Vorstand projekt:tanz e.V. - Tanzen mit Parkinson

„Ich weiß, dass ich meinen Parkinson nicht besiegen kann. Ich weiß heute aber, wie ich trotzdem das Beste daraus mache, wenn ich mich nicht nur darauf konzentriere, was ich alles nicht mehr kann. Ich wünsche jedem, der dieses Buch liest etwas mehr Lebensqualität im Alltag mit Morbus Parkinson.“ Wilfried Scholl, JuPa-Bundes-beauftragter (dPV)

„Teil zwei des Dopamin – Buches gehört für mich zu den Selbsthilfe Bestsellern. Besonders erwähnenswert ist, dass die Autoren selbst an Parkinson erkrankt sind. Dieses Buch sollte jedem empfohlen werden, der mit Parkinson zu tun hat. Großartige Idee!“ Gisi Steinert, Vorsitzende, Selbsthilfegruppe JUPark Südhessen

„In "Dopamin - Das Buch" finden wir uns alle wieder und erfahren eindrucksvoll, wie andere in der gleichen Situation gehandelt, gefühlt und gedacht haben. Ein tolles Projekt, dem man nur weiterhin viel Erfolg wünschen kann!“ Peter Offermann, 2. Vorsitzender Jung und Parkinson. Die Selbsthilfe e.V.

Vorwort
Warum schreiben wir ein Buch?

Wir, die Autor*innen des zweiten Bandes von Dopamin - Das Buch, wollen uns öffnen, unserer Krankheit ein Gesicht verleihen, unsere Befindlichkeiten ausdrücken und uns mitteilen, sowohl untereinander als auch unseren Mitmenschen gegenüber.

Wir sortieren beim Schreiben unsere Gedanken, bringen Menschen unsere Krankheit näher als das ein Sachbuch könnte und finden uns auch in den Geschichten der anderen Autor*innen wieder.

Wir stellen fest: Wir sind nicht allein!

Wir sind Teil einer Gemeinschaft, der Parkinson Community und ebenso Teil unserer Gesellschaft. Das möchten wir bleiben, indem wir uns kreativ mit unserer Krankheit Morbus Parkinson auseinandersetzen, uns mitteilen und offen bleiben, uns verständlich machen.

Wir stärken uns gegenseitig und bleiben immer am Ball, auf jeden Fall, denn gemeinsames Schreiben macht es uns leichter, den Alltag mit unserem 'Stalker' Herrn Parkinson zu erleben.

Manchmal tanzend, lachend oder sogar fliegend, manchmal durch geteiltes Leid, das halb so schwer viel besser zu tragen ist. Und immer mit einer guten Portion Humor und dem Schalk im Nacken, wahlweise auch in den Augen. Das sind Wir!

Viel Spaß beim Lesen unserer bunten, vielfältigen Geschichten, so individuell und doch ähnlich!

Bika, Canty, Claudia R., Dini, Kornblume, Kotti sowie weitere 27 Autor*innen dieses Buches

Prolog
Gedanken zum Jahreswechsel

Kotti

Die Einkaufswagen sind überfüllt. Das wenigste, was darin zu sehen ist, sind die Dinge der Grundbedürfnisse.

Raketen, Kracher und Böller, oder wie auch immer sie alle heißen mögen.

Hunderte, tausende, nein eher zehntausende von Euro werden wieder in die Luft geblasen werden.

Für nichts und wieder nichts wird unsere Luft verpestet durch die schweflig riechenden Verbrennungsprodukte der explodierenden Freudenkundgebungen der Menschheit.

Wie unbedacht sind wir Menschen doch, wo wir doch so abhängig sind von unserer Umwelt; einer Umwelt, die für Wohl und Gesundheit von uns mitverantwortlich ist. Nun könnte man sagen, dass es da noch viele andere Dinge gibt, die für unsere schlechter werdenden Umweltbedingungen verantwortlich sind. Aber dieser einmal jährlich ausbrechende Wahnsinn an Freude, den wir mit ohrenbetäubendem Krachen, grellen Blitzen und bunt leuchtenden Explosionen feiern, ist sicherlich eine der unnötigsten Arten, unser eigenes Wohlergehen zu belasten.

Man wird sich wieder vorkommen, als sei ein Krieg ausgebrochen.

Welchen Krieg aber wird mein Parkinson zum Jahreswechsel mit mir ausfechten?

Werden meine Muskeln gelähmt durch Rigor und Krämpfe in Schmerzen explodieren?

Wird mein Tremor beim Halten einer Wunderkerze ein herrliches Feuerwerk erzeugen?

Was wird mir das Jahr 2018 noch bescheren, außer dem Beginn des Jahres Sechs, nach meiner neuen Zeitrechnung.

Diagnose Parkinson
An meiner Seite

Riwa

Es war im Jahr 2001, als ich von meinem Mann geschieden wurde und auch die Diagnose Parkinson erhielt. Mein rechter Arm schmerzte seit einiger Zeit im Ellenbogengelenk, das Schreiben ging öfter mal nicht so leicht und flüssig von der Hand, die Schrift wurde kleiner. Bewegungsübungen und Massagen brachten keine merkliche Verbesserung. Meine Hausärztin schickte mich zum Neurologen. Dieser konfrontierte mich gleich beim ersten Besuch mit der eventuellen Diagnose Parkinson. Ich habe mit niemandem darüber gesprochen, habe gewartet, bis alle möglichen Untersuchungen durchgeführt und die Diagnose bestätigt wurde. So, was jetzt? Bei uns in der Familie väterlicher und mütterlicherseits hat und hatte, soweit ich das erfragen konnte, niemand Parkinson.

Ich informierte mich im Internet und beim Parkinsonverband. Doch irgendwie fand ich da nirgends so meinen Platz, ich war ja erst 44 Jahre. Jetzt hatte ich wieder einen Begleiter, dabei wollte ich doch gar keinen. Ich wollte endlich mal frei sein und ich sein, mein Leben leben. Jetzt sollte ich wieder Rücksicht nehmen, mich nach dem Parkinson richten. Unangenehm auffallen wollte ich aber auch nicht. Also wird er, bzw. die Symptome, mit denen er sich bemerkbar machte, mit Tabletten unterbunden. Das ist viele Jahre gut gegangen. Immer wieder hegte ich auch Zweifel, ob die Diagnose überhaupt stimmte. Doch der Parkinson hat auch so seine Tricks, dass man ihn nicht vergisst.

Er schloss sich mit meinem Kopf und meinem Magen zusammen, wie oft hatte ich Kopfschmerzen und Migräne, morgendliche Übelkeit gehörte einige Jahre einfach zu meinem Leben dazu. Andere Menschen mussten mir sagen, dass ich zu viel mache. Also kürzte ich meine Arbeitszeit um die Hälfe, beantragte Erwerbsminderungsrente, die ich auch zur Hälfte bis heute beziehe.

Dazu nahm ich natürlich weiter Medikamente, die meinem Funktionieren-wollen angepasst wurden. Dann lernte ich einen Mann kennen, den wollte ich als Begleiter, eine große Liebe, dachte ich. Für ihn war ich eine unter vielen, eine Freundschaft plus, wie er es nannte. Dass das für mich nicht stimmig war, nahm ich zwar manchmal wahr, konnte aber meine Gefühle nicht steuern. Ich stand um fünf Uhr in der Früh auf, radelte zwölf Kilometer zu ihm, um zu schauen, ob eine andere bei ihm übernachtet hatte, radelte wieder nach Hause und war um sieben Uhr dreißig in der Arbeit. Es gab viele demütigende Situationen, denen ich mich hilflos ausgeliefert fühlte. Ich war nicht mehr ich, dachte an den Sprung von der Brücke. Dann las ich einen Artikel über Impulskontrollstörungen, darin in einem Nebensatz, dass sich diese auch als übermäßige Eifersucht zeigen können. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sprach mit meinem Neurologen über die Situation. Wir setzten die Agonisten ab, und ich sehe wieder klarer. Den Mann gibt es nicht mehr in meinem Leben, den Parkinson schon.

Im Moment nehme ich nur L-Dopa und in der Früh eine Tablette eines Agonisten und ein Antidepressivum. Parkinson kann auch Depressionen verursachen, Missbrauch und Zurückweisungen auch. Ich lerne immer wieder neu, meine Grenzen zu achten. Ich weiß auch, ich komme ihm nicht aus, diesem Parkinson. Irgendwie macht er sich immer bemerkbar. In der U-Bahn bekomme ich immer öfters einen Sitzplatz angeboten, jetzt nehme ich ihn meistens auch an. Manchmal sehe ich in den Gesichtern der Anderen die Frage: „Was ist denn mit der los?“ Sollte mir mal wirklich jemand die Frage stellen, würde ich antworten: „Da hat sich einer an meine Seite gestellt, der lässt mich mal zappeln, und mal gestattet er mir beinahe keine Bewegung. Ich mag ihn nicht, wollte ihn nicht, aber ich bekomme ihn auch nicht los. Also versuche ich ihn zu akzeptieren, meinen Begleiter, den Parkinson!“

Eine Achterbahnfahrt ist gar nichts dagegen

Collectmoments

Ich habe vor sehr kurzer Zeit Parkinson diagnostiziert bekommen. Der Neurologe meinte: „Nur keine Panik jetzt, das bekommen wir schon für die nächsten 20 Jahre hin.“ Der hat leicht reden. Hat mich dann erst mal losgeschickt.

Ich habe zwar etwas geahnt, dennoch war das ein Gefühl wie ein K.O. beim Boxkampf. Wobei ich weder mal geboxt habe und deshalb auch noch nicht K.O. gegangen bin. Vielleicht passt deshalb besser der Vergleich einer Karussellfahrt in einem atemberaubenden Tempo in schwindelnder Höhe, wo jeden Moment der Sicherungsbügel vom Sitz aufgehen kann. Oder doch besser eine Fahrt durch die Geisterbahn mit lauter grässlichen Gestalten.

 

Ich versuche, nicht immer darüber zu grübeln. Aber meine Gedanken machen sich einfach selbstständig. Blöd, dass es da keinen Schalter gibt – ein – aus – ein. Das wäre eine Wohltat. Die düsteren Gedanken schleichen sich einfach von hinten an. Das Niederschreiben der Zeilen hilft etwas. Macht es nicht leichter, aber ein klein bisschen erträglicher. Möchte nur nicht in Depressionen verfallen. Wobei die sicher irgendwie immer mal wieder über mich herfallen wie tausend Mücken an einem Tümpel. Macht es gut bis zum nächsten Mal.

Ein Kick der Veränderung

Christian

Seit Januar 2014 werde ich mit der Diagnose Parkinson konfrontiert. Die pharmagesteuerte Behandlung eines noch ruhig sitzenden Menschen konnte ich bis vor drei Wochen noch hinnehmen.

Alle Fragen und Recherchen brachten nicht wirklich neue Erkenntnisse. Bis meine große Tochter, sie arbeitet in der Charité, auch frustriert, mir zwei Dokumentationen 10 Milliarden und ‚what the health‘ an Herz legte.

Ein Kick der Veränderung.

Wer ein Problem lösen will, muss die Ursache kennen und beheben – die Bekämpfung der Symptome löst NIEMALS ein Problem!

Die Ernährung wurde umgehend auf Verzicht von tierischen Produkten umgestellt. Durch die Ernährungsumstellung hat sich in nur drei Wochen viel getan. Die Bewegungsfreiheit der rechten Seite wird schon deutlich besser, es gibt wieder sechs Stunden Schlaf am Stück, die Mittagsmüdigkeit ist komplett verschwunden und die Antriebslosigkeit hat sich in Schall und Rauch aufgelöst, zusätzlich nehme ich keine Medikamente mehr ein.

Ich bin gespannt auf jeden Morgen welche kleinen Fortschritte es heute gibt.

Der kleine James

Kotti

Es war einmal ein kleines, nicht sichtbares Etwas, welches sich selbst James nannte.

Trotz seiner Materielosigkeit war sein Dasein geplagt von Zittern, Steifigkeit und einer unsagbaren Langsamkeit. Jede Bewegung fiel ihm schwer und manchmal konnte er nur noch im Stillstand verharren. An ein ausgewogenes Schlafen war kaum zu denken. Die Gerüche, die ihn umgaben, waren kaum wahrzunehmen. Und so gab es noch viele andere Unannehmlichkeiten, die ihn den lieben langen Tag über plagten.

So vergingen viele Jahre der Beschwernis, bis der kleine James seiner Gestaltlosigkeit überdrüssig wurde.

Auf der Suche nach einer materiellen Hülle traf er auf mich, was mir anfänglich gar nicht auffallen wollte. Der kleine James wollte ja auch nicht sofort in aller Massivität auftreten und seinen neuen Wirt damit überfordern.

Schon lange war mein Schlafverhalten geprägt durch nicht einschlafen können, oder nächtliches Aufwachen. So lag ich gefühlt oft stundenlang wach im Bett oder habe das Schlafzimmer verlassen. Hierzu gesellte sich dann irgendwann ein schlechter Geruchssinn, so dass ich auf die Frage nach guten oder schlechte Gerüchen immer öfters passen musste. Dass es sich hier um die Folgen meines noch sehr kleinen Gastes handelte, konnte ich damals natürlich nicht absehen.

Mit seinem langsamen Heranwachsen stellten sich dann weitere Erscheinungen ein, die aber noch lange keine Alarmzeichen für mich ergaben. Das rechte Bein entwickelte die Tendenz zum Zittern und beim Laufen blieb ich ab und zu mit dem Fuß am Boden hängen, ohne jedoch jemals in Gefahr zu laufen, hinzufallen. Ganz lustig fand ich es immer, wenn nach sportlichen Aktivitäten meine Wadenmuskeln Zuckungen entwickelten.

Ob diverse schmerzhafte Probleme im rechten Hüftgelenk und rechten Schultergelenk auch Produkte des noch kleinen James waren, verbleibt spekulativ. Seinerzeit wurden diese als orthopädische Schadensfälle verbucht.

Gedanken machte mir eher der sich einstellende Zustand, dass ich in Stresssituationen unglaublich langsam war. So benötigte ich bei Alarmierungen meiner freiwilligen Feuerwehr zum Umziehen gefühlt dreimal so lange wie alle anderen. Aber aus heutiger Sicht betrachtet, ist dies nachvollziehbar, da war ja noch mein ungewollter kleiner Gast dabei, den ich mit anziehen musste.

Das Zittern im Bein veranlasste mich zwar zu einer Rückfrage beim Hausarzt, eine Überweisung seinerseits zum neurologischen Spezialisten wollte ich aber nicht wahrnehmen.

So verstrich die Zeit und James konnte ungestört weiter reifen. Sein nächster Kleinjungenstreich war das Zittern meiner rechten Hand. Jetzt war aber Schluss, verdrängen war nun nicht mehr angesagt. Lange überlegen musste ich nicht, wohin mit mir. So führte mich mein Weg direkt in die neurologische Abteilung eines großen Klinikums. Nach mehreren ambulanten Terminen mit diversen Untersuchungen wurde er entdeckt, der kleine James, der das Kindergartenalter schon überschritten hatte.

Konnte man dieses ungewollte Kind nicht wieder loswerden? Leider wurde mir durch fachlich qualifizierte Personen klargelegt, dass ich James wohl adoptieren müsse, da er mich nicht mehr verlassen würde. Er hat sich in meinem Hirn festgesetzt und dort in einer sogenannten schwarzen Substanz schon ordentliche Löcher hinterlassen. Jetzt fehlt es mir wohl an Dopamin, dem Schmierstoff für meine Bewegungskoordination. Somit hat der kleine James jetzt auch einen Nachnamen bekommen, er heißt Parkinson.

Und so begann nun erst richtig die Zeit meines Leidens, und vor allem der Frage, warum schleicht der sich ausgerechnet bei mir ein. Hat der vorher nicht in meinen Ausweis gesehen und festgestellt, dass ich doch noch zu jung für ihn bin? Wie soll das weiter gehen, wo doch noch so viele Arbeitsjahre vor mir liegen und eine Familie, die nach Sicherheit verlangt, an meiner Seite ist?

Bei einem Computer würde man bei so bösartigen Störfällen den Reset auslösen oder einen Virenscanner starten, und wenn alles nichts hilft, einfach neu installieren. Aber dies hilft mir alles nichts, ich existiere aus Fleisch, Blut und Bewusstsein, und nicht aus Dioden, Strom und Bit & Bytes.

Also wurde ein Plan erarbeitet, wie ich James zu füttern habe. Wenn es gelingt, eine ausgewogene Mischung und Menge an Futter zu finden, könnte ich noch viele Jahre unbeschwert Seite an Seite mit James mein Leben gestalten.

Leider wuchsen meine Probleme mit zunehmender Fütterung. Wenn ich bisher der Meinung war, schlecht geschlafen zu haben, dann wurde ich nun eines besseren belehrt. Oft war nicht an mehr als zwei Stunden Schlaf zu denken. Diese wenigen Stunden erlaubte mir James oft nur auf dem Sofa, so dass ich mein Bett gar nicht zu Gesicht bekam. Viel Zeit also, um sich Gedanken zu machen, wohin das mal alles führen wird. Der kleine James begann an meiner Psyche zu kratzen.

Mein Leistungsvermögen brach immer mehr ein, zumal ich bei allem, was ich tat, in der Angst lebte, dabei einzuschlafen. Selbst beim Autofahren ergaben sich sehr kritische Situationen, so dass ich dies immer mehr einschränken musste. Das Vertrauen in mich selbst, noch etwas leisten zu können, sank immer mehr, was mir mein Arbeitsleben zum Horror machte. Mein Hobby, die Feuerwehr, hatte James mir schon, nachdem er sich mir gegenüber geoutet hatte, genommen. Was wenn er mir nun noch die Arbeit nahm?

Wo war da „das noch jahrelange unbeschwerte Leben, bei guter Fütterung“ geblieben? Warum gab James keine Ruhe, er bekam doch seine Nährstoffe? Ich wollte ihn einfach nicht, meinen ungebetenen Gast.

Aber meine Meinung zählte da nicht, er wuchs noch mehr heran. Als nächstes machte er sich an meinem Laufen zu schaffen. Ich wurde immer langsamer und die Strecken, die ich zurücklegen konnte, minimierten sich. Wenn ich mich so beobachte und daran zurückdachte, dass ich vor nicht ganz fünf Jahren noch einen Halbmarathon geschafft habe …

Wie weit wollte es James noch mit mir treiben?

Natürlich sollte das nicht alles sein. Er begann nun mit Verspannungen zu arbeiten, welche besonders den rechten Schulterbereich betrafen. Aber auch andere Muskelpartien fühlten sich oft an, als hätte ich Muskelkater und das ganz ohne Aufwand für mich, ich musste dazu keinen Sport machen. Zur Abwechslung durften dann auch ab und zu die Füße oder Waden krampfen.

Aber er schenkte mir auch nicht materielle Erscheinungen, wie das Gefühl eines permanenten Kribbelns im Kopf, eine ausgeprägte Schreckhaftigkeit und oft das Gefühl, als würde sich von hinten ein Schatten an mir vorbei schieben.

Und all das führte für mich zu weiteren ungeklärten Fragen. Was von alledem kommt von James und was kommt von dem Futter, das ich ihm zuführe? Bin ich selbst schon total durchgeknallt?

Je mehr James heranwuchs und die für mich nicht zu klärenden Fragen mehr wurden, stieg auch meine psychische Belastung. Bei der Arbeit war ich gefühlt mehr krankgeschrieben als anwesend. Wenn ich arbeiten war, ließ meine Produktivität zu wünschen übrig.

All dies und auch die Tatsache, dass meine Frau aufgrund schwerer Erkrankung auf dem Weg war, nur noch im Rollstuhl leben zu können, brachten bei mir wohl das Fass zum überlaufen.

So gab es dann nur noch den Weg in eine Einrichtung, welche das geistige und psychische Wohlergehen fördern sollte.

Aller dortigen Bemühung zum Trotz war mein Geist noch immer nicht reif, zu akzeptieren, was da mit mir geschah. So kam ich zu der Überzeugung, dies alles könne nur ein böser Traum sein und das Futter von James mir eher schadet, da hier die Ursache meiner Schlaflosigkeit und meiner Ängste lag. Außerdem kann das ja gar nicht stimmen, dass sich ausgerechnet bei mir ein so heimtückischer, nicht greifbarer Untermieter eingenistet hat.

Ich werde es der Welt schon zeigen, meinem Neurologen, den Psychotherapeuten und meiner Familie, ich kann dem allem die Stirn bieten. In der Konsequenz dieser These wurde dem kleinen James die Nahrung entzogen, wie sich natürlich versteht, ohne dies mit irgendwelchen Therapeuten oder sonst wem abzusprechen. Das war ja schließlich auch ganz allein meine Sache.

Viel geändert hat sich nicht an meinem Zustand, eher war das Bewegen noch beschwerlicher geworden. Einzig mein Schlafverhalten verbesserte sich ein wenig. Ich blieb neun Wochen hart mit mir und dem Bengel, der sich da bei mir eingenistet hatte. Dann kam der nächtliche Knall. Statt dass meine rechte Hand zitterte, begann der komplette linke Arm zu leben. Dies war so heftig, dass ich keine Chance hatte, entgegen zu wirken. So musste ich dann in aller Frühe in eine neurologische Ambulanz und dort meinen Nahrungsentzug für James eingestehen. Zur Besänftigung bekam der Lausbub ein ordentlich hochdosiertes Vesper und schon bald gab er die Kontrolle über den Arm wieder frei.

Also begann ein neuer Versuch, den nun größer werdenden James mit anderen Nährstoffkombinationen zu beruhigen. Leider konnte dieser Versuch das kleine Monster in mir auch nicht wirklich besänftigen. Letztendlich kamen die extremen Schlafstörungen wieder, mein Leistungsvermögen brach noch mehr ein, vom Selbstvertrauen will ich gar nicht reden.

Nach langem innerem Kampf mit mir, blieb mir nur noch der Ausweg, soviel Stress wie möglich abzubauen. Dies bedeutete für mich einen neuen Lebensabschnitt einzuleiten und mit 52 Jahren den Weg in die Erwerbsunfähigkeit zu beschreiten. Der größer werdende James hatte ein klein wenig gewonnen.

Mir hat dies dann aber gezeigt, dass es an der Zeit war, einen anderen Umgang mit meinem Wegbegleiter zu finden, einen Weg, der James zeigte, dass er nicht die endgültige Macht über mich gewinnen wird. Es galt einen Weg des Akzeptierens zu finden, der es möglich macht, trotz dieses in mir hausenden Begleiters und der sich damit ergebenden Beschwernissen, weiterhin aufrecht durchs Leben zu gehen.

So begann für mich das Herantasten an alternative Methoden, welche ich mir vor Jahren für mich nicht hätte vorstellen können. Ich weiß nicht mehr, wie viele hunderte von Seiten Papier ich über die unterschiedlichsten alternativen Methoden gelesen habe. Überwiegend war dies aber aus dem Bereich der geistigen Heilung, wobei nicht jede Methode, über die ich gelesen habe, auch für mich in Frage gekommen wäre. Ich habe auch verschiedene Kurse belegt, dabei aber auch Techniken, die ich gelernt habe, umgehend wieder verworfen. Aber bei allem, was diese Methoden zu den Möglichkeiten einer Heilung aussagen, hat bei mir der Gedanke an ein endgültiges Austreiben des kleinen James nie im Vordergrund gestanden. Bei mir dominierte immer der Gedanke, für mich Techniken zu finden, mit denen ich einen guten Umgang mit James finde. Hierdurch wäre es mir dann vielleicht möglich, meine Beschwerden zu lindern und möglichst lang das Erwachsenwerden von James hinaus zu schieben.

 

Hieraus entwickelte sich im Laufe von zwei Jahren und durch den Besuch bei einem Mediziner, der sich der geistigen Heilung verschrieben hat, eine für mich und meinen James wohltuende Mischung aus Bewegung, Meditation und energetischen Aktivitäten.

Um James genügend Bewegung zu verschaffen, aber auch um Dinge wie Kraft und Gleichgewicht zu verbessern, gehe ich mit James je einmal wöchentlich in Pilates, Fitness, Tai Chi und Kundalini Yoga. Die beiden letzteren gehen aber schon ein wenig in die Bereiche der Meditation und Energiearbeit hinein. Bewusste Spaziergänge ergänzen dieses Programm. Bewusst in dem Sinne, dass ich dabei auf saubere Schritte und ein gutes Schwingen beider Arme achte.

Zusätzlich gibt es täglich eine Einheit Zhineng Qi Gong, welches noch mehr als Tai Chi in die meditative Energiearbeit geht. Die tägliche Meditation und Reiki, mit dem ich James und meinen Geist energetisch versorge, helfen mir zu einer inneren Ausgeglichenheit zu kommen. Reiki selbst kann ich aber auch zu allen möglichen Tageszeiten in meinen Alltag einbauen.

Alle diese Techniken und die Tatsache meines stressreduzierten Lebens haben es mir ermöglicht, das Futter für James abzusetzen. Meine Symptome sind dadurch nicht stärker geworden, im Gegenteil, ich fühle mich besser. Meinen Tremor habe ich außer in stressigen Situationen sehr gut im Griff. Ich habe weiterhin mit Muskelsteifheit und Verlangsamung zu kämpfen, aber bei weitem nicht mehr so heftig, wie dies der Fall war. Meine mentale Einstellung gegenüber dem kleinen James hat sich geändert, so dass ich derzeit gut mit ihm zurechtkomme.

Ein großer Gewinn jedoch ist, dass so einige durch das Futter verursachte Unannehmlichkeiten verschwunden sind. Ich schlafe noch immer keine acht Stunden in der Nacht, aber eine Verdopplung des Nachtschlafes habe ich erreicht. Die Tagesmüdigkeit und die Neigung zum Sekundenschlaf sind verschwunden. Ich habe erheblich weniger Muskelkrämpfe, die Schreckhaftigkeit ist komplett verschwunden. Dieses seltsame kribbelnde Gefühl im Kopf, welches überwiegend an der Stirn herrschte, existiert nicht mehr. Wassereinlagerungen in den Beinen sind ein Thema von gestern.

Aber was ganz wichtig ist, ich bin psychisch wieder ausgeglichen, ich habe meinen Begleiter akzeptiert. Es ist mir bewusst, dass diese Phase nicht zwingend auf ewig anhalten muss. Dies zeigen mir schon die Schwankungen welche ich immer wieder erlebe, Tage an denen es mir, was den kleinen James betrifft, sehr gut geht, dann aber wieder Tage, an denen er seinen Tribut einfordert.

Was die Zukunft bringt, das wird sich zeigen. Warten wir ab, was dem kleinen James noch so alles einfallen mag. Heute, nach nun bald sechs Jahren seit der Diagnose und den davor liegenden Zeiten, in denen James mich schon begleitete, kann ich nicht klagen.