Handbuch Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht für Studium und Praxis

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2. Das Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht im Kontext des höherrangigen Rechts

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Geht man vom internationalen über den europäischen zum nationalen Rahmen, so sind SOG, PolDVG und HafenSG wie folgt eingebettet: Aus dem Rechtskreis des Internationalen Rechts ist insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention zu erwähnen, die den Rahmen für das Polizei- und Ordnungsrecht bildet. Zwar decken sich die menschenrechtlichen Standards der EMRK mit den grundrechtlichen Standards. Gleichwohl ist es aber wegen der zusätzlichen Gerichtszuständigkeit des EGMR nicht ausgeschlossen, dass Entscheidungen mit Blick auf Deutschland ergehen, die neue oder andere Abwägungen sowie Aspekte hervorbringen und letztlich auch Einfluss auf das Polizeirecht sowie die Polizeiarbeit nehmen können. Insoweit sei beispielhaft auf die Kennzeichnung von Polizeibeamten im Rahmen geschlossener Einsätze verwiesen.6

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Europarechtlich ist es das Recht der Europäischen Union, das primärrechtlich die Rahmenbedingungen für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) setzt, ebenso wie aufgrund des Richtlinien- und Verordnungsrechts sekundärrechtlich erheblichen Einfluss auf das Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht nimmt, man denke nur an die Richtlinie (EU) 2016/680 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr (DSRL-JI)7. Das Recht der Europäischen Union genießt gegenüber dem nationalen Recht sogar Anwendungsvorrang.

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Verfassungsrechtlich setzt das Grundgesetz (GG) zusammen mit der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg die entscheidenden Eckpfeiler, so bereits durch die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern in Sachen Gefahrenabwehr, vor allem aber auch durch die Staatsstrukturprinzipien (z. B. durch das Rechtsstaatsprinzip) und nicht zuletzt durch die Grundrechte.

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Das Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht ist stets im Kontext dieser Rechtskreise zu betrachten. Entsprechend der Normenpyramide wird nachfolgend – vor der Kommentierung des SOG, des PolDVG und des HafenSG – zunächst das Unionsrecht (A.II.) und sodann das Verfassungsrecht (A.III.) erläutert. Die EMRK (Stufe Bundesgesetz) wird ggf. ergänzend im Rahmen des Verfassungsrechts eingeflochten, da sie hier als Auslegungshilfe der grundgesetzlichen Normen herangezogen wird.

II. Unionsrechtliche Anforderungen und Europäisierung

Kristin Pfeffer

1. Primärrechtliche Anforderungen – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR)
a) Vorbemerkung

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Der „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (RFSR)8 ist in den letzten Jahren in das Zentrum der europäischen Politik gerückt und hat sich zu einem der am schnellsten wachsenden und dynamischsten Politikfelder entwickelt.9 Die schrittweise Einrichtung eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (RFSR) war der Europäischen Union (EU) als neues Ziel durch den Vertrag von Amsterdam (in Kraft getreten am 01. 05. 1999)10 vorgegeben worden, Art. 61 (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) EGV. Hierdurch sollten Akzeptanz und Vertrauen in die EU gestärkt werden.

Die Verpflichtung der Union zu dessen Schaffung „sollte den Sorgen und Ängsten vieler Unionsbürger vor den Risiken Europas, vor der Öffnung der nationalen Grenzen [und] der europaweiten Freizügigkeit (…) Rechnung tragen. Die Union sollte gezielt und mit ausdrücklichem Auftrag auch den Gefahren des von ihr errichteten Raumes ohne Binnengrenzen mit (…) Mio. Einwohnern entgegentreten“11.

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Eine Verwirklichung des RFSR wird angesehen als „einer der anschaulichsten Belege für den Übergang vom Europa der Wirtschaft zu einem politischen Europa, das im Dienst seiner Bürger steht“12.

b) Von der intergouvernementalen Zusammenarbeit zu supranationalen Entscheidungsstrukturen

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Für die Zusammenarbeit im Bereich Polizei und Justiz löste der Vertrag von Lissabon (in Kraft getreten am 01. 12. 2009)13 einen Paradigmenwechsel aus:

12

Vor dessen Inkrafttreten war die Zusammenarbeit im Bereich Polizei und Justiz rein intergouvernementaler Natur und basierte auf völkerrechtlichen Verträgen: Der Vertrag von Maastricht (in Kraft getreten am 01. 11. 1993)14 hatte für die EU eine Drei-Säulen-Struktur geschaffen. Neben der „Europäischen Gemeinschaft“ und der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ umfasste die dritte Säule das Politikfeld „Zusammenarbeit in den Bereichen Inneres und Justiz“. Rechtsetzungsaktivitäten der EU waren für die Justiz- und Innenpolitik noch ausdrücklich ausgeschlossen worden. Gemeinsame Gesetze konnten deshalb nur durch eigene völkerrechtliche Verträge (sog. Übereinkommen oder Konventionen) geschlossen werden, welche von allen nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten ratifiziert werden mussten. Im Vertrag von Amsterdam (in Kraft getreten am 01. 05. 1999) wurde dann als einziges Politikfeld der dritten Säule die „Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)“ zugeordnet. Innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren war die Schaffung eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (RFSR) vorgesehen, Art. 61 EGV.

13

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen vollwertiger Bestandteil der EU. Ziele, Grundsätze und den institutionellen Rahmen für diese Zusammenarbeit in der EU enthält seither der Vertrag über die Europäische Union (EUV). Bisherige Bestimmungen des EG-Vertrages wurden in den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) überführt und um neue Regelungen ergänzt. EUV und AEUV sind gleichrangig und bilden zusammen nunmehr das sog. EU-Primärrecht, d. h. die EU-Verfassung. Die EU hat die Europäische Gemeinschaft ersetzt, sie ist deren Rechtsnachfolgerin i. S. d. Art. 1 Abs. 3 Satz 2 EUV.

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Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) wird in Titel V, Art. 67 bis 89 AEUV geregelt. Kernelemente des RFSR sind die polizeiliche Zusammenarbeit, Art. 87 bis 89 AEUV und die Justizzusammenarbeit in Strafsachen, Art. 82 bis 86 AEUV. Einige der noch in der rein intergouvernementalen Phase der Zusammenarbeit im Bereich Polizei und Justiz geschlossenen völkerrechtlichen Verträge, wie etwa das sog. Schengener Durchführungsabkommen15 (SDÜ), der sog. Prümer Vertrag16 sowie weitere Verträge zwischen den EU-Mitgliedstaaten, wurden in den Rechtsrahmen der EU übergeleitet und inzwischen überwiegend durch neuere EU-Regelungen ersetzt. Andere völkerrechtliche Verträge, wie etwa das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. 04. 195917 und das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. 12. 195718, sind weiterhin eigenständige völkerrechtliche Verträge, die auf der Ebene des Europarats angesiedelt sind und damit bereits räumlich über die EU hinauswirken. Für die EU-Mitgliedstaaten wurden diese Europaratsübereinkommen teilweise durch weiterreichende Vereinbarungen ersetzt.19

c) Zum Begriff des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR)

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Hinter dem Begriff „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (RFSR) verbirgt sich zum einen eine politische Idee, aber auch ein vertragliches Vorhaben und ein bereits vorhandener Normbestand.20 Wie sich bereits aus den Erwägungen in der Präambel des EUV ergibt, handelt es sich dabei nicht allein um ein Komplementär zu dem Vertragsziel Binnenmarkt, d. h. also nicht lediglich um einen Ausgleich dafür, dass Kapital, Waren und Personen die Grenzen schneller und einfacher passieren sollen, sondern vielmehr um die unmittelbare Konsequenz des Bekenntnisses der Mitgliedstaaten zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit in diesem Stadium der Integration:21

 

„(…) in Bestätigung ihres Bekenntnisses zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit, (…) entschlossen, die Freizügigkeit unter gleichzeitiger Gewährleistung der Sicherheit ihrer Bürger durch den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Vertrags und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu fördern, (…)“.

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Das große Gewicht des Vertragsziels eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ergibt sich zudem aus dem Umstand, dass dieses Ziel in Art. 3 Abs. 2 EUV zu den Hauptzielen der EU gerechnet wird und auf gleicher Ebene mit dem gemeinsamen Binnenmarkt genannt wird. Hierin spiegelt sich die Entwicklung der EU von einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft hin zu einer immer engeren Union und einer verfassten Wertegemeinschaft wider.22 Es ist die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass es auf Dauer nicht möglich ist, die grenzüberschreitenden Freiheiten wesentlich zu erhöhen, ohne parallel Sicherheit und Recht grenzüberschreitend zu entwickeln.23

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Dabei handelt es sich bei dem RFSR nicht um drei Räume, sondern um einen einzigen Raum, in dem jeweils die Prinzipien der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gleichermaßen gelten. Diese drei Prinzipien stehen in einer Wechselbeziehung und bedingen einander. Einzelne Politiken des RFSR lassen sich daher regelmäßig nicht nur einem dieser drei Prinzipien zuordnen,24 sondern sind allen dreien verpflichtet.25 Der RFSR kann danach als einheitliches Gebiet der Reisefreiheit und Personenfreizügigkeit, vgl. auch Art. 3 Abs. 2 EUV, bezeichnet werden, in dem sich Personen zum einen ungehindert von Grenzkontrollen, zum anderen aber auch sicher vor kriminalitätsbedingten Gefahren bewegen können.26 Außerdem soll eine grenzüberschreitende Sicherstellung des Rechtszugangs durch gegenseitige Anerkennung von Gerichtsentscheidungen gewährleistet werden. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (dazu näher A.II.1.e.) wird generell zur Grundlage gerichtlicher Kooperation.27

18

Die strategischen Leitlinien für die gesetzgeberische und operative Programmplanung im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts legt der Europäische Rat fest, Art. 68 AEUV.

aa) Prinzip der Freiheit

19

Das Prinzip der Freiheit ist zum einen bestimmt vom freien Personenverkehr innerhalb der EU auf der Grundlage des sog. Schengen-Acquis, Art. 67 Abs. 2, Art. 77 Abs. 1 lit. a AEUV.28 Personenkontrollen sollen an den Binnengrenzen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, nicht stattfinden. An den Außengrenzen der Union sollen einheitliche Standards für deren Sicherheit gelten. Das Prinzip der „Freiheit“ enthält aber mehr als nur die Bewegungsfreiheit oder den Verweis auf die Freizügigkeit.29 Das Prinzip der Freiheit wird insbesondere geprägt vom Schutz der Grundrechte, etwa der Privatsphäre. Dabei soll es um den Schutz der Grundrechte auf europäischer Ebene und um die Bekämpfung jeglicher Diskriminierungen gehen.

Gem. Haager Programm (2005–2010) umfasst der „Raum“ – neben Materien wie freier Personenverkehr, Visumpolitik, EU-Politik an den Außengrenzen, Schengenraum, Einwanderung, Asyl – auch justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen, justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, Koordinierung der Drogenpolitik, Unionsbürgerschaft, Datenschutz, Grundrechte, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Zusammenarbeit zwischen Polizei- und Zollbehörden, Verbrechensvorbeugung, Kampf gegen das organisierte Verbrechen, Außenbeziehungen, Erweiterung aus der Perspektive von Justiz und Innerem.30

bb) Prinzip der Sicherheit

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Durch die Schaffung der Freizügigkeit mit kontrollfreien Grenzüberschreitungen wächst die Gefahr, dass auch parallel die Kriminalität grenzüberschreitenden, nicht mehr verfolgbaren Charakter annimmt.31 Um hier einem Missbrauch der Personenfreizügigkeit zu begegnen und die innere Sicherheit trotz Wegfalls der Grenzkontrollen zu erhalten, sind insbesondere flankierende sicherheitsrelevante Maßnahmen zur Prävention und Repression besonders schwerer, grenzüberschreitender Kriminalitätsformen, wie sie in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV aufgelistet sind, zu treffen.32 Einige bisher bereits ergriffene Maßnahmen betreffen Außengrenzkontrollen, Visapolitik, Regelungen von Asyl und Migration sowie den der Kriminalitätsbekämpfung und Terrorabwehr. Gem. Art. 72 AEUV (sog. „Ordre-public-Vorbehalt“) bleibt jedoch, auch nach dem Vertrag von Lissabon, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in den Mitgliedstaaten alleinige Kompetenz der Mitgliedstaaten selbst. Auch der Vertrag von Lissabon begründet keine eigene polizeiliche Exekutive der EU (vgl. näher dazu A.II.1.g.).

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Im Stockholmer Programm (2010–2014) formuliert der Europäische Rat seine Strategie der inneren Sicherheit im RFSR.

Er betont, dass „die Verstärkung von Maßnahmen auf europäischer Ebene in Verbindung mit einer besseren Koordinierung auf regionaler und nationaler Ebene für den Schutz vor transnationalen Bedrohungen von wesentlicher Bedeutung sind. Unter anderem sind Terrorismus und organisierte Kriminalität, Drogenhandel, Korruption, Menschenhandel, Schleusung sowie illegaler Waffenhandel weiterhin Herausforderungen für die innere Sicherheit der Union. Die grenzüberschreitende weitverbreitete Kriminalität ist mittlerweile eine dringende Herausforderung, die ein deutliches und umfassendes Handeln erfordert. Mit den Maßnahmen der Union sollen die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten durchgeführten Arbeiten verstärkt und deren Ergebnisse verbessert werden.“33

22

In seiner aktuellen Agenda für die EU 2019–2024 hat der Europäische Rat als eine Hauptpriorität den „Schutz der Bürgerinnen und Bürger und der Freiheiten“ benannt.34

cc) Prinzip des Rechts

23

Das Prinzip des Rechts im RFSR wird geprägt von der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und der EU in Zivil-, Handels- und Strafsachen.35 Der Zugang zum Recht für alle Unionsbürger soll erleichtert werden, Art. 67 Abs. 4 AEUV. Dabei geht es insbesondere auch um die Schaffung eines europäischen materiellen Strafrechts, Art. 83 AEUV, und die Harmonisierung im Strafprozessrecht, insbesondere durch gegenseitige Anerkennungen gerichtlicher Urteile und Entscheidungen, Art. 82 AEUV. Der Vertrag von Lissabon enthält die Rechtsgrundlagen für eine enge Behördenkooperation der Mitgliedstaaten im Bereich Polizei- und Strafrecht, etwa in Art. 72 AEUV. Der RFSR achtet neben den Grundrechten auch die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten, Art. 67 Abs. 1 AEUV. Auch der verfassungsrechtliche Gesetzesvorbehalt für Eingriffe in Freiheit und Eigentum ist hier verankert, etwa in Art. 75, Art. 79 Abs. 2 lit. c, Art. 83 AEUV.36 Im Titel V des AEUV zum RFSR ist somit mehr enthalten, als neue Kompetenzen der EU.37 Dies kommt auch zum Ausdruck in den Politikkonzepten der EU-Kommission, wenn diese den RFSR in den Dienst des Bürgers stellen und ihn als Garant der Grundrechte und Grundfreiheiten bestimmen.38

Das Stockholmer Programm (2010–2014)39 formuliert im Zusammenhang mit dem Prinzip des Rechts folgende Prioritäten für den RFSR: Die „Förderung der Rechte der Bürger“, „ein Europa der Rechte“, „ein Europa auf dem Fundament der Grundrechte“, „uneingeschränkte Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit“, „Zusammenleben in einem Raum, in dem die Vielfalt respektiert und die Schutzbedürftigsten geschützt werden“, „Die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren“, „Schutz der Rechte der Bürger in der Informationsgesellschaft“, „Teilhabe am demokratischen Leben der Union“, „Anspruch auf Schutz in Drittländern“, „Weitere Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung“, „Stärkung des gegenseitigen Vertrauens“, „Schaffung eines Sockels an gemeinsamen Mindestnormen“, „Erleichterung des Zugangs zur Justiz“, „Stärkung der internationalen Präsenz der Union in rechtlichen Fragen“.

d) Prinzip der geteilten Gesetzgebungszuständigkeit

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Die Gesetzgebungszuständigkeit im RSFR richtet sich seit dem Vertrag von Lissabon nach dem Prinzip der sog. geteilten Gesetzgebungszuständigkeit, Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 4 Abs. 2 lit. j AEUV. Danach gilt, vergleichbar mit der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 72, 74 GG: Wenn die EU in einem Bereich von ihrer Regelungskompetenz Gebrauch gemacht hat, so entfaltet dies für die Mitgliedstaaten eine Sperrwirkung. Die Mitgliedstaaten können keine abweichenden Regelungen mehr erlassen, wenn diese EU-Regelung abschließend ist und nicht lediglich Mindestvorschriften definiert. Solange die EU allerdings eine Sachfrage nicht regelt, können die Mitgliedstaaten weiterhin selbst Regelungen treffen.40

25

Bei der Ausübung der geteilten Gesetzgebungszuständigkeit hat die EU das Subsidiaritätsprinzip zu beachten. Die EU darf danach nur tätig werden, Art. 5 Abs. 3 EUV,

„sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind“.

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Hierbei überträgt Art. 69 AEUV den mitgliedstaatlichen Parlamenten die Aufgabe, bei Gesetzgebungsvorschlägen für den RFSR „für die Achtung des Subsidiaritätsprinzips nach Maßgabe des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität“ Sorge zu tragen.41 Die mitgliedstaatlichen Parlamente machen von der Möglichkeit der sog. Subsidiaritätsrüge nicht selten Gebrauch.42

Ein Beispiel für eine vom Deutschen Bundesrat erhobene Subsidiaritätsrüge ist diejenige gegen die DSRL-JI,43 die wegen der weitreichenden Bedeutung für die polizeiliche Datenverarbeitung hier Erwähnung findet:

Der Bundesrat berief sich u. a. mit folgender Begründung auf die Nichtbeachtung des Prinzips der Subsidiarität: „Soweit der Richtlinienvorschlag auch die rein innerstaatliche polizeiliche Datenverarbeitung in den Anwendungsbereich einbezieht, lehnt der Bundesrat den Vorschlag ab, da er von den vertraglichen Grundlagen nicht gedeckt ist. Der Kompetenzrahmen des Artikels 16 Absatz 2 AEUV wird im polizeilichen Bereich durch Artikel 87 AEUV konkretisiert. Danach ist nur die Zusammenarbeit zwischen den mitgliedstaatlichen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden erfasst. Artikel 87 Absatz 1 AEUV vermittelt insofern keine Kompetenz zur Regelung von Sachverhalten, die ausschließlich die Tätigkeit dieser Behörden innerhalb eines Mitgliedstaats und damit keine Form der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten betreffen.“44

 

Neben dem Bundesrat hatten noch der schwedische Reichstag, das belgische Repräsentantenhaus, das italienische Abgeordnetenhaus sowie der französische Senat von der Befugnis zur Erhebung der Subsidiaritätsrüge Gebrauch gemacht. Das für eine Überprüfung gem. Art. 7 Abs. 2 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit45 erforderliche Quorum wurde aber nicht erreicht.