Dr. Prein & der Tod

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Dr. Prein & der Tod
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MARTIN PREIN

DR. PREIN & DER TOD

WARUM ES UNS LEBENDIGER MACHT, WENN WIR ANDERS AUF DAS ENDE SCHAUEN


INHALT

Cover

Titel

MARTIN PREIN UND DER TOD

GEGENSÄTZE ZIEHEN SICH AN: LEBEN UND TOD

FASZINATION UND ABSCHEU

TABUZONE LEICHE

JAMES COOK UND DAS TAPU

TABUISIERUNG – EINE SCHUTZSTRATEGIE?

TABUZONE LEICHE

ES STERBEN IMMER DREI

FRÜHER WAR ALLES BESSER

BERÜHREN VERBOTEN

DAS SCHAUDERN VOR DEM TODE DER TOTEN WEGEN

TOT SEIN – WIE IST DAS?

DIE BOTSCHAFT DES LEICHNAMS

KEINE SPUR VON TODESANGST

WIR ALLE WERDEN EINMAL LEICHEN SEIN

BIOLOGIE DER ANGST

ÜBERLEBEN UM JEDEN PREIS

ZÜNDSCHNÜRE DER ANGST

MEINE ANGST

ICH KANN OHNE DICH NICHT LEBEN – DU BIST FÜR MICH GESTORBEN

KOMPLIZEN GEGEN DIE TODESANGST

DER EKEL

DIE PROJEKTION

DAS VERLEUGNEN

DAS VERDRÄNGEN

KULTURVERFALL?

ABER WIE GEHT DAS EIGENTLICH, SICH MIT DEM TOD BESCHÄFTIGEN?

ABER, WIE BEFASST MAN SICH NUN MIT DEM TOD, KÖNNEN WIR DAS ÜBERHAUPT?

BEFASSEN OKAY, ABER WIE?

DIE ERFINDUNG DER SEELE

VIELE GLAUBENSSYSTEME SETZEN AUF ENTKÖRPERUNG

SPRACHLICHE VERKLAUSULIERUNG DES TODES

PHÄNOMENALE SEELENBEWEISE

WENN DER TOTE DREI MAL KLINGELT

DEM TODE SO NAH …

ENERGIE UND HOFFNUNG

WAS WIRKLICH PASSIERT

SEHNSUCHT TODESENGEL

DIE VERTEELICHTUNG DES TODES

TODESKOSMETIK IM DIENST DER HILFLOSIGKEIT

GOTT ODER NICHT GOTT, IST DAS DIE FRAGE?

LEBE JEDEN TAG, ALS WÄRE ES DEIN LETZTER

EIN APPELL: LIEBE LESERIN, LIEBER LESER!

BOLLWERKE GEGEN DIE TODESANGST

TROSTVERSUCHE MIT ABLAUFDATUM

DAMIT AUS MACHT NICHT OHNMACHT WIRD

TODESANGST – DIE ANGST ALLER ÄNGSTE

HELDEN UND HELDINNEN WIDER DEN TOD

SYMBOLE – KLAVIATUR DER ANGST

DIE „TERROR-MANAGEMENT-THEORIE“

EXPERIMENT „RICHTER“

WOVON ICH TRÄUME

ANHANG

QUELLEN

DANK

ÜBER DEN AUTOR

IMPRESSUM

MARTIN PREIN UND DER TOD

„Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.“

Bazon Brock

Als ich das Zitat des mir sehr verehrten Bazon Brock zum ersten Mal gelesen habe, hat es mich regelrecht elektrisiert, zum einen musste ich herzhaft lachen, angesichts dieser enthusiastischen Forderung des Unmöglichen, zum anderen sprach er mir damit geradezu aus der Seele. Und wenn ich von Seele spreche, dann meine ich mein tiefstes Inneres, jene Quelle, die all meine Erfahrungen, Prägungen sowie bewussten und unbewussten Komponenten meines Seins beinhaltet. Ich betone das deshalb, weil uns die Begrifflichkeit „Seele“ in diesem Buch noch des Öfteren unterkommen wird, spätestens im Kapitel „DIE ERFINDUNG DER SEELE“.

Aber zurück zu Bazon Brock und seinem Aufbegehren gegen den Tod. Wenn wir könnten, würden wir ihn alle sofort und umgehend abschaffen, ihn und seine auslöschende und nichts wie Schmerz und Trauer nach sich ziehende Zerstörungsgewalt. Gängige Tröstungsversuche, wie dass der Tod nun mal zum Leben gehöre, ein ewiges Leben ohnehin nicht erstrebenswert sei und dergleichen, sind klägliche und zum Scheitern verurteilte Versuche, dem Unausweichlichen das Grauen zu nehmen. Das Grauen ist und bleibt aber, immer und unaufhörlich, es treibt uns an und legt uns lahm, es macht uns verführbar und zum Spielball von Machtinteressen, es greift ein in unsere Entscheidungsprozesse und durchwirkt unsere Gefühlswelt weit mehr, als wir für möglich halten. Somit stimme ich in Brocks Empörung ein und halte Worte des vermeintlichen Trostes ebenso für Verrat. Für einen Verrat an unserem Recht auf Angst vor dem Tod, für einen Verrat an unserem Wunsch, nicht jeden Augenblick unserer Existenz oder unseren Liebsten entrissen werden zu können.

 

„Herr Prein, Sie und der Tod!“, sagte einmal eine Vortrags-Besucherin zu mir, begleitet von einem Kopfschütteln, wenn auch wohlwollend, das ich nicht richtig deuten konnte, irgendwas zwischen „ja, ja, ich habe Sie durchschaut“ und „meine Güte, warum tun Sie sich das an“, auf jeden Fall aber schwang in ihrem Ton etwas mit, das mir im Laufe meiner vielen Jahre, in denen ich Vorträge und Seminare zu diesem Thema halte, immer wieder begegnet ist. Nämlich die Annahme, ich hätte mich irgendwie mit dem Tod verbündet, mich mit ihm auf ein Packerl gehauen oder zumindest arrangiert. Anders, so die Annahme, könne es ja nicht sein, wenn man freiwillig so viel Zeit und Energie mit diesem doch sehr schweren Thema verbringt.

Mir scheint, es ist Zeit für ein paar Bekenntnisse, Bekenntnisse eines ehemaligen Bestatters, der ich fünfzehn Jahre lang war, Bekenntnisse eines Notfallpsychologen, als der ich an vielen Unfallorten mit Todesopfern im Einsatz war, aber auch Bekenntnisse und Erkenntnisse, die ich im Laufe der Jahre gesammelt habe, seit ich Trauernde psychologisch begleite, und seit ich mit meinem „Letzte-Hilfe-Kurs“ für Seminare und Vorträge unterwegs bin, aber auch solche, die ich als Martin Prein, ganz privat, für mich gehoben habe. Vielleicht kennen Sie ja mein Buch „Letzte-Hilfe-Kurs“, dann wissen Sie, dass wir uns darin, neben der Begegnung mit dem toten Körper, vor allem mit dem Umgang trauernder Hinterbliebener beschäftigt haben. In diesem Buch möchte ich mich jetzt dem Umgang mit unserem eigenen Tod widmen.

Ich möchte versuchen, Ihnen meine ganz persönliche Betrachtungsweise, aber auch einen reflektierten und fachlich-praktischen Blick auf dieses komplexe Thema zu vermitteln. Ich nehme Sie mit auf eine Reise durch Begebenheiten, Geschichten und Erfahrungen, aber vor allem auch in viele Schichten meiner und mit Sicherheit auch Ihrer Gedanken- und Gefühlswelt. Ich werde mich und uns fragen, wie sehr wir uns der eigenen Endlichkeit bewusst sind und was wir während und angesichts unserer ablaufenden Zeit alles anstellen, um trotzdem im Hier und Jetzt gut leben zu können. In den Kapiteln „GEGENSÄTZE ZIEHEN SICH AN“ und „TABUZONE LEICHE“ lasse ich mich unter anderem ein auf die eigentümliche Widersprüchlichkeit, die uns im Umgang mit unserem eigenen Sterben immer wieder begegnet, aber auch oder sogar im Besonderen im Umgang mit den bereits gestorbenen Körpern anderer.

Apropos widersprüchlich: Egal ob als Sanitäter, als Psychologiestudent oder als Bestatter; egal ob in den Jahren in der Krisenintervention oder in meinen aktuellen Tätigkeiten wie der Seminararbeit oder den Trauer begleitenden Prozessen – es gibt für mich nach wie vor kein Thema, das auf mich gleichzeitig so anziehend und abschreckend wirkt wie der Tod und der Umstand, dass wir alle, so wie wir hier schreiben oder lesen, der Vergänglichkeit unumkehrbar ausgeliefert sind. In diesem Spannungsfeld lebend, suche und finde ich für mich Antworten – oder auch keine – in und aus den unterschiedlichsten Bereichen. Tauche ein in philosophische und spirituelle Ansichten, versuche biologische und psychologische Zusammenhänge zu verstehen, nehme Platz an der Seite sogenannter Todesprofessionisten, wie zum Beispiel Pathologen, bzw. habe ich mich auch selbst in diese – sagen wir mal – dem Tod sehr verbundenen Berufswelten begeben. Die eine und andere Erkenntnis, die eine und andere Antwort auf große Fragen möchte ich hier mit Ihnen teilen.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch gleich ein Geheimnis verraten, ein erstes Bekenntnis, wenn Sie so wollen: Ich kann die ewig gleiche Rede zum Thema Tod und Sterben nicht mehr hören! Dieser Widerwille ist wohl auch eine wesentliche Triebfeder für dieses Buch. Kein Zeitungsartikel, keine Gesprächsrunde, die nicht die ewig gleichen Phrasen und Standarddiagnosen zum Inhalt haben, die wie eine Monstranz bei einer Prozession vor sich hergetragen werden. Vor allem, wenn sich die Medien zu Allerheiligen dem kulturell verordneten Memento mori hingeben, hört und liest man – ähnlich wie bei so manchem Weihnachtshit – immer wieder dieselben Rezepte, Diagnosen, Kritiken oder Forderungen. Und den Klassiker schlechthin, das „Last Christmas“ unter den Lösungsansätzen, den Ausruf „die Gesellschaft müsse sich einfach wieder mehr mit dem Tod befassen!“, dicht gefolgt von „die Menschen verdrängen den Tod“, „der Tod ist ein Tabu“ oder „früher war sowieso alles anders und vor allem viel natürlicher und besser“ … und als wäre es der Fadesse nicht genug, kommt allenthalben noch der grauenerregende Appell: „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter!“

Ganz ehrlich, das ist der Grund, warum ich in dieser Zeit kaum noch Zeitung lese oder fernsehe. Ich ertrage es schlichtweg nicht. Über die oft sehr doppelmoralische und bevormundende Rolle der Medien im Zusammenhang mit der Rede über den Tod werden wir wohl an anderer Stelle reden müssen, jedenfalls wundert es mich, dass Journalistinnen, die zu Allerheiligen diese Gespräche führen oder diese Artikel schreiben (müssen), nicht bereits nach zwei Minuten einschlafen und erst am 3. Advent wieder wach werden, quasi als Selbstschutzreaktion des noch lebenden Körpers. Ein Hoch auf eine österreichische Tageszeitung, die vor einigen Jahren zu Allerheiligen nichts zum Thema brachte. Vielen dieser wiederkehrenden Stehsätze wollen wir übrigens auch in diesem Buch zu Leibe rücken und sie auf ihre Standfestigkeit hin abklopfen.

Weiters möchte ich sensibilisieren und aufzeigen, wie sich unsere Ängste maskieren können, wie sie sich in cleveren Tarnanzügen adrett zurechtgemacht zu uns an den Frühstückstisch setzen und dann unseren Alltag durcheinanderwirbeln oder zumindest mitgestalten. Ich gehe dem nach, warum bzw. wie wir auf Trostkonstrukte und Beruhigungsstrategien zurückgreifen und weshalb wir mitunter auch gar nicht anders können, weil es manchmal schlicht zur Überlebensstrategie gehört, sich selbst etwas vorzugaukeln oder auf etwas zu setzen, was vermutlich so nie eintreffen wird. Aber auch, warum es sich lohnen kann, den eigenen Blick und seine Wahrnehmung für genau diese Mechanismen zu schärfen und vielleicht sogar damit zu beginnen, mutig daran herumzuschrauben oder sie auf den Kopf zu stellen.

Ich schreibe auch so manchen Stehsatz und so manche Floskel zur Neubewertung aus, da wir vieles inflationär zu hören bekommen und auch selbst wiedergeben, ohne uns der tatsächlichen Bedeutung bewusst zu sein. Kurzum, ich werde versuchen, Sie durch meine Brille schauen zu lassen, Ihnen zeigen, wie unterschiedlich nicht nur meine Erfahrungen mit dem Thema sind, sondern auch, wie unterschiedlich mich das Thema Tod ganz persönlich prägt, mich an- und manchmal auch vor sich hertreibt. Ich möchte versuchen – vor allem in den Kapiteln „KEINE SPUR VON TODESANGST“ und „DIE VERTEELICHTUNG DES TODES“ –, unsere Wahrnehmung auf selbst angewandte, aber auch gesellschaftlich institutionalisierte und ritualisierte Strategien gegen unsere Todesangst zu richten. Dabei möchte ich mich weder hinter religiösen Ideen oder Empfindungen verstecken, noch mich in philosophischen Klimmzügen verlieren zugunsten rationaler Scheinsiege. Vielmehr möchte ich an Schutzdämmen rütteln und hinter dickste Mauern aus Abwehr und Selbsttäuschung blicken, möchte versuchen, die Untiefen unserer Scheinberuhigungen zu umschiffen, nichts beschönigen, nichts verklären und auch nichts krampfhaft sinndeuten.

Ich werde den Tod und unsere Angst davor, den Schmerz und die Trauer nicht „verteelichten“. Denn genau in diesem schonungslosen Offenlegen unserer tiefsten Angst, dem Heben des so schwer Vorstellbaren, nämlich der bewussten Erwartung unserer Auslöschung, verbirgt sich auch ein wertvoller Schatz, eine Art Superkraft. Über diese Vision, meine Hoffnung – für ein empathischeres Miteinander und für mehr Selbstbehauptung im Kampf gegen Instrumentalisierungen unserer Ängste –, werde ich am Ende meines Buches, unserer Reise, erzählen und ich möchte aufzeigen, dass es sich absolut lohnen kann, diese Superkraft in uns zu entdecken und aufzuwecken. Eine Kraft für mehr Verständnis für die in uns allen gleiche, tiefsitzende Not und Verlorenheit und für die dadurch erlebte fundamentale Einsamkeit, denn auch unsere allerliebsten Menschen können nicht zu uns herein, zu unseren tiefsten Empfindungen und Gedanken, wenn wir unseren letzten Atemzug machen, die letzte Konsequenz des Lebens bestreiten wir einsam, den allerletzten Schritt können wir nur radikal allein tun. Aber bis dahin können wir füreinander da sein und gemeinsam für einen neuen und hoffentlich besseren Umgang mit unserer Todesangst und generell mit unseren Gefühlen eintreten.

GEGENSÄTZE ZIEHEN SICH AN: LEBEN UND TOD

Das mit dem Tod ist so eine Sache. Und vor allem ist es eines, ein ewiger Tanz der Gegensätzlichkeiten, ein einmal stürmischerer, mal mehr oder weniger verdrängter Ritt auf diversen Gefühlswellen. Auf der einen Seite gibt es für mich kaum etwas Faszinierenderes und Interessanteres als die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit, mit der Strahlkraft des Erloschenen und vor allem mit der unendlichen Herausforderung, wie wir mit diesem massiven Endszenario unseres Selbst umgehen bzw. umgehen können oder wollen. Andererseits geht das nicht ohne das Wahrnehmen dieser tiefsitzenden Angst, dass all unser Sein und Bemühen darin mündet, dass wir unumkehrbar auf unsere Auslöschung zuleben. Immer und immer wieder stellt sich mir daher die eine Frage: Wie sehr ist uns die eigene Endlichkeit tatsächlich bewusst? Ist das Wissen darum vielleicht bereits in uns angelegt? Steckt quasi das Wissen um unser Ablaufdatum nicht nur potenziell biologisch, sondern auch als Erkenntnis bereits in unseren Zellen? Ist es vielleicht sogar in unsere tiefsten Selbst-Schichten eingewebt, uns gar einverseelt? Und vor allem, wie bestimmt es unser Tun und wodurch ertragen wir diese zu erwartende höchste aller Kränkungen – nämlich die, dass wir eines Tages aufhören werden zu existieren, vollkommen verschwunden sein sollen, während alles andere weitergeht? Aber ein kleiner Trost, der uns jedoch nicht wirklich trösten wird: Auch „alles andere“ geht nicht ewig so weiter, alle anderen werden auch sterben, und letztlich, ja, wird auch die gute alte Erde verglühen und von der Bildfläche unserer Milchstraße verschwunden sein. Bemerken wir es? Es gibt keinen Trost gegen diese Kränkung des Todes! Nicht den geringsten.

Diese Fragen begleiten mich schon viele Jahre in meiner Arbeit, treiben mich um und haben mich auch immer wieder einmal die Perspektive auf das Thema wechseln lassen. Als Sanitäter zum Beispiel, der ich jahrelang war, hatte ich mich dem Kampf ums Über- und fürs Leben verschrieben. Bin immer wieder vollgepumpt mit körpereigenem Adrenalin zu den Einsatzorten gefahren, habe mich innerlich hochgefahren und aufgerüstet, indem ich die wichtigsten Rettungsmaßnahmen im Geiste abgespult habe und durchgegangen bin, während ich mich gleichzeitig darauf konzentriert habe, ruhig und sachlich zu bleiben. Denn niemand ruft nach einem aufgewühlten und nervösen Retter. Oft habe ich dabei erlebt, dass mir – nicht nur von den Patientinnen und Patienten – große Dankbarkeit und Anerkennung entgegengebracht worden ist. Als potenzieller Lebensretter, aber zumindest als gut ausgerüsteter Beschwerdenlinderer, ist man in unserer Gesellschaft natürlich ein willkommener Gast, erfüllt eine für alle offensichtlich wichtige Rolle und genießt einen angesehenen Status.

Später, als Bestatter, war er dann schnell dahin, dieser Heldenstatus als potenzieller Lebensretter, als jemand, der mit dem Tod umzugehen hat und daher mit dem Tod umzugehen weiß. Für jemanden, der sich von Berufs wegen ausschließlich mit toten Körpern beschäftigt, sei es als Pathologe oder eben wie in meinem Fall als Bestatter, verändert sich doch so einiges. Da gibt es plötzlich auch diese Blicke an der Straßenkreuzung, wenn man mit dem Leichenwagen neben einem anderen Auto zu stehen kommt und auf das Grün der Ampel wartet, da ist dieser kleine Bogen, den doch einige um einen machen, wenn man als Leichenberufler erkennbar ein Szenario betritt. Da ist vor allem auch dieses Zögern, wenn man jemandem die Hand geben möchte, als wäre man irgendwie unrein, als würde durch den vielen Leichenkontakt der Tod leibhaftig an einem haften und mitunter sogar übertragbar sein.

Obwohl es den meisten beim Gedanken an diese Berufe und ihre Berührungspunkte mit dem Tod eiskalt über den Rücken läuft und obwohl man selbst als Professionist nicht immer davor gefeit ist, diesem Unheimlichen und Unbegreiflichen habhaft zu werden, geht von dem ganzen Thema eine unbeschreibliche Faszination aus, eine Art Sogwirkung, der man sich selbst im Alltag kaum entziehen kann oder will. Nicht umsonst stehen Krimis und Thriller mit Mord und Totschlag ganz hoch im Kurs, wenn es um die Wahl des Fernsehprogramms oder Lesestoffs geht. Sehr modern sind aktuell auch erfolgreiche True-Crime-Dokumentationen, zum Beispiel die RTL-Serie „Obduktion“ mit dem „Tatort“-Pathologen Jan Josef Liefers, in der authentische Fälle untersucht werden – mit „echten“ Leichen. Mit Leidenschaft und erregender Anspannung folgen wir darin den Gerichtsmedizinern an den stählernen Tisch, sägen mit ihnen Brustkörbe auf und durchwühlen erkaltete Gedärme auf der Suche nach Hinweisen, womit der gejagte Mörder sein Opfer hinterlistig zur Strecke gebracht haben könnte. Und obwohl wir wissen, dass die Leiche mitunter von einem gut geschminkten Schauspieler dargestellt wird, fröstelt es uns beim Anblick und manche fragen sich vielleicht, ob Tote tatsächlich so aussehen.

 

Immer wieder höre ich, dass sich viele derartige Berufe, wie zum Beispiel in der Pathologie oder Bestattung, für sich nicht vorstellen können oder wollen: „Das könnte ich nie!“ Aus dieser Unvorstellbarkeit heraus wirken jene, die es können und tun, auf uns oft anziehend.

FASZINATION UND ABSCHEU

Hier begegnen wir wieder dieser Gegensätzlichkeit: Anziehung und zugleich Abstoßung, Ablehnung und Bewunderung. Die respektvoll wertschätzende Frage: „Wie schaffst du das nur? Die vielen Leichen, das Weinen und überhaupt?“ streichelt mitunter die Seele und man kann sich ein Stück weit überlegen fühlen. Man ist Handlanger des Todes und so irgendwie auch Teilhaber an seiner Macht, an einer Macht, die die eigene Ohnmacht lindern hilft. Wir sollten daher jene, die in diesen Feldern des Todes ihren Dienst verrichten, nicht nur als arme, mutige Seelen ansehen, die sich tapfer statt uns des Todes annehmen und zum Undank nicht einmal die Hand gereicht bekommen. Auch ist es nicht so, dass sie allein, selbst- und gewinnlos gegen den Strom der gesellschaftlichen Todesverdrängung anschwimmen. Wir dürfen vielmehr zu Recht vermuten, dass sich hinter jeder selbst gewählten beruflichen Tätigkeit im Kern ein Lohn für den eigenen Selbstwert versteckt. Und so ist es auch hier, wenn vielleicht auch nicht immer auf den ersten Blick erkennbar oder jedem allzeit bewusst. Menschen in sogenannten Todesberufen verdienen nicht mehr, aber auch nicht weniger Respekt und Anerkennung als die Reinigungskraft, der Dachdecker oder die Anwältin.