Der junge Häuptling

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»Das ist der reiche Mann, der jetzt kein Geld mehr hat«, sagte Bob.

»Er weiß, dass das Schiff nicht gesunken und der Schiffer nicht ertrunken wäre – ohne dieses Geld«, antwortete der Ponka, der sonst kaum je etwas sprach.

»Ja, so ist’s. Wer will ihm die Schuld abnehmen? Mit seinem Geld hat er den Kindern den Vater genommen.« Bob war traurig und kümmerte sich um das Feuer, um etwas zu tun.

»Auf dem Grunde des Missouri liegen schon viele hundert Schiffe«, sagte der jüngere der beiden Burschen leise.

Bob nickte. »’s ist ein böser Strom, ein wilder Strom.« Er wandte sich an Jack. Bis dahin hatte er mit dem Ponka stets Englisch gesprochen, jetzt aber sagte er in einer Indianersprache, die die Jungen nicht kannten und nicht verstanden: »Hast du die beiden Fremden auch erkannt? Das ist Weitfliegender Vogel Gelbbart Geheimnisstab, der Bilder malen kann, und sein roter Bruder Langspeer, der Cheyenne, den er aus einer Reservation freigekauft hat.«

Der Ponka nickte.

»Langspeer hat dich erkannt – fürchte ich«, fügte Bob in der Dakotasprache sehr leise hinzu.

»Er kennt meine Narben am Kopf, die ich als Kind im Kampf mit einem Adler davontrug«, antwortete Jack. »Aber er wird schweigen.«

Sie brachen ihr Gespräch ab, denn Pitt kam wieder aus der Hütte heraus und zu Bob und Jack herbei. »Was ist? Brechen wir auf? Mein Pferd muss Bewegung haben, sonst wird’s mir noch krank nach dem Bad.«

Bob und Jack erhoben sich stillschweigend.

»Der Maler da drin heult, weil das Schiff untergegangen ist«, sagte Pitt. »Das Beste wäre doch, er ritte mit uns zusammen nach Randall!«

»Gib ihm den trockenen Anzug«, riet Bob, »dann kommt er mit!«

»Und ich?«

»Du verträgst die nasse Hose. Auf Randall wird der Mann wieder reich sein und dich belohnen!«

»’ne Idee! Gut!«

So kam es, dass alle Geretteten bald aufbrachen. Die Jungen liefen südwärts zum nächsten Dorf. Pitt bestieg seinen Braunen, der Cheyenne Langspeer seinen Schecken. Bob hielt den Grauschimmel für den Maler bereit, der als letzter aus der Rindenhütte herauskam.

Die Pferde begannen zu galoppieren, die beiden Läufer liefen im Dauerlauf in weit ausgreifenden Sätzen mit. Ihnen war nicht mehr kalt.

Als Pitt, Bob und Jack mit den beiden Fremden zusammen bei Fort Randall anlangten, waren sie selbst, ihre Kleider, ihre Pferde und ihre Waffen längst wieder getrocknet. Nur der ärmliche Schifferanzug des Malers deutete noch für jedermann darauf hin, dass etwas Unerwartetes geschehen war.

Die Gruppe kam zum Tor. Der Posten hatte Bedenken, den Maler und seinen indianischen Begleiter einzulassen, und fragte nach deren Namen.

»Dan Morris und Langspeer, der Cheyenne.«

Ein Rauhreiter lief auf Bitte des Kuriers Pitt zum Kommandanten und kam eiligen Schrittes mit dem Bescheid zurück, dass Morris mit seinem Begleiter willkommen sei und sofort empfangen werden sollte. So ritten diese beiden mit Pitt in das Fort ein.

»Kommt auch herein!«, forderte Pitt die beiden Läufer Bob und Jack gönnerhaft auf. »Ihr habt Dienst bei uns getan, also könnt ihr auch im Stall bei uns schlafen.«

Der kraushaarige Bob sah fragend auf Jack den Ponka. Als dieser einverstanden schien, nahmen beide das Angebot an. Die Gruppen trennten sich. Pitt brachte Morris zum Kommandanten. Langspeer führte die Pferde und das Packtier mit Hilfe der beiden Läufer zum Stall. Die beiden Indianer und der Neger sprachen kein Wort miteinander. Als die Tiere untergebracht waren, entfernte sich Langspeer. Bob und Jack suchten sich sauberes Stroh und warfen sich in eine Stallecke. Sie waren müde.

Es war noch früh am Morgen. Als es Mittag wurde, zeigte sich der Cheyenne Langspeer wieder im Stall, sah nach den Pferden und kam auf Jack und Bob zu.

»Weitfliegender Vogel Gelbbart Geheimnisstab möchte Jack den Ponka malen.«

»Papier und Farben werden von einem Maultier am Ufer des Missouris umhergeschleppt«, antwortete Jack. »Soll ich zurückreiten und das Maultier für den Maler Morris Gelbbart wieder einfangen?«

Langspeer senkte die Augen. »Willst du kommen?«, fragte er nur noch.

Der Ponka überlegte nicht lange. »Ich komme.« Er rollte sich vom Boden ab auf die Füße und folgte dem Cheyenne.

Langspeer führte den Ponka über den Hof zu einem Turmbau und im Innern des hölzernen Turmes eine Treppe hinauf. Als er eine Tür öffnete, tat sich der Blick in eine helle Stube auf, die als Wachstube dienen konnte, jetzt aber dem Maler zur Verfügung gestellt worden war. Morris saß am Tisch. Er hatte eine fremde, ihm schlecht sitzende, aber aus bestem Stoff gefertigte Kleidung an. Vor ihm lagen Papiere, in denen er gelesen hatte.

Er erhob sich, um den Ponka förmlich als seinen Gast zu begrüßen, bot ihm Platz an, und als der Indianer sich setzte, ließen sich auch Morris und Langspeer nieder. Morris bot Tabak an. Der Ponka und der Cheyenne stopften ihre Pfeifen. Auch als sie die ersten Züge taten und der Maler eine gute Zigarre – sicher ein Geschenk des Kommandanten – zum Brennen gebracht hatte, wurde nicht gleich gesprochen. Aus dem Fenster der Stube hatte man einen Blick über das ganze Gelände des Forts und darüber hinaus auf die hügelige Landschaft. Alle drei schauten hinaus und sahen einander dann zurückhaltend, mit halbem Blick, an.

Der Maler griff nach einem kleinen Zettel, schrieb etwas darauf und schob es dem Ponka hin.

Dieser las: Harry Tokei-ihto. Er knüllte das Papier, rieb mit seinem Feuerzeug Funken und verbrannte den Zettel.

»Was willst du von mir?«, fragte er den Maler.

»Wir schweigen.«

»Ich weiß es. Sonst würdet ihr noch im Missouri schwimmen.«

»Ich habe dich gebeten zu kommen.« Der Maler suchte offensichtlich nach den rechten Worten gegenüber dem Gast, dessen bemalte Züge er nicht entziffern konnte. »Wir haben uns vor dreizehn Sommern zum ersten Mal gesehen. Damals warst du ein Knabe im Zelt deines Vaters Mattotaupa, den ich bei euch Dakota als einen prachtvollen Mann kennenlernte. Wir haben uns zum zweiten und zum dritten Mal gesehen. Dein Vater war verbannt worden; die weißen Männer ruinierten ihn mit ihrem Brandy, und du warst unser Kundschafter – neunzehn Jahre alt. Jetzt bist du vierundzwanzig und Häuptling bei deinem Stamm. Was ist aus deinem Vater geworden?«

»Der weiße Mann mit Namen Jim, dieser Fuchs, der sich auch Fred Clarke nennt, hat meinen Vater ermordet und skalpiert. Der Tote wurde den Fischen zum Fraße gegeben.«

Der Maler fuhr zusammen. »Das war also das Ende.«

Es trat wieder Schweigen ein.

Der Maler schob eines der Blätter, die er vor sich auf dem Tisch liegen hatte, hin und her. Er schien es noch einmal zu lesen.

»Vielleicht abwegig«, sagte er endlich, noch immer zögernd, »aber doch solltest du es lesen. Weißt du etwas von dem Stamme der Shäheptin?«

»Ein kleiner Stamm im Nordwesten.« Der Indianer brachte seine Pfeife, die ihm ausgegangen war, wieder zum Brennen.

»Ein tapferer kleiner Stamm. Die Shäheptin wollten über die Grenze nach Kanada auswandern, um nicht in eine Reservation bei uns in den Staaten ziehen zu müssen. Mitten im Winter machten sie sich auf, in Eis und Schnee wanderten sie mit Frauen und Kindern durch die Berge. Als sie die Grenze fast erreicht hatten, waren ihrer so viele erfroren und verirrt, dass sich die Häuptlinge mit dem Rest des Wanderzugs ergaben. Ich habe hier den Bericht über die Rede des Häuptlings, mit der er kapitulierte.« Der Maler schob dem Indianer das Blatt hin.

Dieser las, langsam, mehrmals, als ob er die Worte dieser Rede auswendig lernen wolle. Als er das Blatt zurückgab, sagte er: »Der Große Vater in Washington und die vielen kleinen Väter, die ihm herrschen helfen, sind merkwürdige Menschen. Sie sind wie Reiter, die die Pferde am Zügel zurückreißen und dabei auf sie einschlagen. Sie halten die roten Männer mit viel Anstrengung fest und quälen sie in den Reservationen.«

»Du weißt, dass die Dakota schon vor einem Monat die neuen Reservationen bezogen haben sollten?«

»Hau. Mitten im Winter.«

Morris schien zu überlegen, ob er die weitere Frage, die ihn bewegte, aussprechen dürfe. Er entschloss sich dazu, sie zu stellen: »Was werden die Dakota tun?«

»Das musst du die Oberhäuptlinge und die oberste Ratsversammlung dieses Stammes fragen.«

»Hast du selbst vielleicht eine Frage an uns – Jack?«

»Nein. Oder wollt ihr mir sagen, mit welchem Recht die weißen Männer alle heilig beschworenen Verträge brechen?«

Der Maler senkte den Blick. »Du weißt«, brachte er stockend hervor, »dass ich das Totem Tashunka-witkos, eures Oberhäuptlings, besitze und dass ich keinen Dakota töte oder verrate. Ich weiß nicht, ob ihr gegen unsere Armeen kämpfen wollt. Wenn ihr kämpft, so werdet ihr diesen Kampf verlieren. Ich weiß nicht …«

»Aber vielleicht«, sagte Jack der Ponka, der in Wahrheit Harry Tokei-ihto hieß und ein Dakota war, »vielleicht weißt du, Weitfliegender Vogel, warum jene weißen Männer, die dafür gekämpft haben, die Negersklaven zu befreien, jetzt dafür kämpfen, die Dakota in ein großes Gefängnis einzusperren, das sie Reservation nennen, und warum sie sie dort behandeln wollen, wie weiße Männer in einem Irrenhaus behandelt werden – ohne Recht, ohne Freiheit?«

Der Maler starrte den Indianer an. »Die Neger sind Arbeitskräfte unserer Farmer und Unternehmer, auch wenn sie frei sind. Die Dakota wollen einen Staat für sich bilden und nach Prinzipien leben, die wenig Nutzen für die Wirtschaft abwerfen.«

»Die Menschen sollen also für euren Nutzen oder gar nicht leben?«

»Jack, die Sieger im Bürgerkrieg sind korrupt und übermütig geworden. Über uns selbst regieren die republikanischen Stahlmänner heute in fast unerträglicher Weise. Vielleicht ändert sich das einmal. Aber für euch ist es dann zu spät.«

 

»Hast du etwas von den Dakota aus Minnesota gehört, Weitfliegender Vogel, die vor vierzehn Sommern nach Kanada gezogen sind?«

»Sie leben bis heute am Sourisfluss.«

Der Indianer erhob sich. »Du wirst mein Bild nie malen, Weitfliegender Vogel Geheimnisstab. Ich gehe.«

»Sehen wir uns noch einmal?«

»Ich glaube nicht.«

Als der Indianer schon nach der Türklinke griff, hielt ihn der Maler noch einmal auf. »Jack – erinnerst du dich aus deiner Kundschafterzeit noch an Henry Henry, den Ingenieur, den jungen Freund von Joe Brown, diesen großen Pionier der Union Pacific? Ihr kanntet euch.«

»Ich erinnere mich.«

»Er ist hier.«

Der Indianer zeigte keine Unruhe.

»Henry will zu der Station am oberen Niobrara reiten. Er hat sein Geld versoffen, hat beruflich einen großen Rückschlag erlitten und will etwas wettmachen. Durch die Black Hills sollen Zweigbahnen gebaut werden. Henry …«

»Es ist für Henry besser, wenn er in die Städte des Ostens zurückgeht.«

»Du würdest ihn nicht schonen?«

Der Indianer tat, als ob diese Frage nicht gestellt worden sei. Er ging. Leise schloss er die Tür hinter sich.

In der hellen Stube saß Morris, der Maler, und hatte den Eindruck, dass es rings um ihn dunkel werde. »Langspeer?«

»Ja?«

»Die Freundschaft der Menschen, die ich schätze, entgleitet mir. Sie werden sich untereinander morden …«

Der Maler erschrak und verstummte, denn er hörte einen festen Schritt die Treppe heraufkommen. Der Indianer war auf leisen Sohlen weggegangen, sein Tritt war nicht zu hören gewesen.

Es klopfte, gleich darauf trat ein Mann von etwa dreißig Jahren in die Stube ein. Er knallte die Tür zu. »Morris«, rief er, »wir haben uns vorhin beim Kommandanten nur so kurz begrüßt! Was für ein Wiedersehen nach so vielen Jahren, das muss doch gefeiert werden! Hier, ich habe eine Flasche exquisiten Whisky mitgebracht.«

»Henry, du sollst nicht schon wieder trinken! Du ruinierst dich!«

»Nur heute noch einmal! Nur heute! Zum Abschied. Morgen reite ich zu der Station von Smith am Niobrara. Das Leben in der Wildnis fängt noch einmal an! Mein alter Gönner und Lehrmeister Joe Brown baut die Northern Pacific, Henry Henry aber wird die Bahn zu den Goldbergwerken der Black Hills bauen. Kommt, haltet mit!«

Morris nippte. Langspeer schob das gefüllte Glas weg.

»Mit wem zusammen reitest du zum Niobrara?«, forschte der Maler beunruhigt.

»Mit wem? Mit dem Brief von Oberst Jackman und mit zwei ausgezeichneten Scouts, Bob und Jack. Pitt hat die kurze Nase voll, er will vorläufig nicht mehr zwischen die Dakota geraten.«

»Lass du das auch sein, Henry! Um Gottes willen, lass das sein!«

»Was hast du denn, Morris? Angst vor unserem ehemaligen Scout Harry, der jetzt unter dem Namen Tokei-ihto als Häuptling der Bärenbande die Gegend am Niobrara unsicher machen soll?«

»Angst um dich! Ehrlich gestanden, ja.« Der Maler war etwas erleichtert, weil er mit gutem Gewissen wenigstens die halbe Wahrheit sagen konnte. »Wenn Joe Brown, dein alter Freund, hier wäre, er würde dich ebenso warnen, wie ich es tue!«

Henry goss den Inhalt eines Glases hinunter. »Um unseren ehemaligen Harry wird viel Legende gesponnen! So weit her ist es mit dem jungen Mann wirklich nicht; wir haben uns doch gekannt. Ein schussfertiger Revolver – und schon liegt der Häuptling auf der Nase im Gras!«

Morris schüttelte es.

»Morris, zartbesaiteter Künstler! Wenn du mitten im Fort Randall schon bei dem bloßen Gedanken an Harry Schüttelfröste kriegst, dann reite doch lieber schnurstracks wieder nach Hause! Denn etwas lebhafter als zurzeit dürfte es diesen Sommer in den Prärien hier noch werden!«

»Lass den Spott, Henry! Und reite um des Himmels willen nicht allein mit zwei Scouts, die du kaum kennst, zum Niobrara! Warte ab! In vierzehn Tagen gehen eine Abteilung Kavallerie, eine Munitionskolonne und Miliz nach dem Fort von Smith. Schließe dich diesen an!«

»Ich bin doch kein Kind! Eben diese Munitionskolonne soll der Station am Niobrara durch den Brief angekündigt werden, den ich dorthin bringe.«

»Das ist doch unzulässig! Eine Privatperson als Kurier! Es ist mir unverständlich, mit welchem Leichtsinn wir oft verfahren!«

»Der Kommandant gibt mir die fest verpflichteten Scouts seiner Truppe mit, zu deiner Beruhigung sei es gesagt! Übrigens habe ich auch Presseaufträge. Ich werde der Erste sein, der vom Niobrara Augenzeugenberichte schreibt.«

Morris gab auf diese Antwort hin seinen Widerspruch auf.

Henry lachte und trank noch drei Glas. »Aufs nächste Mal!«

»Hoffen wir es.« Morris’ Nerven zogen sich zusammen. Er war nahe daran, sich vor Aufregung zu erbrechen. Henry schüttelte den Kopf, schürzte die Lippen und verabschiedete sich.

Als der Indianer Jack-Harry die Stube des Malers verließ, hatte er durch das Fenster schon den Ingenieur über den Hof kommen sehen. Er war daher die Turmtreppe nicht hinunter-, sondern ein Stück hinaufgegangen. Sobald Henry die Stubentür hinter sich zugeknallt hatte, war der Indianer die Treppenstufen lautlos wieder hinabgestiegen und hatte gelauscht.

Der Inhalt des Gesprächs zwischen Morris und Henry war ihm somit bekannt. Kurz ehe Henry die Stube verließ, ging der Indianer aus dem Turmgebäude hinaus. Er begab sich in den Stall hinüber, in dem er mit Bobby Kraushaar zusammen geschlafen hatte. Dort fand er den Neger noch in derselben Stallecke hocken und setzte sich zu ihm. »Henry reitet morgen früh mit einem Brief an Smith zum Niobrara«, sagte er in der Sprache der Dakota. »Wir beide begleiten ihn. Der Brief wird nicht an sein Ziel kommen.«

Bob machte dazu keine Bemerkung. Henry war in seinen Augen nur ein kleiner Fisch.

Dem Indianer und dem Neger stand als Läufern Naturalverpflegung zu. Bobby Kraushaar hatte die Ration des Tages schon für beide abgeholt und kaute jetzt an einem Stück Konservenfleisch, während der Indianer einen Knochen abnagte.

»Hier beim Fort fängt eine Reservation für die Dakota an. Das ist das Osteck«, sagte Bobby Kraushaar auf einmal.

»Hast du nicht mehr erfahren?«

»Doch. Es werden mehrere Reservationen eingerichtet, und der Stamm der Dakota soll gespalten werden. Bei Fort Robinson bauen sie Agenturbaracken aus. Dort wird künftig einer der Männer wohnen, die über die Krieger der Dakota befehlen sollen. Sie haben sich hier alle schon geeinigt, wie sie die Beute unter sich teilen wollen. Major Jones lässt sich pensionieren und wird ein Reservationsagent. Er braucht nicht immer in der Einöde zu leben; er wird sich einen Vertreter nehmen. Johnny, der fette Wetteinnehmer mit der Glatze, will eine Gastwirtschaft bei dieser Agentur aufmachen. Anthony Roach sieht sich schon als Capt’n und militärischen Befehlshaber. Der zahnlose Ben denkt daran, das Fort am Niobrara wieder in eine Handelsstation umzuwandeln, sobald er uns nicht mehr zu fürchten braucht! Aber die Grenzen der Reservationen sind noch offen. Es werden vorläufig nur Dragoner und Rauhreiter umherreiten, um die Dakota in diesen Stall zu treiben und dort zu bewachen.«

»Die Grenzen sind auf den Karten zu sehen, aber nicht auf der Prärie. Die Herren haben ohne uns gerechnet. Wenn nur die achtzig Krieger gekommen wären, um die ich unsere Oberhäuptlinge gebeten hatte, ich hätte während des Stockballspiels das ganze Fort Randall ausgehoben.«

»Du hättest das gekonnt. Aber die achtzig Krieger waren nicht da, und so vermochtest du nichts weiter zu tun, als dir in den Pausen ein paar Papiere anzusehen und eine Zigarette zu holen. Fort Randall ist bestehen geblieben. Mein Bruder, du weißt, ich fürchte, dass die Dakota einen großen Fehler gemacht haben. Sie haben bis heute Büffel gejagt. Die Büffel werden immer weniger. Die Dakota aber haben nicht gelernt, Vieh zu züchten.«

»Was macht deine Pferdzucht, Tschapa Kraushaar?«

»Du weißt es. Zwei meiner Fohlen sind mir krepiert, und die Krieger sagen, dass dein Falbhengst, den du dir wild eingefangen hast, alle anderen Mustangs übertrifft.«

»Tschapa, werden wir in diesem Sommer damit beginnen können, ernsthafter über zahme Büffel nachzudenken?«

»Nein, in diesem Sommer sprechen die Waffen, das sehe ich kommen. Aber was soll dann aus uns werden?«

»Auf der Reservation?«, fragte der Indianer. Seine Stimme klang verändert; der Hass durchbrach die Kruste der Beherrschung.

»Auf diesen Reservationen, die uns der Große Vater anweist, könnten wir auch als Farmer nicht selbständig leben. Sie sind zu klein, und es ist zu viel schlechtes Land dabei. Aber wir können auch nicht ewig Büffel jagen. In den letzten beiden Sommern sind die Büffel schon um die Hälfte weniger geworden.«

Der Indianer beantwortete diese Feststellung mit Schweigen.

»Was also dann?«, fragte Kraushaar.

»Wir müssen frei bleiben und etwas lernen. Nur ein freier Mann lernt gut. Ich habe jetzt unter unseren Männern genug Ansehen gewonnen, um für dich und deine Pläne zu sprechen, sobald der große Kampf beendet ist.«

Kraushaar legte seine Hand auf die seines Gefährten. »Gut, du hast das Rechte gesagt. Ich war als Kind ein Sklave. Mein Vater ist mit mir zu euch geflohen. Ich will nicht mit euch zusammen wieder ein Sklave werden.«

»Noch hindert dich niemand, hinzugehen, wohin es dir beliebt.«

»Mein Bruder, das könntest du von dir selbst auch sagen. Du hast zehn Sommer und Winter fern von deinem Stamm gelebt. Du bist vor zwei Sommern zurückgekommen, um den schwersten Teil des Kampfes mit uns zusammen zu kämpfen und das schwere Ende unseres Weges mit uns zusammen zu gehen. Meinst du, ich will fortlaufen und euch vergessen? Selbst wenn ich es wollte, ich könnte es nicht. Ich liebe unsere Zelte, unsere Weiber und Kinder, ich liebe meine Freunde und Kampfgefährten mehr als mein Leben.« Tschapa Kraushaar hatte das alles sehr leise gesagt. Er richtete den Blick auf ein Brett der Stallwand und verbarg den Ausdruck seines weichen und starken Gefühls.

Die Gefährten saßen fast eine Stunde wortlos beisammen.

Als es dämmerte, gingen sie vor das Tor hinaus, denn sie wollten die Nacht außerhalb des Forts in dem Indianerlager verbringen und mit den Männern ihrer Spielmannschaften noch einmal zusammen sein.

Zur selben Stunde saß Henry Henry auf seiner Stube und überprüfte den Inhalt seiner Geldtasche. Der Abend, der vor ihm lag, erschien ihm leer und endlos. Wie sollte er die Zeit verbringen? Er musste feststellen, dass das Geld in seiner Tasche für einen Abschiedsabend nicht mehr reichte, falls er den Willkommensabend auf dem Fort Niobrara mit einkalkulierte. Aber wer zwang ihn zu einer solchen Kalkulation? Heute war heut’! Henry ging hinunter in den Hof, schlenderte umher und lud diesen und jenen ein. Bei der tödlichen Langeweile, die die Offiziere quälte, hatte der Ingenieur sehr bald genügend Zusagen gesammelt.

Das kleine Trinkgelage begann nach dem Abendessen, und es endete erst kurz vor Sonnenaufgang.

Für Henry lohnte es sich nun nicht mehr, sich noch schlafen zu legen. Er packte seine Sachen zusammen. Grau im Gesicht, fröstelnd, verkatert schaute er durch das Fenster seiner Kammer hinaus auf den Hof. Wo der Nigger sich wohl herumtrieb?! Aha, Hufgeklapper! Diesem Kerl, den er sich noch erziehen wollte, hatte also doch das Gewissen geschlagen, und er brachte Henrys Pferd.

Der junge Ingenieur, Kurier und Presseberichterstatter, begab sich hinaus und schwang sich auf. Er ritt in schnellem Trab über den Hof zum Tor, das sich für ihn öffnete. Nordwind fauchte, aber die Sonne schien klar, und blau wölbte sich der Himmel über der hügeligen Prärie. Henry durchritt das Tor. Vom Pfosten löste sich eine lange Gestalt ab, in Baumwollhemd, Samthose und Poncho gekleidet. Das schwarze gescheitelte Haar war in Zöpfe geflochten, das hagere Gesicht bis zur Unkenntlichkeit bemalt.

Mit einer ähnlichen Geste wie Roach wies Henry die beiden Läufer mit der Reitpeitsche an, ihm voranzulaufen. Er setzte sein Pferd in Galopp, und es war ihm in seinem Zustand eine unsinnige, grausame Freude, dass die Läufer schnell wie ein galoppierendes Pferd laufen mussten.

Mühe schien ihnen das jedoch nicht zu machen.

Henry im Sattel war ausgelaugter als die beiden.

Gegen Mittag wechselte die Landschaft. Der Boden wurde sandiger, das Gras kurz. Fort Randall war längst aus dem Gesichtskreis entschwunden. Henry legte eine Rast ein und aß. Die Läufer warteten stumm und nüchtern.

 

Nachmittags nahmen der Indianer und der Neger ihre Aufgabe ernst. Oft spähten sie von Anhöhen aus in die Runde. Mehr als einmal wählten sie verschlungene Wege durch die Täler der Grassteppe, um mit dem Reiter zusammen unsichtbar zu bleiben. Als die Dämmerung hereinbrach, geleiteten sie ihn zum Ufer des Niobrara und gaben ihm den Rat, hier zu lagern.

Henry war einverstanden. »Mach Feuer!«, befahl er Jack.

Der Mann im Poncho setzte sich dem Weißen gegenüber. »Wir machen kein Feuer.«

»Willst du frech werden? Tonart wie einst der Harry! Aber diese Zeiten sind für euch Indsmen vorbei. Such Holz und mach Feuer. Wofür wirst du bezahlt?«

Der Fluss rauschte leise, der Wind pfiff. Aus einem Erdloch spähte ein hungriger Hamster und verschwand wieder.

Henry klopfte mit dem Knopf seiner Reitpeitsche auf den Boden. »Wird’s bald?!«

»Nein.«

Henry schwankte. Seine aufsteigende Wut stachelte ihn, dem Indianer mit der Peitsche über das Gesicht zu schlagen. Aber er befand sich in der Wildnis, es wurde Nacht, und dieser Indsman bewahrte nicht nur eine unheimliche Ruhe, sondern besaß auch einen Revolver. Henry hätte, so dachte er jetzt, lieber dem Bobby Kraushaar befehlen sollen, Feuer zu machen, doch hatte es ihn gereizt, den hochmütig wirkenden Indianer gehorchen zu sehen, und nun konnte er nicht mehr zurück.

Aber er konnte noch zur Seite ausweichen.

»Du schmutzige Rothaut mit deinem verschmierten Gesicht! Wann hast du dich wohl zum letzten Mal gewaschen? Kratz dir die Farbe von deiner Visage!«

Der Indianer gab keine gereizte Antwort, wie Henry erwartet hatte. Er widersprach überhaupt nicht, sondern holte eine kleine Dose und ein Lederläppchen hervor und begann die Bemalung mit Fett und Lappen sorgfältig abzureiben. Er nahm sich Zeit.

Henry war zufrieden, dass sein zweiter Befehl unverzüglich ausgeführt wurde. Er sah interessiert zu, wie aus der Farbenmaske ein menschliches Gesicht hervorkam. Der Indianer entfernte mit Sorgfalt auch den letzten Farbrest. Der Mond ging auf; sein Licht blinkte auf dem Wasser des Flusses und beschien den Indianer. Von Strapazen und Leiden ausgezehrte und verhärtete Züge wurden sichtbar; sie wirkten verwegen und ganz unzugänglich; durch das Spiel von Mondlicht und Schatten verstärkte sich dieser Eindruck.

Henry starrte auf den Menschen, der seine Maske abgelegt hatte, und erkannte ihn. Der Unterkiefer sank Henry herab, seine Mundwinkel zitterten. Er riss den Revolver aus dem Gürtel. Ehe er abdrücken konnte, sank er um.

Es war kein Schuss gefallen. Der Indianer stand auf und holte den Dolch wieder, mit dem er im Wurf seinen Gegner getötet hatte. Der Griff des spitzen, zweischneidig geschliffenen Messers war in Form eines Vogelkopfes kunstvoll geschnitzt. Der Dakota reinigte das Messer, indem er es in die Erde stieß, und ließ die Klinge in die Scheide gleiten. Henrys Revolver gab er Bob Kraushaar. Dann nahm er Henrys Brieftasche mit dem Schreiben an Major Smith an sich.

Der Indianer legte seine Verkleidung ab und rauchte mit Kraushaar im Dunkeln eine Pfeife.

Nach dem toten Henry sah sich der Dakota nicht mehr um. Sein Volk stand in einem Kampf, in dem es keine Gnade gab, und der Dakota hatte nie gelernt, Gnade zu üben. Die roten Männer und die weißen Männer hatten ihn von Kindheit an gelehrt, dass es notwendig und ein großer Ruhm sei, Feinde zu töten. Die Skalplocke hatte Henry nicht darum behalten, weil der Häuptling nicht skalpierte. Aber Henry hatte sich zu leicht töten lassen. Es war keine Auszeichnung für einen Dakota, ihn besiegt zu haben.

»Was nun?«, fragte Tschapa Kraushaar seinen Häuptling.

»Unser Späher Ihasapa sollte mit Pferden und Nachrichten hier in der Nähe auf uns warten. Meine Boten, die ich zu unseren Oberhäuptlingen Tatanka-yotanka und Tashunka-witko und zu den Häuptlingen der Absaroka und der Pani gesandt habe, müssen zurück sein.«

»Traust du diesen Pani, die deine Mutter getötet haben, als du noch ein Knabe warst, und diesen Absaroka, gegen die Tatanka-yotanka als junger Krieger gekämpft hat?«

»Denen, die kommen werden, vertraue ich. Ich habe in den vergangenen Sommern auch bei unseren Feinden einsichtige Krieger kennengelernt.«

»Wie du meinst. Ich will deinen großen Plänen nicht länger im Wege sein.«

Der Dakota lief auf die höchste der in der Nähe gelegenen Anhöhen und heulte wie ein Kojote. Er wiederholte das Zeichen im Zeitraum einer halben Stunde viermal.

Bald darauf erschien weiter oben am Fluss ein Indianer zu Pferde. Er führte zwei ledige Mustangs mit, den einen nur mit großer Mühe. Der ledige Falbhengst stieg und schlug und wollte sich losreißen. Der Häuptling winkte; da gab der junge Krieger den Hengst frei, und das Tier galoppierte zu seinem gewohnten Reiter, der es mit leise gesungenen Worten begrüßte. Der junge Reiter übergab das zweite ledige Pferd Kraushaar. Der Häuptling forderte ihn zum Sprechen auf.

»Ein Größerer als ich ist da, um mit dir zu sprechen, Tokei-ihto«, gab der junge Mensch zur Antwort. »Unser Oberhäuptling Tashunka-witko ist mit drei Kriegern für eine Nacht gekommen.«

Tokei-ihto hatte sich beim ersten Wort schon aufgeschwungen. »Führe uns zu ihm, Ihasapa!«

Der Galoppritt währte nicht mehr als eine Viertelstunde. In einem Wiesental trafen sich die Männer. Umgebende Hügel warfen Schatten gegen das Mondlicht. Auch hier brannte kein Feuer.

Als die drei herankommenden Reiter absprangen, erhob sich aus der Mitte von vier am Boden sitzenden Indianern einer. Er war von gleich stolzer Haltung wie der junge Kriegshäuptling und nicht anders gekleidet. Der Schattenriss seines Gesichts war scharf, die Kopfform schmal und langgestreckt. In einem Schimmer nächtlichen Lichtes trafen sich die Augen der beiden. Die Männer sahen sich zum ersten Mal wieder, seit Harry zu seinem Stamme zurückgekehrt war. Früher hatten sie gegeneinander gekämpft. Zuletzt hatten sich der ältere und der jüngere Mann bei einem großen Sommerfest, bei dem mehrere Stämme zusammenkamen, in friedlichem Wettstreit gemessen.

Sie schwiegen beide fast eine Minute hindurch.

»Da bist du«, sagte dann die dunkle, fast mürrisch klingende Stimme des Oberhäuptlings. »Du hast mir einen Boten geschickt. Ich bringe dir die Antwort selbst. Sechzig Dakotakrieger kommen zu euren Zelten. Auch zehn Krieger der Pani mit einem Häuptling und fünf Krieger der Absaroka mit einem jungen Häuptling, die dich aus früheren Sommern kennen, haben sich gemeldet, und wir sind bereit, sie an unserer Seite kämpfen zu lassen. Alle diese Krieger und Häuptlinge werden bei euch sein, sobald der Mond wechselt.«

»Das ist zu spät.« Der junge Kriegshäuptling sagte es kurz, nüchtern, ohne Vorwurf, ohne Klage. »Das Langmesser Smith am Niobrara erwartet noch vor dem Mondwechsel sechs Wagen mit Munition und Nahrung. Wir müssen die Munitionswagen und die Langmesser, die sie begleiten, abfangen. Sie dürfen niemals auf das Fort am Niobrara gelangen. Wenn unsere Brüder, die an unserer Seite kämpfen wollen, zu spät kommen, müssen wir allein handeln.«

»Das müsst ihr, und ich vertraue dir, dass du das auch vermagst. Seit zwei Sommern und drei Wintern bist du über Smith und seinen Männern wie ein Adler über einer Herde lahmender Antilopen. Wir haben unser Vertrauen nicht vergeblich in dich gesetzt. Wie viele Krieger hast du selbst bereit?«

»Vierundzwanzig Männer vom Bunde der Roten Hirsche.«

Tokei-ihto wandte sich wieder Ihasapa zu. »Wo stehen unsere Zelte jetzt? Wo ist Tschetansapa?«

Der Späher berichtete: »Unsere Zelte sind aus den Bergwäldern schon zum Pferdebach herabgezogen. Tschetansapa hält sich mit allen Männern, die dem Bunde der Roten Hirsche angehören, auf halbem Wege zwischen unserem Zeltdorf und dem Fort des Majors Smith bereit. Sie wollen dir in den Kampf folgen.«