Theo Retisch

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Theo Retisch
Font:Smaller АаLarger Aa

Martin Cordemann

Theo Retisch

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Tod

Schwierigkeiten

Drogen

Kater

Akten

Seelenfrieden

Pathologie

Kölsch

Erwachen

VIP-Begräbnis

Abfuhr

Stillfluß

Probleme

Stille

Showdown

Schuss

PS

Impressum neobooks

Tod

„Okay, was haben wir hier?“

Ich zeigte meinen Dienstausweis.

„Oh, Kommissar Retisch. Was führt Sie hierher?“

„Eine Leiche?! Sagen Sie es mir.“

„Okay, männlich, ca. 1.80 groß, blondes Haar, tot.“

„Todesursache?“

„Das ist noch nicht ganz sicher. Wahrscheinlich Selbstmord.“

„Selbstmord?“ Ich lächelte müde. „Was soll ich dann hier?“

„Naja...“ Der Polizist sah mich unsicher an. „Es ist nicht sicher, dass es Selbstmord war. Die Nachbarn haben Schüsse gehört...“

„Schüsse? Was ist das für ein Selbstmörder, der mehrere Anläufe braucht?“

„Deswegen haben wir Sie ja auch sofort gerufen. Und... weil es ein Bekannter von Ihnen ist.“

„Ein Bekannter?“

Ich trat in die Küche der kleinen Wohnung. Auf dem Fußboden lag die Leiche eines blonden Mannes. Daneben eine Pistole. Eine Blutlache bildete sich auf dem Linoleum. Der Polizist beugte sich herunter und hob den Kopf des Toten ein wenig an.

„Uuuups!“

Dieter Werkel.

In der Tat ein Bekannter.

Ich hatte ihn ein paar Mal verhaftet.

Und war mir sicher, dass es ich es wieder tun würde.

Bis jetzt.

„Okay, ich bin mit Selbstmord einverstanden“, murmelte ich und erhob mich wieder.

„Ähm, das... das ist doch nicht Ihr Ernst, oder?“

Ich seufzte.

Hätte nichts dagegen gehabt, den Fall abzuschließen.

Werkel war ein Arschloch gewesen.

Ein wirklich sehr unnetter Mensch.

Der es durchaus verdient hätte, dass man ihn... selbstmordete.

„Nein, leider nicht.“

Ich sah mich um.

„Wenn er mehr als einmal geschossen hat, wo ist dann die Kugel geblieben? Und überhaupt: Wenn irgendjemand diese Sache wie Selbstmord aussehen lassen wollte, warum hat er dann zugelassen, dass zweimal geschossen wurde? Das versaut doch alles! Naja. Was ist mit der Spurensicherung?“

„Müsste jeden Moment hier sein.“

„Gut.“

Ich steckte mir eine Zigarette an.

„Dann sehen wir uns doch mal um, ob wir hier ein paar Hinweise finden können.“

Ich nahm ein Paar Gummihandschuhe aus meiner Tasche und sah mir die Waffe an. Sie roch, als wäre sie erst vor kurzem abgefeuert worden. Eine Pistole mit Trommel. Ich öffnete sie vorsichtig und sah hinein. Voll geladen. Ich drehte die Knarre um und alle Patronen fielen in meine Hand. Zwei davon waren benutzt worden.

Ich ließ die Patronen in einen Klarsichtbeutel fallen und die Knarre in einen zweiten. Beides drückte ich dem Polizisten in die Hand.

„Gut drauf aufpassen!“

Er nickte.

„Er hat also wirklich zweimal geschossen?“ fragte er.

„Hmm-hmm!“ nickte ich. „Sieht ganz so aus.“

„Und... worauf?“

Ich hob vorsichtig den Kopf der Leiche an. Sein linkes Ohr war nur noch eine blutige Masse. Ebenso sein Hinterkopf. Am Ohr fanden sich Schmauchspuren.

„Tja, sieht so aus, als hätte er erst Zielübungen mit seinem Ohr gemacht. Dann hat er sich die Waffe aufs Auge gedrückt und BUMM!“

„Aufs Auge? Ist das nicht eher ungewöhnlich?“

„Was? Ungewöhnlicher als Zielübungen mit dem Ohr?“ Ich grinste. „Wissen Sie, wie schweineweh das tun muss, wenn man sich mit einer Kugel das Ohr wegjagt?“

„Aber... aufs Auge? Steckt man sich die Knarre nicht normalerweise in den Mund?“

„Ja, normalerweise schon. Naja, sofern man bei Selbstmördern von normal sprechen kann. Das Schöne ist nur, dass die meisten nur einmal zuschlagen.“

„Also... hat er Selbstmord begangen?“

„Das muss das Labor entscheiden. Wenn sich herausstellt, dass er Pulverspuren an den Fingern hat, dann würde ich das mal für relativ wahrscheinlich halten.“

„Und wenn er keine hat?“

„Naja, also, auch wenn er erst einen Warnschuss abgefeuert hat: die Zeit, seine Handschuhe nach dem Schießen auszuziehen, hatte er jedenfalls nicht! Apropos, haben Sie hier irgendwo Handschuhe gesehen?“

„Nein.“

„Tja, damit dürfte diese Möglichkeit wohl ausscheiden.“

Ich sah ihn mir noch mal an.

Und etwas fiel mir auf.

Eine Hand Werkels war zur Faust geballt.

Ich hob sie an, aber ich konnte sie nicht öffnen.

Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt.

Ich nahm eine durchsichtige Tüte aus der Tasche und stülpte sie über die Hand.

„Was machen Sie da?“

„Beweise sichern“, murmelte ich.

Im Hausflur wurde es laut. Die Spurensicherung kam.

„N’abend, Retisch.“

„Abend, Meier.“

„Schon so früh hier?“

„War in der Gegend.“

„Was ham wir hier?“

„Möglicherweise Selbstmord.“

„Aha. Haste mal ne Kippe?“

„Klar.“

Ich reichte ihm eine.

„Danke.“

„Ist übrigens n Bekannter. Dieter Werkel.“

„Ah, dann hat’s also diesmal keinen falschen getroffen!“

„Mein Reden.“

Ich gab ihm Feuer.

„Wenn ihr was findet, sagt mir Bescheid.“

„Ist okay.“

Meier öffnete seinen großen Koffer und machte sich an die Arbeit.

Ich sah mir die Wohnung an.

Durchsuchte sie professionell.

Das was ich suchte fand ich nicht.

Alles war recht aufgeräumt.

Ordentlich.

Das Bett gemacht.

Die Wäsche gewaschen.

Sauber im Schrank gefaltet.

Die Handtücher hingen glatt über den Stangen.

Der Zahnputzbecher war trocken.

Die Badewanne geputzt.

Der Aschenbecher kaum benutzt.

Am Anrufbeantworter blinkte ein Lämpchen.

Der Fußboden war makellos.

Außer in der Küche.

Wo seine Leiche lag.

Und blutete.

Ein ordentlicher Mensch.

Ein Arschloch zwar, ein Verbrecher, aber ordentlich.

Und tot.

Ich drückte auf die Taste des Anrufbeantworters.

„Werkel, du miese Ratte! Dafür krieg ich dich am Arsch, du Schwein!“

Dann nichts mehr.

Ich holte die Kassette aus dem Gerät und verstaute sie in einer Klarsichthülle.

Dann ging ich zurück in die Küche.

Meyer war gerade beschäftigt.

„Zwei Kugeln“, murmelte er. „Die eine hat ihm das Gehirn zerrissen. Die andere steckt in der Küchenwand.“

„Schön“, meinte ich. „Sonst noch was?“

„Muss noch den Paraffintest machen. Dann kann ich dir sagen, ob er selbst geschossen hat.“

„Okay.“

„Retisch.“

„Hmm?“

Ich sah ihn fragend an.

„Was meinst du?“

„Ob das Selbstmord war?“

Er nickte.

„Wie groß sind die Chancen? Ich meine, er liegt in der Küche. Gut, vielleicht wollte er seinen teuren Wohnzimmerteppich nicht voll bluten, aber ansonsten?“

Ein elektrisches Geräusch ertönte.

Aus dem Wohnzimmer.

Meier sah mich fragend an.

Ich wusste es auch nicht.

Wir sahen nach.

Der Videorekorder war angesprungen.

Ziemlich veraltet, so was hatte heute kaum noch jemand.

Werkel zeichnete etwas auf.

Vielleicht wollte er sich das nach seinem Tod ansehen?!

Ich schaltete den Fernseher ein und suchte den Videokanal.

Es lief die neue Samstagabendshow der ARD: „Veronas Kaffeekranz“.

Aus irgendeinem Grund wurde sie jetzt montags ausgestrahlt.

Ich seufzte.

„Er war nicht nur ein mieser Arsch, er hatte auch einen scheiß Geschmack!“

Ich deutete auf den Rekorder.

„Der kommt auch ins Labor. Findet heraus, ob er noch was anderes aufnehmen wollte. Etwas anderes, das er sich dann im Jenseits ansehen wollte.“

 

Meier nickte.

„Sag mal, hast du hier Zigaretten gesehen?“

„Wieso?“ fragte Meier. „Hast du welche verloren?“

„Nein.“ Ich ließ meinen Blick durchs Wohnzimmer gleiten. Kein Aschenbecher. Keine Zigaretten. „Aber der Aschenbecher in der Küche macht einen kaum benutzten Eindruck, oder?“

Wir gingen zurück in die Küche.

Der Aschenbecher war benutzt worden.

Es fand sich ein wenig Asche darin.

Aber keine Kippe.

Wir stellten die ganze Wohnung auf den Kopf.

Zigaretten fanden sich keine.

„Gut.“ Ich steckte mir eine an. „Damit gehört dieser Laden ganz dir.“

Ich trat hinaus auf die Straße. Eisige Luft umfing mich. Ich schlug den Kragen meiner Jacke hoch. Jetzt noch ins Präsidium, den Papierkram erledigen und dann war Schluss für heute. Ich machte mich auf den Weg.

Einen langen Weg.

Auf die andere Rheinseite.

Nach Kalk.

Wer kam auf die Idee, ein Polizeipräsidium so weit vom Schuss aufzubauen?

Scheiß Bürokraten!

Als ich endlich im Präsidium angekommen war, lief mir die Fleisch gewordene Antipathie über den Weg. Volker Klaus Weber, Leiter des Drogendezernats. Er hatte einen schnäuzerlosen Bart rund ums Gesicht und die dazu passende Kapitänsmütze auf dem Kopf. Sah aus wie ein Troll mit Segelschein. In seinem Fahrwasser schlingerte der Spacken vom Dienst, Ilja Raap, ebenfalls Drogendezernat.

„Na, Jungs! Laufen die Drogengeschäfte gut?“

Weber blieb stehen und sah mich kalt an.

„Was geht Sie das an, Retisch? Sie arbeiten nicht mehr für uns!“

Was zu einem Großteil an ihm lag.

Wer arbeitet schon gerne mit einem absoluten Arschloch zusammen?

Ich nickte und lächelte.

„Und Sie haben mich auch gerade wieder daran erinnert, warum das so ist!“

„Kommen Sie, Raap“, fauchte Weber seinen Lakaien an. „Wir haben noch was zu tun? Und wo haben Sie eigentlich die ganze Zeit gesteckt? Hab n paar Mal versucht, Sie zu erreichen!“

„Ermittlungen.“

„Das können Sie Ihrem Arsch erzählen, Raap!“

Es gab Menschen, die musste man einfach lieb haben.

Oder man kaufte sich irgendwann eine Waffe und lief Amok.

Ich versuchte seit langem herauszufinden, welchen Weg ich lieber einschlagen wollte!

Mit dem guten Gefühl, nicht mehr für das Drogendezernat arbeiten zu müssen, setzte ich meinen Weg fort.

Kurz nachdem ich mein Büro betreten und mich an die Schreibmaschine gesetzt hatte, klingelte das Telefon. Es war Meier, der vom Tatort anrief.

„Und, was gefunden?“ fragte ich, während ich in meiner Tasche nach den Zigaretten langte.

„Ja. Und nein. Wobei nein in diesem Fall ja ist.“

„Na, das nenn ich doch mal ne klare Aussage. Also, Mr. Orakel, was meinst du damit?“

„Der Paraffintest zeigt keine Pulverspuren an seinen Fingern. Und ich meine: an all seinen Fingern!“

„Also hat er nicht geschossen?“

Es war mehr eine Feststellung.

„Also hat er keinen Selbstmord begangen!“

Das war definitiv eine.

„Würde ich so sagen.“

„Tja, das heißt dann wohl, dass außer dem Papierkram noch mehr Arbeit auf mich wartet.“

„Hattest du etwa was anderes vor?“

„Kann man so sagen. Naja, danke erstmal. Wenn du in der Bude noch was findest, sag Bescheid. Ich bin dann auf dem Handy zu erreichen.“

„Okay. Schönen Abend noch.“

„Danke, auch so.“

Ich legte auf.

Fall nicht abgeschlossen. Fall begonnen. Selbstmord kein Selbstmord sondern Mord. Wunderbar.

Das Telefon klingelte.

„Retisch.“

„Theo?“

Eine rauchige Stimme.

Süßlich.

Verhangen.

Weiblich.

„Ja.“

„Ich warte auf dich.“

„Wo bist du?“

„In Schwierigkeiten!“

Ich machte mich sofort auf den Weg.

Schwierigkeiten

Der Verkehr war stark.

Ich kam nicht schnell voran.

Dabei war Geschwindigkeit wichtig.

Wenn ich mein Ziel rechtzeitig erreichen wollte.

Wenn ich schnell da sein wollte.

Um da zu sein.

Für sie.

Wenn sie mich brauchte.

Wenn es nötig war.

Wenn es wichtig war.

Ich hetzte durch die Stadt.

Autos hupten mich an.

Fahrradfahrer verwünschten mich.

Es war mir egal.

Manchmal muss man so handeln.

Manchmal hat man einfach keine andere Chance.

Wenn wichtige Dinge auf dem Spiel stehen.

Ich stieß die Tür auf.

Die Kneipe war halb gefüllt.

Die Luft stickig.

Die Atmosphäre verraucht.

An der Bar stand sie.

Drehte sich um.

Ich sah es ihr an.

Sah, weshalb ich mich so beeilt hatte.

Weshalb ich alles aufs Spiel gesetzt hatte.

Weshalb ich durch die ganze Stadt gerast war.

Sie wollte mich.

Ich stürmte durch die Kneipe.

Und küsste sie.

Das Beste des Tages!

Das „Schwierigkeiten“ war eine neue Szenekneipe, die an der Zülpicher Straße aufgemacht hatte. Das Viertel mit seinen Kneipen lag ganz in der Nähe der Uni und wurde deshalb vornehmlich von Studenten für ihre Abende ohne Lernen benutzt – also genau genommen für die meiste Zeit. Mit dem „Schwierigkeiten“ versuchte man, eine moderne Cocktailbar mit einer heruntergekommenen Kölschkneipe zu vereinigen. Das ganze war mehr so ein Experiment, ob diese Kombination überhaupt funktionieren konnte. Ich hatte meine Zweifel. Dafür mochte ich das Personal.

Jasmin arbeitete hier als Bedienung.

Eine Studentin.

Jura.

Trotzdem nett.

Eine tolle Küsserin.

„Ich hab Pause“, hauchte sie und küsste mein Ohr.

„Ich auch!“ murmelte ich.

Wir verschwanden aus dem „Schwierigkeiten“ und gingen in ihre Wohnung. Es dauerte nicht lange, bis wir nackt und völlig verschwitzt waren.

Jasmin war großartig. Eine Beziehung, wie man sie sich wünschte. Sie studierte. Kellnerte. Lernte. Hatte wenig Zeit. Man sah sich. Aber nicht zu oft. Und wenn man sich sah, nutzte man die Zeit. Nicht zum Streiten. Für wichtigeres.

Wir hatten uns bei der Polizei kennen gelernt. Als dort im Rahmen ihres Studiums ein Praktikum machte.

Ich kümmerte mich um sie. Zeigte ihr ein paar Tricks. Lernte sie kennen.

Wir trafen uns.

Mochten uns.

Liebten uns.

Sie war eine tolle Frau.

Und der Sex war großartig!

Ich seufzte und zündete mir eine Zigarette an. Dabei beobachtete ich, wie ein kleiner Schweißtropfen langsam über die Wölbung ihrer wohlgeformten Brust lief. Ein hinreißender Anblick.

„Woran denkst du?“ fragte sie.

„An dich.“

Ich sog den Rauch tief in die Lungen.

„Schwerer Tag?“

„Naja.“ Ich sah sie gelassen an. „Ging so.“ Sie hatte wunderschöne Augen. „Muss gleich noch n paar Leute befragen.“

„Nebenjob als Fernsehmoderator?“

„Ich wünschte, es wär so!“

Ihre Brustwarzen waren noch immer aufgerichtet.

Meine Hand streichelte ihren Venushügel.

„Haben wir noch Zeit?“

Sie sah auf die Uhr.

„Leider nicht.“

Sie küsste mich auf den Mund und stieg aus dem Bett.

„Willst du nicht duschen?“ fragte ich sie, als sie ihren BH anzog.

„Nein.“ Sie grinste. „Meine Gäste mögen es, wenn ich nach Sex rieche.“

„Der Laden war mir schon immer suspekt“, murmelte ich und ging unter die Dusche.

Eine Viertelstunde später befand ich mich wieder draußen in der Kälte. Zurück zum Tatort. Die Nachbarn befragen. Eine aufregende Angelegenheit.

Als ich vor dem Haus auf dem Bürgersteig parkte, trat bereits Inspektor Marcsen aus der Tür. Er war mein Partner und hatte den Vormittag frei gehabt.

„Ahh, der eifrige Kommissar“, begrüßte er mich.

„Ahh, der arbeitsscheue Inspektor“, war meine Antwort.

„Eigentlich darfst du da ja nicht parken.“

„Ich wusste, du hast es in dir.“

„Was?“

Er sah mich fragend an.

„Den Verkehrspolizisten. Ich werd mich gleich morgen darum kümmern, dass du dahin versetzt wirst.“

„Also, bei genauerer Betrachtung steht dein Wagen eigentlich ziemlich gut.“

„Lernfähig“, lobte ich.

„Was haben wir hier? Die von der Zentrale haben mir nur gesagt, dass ich dich hier treffen soll.“

„Erinnerst du dich an Dieter Werkel?“

„Dieter Werkel, Dieter Werkel... Oh nein! Dieser Typ, der diese elend langen Fernsehfilme mit Mario Adorf und Heinz Hoenig macht?“

„Quatsch, nein. Das ist Dieter Wedel!“

„Und der ist tot?“

„Nein. Naja, weiß nicht, möglich. Aber darum geht’s hier nicht. Es geht um Dieter Werkel.“

Bei Marcsen ging die Lampe der Erkenntnis an.

„Drogen, Prostituierten und Mord Werkel? Klar. Netter Zeitgenosse. Wie oft haben wir versucht, ihn hinter Gitter zu bringen?“

„Oft genug. Aber er hatte immer gute Anwälte.“

„Dieses ‚hatte‘...“

„...deutet darauf hin, dass die sich nur noch um seinen Nachlass kümmern können, ja.“

„Wow.“

Marcsen war echt erstaunt.

Aber keineswegs betroffen.

„Da hat es ja mal den richtigen getroffen.“

„Im wahrsten Sinne des Wortes! Sollte übrigens wie Selbstmord aussehen, wurde aber verpfuscht.“

„Und wofür brauchst du mich dann? Um zu feiern?“

„Tja, das kommt später. Vorher befragen wir erstmal seine Nachbarn.“

Er stöhnte.

Es gibt nichts schöneres, als Nachbarn zu befragen.

Die meisten machen einem gar nicht erst auf.

Die andern knallen einem die Tür vor der Nase zu.

Wer beides nicht macht, ist oft betrunken.

Oder hat eine abgesägte Schrotflinte hinter der Tür.

In jedem Fall bedeutet es Ärger!

Wir seufzten und machten uns an die Arbeit.

Erdgeschoß.

Fehlanzeige.

Typ in Jogginghosen und Unterhemd.

„Isch brauch keine Zeitungen.“

Die Tür knallte zu.

Wir klingelten wieder.

Durch die Tür knurrte es: „Wenn ihr Jesockse noch mal klingelt, ruf isch die Polizei.“

„Wir sind die Polizei!“ versuchte es Marcsen.

Die Tür ging auf.

„Watt wolln Sie von mir? Der Wajen jehört net mir! Der is wohl nur jeliehen.“

„Es geht nicht um den Wagen“, beruhigte ihn Marcsen. Dann sah er mich fragend an. „Geht es doch nicht, oder?“

„Nein, geht es nicht. Herr Dünnwald, wir haben da ein paar Fragen an Sie. Wegen eines Mieters.“

„Die alte Jrabitz? Dat is ne Vojelscheuche! Und die tratscht, watt datt Zeusch hält!“

„Wie sieht das mit Dieter Werkel aus?“

„Mit wem?“

„Dieter Werkel, dritter Stock, groß, gepflegt, Anzug.“

„Ahh der Fatzke. Hab isch nix mit am Hut. Putzt nie den Hausflur. Fieser Typ.“

„Haben Sie vielleicht heute im Laufe des Abends jemanden hier im Haus gesehen, den Sie hier noch nie gesehen haben?“

„Isch bin jrad erst nach Hus jekomme.“

„Spätschicht?“

Er lachte.

Eine schwere Fahne wehte uns entgegen.

„Joh, so könnte man dat nennen!“

Nette, ältere Dame.

„Sind Sie von der Polizei? Ich habe Sie angerufen. Ich habe Schüsse gehört. Zwei Stück. Ich dachte mir, das kann nicht richtig sein. Zwei Schüsse. Hier im Haus. Das ist nicht gut.“

„Frau, äh...“

„Grabitz. Ich wohne hier im Haus. Ich mochte ihn nicht. Diesen Herrn Werkel. Machte immer einen merkwürdigen Eindruck. Nicht höflich. Wohnt direkt über mir. Hatte manchmal komischen Besuch.“

„Haben Sie im Laufe des Tages jemanden im Haus gesehen, den Sie vorher noch nie hier gesehen haben? Oder jemanden, den Sie Herrn Werkels ‚komischen‘ Bekanntenkreis zuordnen können?“

„Ja. Das habe ich.“

Marcsen und ich sahen uns an. Das klang doch mal wie eine Spur.

„Jemanden, den Sie kannten?“

„Nein. Ich hatte ihn noch nie gesehen.“

„Wie sah er aus?“

„Groß. Breite Schultern. Lederjacke.“

Sie schwieg.

Wir sahen sie fragend an.

„Besser hab ich ihn nicht gesehen.“

 

„Okay“, murmelte ich. „Groß, breite Schultern, Lederjacke.“ Ich sah an mir herunter. „Trifft wohl auf mich zu!“

Marcsen seufzte.

„Meine Lederjacke ist leider in der Reinigung.“

„Okay, du hast ein Alibi. Naja, sowas in der Art. Gut, haben Sie vielleicht sonst noch etwas gesehen?“

„Nein, das habe ich nicht.“

„Dieser große, breitschultrige Mann mit der Lederjacke, wann haben Sie ihn bemerkt? Kurz nach den Schüssen?“

„Nein, vorher. Bevor ich die Schüsse gehört habe. Er ging die Treppe hinauf.“

„Und als Sie die Schüsse hörten?“

„Bin ich sofort ans Telefon gestürmt.“

„Okay, vielen Dank.“

Wohnung gegenüber.

Keine Reaktion.

Rechtsanwalt.

„Ich muss Ihnen keineswegs die Tür öffnen.“

„Sie wissen sicher über Ihre Rechte Bescheid?!“

„Das sollten Sie auch, meine Herren!“

„Sie waren nicht zufällig sein Anwalt?“

„Wessen Anwalt?“

„Dieter Werkel. Wohnt unter Ihnen. Bis eben.“

„Nein, ich war nicht sein Anwalt.“

„Haben Sie ihn gekannt?“

„Habe ich nicht.“

Schweigen.

„Können Sie uns irgendetwas über ihn erzählen?“

„Kann ich nicht.“

„Können Sie nicht oder wollen Sie nicht, weil Sie glauben, dass Sie es nicht müssen?“

Schweigen.

„In welcher Kanzlei arbeiten Sie?“

„Ihre Namen?“

„Bitte?“

„Ihre Namen! Ich werde mich über Sie beschweren!“

„Weswegen?“

Ihre Namen?

„Das ist Inspektor Harry Wepper und ich bin Kommissar Stefan Tappert.“

Schweigen.

Eiskaltes.

„Vielen Dank für das Gespräch!“

Junge Tochter, Eltern nicht zu Hause.

„Der Mann da unten? Nee, den hab ich nicht gesehen. Ich guck den ganzen Tag Fernsehen!“

Frau des Hausmeisters.

„Sie dürfen hier nicht rauchen!“

„Ähm, dürften wir Ihnen vielleicht...“

„Ich kaufe nix! Ham Sie das Schild nicht gelesen? Betteln und Hausieren verboten! Haut ab mit euren Zeitungsabonnements! Sowas wolln wir hier in unserem Haus nicht haben. Kapiert? Und wenn ihr unten bei meinem Mann vorbeikommt, dann sagt ihm, dass er mit seinen Zahlungen im Rückstand ist! Und jetzt haut ab!“

„Oh – Mann!“

Ich zündete mir eine an.

Die Haustür fiel hinter uns ins Schloss.

„Was ein Spaß! Dafür lohnt es sich doch, Polizist zu sein.“

Marcsen schien sich nicht sicher zu sein, ob er rauchen oder lachen sollte. Er wählte einen Kompromiss: Husten!

„Das gibt’s nur im Belgischen Viertel. Im selben Haus wohnen ein Vollproll, ein Rechtsanwalt und ein Krimineller. Tja, das ist Köln.“

„Ja. Ich versteh nur nicht ganz, wo du die Grenze ziehst?“

„Zwischen den sozialen Schichten?“

„Nein, zwischen dem Rechtsanwalt und dem Kriminellen!“

„Die Ausbildung! Der eine ist ein Profi, der andere ein wohlwollender Laie. Naja, wenigstens kann man nicht sagen, dass das ein verschwendeter Abend war.“

„Ach?“ fragte er hustend. „Und warum nicht?“

„Weil der Abend noch nicht zu ende ist!“

„Heißt das, wir machen für heute Schluss?“

„Heißt es!“

„Gut.“ Er kriegte sich wieder ein. „Und? Triffst du dich mit Jasmin?“

„Nee. Hat heut Spätschicht. Die ganze Nacht.“

„Und was steht statt dessen auf dem Programm?“

„Drogen!“

You have finished the free preview. Would you like to read more?