Klaus Mann - Das literarische Werk

Text
Author:
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Während des Prologs im Himmel machte der illustre Zuschauer ein pflichtgemäß ergriffenes Gesicht. Die folgenden Szenen der Tragödie, ihr Ablauf bis zu jenem Moment, da Mephistopheles als Pudel sich in Faustens Studierzimmer geschlichen hat, schienen ihn etwas zu langweilen; während des ersten großen Faust-Monologs konnte man ihn mehrfach gähnen sehen, und auch der »Osterspaziergang« unterhielt ihn nicht: er flüsterte der Lindenthal etwas zu, was wahrscheinlich unfreundlichen Sinn hatte.

Hingegen wurde der Gewaltige animiert, sowie Höfgen-Mephistopheles die Szene betrat. Als der Doktor Faust ausrief: »Das also war des Pudels Kern! Ein fahrender Scholast? Der Kasus macht mich lachen«, da lachte auch der hohe Würdenträger, und zwar so laut und herzlich, daß niemand es überhören konnte. Lachend neigte sich der schwere Mann nach vorne, indem er seine beiden Arme auf die rotsamtene Brüstung der Loge stützte, und von nun ab verfolgte er mit amüsierter Aufmerksamkeit die Handlung – genauer gesagt: das tänzerisch gewandte, durchtrieben anmutige, ruchlos charmante Spiel Hendrik Höfgens.

Lotte Lindenthal, die ihren Männe kannte, begriff sofort: Dies ist Liebe auf den ersten Blick. Höfgen hat es meinem Dicken angetan – was ich nur zu gut begreife. Denn der Bursche ist ja auch zauberhaft, und in seinem schwarzen Kostüm, mit der diabolischen Pierrotmaske, wirkt er unwiderstehlicher als je. Ja, er ist sowohl drollig als bedeutend, er macht die reizendsten Sprünge wie ein Tänzer, zuweilen aber bekommt er drohende, tiefe und erschreckend flammende Augen, zum Beispiel nun, da er ausspricht:

»So ist denn alles, was ihr Sünde,

Zerstörung, kurz das Böse nennt,

mein eigentliches Element.«

An dieser Stelle nickte der Ministerpräsident bedeutungsvoll. Später, bei der Schülerszene – in der Hans Miklas übrigens eine auffallend steife und befangene Figur machte – schien der große Mann sich zu unterhalten wie in der drolligsten Posse. Seine gute Laune steigerte sich noch während der burlesken Vorgänge in Auerbachs Keller zu Leipzig, als Höfgen mit bösartigem Übermut das Lied vom König und dem Floh zum besten gab und schließlich den süßen Tokajerwein, den moussierenden Champagner aus dem Tisch für die besoffenen Rüpel bohrte – und ganz außer sich vor Vergnügen geriet der Dicke, als in der Finsternis der Hexenküche Höfgen die scharfe, klirrende Stimme des Höllenfürsten vernehmen ließ:

»Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du!

Erkennst du deinen Herrn und Meister?

Was hält mich ab, so schlag ich zu,

zerschmett’re dich und deine Katzengeister!

Hast du vorm roten Wams nicht mehr Respekt?

Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?

Hab’ ich dies Angesicht versteckt?

Soll ich mich etwa selber nennen?«

Dies galt der Hexe, dem Schauerweib, die denn auch entsetzt in sich zusammenknickte. Der Fliegergeneral aber schlug sich vor Vergnügen die Schenkel: das blitzende Selbstbewußtsein des Bösen, der Stolz des Satans auf seinen gräßlichen Rang amüsierten ihn gar zu sehr. Sein fettes, grunzendes Gelächter wurde begleitet vom silbrigen Lachen der Lindenthal. – Nach der Hexenküchenszene war die Pause. Der Ministerpräsident ließ den Schauspieler Höfgen zu sich in die Loge bitten.

Hendrik wurde ganz weiß und mußte mehrere Sekunden lang die Augen schließen, als der kleine Böck ihm die bedeutsame Bestellung ausrichtete. Der große Augenblick war gekommen. Er würde dem Halbgott von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen … Angelika, die sich bei ihm in der Garderobe befand, brachte ihm ein Glas Wasser. Nachdem er es hastig geleert hatte, war er wieder dazu imstande, halbwegs aasig zu lächeln. Er konnte sogar sagen: »Das geht ja alles wunschgemäß und nach dem Programm!« – als machte er sich lustig über den entscheidenden Vorgang; aber seine Lippen waren blaß, da er dies spöttisch vorbrachte.

Als Hendrik die Loge der hohen Herrschaften betrat, saß der Dicke vorne an der Brüstung, seine fleischigen Finger spielten auf dem roten Samt. Hendrik blieb an der Tür stehen. ›Wie lächerlich, daß mein Herz so stark klopft!‹, dachte er und verhielt sich einige Sekunden lang stille. Dann hatte Lotte Lindenthal ihn bemerkt. Sie flötete: »Männe – du erlaubst, daß ich dir meinen hervorragenden Kollegen Hendrik Höfgen vorstelle«, und der Riese wandte sich um. Hendrik hörte seine ziemlich hohe, fette und dabei scharfe Stimme: »Aha, unser Mephistopheles …« Dieser Feststellung folgte ein Lachen.

Noch niemals in seinem Leben war Hendrik derartig verwirrt gewesen, und daß er sich seiner Aufregung schämte, steigerte sie vielleicht noch. Seinem getrübten Blick erschien auch die Kollegin Lindenthal phantastisch verändert. War es nur das blitzende Geschmeide, das ihr ein einschüchternd fürstliches Aussehen verlieh, oder war es der Umstand, daß sie sich in so vertrauter Nähe mit ihrem kolossalen Herrn und Beschützer zeigte? Jedenfalls wirkte sie auf Hendrik plötzlich wie eine Fee, und zwar wie eine üppig-liebliche, aber durchaus nicht ganz ungefährliche. Ihr Lächeln, das ihm sonst immer nur gutmütig und etwas blöde vorgekommen war, schien ihm nun auch rätselhafte Tücke zu enthalten.

Von dem fetten Riesen in der bunten Uniform aber, von dem pompösen Halbgott sah Hendrik in seiner Angst und zitternden Gespanntheit so gut wie nichts. Vor der ausladenden Gestalt des Gewaltigen schien ein Schleier zu hängen – jener mystische Nebel, der seit eh und je das Bild der Mächtigen, der Schicksalsbestimmenden, der Götter dem bangen Blick der Sterblichen verbirgt. Nur ein Ordensstern blitzte durch den Dunst, die beängstigende Kontur eines wulstigen Nackens ward sichtbar, und dann ließ wieder die zugleich scharfe und fette Kommandostimme sich vernehmen: »Treten Sie doch ein bißchen näher, Herr Höfgen.«

Die Leute, die plaudernd im Parkett geblieben waren, begannen aufmerksam zu werden auf die Gruppe in der Loge des Ministerpräsidenten. Man tuschelte, man drehte die Hälse. Keine Bewegung, die der Gewaltige machte, entging den Gaffenden, die sich zwischen den Stuhlreihen drängten. Man stellte fest, daß der Gesichtsausdruck des Fliegergenerals immer wohlwollender, immer vergnügter wurde. Nun lachte er, mit Rührung und Ehrfurcht konstatierte es das Volk im Parkett – der große Mann lachte laut, herzlich und mit weit geöffnetem Mund. Auch Lotte Lindenthal ließ ein perlendes Koloraturgelächter hören, und der Schauspieler Höfgen – höchst dekorativ in sein schwarzes Cape gewickelt – zeigte ein Lächeln, das auf seiner Mephisto-Maske wie ein triumphales und dabei schmerzliches Grinsen schien.

Die Unterhaltung zwischen dem Mächtigen und dem Komödianten wurde immer angeregter. Ohne Frage: der Ministerpräsident amüsierte sich. Was für wunderbare Anekdoten erzählte Höfgen, der es erreichte, daß der Fliegergeneral geradezu trunken schien vor Wohlgelauntheit? Alle im Parkett suchten von den Worten, die Hendriks blutrot gefärbte und künstlich verlängerte Lippen sprachen, einige zu erhaschen. Aber Mephisto sprach leise, nur der Mächtige vernahm seine erlesenen Scherze.

Mit schöner Gebärde breitete Höfgen die Arme unter dem Cape, so daß es wirkte, als wüchsen ihm schwarze Flügel. Der Mächtige klopfte ihm auf die Schulter: niemandem im Parkett entging es, und das respektvolle Murmeln schwoll an. Jedoch verstummte es – wie die Musik im Zirkus vor der gefährlichsten Nummer – angesichts des Außerordentlichen, was nun geschah.

Der Ministerpräsident hatte sich erhoben: da stand er in all seiner Größe und funkelnden Fülle, und er streckte dem Komödianten die Hand hin. Gratulierte er ihm zu seiner schönen Leistung? Es sah aus, als wollte der Mächtige einen Bund schließen mit dem Komödianten.

Im Parkett riß man Mund und Augen auf. Man verschlang die Gesten der drei Menschen dort oben in der Loge als das außerordentliche Schauspiel, als die zauberhafte Pantomime, deren Titel lautet: Der Schauspieler verführt die Macht. Noch nie war Hendrik so heftig beneidet worden. Wie glücklich mußte er sein!

Ahnte irgend jemand von den Neugierigen, was wirklich vorging in Hendriks Brust, während er sich tief über die fleischige und behaarte Hand des Mächtigen neigte? Waren es Glück und Stolz allein, die ihn erschauern ließen? Oder spürte er auch noch etwas anderes – zur eigenen Überraschung? Und was war dieses andere? War es Angst? Es war beinah Ekel … ›Jetzt habe ich mich beschmutzt‹, war Hendriks bestürztes Gefühl. ›Jetzt habe ich einen Flecken auf meiner Hand, den bekomme ich nie mehr weg … Jetzt habe ich mich verkauft … Jetzt bin ich gezeichnet!‹


lich zu den Emigranten, gezählt hatte: da saß er vor aller Augen, Seite an Seite mit dem gewaltigen Dicken, der in äußerst animierter Stimmung schien. Mephistopheles flirtete und scherzte mit dem Mächtigen, der ihm mehrfach auf die Schulter klopfte und beim Abschied seine Hand gar nicht mehr losließ. Das Auditorium des Staatstheaters murmelte ergriffen angesichts solchen Schauspiels. Noch in derselben Nacht wurde das sensationelle Vorkommnis leidenschaftlich besprochen und kommentiert, in den Cafés, Salons und auf den Redaktionen. Den Namen Höfgens, den man während der letzten Monate nie ohne Skepsis – mit einem schadenfrohen Grinsen oder mit einem bedauernden Achselzucken – ausgesprochen hatte, nannte man nun mit einer neuen Ehrfurcht. Auf ihn war ein Schimmer von dem ungeheuren Glanz gefallen, der die Macht umgibt.

Denn der kolossale Fliegeroffizier, den man gerade erst zum General gemacht hatte, gehörte zur allerobersten Spitze des autoritären und totalen Staates. Über ihm gab es nur noch den »Führer« – den man kaum mehr zu den Sterblichen rechnen durfte. Wie der Herr der Himmel von den Erzengeln, so war der Diktator umgeben von seinen Paladinen. Rechts neben ihm stand der bewegliche Kleine mit der Raubvogel-Physiognomie, der verwachsene Prophet, der Lobredner, Einflüsterer und Propagandist, der die gespaltene Zunge der Schlange besaß und in jeder Minute eine Lüge ersann. Zur Linken des Gebieters aber hatte seinen Platz der famose Dicke: er stand breitbeinig da, eine majestätische Erscheinung, gestützt auf sein Richtschwert, glitzernd von Orden, Bändern und Ketten, jeden Tag in einer anderen prächtigen Vermummung. Während der Kleine, zur Rechten des Thrones, die Lügen ersann, dachte der Dicke sich täglich neue Überraschungen aus – zur eigenen Unterhaltung und zur Unterhaltung des Volkes: Feste, Hinrichtungen oder Prunkkostüme. Er sammelte Ordenssterne, phantastische Kleidungsstücke und phantastische Titel. Natürlich sammelte er auch Geld. Sein Lachen war behaglich grunzend, wenn er von den vielen Witzen erfuhr, die das Volk über seine Prunksucht zu machen wagte. Manchmal, wenn er schlechter Laune war, ließ er jemanden einsperren und peitschen, der sich gar zu keck geäußert hatte. Meistens aber grinste er wohlwollend. Gegenstand des öffentlichen Humors zu sein schien ihm ein Zeichen von Popularität – und gerade die wollte er haben. Da er nicht so faszinierend zu schwatzen verstand wie sein Konkurrent, der Dämon von der Reklameabteilung, mußte er sie sich verschaffen mittels massiver und enorm kostspieliger Extravaganzen. Er freute sich seines Ruhmes und seines Lebens. Er schmückte seinen gedunsenen Leib, er ritt auf Jagden, er fraß und er soff. Er ließ die Bilder aus den Museen stehlen und in seinem Palast aufhängen. Er verkehrte mit reichen und feinen Leuten, sah Prinzen und große Damen an seinem Tisch. Er war arm und verkommen gewesen, das war noch nicht lange her; um so intensiver genoß er es, daß er jetzt Geld und schöne Dinge haben konnte, soviel er nur irgend mochte. ›Ist mein Leben nicht wie ein Märchen?!‹ dachte er häufig. Er hatte eine Neigung zum Romantischen. Deshalb liebte er das Theater, mit Wollust schnupperte er die Luft hinter den Kulissen, und mit Vergnügen saß er in seiner samtenen Loge, wo er seinerseits vom Publikum bewundert wurde, ehe er selber etwas Nettes zu sehen bekam.

 

Sein Leben, wie es war, schien ihm angenehm; ganz nach seinem abenteuerlichen und exzessiven Geschmack aber würde es erst werden, wenn der Krieg wieder losging. Der Krieg – so fand dieser Dicke – war ein Amüsement von noch intensiverer Art als alle Genüsse, die er sich nun gönnte. Auf den Krieg freute er sich wie ein Kind auf Weihnachten, und er sah seine wesentlichste Pflicht darin, ihn mit sorgfältiger Schlauheit vorzubereiten. Mochte der Reklamezwerg das Seine dafür tun, indem er die Zeitungen im Ausland dutzendweise kaufte, Millionen für Bestechungen ausgab, ein Netz von Spionen und Provokateuren über die fünf Erdteile organisierte, den Äther füllte mit frechen Drohungen oder noch frecheren Friedensbeteuerungen: er, der Dicke, kümmerte sich um die Flugzeuge. Denn Flugzeuge vor allem mußte Deutschland haben. Schließlich war die Vergiftung durch Infamien doch nur vorbereitendes Spiel. Eines Tages – von dem der Dicke sehnlichst hoffte, daß er nicht mehr gar zu ferne wäre – sollte die Luft der europäischen Städte in einem nicht mehr gleichnishaften Sinn vergiftet werden: dafür wollte der Fliegergeneral sorgen, der durchaus nicht seine ganze Zeit damit verbrachte, in Theatern zu sitzen oder sich umzukleiden.

Da steht er auf seinen Beinen, die wie Säulen sind; streckt den enormen Bauch vor und strahlt. Auf ihn und auf den geschäftigen Herrn der Reklame fällt fast ebensoviel Licht wie auf den »Führer«, den sie in ihrer Mitte haben. Dieser scheint seinerseits beinah nichts zu sehen, seine Augen sind blicklos und stumpf wie die eines Blinden. Schaut er nach innen? Lauscht er in sich hinein? Und was hört er dort? Singen und sagen die Stimmen in seinem Herzen nur immer wieder dasselbe, was der Propagandaminister und alle von ihm dirigierten Zeitungen nicht müde werden, ihm zu bestätigen: daß er der von Gott Gesandte sei und immer nur seinem Stern zu folgen brauche, damit Deutschland, und mit ihm die Welt, unter seiner Führung glücklich werde? Hört er dies wirklich? Glaubt er dies in der Tat? Sein Gesicht, das aufgeschwemmte Kleinbürgergesicht mit dem Ausdruck einer selbstgefälligen Ekstase, könnte vermuten lassen, daß er dies wirklich hört, daß er dies wirklich glaubt. – Aber überlassen wir ihn seinen Wonnen oder seinen Zweifeln. Dieses Gesicht birgt kein Geheimnis, das uns lange reizen oder fesseln könnte. Es hat nicht die Würde des Geistes, und es ist nicht geadelt durch Leiden. Wenden wir uns von ihm.

Lassen wir ihn stehen, den großen Mann, inmitten seines höchst verdächtigen Olymps. Was drängt sich da noch alles um ihn? Eine schöne Versammlung von Göttern! Eine reizende Gruppe grotesker und gefährlicher Typen, vor der ein gottverlassenes Volk sich im Delirium der Verehrung windet! Der geliebte Führer hat die Arme verschränkt, unter der tückisch geduckten Stirn geht sein blinder, grausam-sturer Blick über die Menge hin, die zu seinen Füßen Gebete murmelt. Der Propagandachef kräht, und der Flugzeugminister grinst. Was stimmt ihn denn so besonders munter, was läßt ihn denn so aufgeräumt erscheinen? Denkt er an Hinrichtungen, gaukelt seine angeregte Phantasie ihm neue, unerhörte Methoden der Vernichtung vor? Seht, er hebt langsam den massiven Arm! Das Auge des Gewaltigen ist auf einen aus der Menge gefallen. Soll der Unglückliche gleich abgeführt, gefoltert und umgebracht werden? Im Gegenteil: ihm geschieht Gnade, und Erhöhung ist ihm zugedacht. Wer ist es denn? Ein Schauspieler? Man weiß ja, daß die großen Herren Sympathie haben für Komödianten. Er tritt bescheidenen, aber festen Schrittes nach vorne. Gebt es zu: er paßt nicht übel in diese Gesellschaft, er hat ihre falsche Würde, ihren hysterischen Elan, ihren eitlen Zynismus und die billige Dämonie. – Der Schauspieler reckt das Kinn und läßt Juwelenaugen schillern. Nun streckt der Dicke fast liebevoll die beiden Arme nach ihm aus. Der Schauspieler ist ganz nahe herangekommen an die Göttergruppe. Schon darf er sich baden in ihrem Glanze. Und mit der perfekten Anmut des höfischen Kavaliers beugt er Haupt und Knie vor dem fetten Riesen.

In Hendriks Wohnung am Reichskanzlerplatz hörte das Telefon nicht mehr auf zu läuten. Der kleine Böck saß mit einem Notizbuch neben dem Apparat, um die Namen derer aufzuschreiben, die angerufen hatten. Es waren die Direktoren der Theater und Filmgesellschaften, es waren Schauspieler, Kritiker, Schneider, Autofirmen und Autogrammsammlerinnen. Höfgen ließ sich nicht sprechen. Er lag im Bett und war hysterisch vor Glück. Der Ministerpräsident hatte ihn zu einem intimen Abendessen ins Palais gebeten: »Es werden nur ein paar Freunde da sein«, hatte er gesagt. Nur ein paar Freunde! Hendrik rechnete also schon zu den Vertrauten! Er zappelte und jauchzte zwischen seinen seidenen Kissen und Decken, er besprengte sich mit Parfüm, zerschmetterte eine kleine Vase, schleuderte einen Pantoffel gegen die Wand. Er jubilierte: »Es ist doch nicht zu schildern! Jetzt werde ich ganz groß! Der Dicke läßt mich ganz, ganz groß werden!«

Plötzlich machte er ein besorgtes Gesicht und rief Böck herbei. »Böckchen – hör doch mal, Böckchen!« sagte er gedehnt und warf schiefe Blicke. »Bin ich eigentlich ein sehr großer Schurke?«

Böck hatte verständnislose, wasserblaue Augen. »Wieso – ein Schurke?« fragte er. »Warum denn ein Schurke, Herr Höfgen? Sie haben doch nur Erfolg.«

»Ich habe doch nur Erfolg«, wiederholte Hendrik und schaute schillernd zur Decke. Er dehnte sich wollüstig. »Nur Erfolg … Ich werde ihn gut verwenden. Ich werde Gutes tun. Böckchen, glaubst du mir das?«

Und Böckchen glaubte es ihm.

Dieses war Hendrik Höfgens dritter Aufstieg. Der erste war der solideste und der verdienteste gewesen; denn in der Stadt Hamburg hatte Hendrik gute Arbeit getan, das Publikum mußte ihm für manchen schönen Abend dankbar sein. – Die zweite Konjunktur, im Berlin der »System«-Zeit, hatte schon ein fiebrig übertriebenes Tempo und viele Zeichen des hektisch Ungesunden gehabt. – Diese dritte Konjunktur aber hatte den Charakter einer Beförderung, sie kam »schlagartig« wie alle Aktionen, die von der nationalsozialistischen Regierung ausgingen. Vor kurzem war Hendrik Höfgen noch ein Emigrant gewesen; gestern noch die halbverdächtige Figur, mit der man sich nicht gern öffentlich zeigte; buchstäblich über Nacht war er zum großen Mann avanciert: ein Wink des dicken Ministers hatte dies zuwege gebracht.

Der Intendant der Staatstheater machte ihm sofort ein großes Angebot. Vielleicht tat er es nicht ganz spontan, vielleicht nicht einmal gern, sondern handelte auf höheren Befehl; jedenfalls zeigte er die biederste Miene beim fatalen Spiel, streckte dem neu engagierten Künstler beide Hände hin und sprach sächsisch vor lauter Herzlichkeit. »Prachtvoll, daß Sie jetzt ganz in unseren Kreis gehören sollen, mein lieber Höfgen. Es liegt mir daran, Ihnen zu sagen, wie sehr ich Ihre Entwicklung bewundere. Sie haben sich aus einem etwas spielerischen Menschen zu einem ganz ernsten, ganz vollwertigen entwickelt.«

Cäsar von Muck wußte sehr wohl, warum er Entwicklungskurven von jener Art, die er gerade so euphemistisch beschrieben hatte, verständnisvoll und günstig beurteilte. Er selber hatte eine ähnliche durchgemacht; freilich lag seine »spielerische« – das heißt: politisch anstößige – Vergangenheit weiter hinter ihm, als hinter Höfgen seine Sünden lagen. Ehe Cäsar von Muck zum Freund des Führers und zum literarischen Star des Nationalsozialismus aufstieg, war er schon berühmt gewesen als Autor von Dramen, die voll pazifistisch-revolutionärem Pathos waren.

Vielleicht dachte der Dramatiker, der sich von so tadelnswerter Gesinnung zu einem heroischen Weltbild und zu einem Intendantenposten durchgerungen hatte, an die literarischen Sünden seiner schwärmerischen Jugendzeit, als er jetzt von seinem besonderen Respekt für die Entwicklung des Hendrik Höfgen sprach. Mit warmem Blick fügte er noch hinzu: »Übrigens werde ich heute abend eine Gelegenheit haben, Sie dem Herrn Propagandaminister vorzustellen. Er hat seinen Besuch im Theater angekündigt.«

Hendrik lernte die Halbgötter kennen, und es erwies sich, daß mit ihnen ebensowohl auszukommen war wie mit irgendeinem Oskar H. Kroge, und sogar entschieden besser als mit dem ehrfurchtgebietenden »Professor«. ›Sie sind ja gar nicht so schlimm‹, dachte Hendrik und fühlte sich ehrlich erleichtert.

Dieser kleine, agile Herr also war der Meister über den enormen Reklameapparat des Dritten Reiches, der Mann, der sich vor den Arbeitern »euer alter Doktor« zu nennen liebte, der mit seiner Energie, seiner Rednergabe und seinen bewaffneten Banden die skeptische und aufgeweckte Stadt Berlin, die sich doch nicht so leicht etwas vormachen ließ, dem Nationalsozialismus erobert hatte. Das also war der schlaue Kopf der Partei, der sich alles ausdachte: wann es einen Fackelzug geben sollte, wann man gegen die Juden zu schimpfen hatte und wann gegen die Katholiken. Während der Intendant sächsisch sprach, redete der Minister mit einem rheinischen Akzent, wodurch Hendrik sich gleich angeheimelt fühlte. Übrigens schien der elastische Kleine, mit dem vom vielen Schwatzen gleichsam ausgefransten Mund, voll interessanter und moderner Ideen zu stecken: Er sprach von »revolutionärer Dynamik«, dem »mystischen Lebensgesetz der Rasse«, und dann einfach vom Presseball, wo Höfgen etwas vortragen sollte.

Diese repräsentative Veranstaltung war die erste, bei der Hendrik sich öffentlich im Kreise der Halbgötter zeigen durfte. Er hatte die ehrenvolle Pflicht, Fräulein Lindenthal in den Saal zu geleiten, da der Ministerpräsident sich wieder einmal verspätete. Lotte trug ein wundervolles Gewand, aus Purpur- und Silberfäden gewirkt; Hendrik seinerseits sah vor Feinheit und Würde beinah leidend aus. Im Laufe des Abends wurde er nicht nur mit dem Fliegergeneral, sondern auch im Gespräche mit dem Propagandaminister photographiert: dieser hatte selbst den Wink dazu gegeben. Er zeigte sein berühmtes, unwiderstehlich charmantes Grinsen, mit dem er auch die beschenkte, die einige Monate später geopfert wurden. Das boshafte Funkeln der Augen freilich vermochte er nicht völlig zu unterdrücken. Denn er haßte Höfgen – das Geschöpf der Konkurrenz, des Ministerpräsidenten. Doch war der Propagandachef nicht der Mann, seinen Gefühlen nachzugeben und seine Handlungen von ihnen bestimmen zu lassen. Vielmehr blieb er kalt und berechnend genug, um zu denken: Wenn dieser Schauspieler schon einmal zu den kulturellen Größen des Dritten Reiches gehören soll, dann wäre es ein taktischer Fehler, dem Dicken ganz allein den Ruhm seiner Entdeckung zu überlassen. Man beißt die Zähne zusammen und stellt sich grinsend neben ihn vor die Linse.

 

Wie leicht alles ging! Wie glücklich sich alles fügte: Hendrik empfand, daß er ein Glückskind war. ›All diese große Gunst‹, so dachte er, ›sie ist mir einfach in den Schoß gefallen. Hätte ich so viel Glanz ausschlagen sollen? Niemand würde das an meiner Stelle tun – wer es von sich behauptet, den nenne ich einen Schwindler und einen Heuchler. Zu mir hätte es nicht gepaßt, in Paris als Emigrant zu leben – es hätte eben einfach nicht zu mir gepaßt!‹ beschloß er mit einem trotzigen Übermut. Angesichts all des Trubels, in dem er sich nun wieder befand, dachte er flüchtig, aber mit intensivem Ekel an die Einsamkeit seiner trostlosen Promenaden über die Pariser Plätze und Avenuen. Gott sei es gedankt – nun umgaben ihn wieder Menschen!

Wie hieß doch dieser elegante Graukopf mit den vorquellenden blauen Augen, der da so eifrig auf ihn einredete? Richtig: es war Müller-Andreä, der berühmte Plauderer des »Interessanten Journals«. Ob er immer noch so viel Geld verdiente mit seiner aufschlußreichen Artikelserie: »Hatten Sie davon eine Ahnung?« Nicht doch, das »Interessante Journal« ist eingegangen. Herr Müller-Andreä jedoch lebt, er ist sogar obenauf, ein flottes Haus, eine fidele Nummer. Schon im Jahre 1931 hatte er ein Buch publiziert, »Die Getreuen des Führers« – damals freilich unter einem Pseudonym. Inzwischen aber hat er sich zu diesem Werke bekannt, und die höchsten Stellen sind auf ihn aufmerksam geworden. Herr Müller-Andreä ist fein heraus, er braucht dem »Interessanten Journal« nicht nachzutrauern, das Propagandaministerium zahlt besser, und am Propagandaministerium ist der lustige alte Herr jetzt beschäftigt. Mit Herzlichkeit schüttelt er dem Schauspieler Höfgen die Hand, so sieht man sich wieder, ja ja, die Zeiten ändern sich, aber wir beide, wir haben Glück – Herr Müller-Andreä war ja immer ein Verehrer des Schauspielers Höfgen gewesen.

Und hier, der Kleine, der mit seinem Notizbüchlein winkte wie mit einer Fahne, das war Pierre Larue – nun gab es keinen »jeune camarade communiste« mehr an seiner Seite, vielmehr nur noch schmucke und stramme Burschen in der zugleich verführerischen und einschüchternden SS-Uniform. Monsieur Larue fand es auf den Festen und Empfängen der hohen Nazi-Funktionäre noch amüsanter, als er es auf den Veranstaltungen der jüdischen Bankiers gefunden hatte. Er blühte auf, so viele interessante Menschen durfte er nun kennenlernen: sehr nette Mörder, die jetzt große Stellungen ausfüllten bei der Geheimen Staatspolizei; einen Oberlehrer, der, erst unlängst aus dem Irrenhaus entlassen, jetzt schon Kultusminister war; Juristen, die das Recht für ein liberales Vorurteil, Mediziner, welche die Heilkunst für einen jüdischen Schwindel, Philosophen, welche die »Rasse« für die einzig objektive Wahrheit hielten: all diese feinen Typen bat Monsieur Larue ins »Esplanade« zum Abendessen. Ja, die Nazis wußten seine Gastlichkeit und sein zartes Wesen zu schätzen. Er durfte sogar auf den Botschaften ein wenig für sie intrigieren, und zum Lohne dafür ließ man ihn im Sportpalast sprechen: die Leute lachten zunächst, als das bleiche Knochenbündelchen aufs Podium trat und etwas von dem tiefen Verständnis des »echten Frankreich für das Dritte Reich« zu piepsen begann; aber dann wurden sie ernster, denn ihr »alter Doktor«, der Propagandaminister selber, hatte zornig zur Ruhe gemahnt, und nun deklamierte Pierre Larue eine Art von amouröser Hymne an Horst Wessel, den verunglückten Zuhälter und Märtyrer des neuen Deutschland, den er als den Garanten eines ewigen Friedens zwischen den beiden großen Nationen Deutschland und Frankreich bezeichnete.

Monsieur Larue wäre dem Schauspieler Höfgen fast um den Hals gefallen, so sehr freute er sich, ihn wiederzusehen. »Oh, oh, mon très cher ami! Enchanté, charmé de vous revoir!« Händeschütteln und das herzlichste Gelächter. Ist es nicht eine Freude zu leben in diesem Deutschland? Sieht mein neuer Liebling, in seiner kleidsamen SS-Uniform, nicht viel hübscher aus, als einer von diesen schmutzigen Kommunistenjungen es je getan hat? Bonsoir, mon cher, je suis tout à fait ravi, es lebe der Führer, noch heute abend berichte ich nach Paris, wie lustig und pazifistisch man in Berlin ist, niemand denkt an irgend etwas Böses, wie reizend Fräulein Lindenthal aussieht, da kommt ja auch Doktor Erding, Prost!

Neues Händeschütteln, denn Doktor Erding war hinzugetreten. Auch er schien trefflich gelaunt, wozu aller Anlaß bestand: seine Beziehungen zum nationalen Regime, so gespannt sie am Anfang gewesen waren, verbesserten sich jetzt von Tag zu Tag. Servus, Erding, wie geht’s, alter Kunde! Höfgen und Erding lachten sich an wie zwei Biedermänner. Nun durften sie sich wieder ungeniert in der Öffentlichkeit miteinander zeigen, sie kompromittierten sich nicht mehr gegenseitig, auch schämten sie sich nicht mehr voreinander: der Erfolg, diese sublime, unwiderlegbare Rechtfertigung jeglicher Infamie, hatte die beiden alle Scham vergessen lassen.

Strahlend und lächelnd verneigten sich alle vier – Monsieur Larue und die Herren Erding, Müller-Andreä und Höfgen; denn der Ministerpräsident, sich im Walzerschritt mit Lotte Lindenthal schwingend, war vorübergekommen, und er hatte ihnen zugewinkt.

Die Beziehungen zwischen Hendrik und Lotte Lindenthal gewannen an menschlicher Wärme. Mit der Komödie »Das Herz« hatten sie beide einen großen Erfolg gehabt. Lottens Befürchtungen, die Strenge der Berliner Presse betreffend, hatten sich als unbegründet erwiesen. Im Gegenteil waren alle Kritiken des Lobes voll gewesen über ihre »frauliche Anmut«, ihre herbe Schlichtheit und die echt deutsche Innigkeit ihres Spieles. Niemand hatte die heikle Frage an sie gerichtet, warum sie immer auf so komische Art den kleinen Finger von sich strecke. Hingegen hatte Dr. Erding in seiner großen Rezension der Ansicht Ausdruck verliehen, Lotte Lindenthal sei die »wahrhaft repräsentative Menschendarstellerin des neuen Deutschland«.

»Sehen Sie, Hendrik, das habe ich nun hauptsächlich Ihnen zu verdanken«, sprach die gutmütige Ährenblonde. »Wenn Sie nicht so energisch und so kameradschaftlich mit mir gearbeitet hätten, dann wäre mir dieser schöne Erfolg nicht beschieden gewesen.« Hendrik dachte sich, daß sie ihren schönen Erfolg viel mehr dem dicken Fliegergeneral als ihm zu verdanken habe, sprach es aber nicht aus.

Er spielte die Komödie »Das Herz« zusammen mit Lotte auch in mehreren großen Provinzstädten, in Hamburg, Köln, Frankfurt und München: im ganzen Lande trat er auf als Partner der »repräsentativen Menschendarstellerin des neuen Reiches«. Bei den Gesprächen während der langen Eisenbahnfahrten gewährte ihm die hohe Frau tiefere Einblicke in ihr Innenleben, als sie es im allgemeinen zu tun für nützlich hielt. Sie sprach nicht nur von ihrem Glück, sondern auch von den Sorgen. Ihr Dicker war oft so heftig. »Haben Sie eine Ahnung, was ich manchmal auszustehen habe«, sagte Lotte; aber im Grunde, so versicherte sie, war er ein guter Mensch. »Was auch seine Feinde von ihm reden mögen – im Grunde ist er die Güte selbst! Und so romantisch!« Lotte hatte Tränen in den Augen, da sie berichtete, wie ihr Ministerpräsident zuweilen, um Mitternacht, im Bärenfell und mit dem blanken Schwert an der Seite, eine kleine Andacht vor dem Porträt seiner verschiedenen Gattin verrichtete. »Sie war doch Schwedin«, sagte die Lindenthal, als ob dies alles erklärte. »Eine Nordländerin, und sie hat Männe im Auto durch ganz Italien gefahren, damals, als er bei dem Münchener Putsch verwundet worden war. Natürlich kann ich verstehen, daß er da an ihr hängt, wo er sowieso so kolossal romantisch ist. – Aber schließlich hat er jetzt mich«, fügte sie, nun doch ein wenig pikiert, hinzu.