Der Dunkelmacher

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Der Dunkelmacher
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Manfred Müller

Der Dunkelmacher

Eine Kriminalerzählung

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Dunkelmacher

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Impressum neobooks

Der Dunkelmacher

Die Sonne stand noch am Himmel, aber der Abend kündigte sich bereits an. Es war kühler geworden und ein wenig Wind war aufgekommen. Nur noch einige Stunden, dann war es Nacht.

Ben liebte die Nacht. Er bewegte sich selbstbewusster und sicherer in der Nacht als am Tag. Er war ein anderer Mensch in der Nacht. Überhaupt gab es nachts andere Menschen als am Tag. Es war, als ließe sich die Menschheit einteilen in die Tag- und in die Nachtmenschen. Nachts war die Welt ernster. Nachts war die Welt leiser. Deshalb kam den Geräuschen in der Dunkelheit eine besondere Bedeutung zu. Die Menschen, die man in der Nacht traf, waren entweder einsam oder aber hatten Gedanken, die sie jenseits der Gesellschaft und auch jenseits des Rechts stellten.

Ben saß vor dem Fernseher und schaute gebannt die letzten Minuten einer Late-Night-Talk-Show, in der der Gastgeber normalerweise seine Hauptaufgabe darin sah, seine Gäste zu provozieren und dazu zu bringen, ihre öffentlichkeitswirksame Maske fallen zu lassen. Heute war ihm das nicht gelungen, denn der weibliche Gast, Emma, die Sängerin einer Punkband, war ihm nicht auf den Leim gegangen. Sie hatte sich augenscheinlich gut vorbereitet oder aber es war einer dieser inszenierten Auftritte, die alle paar Monate vom Sender initiiert werden, um dem Host, Victor Ingolf Prager – kurz V.I.P. –, eins auszuwischen und für ein wenig Publicity in der Boulevardpresse zu sorgen. In diesen Fällen gab die Redaktion die Gags, die Victor am Abend auf Kosten seines Besuchs machen würde, ans Management des Gasts, sodass es die Konter auf die verbalen Angriffe vorbereiten konnte. Entweder war Emma brillant und ein rhetorisches, schlagfertiges Talent oder aber die Texte waren vorbereitet. Ben war fasziniert und fühlte sich von der attraktiven Emma angezogen. Die Live-Sendung lief noch fünf Minuten, zu den Fernsehstudios brauchte er, wenn er schnell ging, nur knappe zwanzig Minuten. Wenn Emma nach ihrem Auftritt noch in die Maske ging und noch ein, zwei Flaschen oder Gläser von was auch immer – bei diesen Punkerinnen kam es ja nur darauf an, dass der Alkohol knallte – trank, dann würde sie ungefähr in einer halben Stunde das Sendehaus verlassen. Dann wollte Ben draußen warten, sie ins Auge fassen, sie sehen. Er wartete die ersten Worte der Pragerschen Verabschiedung ab, schaltete den Fernseher aus, nahm seine dunkle Softshelljacke vom Haken und ging hinaus auf die Straße.

Die Luft war kühl, der Mond schien schwach durch die Wolken, Sterne waren nicht zu sehen. Die Stadtverwaltung hatte aus Kostengründen vor ein paar Monaten begonnen, jede zweite Straßenlaterne nach 23 Uhr auszuschalten. In den meisten Straßenteilen reichte die Beleuchtung noch immer aus, um von einer Laterne zur nächsten zu sehen, es gab aber auch zwei Abschnitte, an denen der Weg eine stärkere Biegung nahm, und an diesen Stellen war es kurz vor der Kurve sehr dunkel. Ben war daran gewöhnt, ihm machte das nichts aus. Er war aber vor einigen Monaten mit einer Frau hier entlang gegangen und die hatte das Dunkel beängstigend gefunden. Ben hatte gespürt, wie sie zunehmend ängstlicher und zögerlicher wurde, als er mit ihr den Weg entlang ging. Ben hatte beruhigend auf sie eingeredet, bis sie dann in seiner Wohnung angekommen waren. Als er dann später mit ihr im Auto wieder die Straße entlang fuhr, hatte sie keine Angst mehr. Sie lag tot im Kofferraum. Ben dachte: ‚Ich hab doch gesagt, dass Du keine Angst haben musst. Auf meiner Straße bist Du sicher.‘

Ben fuhr nachts nur mit dem Auto, wenn er irgendwas transportieren musste, sonst ging er zu Fuß. So auch jetzt. Er hatte die halbe Strecke zum Sender schon zurückgelegt. Heute war nichts los auf den Straßen und er begegnete kaum jemandem. Manchmal machte er sich einen Spaß daraus, Schuhe mit Ledersohle anzuziehen, die bei jedem Schritt laute Trittgeräusche erzeugten. Häufig drehten sich die Menschen erschrocken um, wenn er sich ihnen mit einem permanenten Klacken von hinten näherte. Wurden sie schneller, beschleunigte auch Ben seinen Gang und häufig endete es damit, dass der oder die Verfolgte plötzlich loslief, um sich in Sicherheit zu bringen. Dann lachte Ben laut durch die Nacht.

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