Nachtgedanken einer Barfliege

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Nachtgedanken einer Barfliege
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Markus Wenderoth

Nachtgedanken einer Barfliege

Acht Geschichten für am Leben interessierte, so wie am Tod

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Das grüne Kleid

Der King lebt

Niedere Instinkte

Eine kurze Geschichte über den Frieden

Bis zum Hals

Wer zu spät kommt…

Nachtgedanken einer Barfliege

Impressum neobooks

Das grüne Kleid

Dienstag

Nicolas Stance war kein netter Mensch. Als Chef eines florierenden IT-Unternehmens war er bei seinen Mitarbeitern äußerst unbeliebt. Obwohl seine Firma seit Jahren Riesenumsätze machte, zahlte er seinen Angestellten nur die Mindestlöhne. Bonuszahlungen und Weihnachtsgratifikationen machte er nur ungerne und fast nie zum vereinbarten Zeitpunkt. Seine Konkurrenten betrachteten ihn zwar mit Ehrfurcht ob seines Talentes, auch die unscheinbarsten Ideen zu großen Erfolgen zu machen, aber auch mit großer Abscheu, da er dabei rücksichtslos kleinere Unternehmen übervorteilte und vom Markt drängte.

Es ging das Gerücht, dass er schon den einen oder anderen Ideengeber mit unlauteren Mitteln um die Urheberrechte gebracht habe oder die notorisch geldklammen Programmierer mit Peanuts abgespeist habe, um ihre Programme selber im großen Stil zu vermarkten.

Ein Entwickler, der ihm eine Software verkauft hatte, die im Betriebssystem des Branchenführers zum absoluten Renner geworden war, hatte sich im vergangen Jahr sogar das leben genommen, nachdem das wenige Geld, dass er ihm bezahlt hatte bei einer Beteiligungsklage, die letztlich erfolglos gewesen war und ihn daraufhin die Freundin mit der gemeinsamen Tochter verlassen hatte.

Schuldgefühle hatte er deswegen zu keinem Zeitpunkt gehabt, jeder sei schließlich für sein eigenes Glück verantwortlich, sagte er sich.

Stance selber hatte keine Freunde. Diejenigen, die zu seinen zahlreichen Galaempfängen und Cocktailpartys kamen, bezeichnete er selbst verächtlich als „Speichellecker“, demütigte sie, wann immer er konnte und ergötzte sich daran, dass sie sich lächelnd seine Anmaßungen bieten ließen.

Nicolas Stance war mit einer attraktiven, wenn auch etwas schlichten Frau verheiratet, die er ebenso verachtete. Sie hatte besonders schlimm unter ihm zu leiden. Ständig kritisierte er sie, mäkelte über ihr Essen und hatte schon mehrfach mehr als angedeutet, dass er sie, wenn der Zahn der Zeit nur genug an ihr genagt hätte, gegen ein jüngeres Modell austauschen würde.

Der einzige Mensch in seinem Leben, den Nicolas jemals geliebt hatte war sein vierjähriger Sohn Nick jr.. Von Nick reichte eine Berührung mit der Hand oder ein Blick, um Nicolas ruhiger und umgänglicher werden zu lassen. Trotz seines jungen Alters hatte Nick ein feines Gespür und setzte seine Gabe oftmals ein, um seine Mutter, die dieser wiederum abgöttisch liebte, aus der Schussbahn seines Vaters zu nehmen.

Am kommenden Samstag würde Nick jr. fünf Jahre alt werden und er hatte sich eine große Verkleidungsparty gewünscht.

Außerdem war sein einziger Geschenkewunsch eine große Modelleisenbahn mit einer richtig dampfenden Lok, die noch dazu Geräusche machte wie eine große Bahn und sogar pfeifen konnte.

Diese hatte er in einem kleinen, uralten Spielzeugladen unweit des väterlichen Büros bei einem Einkaufsbummel mit seiner Mutter entdeckt.

Stance, der sich schon lange wunderte, wie dieser schäbige Laden inmitten der modernen Bürohäuser existieren konnte, war nur zu gerne bereit, Nick diesen Wunsch zu erfüllen.

Tatsächlich bekam er leuchtende Augen, denn als Kind hatte er sich selber immer eine Eisenbahn gewünscht, seine Eltern aber hatten nur zwei Gaben großzügig verteilt:

Sein Vater Schläge und seine Mutter Nichtbeachtung.

Obwohl er sonst lange zu arbeiten pflegte, machte Nicolas an diesem Dienstag schon früh am Nachmittag Feierabend. Er hatte sich vorgenommen, dem Spielzeugladen einen Besuch abzustatten. Als er aber um kurz nach 14 Uhr dort ankam, war der Laden geschlossen und ein Schild „Mittagspause, um 15Uhr sind wir wieder für sie da“ hing draußen an der Tür.

Stinksauer, dass sich zur heutigen Zeit ein Laden den Luxus erlauben konnte, über Mittag zu schließen, presste er seine Nase gegen die Schaufensterscheibe, um zu sehen, ob der Mitarbeiter seine Pause vielleicht im Laden verbrächte und er ihn herbeiklopfen könnte. Einen Moment lang vermeinte er auch tatsächlich, jemanden zu sehen, dann aber stellte er fest, dass es lediglich eine übergroße Puppe in einem fürchterlichen, grünen Kleid war, die ihn aus ihren künstlichen, viel zu großen Glasaugen anstarrte. Unwillkürlich zuckte er zurück, dann jedoch ging er ein paar Schritte zur Seite, um aus einer anderen Perspektive in den Laden zu schauen. Wieder war es jedoch nur die Puppe, die zurückglotzte und Nicolas wich mit einem unbehaglichem Gefühl von der Scheibe zurück, die Nackenhaare steil aufgestellt.

Dann aber beschloss er, Ärger und Unbehagen beiseite zu schieben und das Beste aus der Situation zu machen. So wanderte er zwei Blocks zur Filiale von „Moonbucks“, um eine koffeinfreie Sojalatte zu sich zu nehmen und später dem Laden einen zweiten Besuch abzustatten. Er bestellte beim ersten Mitarbeiter, bezahlte beim zweiten und reihte sich in die Schlange vor der Getränkeausgabe ein. Die Höflichkeitsfloskeln der Mitarbeiter ignorierte er wie stets. Dafür schwoll ihm beim Warten in der Schlange bereits wieder der Hals und er war kurz davor einen Aufstand anzuzetteln, als er dann schließlich dich an der Reihe war.

Als er jedoch der jungen Frau an der Ausgabe ins Gesicht schaute, welches nur aus grell geschminkten riesigen Augen und einem spöttisch verzogenen Mund zu bestehen schien, rutschte ihm das Herz in die Hose, vermeinte er doch in ihrem grünen „Moonbucks“ Dress eine große und überaus lebendige Doppelgängerin jener gruseligen Puppe vor sich zu haben.

Fluchtartig verließ er die Filiale ohne auch nur im Entferntesten daran zu denken, seinen bereits bezahlten Kaffee mitzunehmen.

Nach ein paar hundert Schritten, die er unbewusst in die Richtung fort vom Spielzeugladen gelaufen war, lehnte er sich ausgepumpt, aufgewühlt, jetzt aber auch mit einem aufkeimenden Gefühl von Ärger über sich selbst an eine Häuserwand und überdachte seine nächsten Schritte. Zurück zum Laden erschien ihm als keine Alternative, daher beschloss er, mit dem Jaguar in die Vorstadt zur landesweit größten Filiale von „Gifts `r me“ zu fahren. Die warb schließlich damit, jedes Spielzeug der Welt beschaffen zu können, garantiert.

Es war ein schrecklicher Tag gewesen. Nach allem, was er zuvor erlebt hatte, war sein Besuch in dem Riesenspielzeugladen ein Reinfall gewesen. Natürlich hatten sie genau diese Bahn nicht im Sortiment, obwohl es ein Riesensortiment an Spielzeugeisenbahnen gab, die aber entweder nicht für kleine Kinderhände geeignet waren oder aber, wenn sie die richtige Größe hatten, die gewünschten Merkmale nicht erfüllten.

Entgegen der großspurigen Werbung, bestand laut Internet auch keine Möglichkeit, das Modell zu bestellen. Lauthals verlangte Nicolas den Manager zu sprechen, um diesen zur Schnecke zu machen. Dieser entschuldigte sich vielmals, war aber ansonsten aalglatt und verwies darauf, dass die Bestellgarantie nur für das Spielzeug gängiger Marken gelte und nicht für Sachen, die offensichtlich nur in winzigen Auflagen oder sogar als Einzelstücke gefertigt worden seien. Nachzulesen sei das natürlich in den AGB`s und als Fußnote auf den Plakaten und Werbeblättchen.

Als Nicolas Stance an diesem Abend endlich zu Hause angekommen war, war seine Stimmung auf dem absoluten Nullpunkt. Nick jr. war bereits im Bett und Laura, seine Frau merkte schnell, wie es um seine Laune stand. Demütig und wie ein geprügelter Köter, versuchte sie, ihm alles recht zu machen, was ihn nur noch wütender machte. Ihr Essen nannte er einen „Schweinefraß“, das Bier sei „pisswarm“ und der Kaffee schmecke wie Spülwasser. Als sei schließlich kurz davor war, in Tränen auszubrechen, attestierte er ihr, sie würde ohnehin immer fetter und am besten sei es, sie würde, wenn demnächst Besuch käme, in der Küche bleiben. Die Nacht verbrachte Stance in seinem Arbeitszimmer, zu dem außer ihm niemand Zutritt hatte. Unmöglich hätte er es ertragen, neben Laura zu liegen und darauf zu achten, wie sie versuchte, ihr Schluchzen zu unterdrücken, um Nicolas nicht noch mehr zu reizen.

Mittwoch

Beim Frühstück am nächsten Morgen ging es Nicolas etwas besser, am Computer im Arbeitszimmer hatte er beim „Body Count“ seinen Rekord gebrochen und einige spektakuläre Treffer gelandet. Nick jr. hatte ihn mit einem süßen Milchbart angestrahlt und Laura war ihm aus dem Weg gegangen. Dann aber, als er gersde auf dem Weg nach draußen gewesen war, hatte Nicki ihn treuherzig gefragt, ob er denn auch wirklich sein Geburtstagsgeschenk bekommen würde. Daraufhin war die ganze schlechte Laune sofort wieder zurückgekehrt und er hatte nur noch „Natürlich mein Kleiner“ murmeln können, bevor er aus dem Haus gestürmt war und den Jaguar mit quietschenden Reifen aus der Einfahrt gejagt hatte.

 

In der Firma war er grußlos an allen Schleimern vorbeigelaufen und hatte Betti, seine Sekretärin angewiesen, keine Telefonate durchzustellen, außerdem seine Termine für den gesamten Tag abzusagen. Dann klemmte er sich an den Computer und verbrachte den Rest des Tages damit, sämtliche Suchprogramme nach der Scheisseisenbahn zu durchforsten. Es war aber wie verhext, es gab dutzende verschiedene Modelle, aber genau die, die Nicki sich wünschte, war nirgends zu finden. Auf einer nerdigen Seite, die offensichtlich von einem echten Modelleisenbahnfreak betrieben wurde, erfuhr er wenigstens, dass es früher die Produktion einer solchen Bahn in winziger Auflage gegeben habe, diese aber schon viele Jahre eingestellt war. Für gut erhaltene Exemplare würden von Liebhabern horrende Preise gezahlt. „Hey, ihr Lokomotivführer da draußen, wenn einer so ein Ding für mich übrig hat, sage ich nicht nein. Tut Tut, euer Trainman“ war als letzter Satz zu lesen und wütend schaltete Stance den Rechner ab. Die ergebnislose Recherche hatte bis zum späten Nachmittag gedauert und als er schließlich zum Spielzeugladen kam, hatte dieser bereits wieder geschlossen. Stinksauer hämmerte er an die Ladentür, doch drinnen schien sich nichts zu bewegen. Als er vorsichtshalber noch einmal durch die Scheibe schaute, konnte er jedoch wieder nur die hässliche Puppe in ihrem grünen Kleid sehen und wieder war es ihm, als könnte diese auch ihn sehen.

An diesem Abend fuhr er nicht nach Hause und als er Laura anrief, ärgerte er sich über ihre spürbare Erleichterung, als er ihr mitteilte, dass er im Büro schlafen würde. Auch dass Nick jr. nur fröhlich „Okay, Papa“ sagte und seiner Mutter sofort das Telefon wiedergab, steigerte seine Laune nicht gerade.

Im Büro loggte Nicolas sich zur Entspannung auf seiner Lieblingsseite „Bounded and Wounded“ ein, um zu schauen, wie ein paar Schlampen, die es nicht anders verdient hatten, richtig hart rangenommen wurden. Die Hose schon aufgeknöpft, klickte er erwartungsvoll einen Clip namens „Cry lady, cry“ an, doch als die gefesselte Frau dort den Kopf hob und aus Riesenaugen spöttisch direkt durch die Kamera in sein Gesicht schaute, verwandelte sich sein lustvolles Stöhnen in einen unterdrückten Schrei. Erst da bemerkte er, dass das Kleid, welches sie trug grün war.

Donnerstag

Nach einer fürchterlich unruhigen Nacht -den Rechner hatte er sofort ausgeschaltet-, in der es für ihn im Leben keine Befriedigung mehr hätte geben können, wachte er am Morgen früh und einigermaßen gerädert auf. An diesem Donnerstag begab er sich bereits um kurz vor acht Uhr zum Spielzeugladen und als die Tür um punkt acht Uhr vom Inhaber geöffnet wurde, stürmte Nicolas hinein, ohne die Puppe auf der linken Seite auch nur eines Blickes zu würdigen direkt zur Ladentheke im hinteren Bereich des Raumes. Als der Ladenbesitzer, ein uraltes Männchen mit zerzausten grauen Haaren endlich auch dorthin geschlurft war, kam Nicolas direkt zur Sache. „Eine gute Wahl“, krächzte der Alte mit heisere Stimme, „für Sie oder ihr Söhnchen?“ „Geht Sie nichts an“, gab Nicolas Stance unfreundlich zurück. „Jaja, da haben Sie sicher recht“, kicherte der Ladenbesitzer. Das Paket mit der Bahn unterm Arm wollte Nicolas den Laden verlassen. Erleichtert und wieder obenauf, weil er das Geschenk endlich hatte, wandte er den Blick nach rechts, wo die Puppe, die sicher so groß war wie ein Kindergartenkind auf ihrem Regal saß. Seltsamerweise war ihr Blick, den Nicolas jetzt als äußerst provozierend wahrnahm wieder auf ihn gerichtet, obwohl er sich ja noch im hinteren Teil des Ladens befand. „Seltsam, nicht wahr?“ krächzte der Alte, der seine Gedanken zu lesen schien, „Bella scheint einen immer anzusehen“. Plötzlich kam Stance eine Idee. „Das Kleid ist ja wunderschön“, sagte er mit seiner freundlichsten Stimme, „meine Tochter würde sich wahnsinnig darüber freuen, was soll es kosten?“ „ Oh nein, meine Bella ohne Kleid, das wäre aber unanständig“, erwiderte der Alte mit leisem Spott in der Stimme. „Egal, was es kostet, ich muss es haben“, rief Nicolas, der plötzliche sehr aufgeregt war. „Das kostet sicher mehr, als Sie es sich vorstellen können“, kicherte der Ladenbesitzer, „aber da es ja für ihre …Tochter… ist und ich merke, wie viel Ihnen daran liegt, geben Sie mir 20 Dollar und versprechen mir, dass sie sorgsam damit umgehen.“ „Natürlich, Sir“, versprach Nicolas, dachte aber bei sich: „Das könnte dir so passen, du Vogelscheuche.“

Die Eisenbahn hatte er ins Büro gebracht und Betti den Auftrag gegeben, sie am nächsten Tag schön einzupacken. Das Kleid aber hatte er in seine Aktentasche gestopft und am Nachmittag mi nach Hause genommen. Ohne großen Appetit hatte er das Abendessen zu sich genommen, Laura hatte er dabei weitgehend ignoriert, obwohl ihn amüsierte, wie sie mit eingezogenen Schultern auf die bei den gemeinsamen Essen üblichen Schmähungen und den Spott wartete, die aber diesmal ausblieben. Nick jr. Hatte er später ins Bett gebracht und seine treuherzige Frage nach dem Geschenk mit einem milden Lächeln quittiert. Insgeheim war er einfach zu aufgeregt, weil er sich heute Nacht selber beschenken würde.

Als er dann später allein im Arbeitszimmer „Bellas“ Kleid hervorkramte, füllten böse Gedanken seinen Kopf: Auf welche Weise würde er sich bei der hässlichen, aufdringlichen Puppe und dem ebenso hässlichen, anmaßenden Kerl für die unbehaglichen Gefühle, ja fast Panik rächen, die sie unzweifelhaft verursacht hatten. Dem ersten Impuls das Kleid draußen im Grill einfach mit Benzin zu übergießen und abzufackeln, widerstand Nicolas, denn das erschien ihm zu einfach. Nein, es sollte schon etwas sein, was die olle Puppe und den alten Sack richtig treffen würde, wenn er dorthin ginge, um es ihnen zu stecken. Vielleicht könnte er sich hier und jetzt darauf erleichtern und es dann zurückschicken, vielleicht mit einem netten Gruß, zum Beispiel „Danke, konnte ich wirklich gut gebrauchen“ oder „Mit lieben Grüßen zurück“. Dann würde der Alte schon sehen, wie sorgsam Nicolas mit dem Kleid umgegangen war. Andererseits würde ihn der Typ dann vielleicht wegen was auch immer anzeigen, möglicherweise, war es nicht ganz legal, jemanden mit einem vollgepissten Puppenkleid zu beschenken… Schade eigentlich. Suchend ließ Nicolas seinen Blick durchs Arbeitszimmer schweifen, da fiel sein Blick plötzlich auf seine große Schere, mit der er sonst die Zeitungsartikel ausschnitt, die über ihn und seine Erfolge in der IT-Branche berichteten und die er fein säuberlich in einem Aktenordner abheftete, natürlich in Klarsichthüllen.

Irgendwann hoffte er es auf den Titel des „Time-Magazine“ zu bringen. Jedenfalls durchzuckte ihn beim Anblick der Schere eine Idee. Er nahm das Kleid und schnitt ein dollargroßes Loch hinein, besah sich sein Werk und kicherte. Dann schnitt er noch ein Loch, noch eines und noch drei weitere hinein, ohne zu merken, dass er dabei wie irre kicherte.

Die ausgeschnittenen „Stoffdollar“ wiederum packte er in einen Briefumschlag und diesen in seine Aktentasche. Das Kleid, oder wie er kichernd dachte, den Schweizer Käse stopfte er ganz hinten in seine Schreibtischschublade, noch hinter den Teaser und die Sadopornohefte und schloss diese, wie immer sorgfältig ab.

Zum ersten Mal seit längerer Zeit schlief Nicolas Stance in dieser Nacht ruhig und traumlos und vor allen Dingen sehr zufrieden mit sich bis zum nächsten Morgen durch und als er dann am

Freitag

Aus dem Haus ging, sang er fröhlich vor sich hin, was seine Frau Laura einigermaßen erstaunt aber auch ein wenig beunruhigt zurückbleiben ließ.

Die Zeit im Büro ging im Fluge vorbei und als er nach der Mittagspause den Weg zum Spielzeugladen einschlug, war im vor lauter Selbstzufriedenheit noch immer warm ums Herz.

Als er jedoch die Tür öffnete, die Glocke klingelte und er über die Schwelle trat, wurde ihm schon ein bisschen komisch zu Mute. Hinten im Laden stand der Besitzer und winkte ihm zu.

Langsamen Schrittes, als ob ihn etwas zurückhielte, ging Stance auf ihn zu. Aus den Augenwinkeln linste er nach links zu dem Regal, wo die hässliche Riesenpuppe hätte sitzen müssen, doch dieser war leer. „Was kann ich für sie tun, Sir?“, fragte der Alte und da war es wieder, dieses hämische Grinsen. „Stimmt etwas nicht mit der Bahn… oder etwa mit dem Kleid?“ Nicolas arrogante Selbstzufriedenheit war mit einem Male verschwunden und er hörte sich stammeln: „Neinnein, alles okay wwo ist denn die PPuppe?“ „Na, ich kann doch meine Bella nicht so leicht bekleidet hier herum sitzen lassen, was sollen denn die Leute denken?“ grinste der Spielzeughändler. „Daher habe ich sie zur Schneiderin geschickt, Montag wird sie wieder hier sein, soll ich ihr etwas ausrichten?“ „Nein,ja“, stotterte Nicolas ohne zu registrieren, wie skurril es war, diese Frage zu beantworten. „Sagen Sie ihr noch mal vielen Dank für das Kleid.“ Dann besann er sich plötzlich und sagte: „Aber nein, natürlich wollte ich mich bei Ihnen für die tolle Bahn bedanken.“ „Gern geschehen“, sagte die alte Vogelscheuche hinter der Theke. „Und was macht das Kleid?“ „Super, danke, meine Tochter hat sich soo gefreut“, antwortete Stance, der seine Fassung wiedererlangt hatte mit einem hämischen Grinsen. „Ich muss dann jetzt auch wieder“, sagte er und als er den Laden verlassen hatte, stellte er sich das Gesicht der Vogelscheuche vor, wenn sie spätestens bei Ladenschluss den Umschlag mit den sechs Stofffetzen finden würde, den er unbemerkt hinter die antike Registrierkasse hatte fallen lassen.

Auf dem Weg zurück ins Büro, beschloss er heute früher Feierabend zu machen, lediglich das Geschenk wollte er noch holen, mittlerweile müsste es wohl verpackt sein. Vor dem Gebäude, in dem sein Büro untergebracht war, musste er stutzen, denn direkt neben der Eingangstür saß eine Bettlerin mit nach vorne hängendem Kopf in eine vor Schmutz stehende Decke gehüllt. Das war ungewöhnlich, denn die Jungmanager, Broker und Bänker, die hier im Viertel ihre Büros hatten, waren nicht gerade bekannt für ihre Großzügigkeit. Das wusste dieses Pack und wenn sich doch einmal jemand hier hin verirrte, trat für gewöhnlich die Security in Aktion. Nicolas selber hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, die Penner weitgehend zu ignorieren, höchstens einmal mit ein paar Münzen in seiner Manteltasche zu klimpern, um sich über die erwartungsvollen Blicke zu freuen…Und über die Enttäuschung, wenn es beim klimpern blieb. Diese Alte hier ärgerte ihn jedoch, weil sie genau vor SEINEM Bürogebäude saß. Frech hatte sie zudem noch ein Schild vor sich hingestellt, auf dem zu lesen war: „Bitte um etwas Kleingeld, ich friere und brauche etwas anzuziehen“ „“Wie kannst du den fieren? Du hast doch eine schöne, dicke Decke“, spottete Nicolas. „Hättest besser geschrieben: >Bitte um etwas Kleingeld, brauche Seife, weil ich so erbärmlich stinke<“. „Das stimmt“, flüsterte das Weibstück im Flüsterton, dann hob sie den Kopf, grinste zahnlos und schaute ihn aus riesigen Augen spöttisch an, „aber ich friere trotzdem, schau nur…“ Und damit lüftete sie ihre Decke, die sie vor ihrer Brust zusammengehalten hatte und präsentierte Nicolas ein dünnes grünes Kleid, das noch dazu mit hässlichen dollarrunden Löchern übersäht.

Fluchtartig war Stance zu seinem Jaguar gerannt und war ziellos durch die Gegend gefahren.

Erst spät am Abend hatte er sich eine Flasche Bourbon und war endlich nach Hause gefahren. Als er in seiner Straße angekommen war und vor den meisten Häusern weiße Säcke mit rotem Kreuz sah, wusste er was zu tun war. Bei ihnen selbst standen zwar niemals Altkleidersäcke, weil er nicht einsah, warum andere von Sachen profitieren sollten, die er teuer bezahlt hatte, aber bei ihren Nachbarn, die zwei Töchter hatten, standen wie üblich zwei Säcke. Elende Verschwender. Aus seinem Arbeitszimmer holte er das Puppenkleid und stopfte es in einen der beiden Säcke. Hier würde es nicht auffallen und vor allem würde es morgen für immer verschwinden. Erleichtert, dass der Fetzen aus dem Haus war, begab sich Stance in sein Arbeitszimmer, wo er die Flasche zu zwei Drittel leerte, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, ein Glas zu benutzen. Irgendwann taumelte er ungewaschen und angezogen zu seiner Liege, auf der er in letzter Zeit schon so oft die Nacht verbracht hatte und fiel in einen komaähnlichen Schlaf.

Samstag

Am Morgen erwachte er spät und mit übel schmerzendem Schädel. Als er zum Frühstückstisch herunterwankte, um erst einmal einen starken Kaffee zu trinken, sah er als erstes die Riesengeburtstagstorte und seine Knie wurden weich. Als Laura dann hereinkam und sagte, die Party ginge in einer Stunde los und ob sie das Geschenk aus dem Auto holen solle, murmelte Nicolas nur „Schnauze, muss noch mal ins Büro“, denn dort wartete das Geschenk ja immer noch darauf, von ihm abgeholt zu werden. Wie immer darauf bedacht, ihn nicht noch mehr zu reizen, sagte Laura schnell: „Macht nichts, Nicki muss sich ohnehin noch verkleiden“, was Nicolas nur noch aggressiver werden ließ. Er sprang ins Auto und bretterte in die Stadt, hoffte dabei, auf keinen Fall von den Bullen angehalten zu werden.

 

Die waren zwar ohnehin alle korrupt, aber mit Sicherheit würde es einige Scheine kosten, sie davon abzuhalten, einen Alkoholtest zu machen. In Rekordzeit war er im Büro, hatte die Eisenbahn gegriffen und war auf dem Weg nach Hause. Die Stunde würde er nicht schaffen, aber auch nicht sehr viel länger brauchen.

Als Stance endlich die letzte Kurve in seine Straße genommen hatte, pochte ihm der Herzschlag in den verkatert, schmerzenden Schläfen. Gleich würden sie eine rauschende Verkleidungsparty feiern und die unangenehmen Ereignisse der letzten Tage würden in den Hintergrund treten. Zufrieden mit diesen Aussichten sah er plötzlich am Straßenrand eine Gestalt im grünen Kleid, die langsam den Arm hob und ihm zuwinkte. „Heute nicht!“ schrie er wütend und riss das Lenkrad nur ein kleines Stück nach rechts, traf das Miststück mit dem rechten Kotflügel, sodass es in hohem Bogen mit verrenkten Gliedern in den Straßengraben flog. Mit quietschenden Reifen fuhr er in die Einfahrt, nahm das Paket vom Rücksitz und rannte in den Garten, wo die Party schon in vollem Gange war. Überall tummelten sich verkleidete Kinder mit Kuchen, Softdrinks und Snacks. An mehreren Stehtischen standen fröhlich miteinander plaudernd deren Eltern. „Wo ist den mein Sonnenschein?“ rief er noch immer außer Atem. „Hast du ihn nicht gesehen?“ fragte Laura, er wollte dir entgegengehen.

„Eigentlich war er nicht zu übersehen in seinem Kostüm.“ „Ich hab keinen Indianer gesehen“, schnauzte Nicolas sie an. „Er hat sich kurzfristig anders entschieden und die Pattersons gefragt, ob er durch ihre Altkleider schauen darf, er hat ein Kleid gefunden, dass ihm genau passte, das fand er toll“, erklärte Laura „und es war grün.“

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