Respekt

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Mauritius Wilde

Respekt

Die Kunst der gegenseitigen Wertschätzung


Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.




Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

ISBN 978-3-7365-0307-6

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2018

ISBN 978-3-7365-0269-7

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: derUhlig.com

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhalt

Einleitung zur Neuauflage

Vorwort

1. Wenn wir den Respekt vermissen

2. Mich selbst respektieren

3. Den anderen respektieren

Jeder ist eine ganze Welt

Jeder ist eine kunstvolle Gestalt

Moderne Eremiten und Narzissten

Der Raum um mich herum

Respekt vor den Schwächen und den Schwachen

4. Respekt erweisen bringt auch mir selbst Respekt ein

Die Urgebärde des Respekts: die Verneigung

Die Verneigung als Heilmittel

Respekt macht unwiderstehlich

5. Woher kommt der Respekt?

Wie wir uns Respekt verschaffen

Die religiöse Wurzel des Respekts

6. Kultur der Achtsamkeit

Ein »Wettbewerb« im Guten

Gute Manieren

7. Respekt vor der Schöpfung

8. Respekt zwischen Liebenden

9. Respekt zwischen den Generationen

10. Respekt in Schule und Erziehung

11. Respekt in Firmen und Behörden

12. Respekt in Auseinander- setzungen und Diskussionen

13. Respekt vor dem Gegner

14. Gott respektiert dich

15. Gott respektieren

Schluss

Literatur

Einleitung zur Neuauflage

Es ist sehr viel passiert in den zehn Jahren, seit dieses Buch zum ersten Mal erschienen ist. Ich bin froh und dankbar, dass der Wert des Respekts so vielen Menschen wichtig ist, dass sie über ihn reflektieren und versuchen, ihn in ihrem Leben umzusetzen.

Aber ich bemerke auch, dass Respekt heute noch wichtiger geworden ist als vor zehn Jahren. Was uns bewegt, ruft im Umgang damit nach Respekt: Migration und Flüchtlingsströme, die Realität der Klimaveränderung und die Auseinandersetzung darüber, wie wir mit ihr umgehen, der schwere Vertrauensverlust in die Kirchen und andere Organisationen, weil sie Missbrauch in ihren eigenen Reihen zugelassen haben.

Die Zeiten sind in diesem Sinn intensiver geworden, und so auch unsere Auseinandersetzungen. Um sich gut auseinandersetzen zu können, braucht es aber Respekt. Darum habe ich ein weiteres Kapitel angefügt, in dem es um den respektvollen Umgang in Auseinandersetzungen geht. Die anderen Kapitel haben ihre Bedeutung behalten, wie ich meine. Es ist wahrlich eine Kunst, in Zeiten wie den unseren den Respekt voreinander, vor sich selbst und vor Gott zu bewahren.

In der systematischen Recherche zu dieser Neuauflage war ich erschüttert festzustellen, in wie vielen Bereichen der Mangel an Respekt schmerzhaft zugenommen hat: Wie können Menschen ernsthaft Sanitäter, Unfallhelfer oder Feuerwehrleute beim Retten von Menschenleben behindern? Wie können Fans im Amateurfußball Gewalt ausüben, ob gegenüber anderen Fans oder Schiedsrichtern?

Auch in den Diskursen fehlt der Respekt voreinander: Auseinandersetzungen in den Sozialen Medien werden gröber, boshafter, brutaler. Als Grund sehe ich auch hier das Fehlen des Respekts, denn man sieht sich nicht in die Augen.

Respekt leitet sich vom lateinischen Wort respicere ab, das bedeutet »zurückblicken, zurücksehen«, basiert also darauf, dass man sich anschaut. Die indirekte und anonyme Weise des Kommunizierens in den Sozialen Medien erlaubt den Verlust an Respekt. Wie können wir eine neue Kultur des Wahrnehmens und der Achtung entwickeln?

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass sie Respekt in ihrem Leben erfahren und anderen erweisen können und dass Ihnen dieses Buch dazu eine Anregung ist.

Vorwort

»Respekt – das Wort klingt hart. Schärfe ist in seiner Knappheit. Und Klarheit. Das Wort aber hat viele Taschen. Darin sind weitere Worte: die Achtung etwa und die Scheu, aber auch die Rücksicht. Auf den ersten Blick nur lose verbunden. Und doch beieinander: in der Sorgfalt und der Aufmerksamkeit für den Abstand, den es zu halten gilt. Auch von sich selbst. Damit man genau sehen kann. Und man im anderen nicht sich selbst sucht. Damit man lernt zu achten, was sich verbirgt – das Geheimnis, das ein jeder ist, eine jede bleibt, sich und den anderen. Und man sich die Scheu bewahrt, einzudringen in den Raum der anderen. Und sich immer und immer wieder die Rücksicht abverlangt – auf ihre Freiheit, anders zu sein.« (Quelle unbekannt)

Wer wünscht ihn sich nicht: Respekt! Jeder und jede von uns braucht ihn wie die Luft zum Atmen. Es tut einfach gut, wenn Menschen mir zeigen: Ich schätze dich, du bist wertvoll. So wie du bist. Einfach weil du bist. Weil du ein Mensch bist. Der Respekt ist der Widerhall auf die Würde, die in jedem von uns wohnt.

Wie sehr wir auf Respekt angewiesen sind, spüren wir immer dann, wenn wir nicht genügend oder gar nicht respektiert werden. Wenn wir übergangen, verlacht, vereinnahmt oder manipuliert werden. Das Gefährliche daran ist, dass es passieren kann, dass wir dabei den Respekt vor uns selbst verlieren. Respekt beruht auf Gegenseitigkeit.

Mittlerweile ist ein neues und breites Bewusstsein dafür erwacht, dass wir nur friedlich und gut miteinander leben können, wenn wir versuchen, uns an Werte zu halten. Dem Wert des Respekts kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Es ist ein Wert, der sehr breite Zustimmung findet. »Nachhaltigkeit« interessiert Umweltbewusste, »Demut« spirituell Interessierte und »Liebe« ist ein Wert, der zu groß erscheint, als dass er allgemeine Umsetzbarkeit beanspruchen könnte. Anders ist es mit dem Respekt.

Ich war bei meinen Recherchen erstaunt, wie viel Resonanz dieser heute wieder moderne Wert findet. Er ist die Vision für all die, die sich eine multikulturelle Gesellschaft wünschen, in der Intoleranz keinen Platz hat. Eine Gesellschaft, in der die verschiedenen Kulturen und Milieus respektvoll beieinander leben. Er ist die Hoffnung für all die, die sich um Gewaltprävention kümmern. Für jene, die mit hilfsbedürftigen jungen Menschen und Erwachsenen arbeiten, die Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Aggressionen haben. Für Menschen, die straffällig geworden sind und um Reintegration in unsere Gesellschaft ringen.

Respekt ist ein zentrales Ziel für alle Lehrenden und Erziehenden vom Kindergarten bis zu den weiterführenden Schulen und spielt in der Werte- und Verhaltenserziehung eine große Rolle. Er wird von den Tierschützern gegenüber den Tieren reklamiert. Man erwartet ihn von den Religionen, die sich in einer modernen Zivilgesellschaft bewegen. Respektvoll sollen sie miteinander und mit allen Menschen umgehen. Er spielt im Sport eine Rolle: Das betrifft die sportliche Fairness selbst wie das Verhalten der Fans untereinander.

Respekt beschäftigt die Wirtschaftswissenschaftler und die Sozialpsychologen. Er hat Bedeutung bei den Therapeuten, in systemischen Aufstellungen genauso wie in der Ehe- und Paarbegleitung. Er ist ein beliebter Begriff in der Hip-Hop-Szene. Das ist besonders erstaunlich: Trotz ihrer oft überbordenden verbalen Gewaltinhalte steht bei der Hip-Hop-Kultur der Respekt hoch im Kurs, wird unzählige Male besungen und »gerappt«. Respekt gibt den von der Gesellschaft Ausgeschlossenen ihre Würde wieder: »Respekt geht an die, die auch dich respektieren, / doch ein Text ist viel zu kurz, um es genau zu definieren / und erklären, darum ist dies nur ein Versuch, / zu komplex ist dieses Thema, da reicht nicht einmal ein Buch. (...) / Respekt geht an die, die auch dich respektieren. / Heimat ist ein Ort, wo dich Menschen akzeptieren. / Integrieren heißt sicherlich nicht Anpassungspflicht, / wichtig ist nicht Herkunft, / sondern der Mensch an sich.« (Texta – Globaler Respekt, Album: Gediegen, 1998)

 

Dass »Respekt« quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Generationen geschätzt wird, ist die große Chance dieses Wertes. Dass jungen Menschen »Respekt« wichtig ist, weist in die Zukunft. Respekt ist ein moderner Wert. Er bekommt seinen besonderen Schwung mit der Aufklärung und Immanuel Kant, der »Achtung« definiert als »ein vom reinen Vernunftbegriff des Sittengesetzes selbst bewirktes Gefühl«, ein »moralisches Gefühl«, das der Person wesentlich ist und ihre Würde begründet.

Nach der Katastrophe der Weltkriege des letzten Jahrhunderts nehmen unsere Väter und Mütter den Respekt als ein Grundrecht in die Verfassung auf, und zwar als Artikel Nummer eins: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Das Problem ist jedoch: Alle reden von Respekt. Alle wollen ihn haben – doch nicht jeder will ihn geben ...

»Respekt ist unsere Aufgabe / und nicht ’ne falsche Maske, die ich aufhabe«, sangen die Fantastischen Vier (Respekt, Album: Jazzkantine, 1994). Wie kann es aber gelingen, dass aus einer Maske gelebte Realität wird? Wie können wir die Kunst der gegenseitigen Wertschätzung erlernen? Was heißt Respekt im Alltag ganz konkret? Diese und die folgenden Fragen möchte ich gerne näher in den Blick nehmen: Was ist Respekt? Und wie geht er? Woher kommt er? Wie verschaffe ich mir Respekt? Was tue ich, wenn ich nicht respektiert werde? Wie können wir eine Kultur der Achtsamkeit schaffen? Kann ich Respekt einüben? Was bedeutet Respekt für Liebende, was für das Verhältnis der Generationen? Welche Rolle spielt er in Schule und Erziehung, welche in den Betrieben? Und wie respektiere ich Gegner und Feinde?

Das Märchen »Der Kleine Prinz« wird uns helfen, auf die Spur zu kommen. Die biblische und christliche Tradition führt uns tiefer in das Thema. Besonders der deutsche Mystiker Meister Eckhart hat wie kaum ein anderer präzise den Hintergrund dessen beschrieben, was den Respekt eigentlich ausmacht. Wie wir Mönche im alltäglichen Klosterleben versuchen, den Respekt einzuüben, möchte ich auch gerne erzählen.

»Zu komplex ist dieses Thema, da reicht nicht einmal ein Buch«. Ich will es dennoch versuchen. Mein Wunsch ist, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich ermutigt fühlen, Respekt zu erwarten und Respekt auch zu geben. Und dass sie Freude bekommen an der Kunst der gegenseitigen Wertschätzung.

1. Wenn wir den Respekt vermissen

Nicht immer merken wir sofort, wenn der Respekt fehlt. Ich gehe aus einem Gespräch. Vielleicht bin ich nett behandelt worden, aber es bleibt ein fader Nachgeschmack. Im Nachhinein spüre ich: Ich bin nicht geachtet worden, subtil, aber spürbar.

Der Respekt ist ein scheues Wesen. Er ist empfindlich und zart. Eigentlich ist er stark. Das werden wir noch sehen. Aber zunächst quetscht er sich nicht dazwischen, drängt sich nicht auf. Er will selbst respektiert werden, damit er in Erscheinung treten kann.

Oft schleicht sich die Respektlosigkeit also leise herein. Manchmal aber tritt sie auch klar und offenkundig zutage. Jemand spricht schlecht von mir, macht mich runter. Er will damit erreichen, dass er selbst in einem besseren Licht dasteht. Respektlos. Wenn Sie einmal beginnen, bewusst wahrzunehmen, wann Sie den Respekt vermissen, werden Ihnen zahlreiche Situationen begegnen. Bevorzugte Areale für fehlenden Respekt sind überall dort zu finden, wo Gegensätze aufeinanderprallen. So zum Beispiel zwischen arm und reich, ungebildet und intellektuell, alt und jung, Fremder und Einheimischer, auch Mann und Frau.

Die Respektlosigkeit »funktioniert« in beide Richtungen. Bei den ärmeren zum Beispiel kann es so gehen: Sie sind voller Vorurteile und Sozialneid. Sie gehen davon aus, dass der Reiche sein Geld überhaupt nicht redlich verdient haben kann. Vielleicht hegen sie dabei die Erwartung, dass die Reichen sogleich hergehen und ihren ganzen Besitz mit den Bedürftigen teilen. Es gibt aber auch die Respektlosigkeit in die andere Richtung: Die Reicheren gehen davon aus, dass die Armen an ihrer Situation auf jeden Fall selbst schuld sind. »Sie sind halt faul. Sie sind Schmarotzer. Sie liegen der Allgemeinheit auf der Tasche.« Ein einfacher Tausch der Rollen würde beiden Seiten ermöglichen, sich zunächst einmal mit Respekt zu begegnen. Würden die ärmeren in die Schuhe der Reicheren schlüpfen, sie würden die Sorgen und ängste erleben, die die Dynamik des Besitzes mit sich bringt, die Armut, die dem Reichtum innewohnt. Der Reiche wiederum wäre geheilt, wenn er einmal wirklich wahrnehmen würde, wie es sich lebt mit wenig Geld, wie gering die Freiheit dann sein kann.

ähnliche Gräben findet man, wenn man den Bereich des Wissens betrachtet. Wissen ist Macht, die Informations- und Wissensgesellschaft legt auf Bildung und Intellektualität hohen Wert. Wissende neigen zu Arroganz und Hochnäsigkeit gegenüber Unwissenden. Sie haben – zumindest intellektuell – den überblick und glauben, damit auch recht zu haben. Was sie aber vielleicht nicht haben, ist die Bildung des Herzens, die Weisheit. Umgekehrt gibt es ebenso die Verachtung der einfachen Leute gegenüber »den Studierten«. Studiertsein gilt ihnen als ein Privileg der Reicheren. Studieren und mit dem Kopf arbeiten ist für sie überhaupt keine richtige Arbeit. Außerdem sind für sie die Intellektuellen weltfremd.

Oder man denke an die Differenzen, die zwischen Alt und Jung bestehen können: Manche Jüngeren haben den Verdacht, dass sie von den Alten um ihre Zukunft betrogen werden. Sie glauben, dass sie nur Probleme von ihnen geerbt haben und erben werden. Sie behandeln die älteren in der Arbeitswelt respektlos. Sie versuchen, sie wegzuschieben. Ihre Erfahrung zählt für sie nichts. Umgekehrt trauen die älteren den Jüngeren nicht zu, die Zukunft zu meistern. Sie halten sie für schwächer oder schlechter, als sie selbst es einmal waren. Eine Missachtung steckt auch in der Aussage: »Ich bin froh, dass ich nicht mehr jung bin. In der heutigen Zeit möchte ich nicht mehr jung sein.«

Auch bei Frauen und Männern tritt die mangelnde Achtung gegenüber dem anderen Geschlecht nicht selten offen zutage. Das geschieht zum Beispiel dann, wenn Männer das Gefühl haben, Frauen seien etwas, das man besitzen könne. Oder wenn man bei Frauen spüren kann, dass sie die Männer eigentlich für überflüssig halten.

Immer also, wenn die Unterschiede, die es zwischen uns Menschen gibt, nicht geachtet werden, dann blüht die Respektlosigkeit. Immer, wenn Menschen keinen Abstand zu sich selbst haben und den Perspektivenwechsel nicht schaffen. Der Respekt kann neu geboren werden, wenn man die Unterschiede achtet.

Wenn man sich einmal richtig respektlos behandelt fühlt, dann empfehle ich zur Entgiftung, Marie-France Hirigoyen zu lesen. Die Psychoanalytikerin und Viktimologin beschreibt in ihrem Buch »Die Masken der Niedertracht« verschiedenste Techniken der Respektlosigkeit und Formen des Missbrauchs. Das hilft einem, klarer zu sehen, woher das Gift kommt, das man in sich oftmals nur sehr vage wahrnimmt. Besonders »beeindruckend« ist zum Beispiel die Respektlosigkeit dessen, der auf eine Frage von mir einfach nicht antwortet, nicht reagiert, so tut, als existiere ich gar nicht. Das heißt also, man lässt mich meine »Nichtigkeit« spüren – ohne dass man sich überhaupt um Worte bemüht.

Allerdings muss man dieses Buch auch irgendwann wieder weglegen, weil man sonst nur noch Schlechtes sieht in dieser Welt, an allen Ecken. Es ist von Nutzen, die Möglichkeiten des Teufels kennengelernt zu haben, besonders auch seine subtilen Methoden. Mit dem Teufel aber kann man den Teufel nicht austreiben. Dazu hilft nur das Gute, das Positive.

Respekt heißt: Achte die Unterschiede!

Und bewerte sie nicht.

Das Wort »Respekt« hat seinen Ursprung im lateinischen Wort respicere. Es bedeutet »zurückschauen«, »beachten«. Eine mögliche übersetzung von Respekt ist also »Achtung«. Alle Formen der fehlenden Achtung sind Respektlosigkeiten: Eine milde, aber bereits destruktive Form ist die Achtlosigkeit. Jemand wirft achtlos Abfall weg, man übergeht mich bei der Begrüßung in einer Runde, man merkt sich zum wiederholten Mal nicht meinen Namen. Achtlosigkeit ist ärgerlich.

Missachtung geht einen Schritt weiter: Sie ist nicht nur die Folge einer gewissen Nachlässigkeit oder Unaufmerksamkeit, in ihr kommt eine Prise Aktivität hinzu: Jemand lässt mich bewusst aus. Jemand übergeht mich und meine Kompetenz oder Erfahrung absichtlich. Das hat bereits etwas mit Boshaftigkeit zu tun.

Die schärfste Form schließlich ist die Verachtung. Sie spricht dem anderen alles Gute und jedes Recht ab. Verachtung ist eine echte Form der Aggression. Sie geschieht in Worten oder Taten. Sie achtet nicht die Würde des anderen, sondern leugnet sie.

Die Spirale der Respektlosigkeit:

• Achtlosigkeit

• Missachtung

• Verachtung

Diese Unterschiede zu sehen hilft, das Gefühl, respektlos behandelt worden zu sein, einzuordnen. Wenn jemand uns gegenüber achtlos ist, sollten wir das nicht als »Verachtung« überbewerten. Damit geben wir der Situation mehr Bedeutung, als ihr gebührt. Eine Achtlosigkeit kann ich von mir schütteln wie den Regen vom Regenmantel. Sie kann jedem einmal passieren. Auch mir. Ein achtsamer Mensch zu sein oder zu werden ist eine hohe Kunst, zu der nicht jeder andauernd in der Lage ist.

Missachtung hingegen verlangt von mir, dass ich mich aktiv schütze. Dass ich mich abgrenze. Oder interveniere. Sie kommt seltener vor, aber sie kommt natürlich vor. Missachtung ist eine Gemeinheit, die ich nicht mehr so leicht abschütteln kann. Als Erstes hilft mir dann, dass ich die Achtung vor mir selbst wiedergewinne und so zurück ins Handeln komme.

Verachtung kommt – Gott sei Dank – selten vor. Viele Achtlosigkeiten können zur Missachtung führen. Dauernde Missachtung zur Verachtung. Insofern ist es sinnvoll, den Anfängen zu wehren und auf die Achtsamkeit zu achten. Die Nationalsozialisten haben die Juden verachtet, doch mit kleinen Missachtungen hat die Katastrophe begonnen. Gegen Verachtung hilft nur energische Abgrenzung, sich Hilfe holen, sich verbünden, zum eigenen Wert unbedingt stehen.

2. Mich selbst respektieren

Es gibt Menschen, die sind so gesund und zufrieden, dass sie dieses Kapitel nicht zu lesen brauchen. Sie haben ein gesundes Selbstbewusstsein und kein Problem mit dem Respekt gegenüber sich selbst. Es gibt aber auch viele, denen das nicht geschenkt ist. Es sind vor allem solche, die schon einmal Respektlosigkeit oder Missachtung erfahren haben. Für sie ist wichtig, dass sie zuallererst sich selbst mit Respekt begegnen.

Das gilt überhaupt für alle Werte. Bevor ich sie anderen entgegenbringen kann, sollte ich sie auf mich selbst anwenden. Mich selbst lieben, um andere lieben zu können, mir selbst gerecht werden, um andere gerecht zu behandeln, geduldig mit mir selbst sein, um für andere Geduld zu haben.

Wenn ich mich in einer Situation oder einem Gefühl der Missachtung wiederfinde, ist ein erster, hilfreicher Schritt, mit mir selbst respektvoll umzugehen.

»Mein Sohn, meine Tochter, in Demut ehre dich selbst.« (Jesus Sirach 10,28)

Respekt hilft gegen Respektlosigkeit. Wenn mich jemand abwertet: »Du bist hässlich«, dann ist es wichtig, darauf zu schauen, dass ich doch schön bin. Ich darf mich vor meiner eigenen Schönheit verneigen. Wenn jemand meint, mit mir könne man nicht reden, dann darf ich respektvoll darauf schauen, wie oft ich schon den Faden der Kommunikation aufgegriffen habe. Wenn jemand meine Leistung nicht sieht oder mein Engagement nicht anerkennt, dann sollte ich der Erste sein, der meine Leistung würdigt und mein Engagement wahrnimmt.

Das Schädliche der Respektlosigkeit liegt darin, dass ich durch die Missachtung, die mir vom anderen widerfährt, meinen eigenen Wert und meine eigenen Fähigkeiten nicht mehr richtig einzuschätzen weiß – den Respekt vor mir selbst verliere. Dass ich selbst aufhöre, mich zu lieben, dass ich mir selbst nicht mehr vertraue. Daher ist es so wichtig, sich selbst diese Achtung zu geben. Wie kann ich das tun? Es ist oft nicht ausreichend, mir das selbst nur zu denken oder zu sagen, ich muss es erfahren. Daher kann ich für mich die Grundgebärde des Respekts nutzen, die Verneigung.

 

• Stell dir vor Augen, was deinem Gefühl nach zu wenig an dir respektiert wird.

• Stell dich innerlich dieser deiner Eigenschaft gegenüber. – Dann verneige dich

vor dieser Eigenschaft!

• Verneige dich vor dir selbst, so wie du bist.

Du wirst dabei spüren, dass auch du schön bist, auf deine Weise. Du wirst merken, dass deine Leistung, dein Engagement gut ist. Wenn alles auch noch zu verbessern ist, gibt es da dennoch genug Gutes an dir, das zu würdigen ist.

Menschen, die sich selbst nicht respektieren, werden schnell Opfer anderer. Sie bieten sich geradezu an, ausgeschlossen, übergangen oder missbraucht zu werden. Der beste Schutz dagegen ist: Verneige dich vor dir selbst! Erweise dir selbst den Respekt! Wenn es andere nicht tun, dann tu du es wenigstens selbst.

Oft hilft auch, mit jemandem zu sprechen, von dem du weißt, dass er dich respektiert. Das ist dann wie Balsam für die Seele. Man spürt sich selbst wieder und weiß, dass man im Grunde o.k. ist. Missachtung ist immer auch eine Verletzung der Seele, die einer Heilung bedarf. Bei einem Erwachsenen heilt eine solche Wunde schnell. Falls ich die Wunde oder das Trauma in der Kindheit oder Jugend erlebt habe und der andere sozusagen in die alte Kerbe haut, dann braucht es mehr, um eine Heilung zu erreichen.

Es gibt noch andere kleine Heilmittel. Wenn du missachtet wurdest, dann ziehe dich schön an. Lass den Kopf nicht hängen. Wasche dich, mach dich schön, schminke dich oder leg ein Parfüm auf. Geh zum Friseur und lass dir eine schöne Frisur machen. Koch dir etwas Gutes und iss etwas Gutes. So stellst du den Respekt vor dir wieder her. Der Respekt, den du dir selbst erweisen kannst, ist wie eine Burg, deren Mauern dich umgeben. Sie macht dich stark und schützt dich. Und sie macht dich wieder ruhig, lässt dich das Leben wieder spüren.

Sich selbst zu respektieren bedeutet, sich so zu akzeptieren, wie man ist. Ich muss nicht alles gut an mir finden. Und trotzdem soll ich mich respektieren, die eigenen Stärken genauso wie die Schwächen. Eigenartig, dass man manchmal nicht einmal die eigenen Stärken würdigt. Besonders schöne Menschen beispielsweise finden sich oft selbst gar nicht so schön. Besonders sportliche Menschen halten sich für nicht sportlich genug. Es ist sinnvoll, einmal eine Liste anzufertigen, in der ich alle Stärken festhalte, die ich an mir sehe. Ihnen soll ich mit Respekt begegnen. Sie sind mir geschenkt, für mich und für andere. Ebenso aber darf ich auch meine Schwächen respektieren. Die Schwächen sind es, auf denen von mir selbst oder von anderen besonders herumgehackt wird. Sie brauchen unseren Respekt am nötigsten. Der erste Johannesbrief der Bibel hat für diese Situation ein besonders ermutigendes Wort: »Klagt uns unser Herz auch an: Gott ist größer als unser Herz« (vgl.

1 Johannes 3,20).

Respekt bedeutet, von mir selbst Abstand zu nehmen und einmal aus einer größeren Perspektive zu schauen. Gottes Herz ist größer als unser Herz. Er ist barmherziger, als wir es oft selbst mit uns sind. Er beurteilt die Dinge anders. Eine Auffassung der Mönche lautet, der Mönch solle als Erstes unterlassen zu urteilen, andere und sich selbst zu verurteilen. Die alten Wüstenväter hatten in der Wüste viel Zeit zu grübeln. Sie sollen aber gerade nicht grübeln und schon gar nicht sich selbst oder andere vor ein inneres Gericht zerren, sondern schlicht das Urteilen unterlassen. Es gibt Menschen, die verurteilen dauernd die anderen. Vielleicht urteilen sie zum Teil wirklich richtig, aber dieses Urteilen ist zersetzend und nicht aufbauend. So ein Tribunal kann es auch in uns selbst geben. Darum gilt: Ein wichtiger Schritt zum Respekt gegenüber mir selbst ist, dass ich es unterlasse, über mich selbst zu urteilen. Gott soll ich das Urteil überlassen.

Auch meine eigenen Bedürfnisse darf ich respektieren. Manchen ist es peinlich, dass sie jetzt schon wieder essen oder so lange schlafen müssen, dass sie nur so kurz durchhalten, bis sie die Toilette aufsuchen müssen. Egal, welches körperliche, seelische oder geistige Bedürfnis ich in mir spüre: Ich sollte es respektieren. Respektieren ist noch nicht gleich annehmen oder gutheißen. Aber ich sollte es sehen und so sein lassen, wie es ist, und nicht daran herumzerren und mich dafür verurteilen, dass ich es habe. Ich bin ein Mensch, ich habe Grenzen und konkrete Bedürfnisse. Besonders religiöse Menschen mit einem hohen moralischen Anspruch geraten in die Gefahr, ihre eigenen Bedürfnisse zu überspringen. Ihre Bedürfnisse gehören aber zu ihnen, so wie Gott sie geschaffen hat.

Eine junge Frau, die nach schwerer Kindheit und Jugend einen ehrlichen und intensiven Weg der Heilung ging, kam eines Tages zu dem Ergebnis, dass sie viel »gesehen« werden muss, weil sie als Kind immer übersehen wurde. Nun gesteht sie sich dieses Bedürfnis zu. Sie hat mit jemandem vereinbart, dass sie schnell, auch unangekündigt, einmal bei ihm auftauchen kann, damit er sie anschaut. Einen kurzen Moment angesehen zu werden ist für sie schon heilsam. Natürlich wäre die Frau froh, wenn sie diese kurzen Momente nicht mehr brauchte, aber sie gesteht sich zu, dass sie da einen Nachholbedarf hat. Sie respektiert sich selbst in ihrer Schwäche. Das ist ein guter, heilsamer Weg.

»Respekt« hat mit Schauen und Sehen zu tun. Ich soll gut und liebevoll auf mich schauen. Ja, ich soll mich überhaupt sehen und nicht übersehen und übergehen. Wenn ich den Respekt mir selbst gegenüber üben will, dann gibt es eine einfache Möglichkeit, indem ich mich selbst anschaue:

Schaue in den Spiegel und sage zu dir:

Du bist o. k.!

Das ist eine schöne Übung. Ich schaue in den Spiegel und beurteile mich nicht. Ich sage zu dem, was ich sehe: »Es ist o. k.« Ich sage zu mir selbst: »Du bist o. k.«

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