Klaus Mann - Das literarische Werk

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Es fasziniert Barbara, Hendriks bebenden, gehetzten Berichten über den Fortgang seiner Karriere zu lauschen. In solchen Augenblicken weiß sie: er ist echt. Sein fahles Gesicht scheint in der von fragwürdigen Gerüchen satten Dämmerung der schäbigen Konditorei zu phosphoreszieren wie faules Holz in der Nacht. Der gierige Mund mit den starken, schön geschwungenen Lippen lächelt und spricht. Das kraftvolle Kinn, mit der markanten tiefen Kerbe in der Mitte, ist herrschsüchtig vorgeschoben. Vor dem Auge blitzt das Monokel. Die breiten, rötlich behaarten Hände, die durch eine geheimnisvolle Willensleistung schön erscheinen, spielen erregt mit dem Tischtuch, mit den Streichhölzern, mit allem, was in ihre Nähe kommt.

Voll fieberhaftem Eifer setzt Hendrik seine Hoffnungen, Pläne, Berechnungen auseinander; daß Barbara an ihnen Anteil nimmt, sich ihnen nicht mehr hochmutsvoll verschließt, steigert sein Lebensgefühl, erhöht seinen Ehrgeiz. Ja, Barbara macht sich auf aktive Weise verdient um seine Laufbahn. Nicht umsonst hat sie ein so durchtriebenes Madonnengesicht. Sie ist schlau, zieht ihr schwarzes Seidenkleid an und besucht den Professor, dem sie Grüße von ihrem Vater, dem Geheimrat, bringt. Der große Herr über alle Theater am Kurfürstendamm empfängt die Gattin seines jungen Schauspielers gnädig, weil sie die Tochter des Geheimrats ist, dessen Namen man so oft in den Zeitungen liest und den er neulich beim Minister getroffen hat. Das Palais des Professors könnte das eines regierenden Fürsten sein. Wohlgefällig schaut der Besitzer all dieser Barockmöbel, Gobelins und alten Meisterbilder auf die bräunlichen Arme und auf das pfiffig-melancholische Gesicht seiner Besucherin. »Na, und Sie sind also verheiratet mit – diesem Höfgen«, sagt er knarrend, als Abschluß der langen Musterung, wobei er besonders ausführlich mit der Zunge in den Backen spielt. »Irgend etwas muß ja wohl an ihm sein …«

Dies alles gereicht natürlich Hendrik zu großem Vorteil; mit den übrigen Machthabern an den Kurfürstendamm-Bühnen, mit Herrn Katz und mit Fräulein Bernhard, steht er ohnedies ausgezeichnet. Mit Herrn Katz, dem Leiter der Geschäfte – der längst nicht immer so napoleonisch ist, wie er manchmal wirken möchte – spielt der Schauspieler Höfgen Karten; zu Fräulein Bernhard, der einflußreichen und energischen Sekretärin – einer stämmigen, brünetten kleinen Person mit negroiden Lippen und einem Zwicker – verhält er sich fast ebenso kokett wie einst zum Direktor Schmitz. Findet man ihn nicht schon auf ihrem Schoße sitzend, wenn man unvermutet die Tür zum Büro öffnet? Jedenfalls kann man hören, daß Hendrik Höfgen, der erst seit vierzehn Tagen im Hause ist, das strenge Fräulein Bernhard »Rose« nennt. Das darf er sich leisten, so weit hat er es schon gebracht! Wie viele Schauspieler hatten bis jetzt den Vorzug, auch nur zu wissen, daß Fräulein Bernhards Vorname »Rose« ist?

Schöner Anfang für eine Berliner Karriere – flüstern die Kollegen sich zu. Seine hübsche Frau besucht den Professor, mit Katz spielt er Karten, und Fräulein Bernhard kitzelt er am Kinn. Aus dem kann was werden!

Aus dem wird etwas: es ist bald soweit.

Erst ist es nur eine kleine Rolle, in welcher man ihn bemerkt; aber man bemerkt ihn, die Zeitungen erwähnen schon den »begabten Herrn Hendrik Höfgen«, und er hat in dem russischen Stück doch nur einen betrunkenen jungen Bauern spielen dürfen, der auf die Bühne taumelt, um zunächst zu lallen, dann jedoch zu tanzen. Aber wie er lallt und, vor allem, wie er tanzt! Das Berliner Publikum ist hingerissen von dem gelehrigen Schüler der Prinzessin Tebab: es bricht in Beifall aus, da er geendigt hat. Mit welcher Besessenheit dieser Bursche die Glieder wirft! Alle Welt ist des Lobes voll über den ekstatischen Ausdruck, den man auf seiner Miene bemerkt haben will während des Tanzes. Rose Bernhard, die am Buffet Herren von der Presse und Damen aus der Gesellschaft um sich versammelt, konstatiert: »Es ist etwas Bacchantisches an diesem Menschen.«

Das Publikum, abgelenkt durch tausend Sorgen und Vergnügungen, vergißt den Namen des frenetischen Tänzers. Aber die Eingeweihten – die, auf welche es ankommt – merken sich Hendriks ersten Berliner Erfolg. Und von seinem zweiten spricht die Hauptstadt.

In einem sensationellen Stück, in einer aufsehenerregenden Inszenierung, gelingt es dem Schauspieler Höfgen, vom Interesse des Publikums und der Presse auf sich den größten Teil zu versammeln. Über seine Leistung wird noch mehr geredet als über den Autor des erregenden Dramas »Die Schuld« – jenen geheimnisvollen Unbekannten, dessen rätselhafte Person in den Cafés und Theaterkanzleien, in den Salons und Redaktionsbüros das beliebteste Diskussionsthema ausmacht. Wer ist der Dichter, der sich hinter dem Pseudonym Richard Loser verbirgt und der in seiner Tragödie eine so erschütternde Menge von sündigem Elend, Not und Verirrung gestaltet? Wo findet man ihn, diesen Begnadeten, der uns durch ein Labyrinth tragischer und schmutziger Komplikationen führt, der soviel Entartung, verderbte Leidenschaft, soviel Qual und Jammer kennt und zeigt? Keine Frage: der Autor dieses schaurig-spannenden Dramas, das die verschiedenartigsten stilistischen Elemente – symbolische wie naturalistische – auf wirkungsvolle und kühne Art in sich vereinigt, muß ein Abseitiger sein; ein Einsamer, der sich fernhält vom Betrieb des Marktes. Die Literaten – immer von Mißtrauen erfüllt gegen ihren eigenen Beruf – schwören: Dieser ist kein Literat. Er hat keine Routine, alles an ihm ist geniale Ursprünglichkeit. Niemals hat er eine Zeile geschrieben bis zu diesem Tage. Ein junger Nervenarzt – wollen einige besonders Eingeweihte wissen, und er lebt in Spanien. Auf Briefe antwortet er nicht, die Verhandlungen mit ihm sind durch mehrere Mittelsleute zu führen: alles dies wird ungeheuer interessant gefunden, man bespricht es fieberhaft in den Kreisen, die auf sich halten.

Ein junger Nervenarzt, und er lebt in Spanien: die Version hat viel Wahrscheinlichkeit, man glaubt sie, sie setzt sich durch. Nur ein Nervenarzt kann so bewandert sein in jenen Entartungen der Menschenseele, die zu grausigen Verbrechen führen. Wie der sich auskennt! In seinem Drama kommen alle Sünden vor. Es ist eine Gesellschaft von Verfluchten, die hier handelt und leidet. Jede Person, die auftritt, scheint ein finsteres Zeichen auf der Stirn zu tragen: darüber sind die Damen aus dem Grunewald und vom Kurfürstendamm ganz entzückt.

Von allen Verkommenen der Verkommenste aber ist Hendrik Höfgen, weshalb er auch den stärksten Beifall hat. Seiner fahlen, teuflischen Miene, seiner belegten und matten Stimme ist es anzumerken, daß er mit allen Lastern vertraut ist und sogar noch finanziellen Vorteil aus ihnen zieht. Augenscheinlich ist er ein Erpresser großen Stils; aasig lächelnd bringt er junge Menschen skrupellos ins Unglück, einer von ihnen begeht Selbstmord auf offener Bühne, Hendrik, die Hände in den Hosentaschen, die Zigarette im Mund, das Monokel vorm Auge, schlendert an der Leiche vorbei. Unter Schauern empfindet das Publikum: Dieser ist die Inkarnation des Bösen. Er ist so durchaus, so vollkommen böse, wie es nur ganz selten vorkommt. Manchmal scheint er selber zu erschrecken über seine absolute Schlechtigkeit; dann bekommt er ein starres, weißes Gesicht, die fischigen Edelsteinaugen haben ein trostloses Schielen, und an den empfindlichen Schläfen vertieft sich der Leidenszug.

Höfgen spielt dem wohlhabenden Publikum des Berliner Westens die äußerste Entartung vor, und er macht Sensation. Die Verworfenheit als Delikatesse für reiche Leute: damit schafft es Höfgen. Wie er es schafft! Sein zugleich müdes und gespanntes Mienenspiel wird bewundert, sehr bewundert werden seine nachlässig weichen, anmutig tückischen Gebärden. »Er bewegt sich wie eine Katze!« schwärmt Fräulein Bernhard, die sich von ihm »Rose« nennen läßt. »Eine böse Katze! Oh, wie himmlisch böse er ist!« Seine Sprechweise – ein heiseres Flüstern, aus dem zuweilen ein bezauberndes Singen wird – kopieren schon die Kollegen von den kleineren Bühnen. – »Habe ich nun nicht recht gehabt? Es ist etwas los mit ihm«, sagt Dora Martin zum Professor, der nicht länger widersprechen kann. »Naja …« bringt er knarrend hervor, bewegt die Zunge im Munde und blickt grüblerisch. Im Grunde nimmt er »diesen Höfgen« noch immer nicht ernst; so wenig ernst, wie Oskar H. Kroge es je getan hat. ›Ein Komödiant‹, denkt der Professor, wie Kroge.

Ein faszinierender Komödiant: die Kritiker finden es, die reichen Damen finden es, Fräulein Bernhard findet es, die Kollegen können es nicht mehr leugnen. Das Stück »Die Schuld« verdankt seine außergewöhnliche Zugkraft zu großen Teilen der Leistung Höfgens. Es kann hundertmal hintereinander gespielt werden, der Professor verdient schweres Geld; das Unglaubliche geschieht: er erhöht Hendriks Gage noch während der Saison, wozu kein Vertrag ihn verpflichtet – Fräulein Bernhard und Herr Katz haben dies durchgesetzt bei ihrem illustren Chef.

Vielleicht hätte das Stück selbst hundertfünfzig- oder zweihundertmal gegeben werden können; aber allmählich dringen Gerüchte über den Autor durch, die ernüchternd wirken. Er ist gar kein sonderbarer Nervenarzt in Spanien, heißt es plötzlich. Er ist kein Außenseiter, der nur mit den Abgründen der menschlichen Seele vertraut ist, unschuldig, unwissend aber in den banalen Mysterien des »Betriebs«. Er ist überhaupt kein edler Unbekannter, sondern einfach Herr Katz, über den jeder sich schon mal geärgert hat. Die Enttäuschung ist allgemein. Herr Katz, der routinierte Geschäftsmann, hat das Drama »Die Schuld« geschrieben! Plötzlich finden alle, das Stück sei nur eine Häufung von vulgären Greueln, so geschmacklos wie unbedeutend. Man fühlt sich hereingelegt und ist der Ansicht, das Ganze sei eine große Frechheit von Herrn Katz. Ist Herr Katz Dostojewski? Seit wann denn, fragt man sich gereizt in den Kreisen, die den Ton angeben. Herr Katz ist der geschäftliche Berater des Professors – was übrigens als beneidenswerte Stellung gilt. Niemand billigt ihm das Recht zu, sich als spanischen Nervenarzt auszugeben und in Abgründe zu steigen. Das Drama »Die Schuld« muß abgesetzt werden.

 

Eine launische Öffentlichkeit läßt Katz fallen; Höfgen aber hat sich durchgesetzt und mittels seiner erstaunlichen Bösheit definitiv alle Herzen erobert. Beim Ende seiner ersten Berliner Saison kann er zufrieden und guter Dinge sein: Man erklärt ihn allgemein als die Größe von morgen, als den aufsteigenden Stern, als die bedeutende Hoffnung. Sein Vertrag für die nächste Spielzeit, 1929/30, sieht schon ganz anders aus als der abgelaufene: die Gage ist ihm fast verdreifacht worden, der Professor mußte es knurrend und knarrend geschehen lassen, denn die Konkurrenz ist hinter Höfgen her. »Na, nun können Sie sich reichlich frische Hemden und Lavendelwasser leisten«, sagt der Professor zu seinem neuen Star. Dieser erwidert, gewinnend lächelnd: »Eau de Cologne, Herr Professor! Ich benutze nur Eau de Cologne!«

Der Sommer ist da, Hendrik gibt die zwei trüben Stuben auf, mietet sich eine helle Wohnung im Neuen Westen, am Reichskanzlerplatz, kauft sich zahlreiche Hemden, gelbe Schuhe und zartfarbene Anzüge, nimmt Unterricht in der Kunst des Chauffierens und verhandelt mit mehreren Firmen wegen des Ankaufs eines schicken Cabriolets, welches er zum Reklamepreis beansprucht. Barbara fährt zur Generalin aufs Gut. Der erfolgreiche Gatte interessiert sie weniger, als der kämpfende, der von unbefriedigtem Ehrgeiz bebende sie interessiert hat. Frau von Herzfeld kommt zu Besuch, um Hendrik bei der Einrichtung seiner neuen Wohnung zu helfen: Sie wählt Stahlmöbel aus und als Schmuck für die Wände Reproduktionen nach van Gogh und Picasso. Die Räume behalten eine Kahlheit von elegantem, anspruchsvollem Gepräge. – Hendrik genießt Frau von Herzfelds Bewunderung, nimmt ihre Liebe, die noch gewachsen zu sein scheint, entgegen wie einen wohlverdienten Tribut. Hedda hat nun auf jede ironische Maske ihm gegenüber verzichtet. Mit einer wehmütigen Gier, einer resignierten Süchtigkeit hängen ihre sanften, goldbraunen Augen an dem grausamen Angebeteten. »Die arme kleine Siebert sieht ganz blaß aus vor lauter Sehnsucht nach Ihnen«, berichtet sie und verschweigt, daß sie ihrerseits sich einmal so weit hat gehen lassen, mit Angelika zusammen zu weinen – bitterlich und lange zu weinen um den Verlorenen, den sie niemals besessen hat.

Frau von Herzfeld darf Höfgen zu den Filmateliers begleiten; denn in diesem Sommer filmt er zum ersten Mal. In dem Kriminalfilm »Haltet den Dieb!« hat er die führende Rolle des großen Unbekannten und geheimnisvollen Übeltäters, der meist mit einer schwarzen Maske vorm Gesicht erscheint. Schwarz ist alles an ihm, selbst das Hemd: die Farbe der Kleidung läßt auf die Finsternis der Seele schließen. Er wird »der Schwarze Satan« genannt und ist der Chef einer Bande, die Falschgeld fabriziert, Rauschgift schmuggelt, gelegentlich Bankeinbrüche verübt und auch schon mehrere Morde auf dem Gewissen hat. Soviel Untaten verübt der Schwarze Satan nicht nur aus Habgier oder Spaß am Abenteuer, sondern auch aus prinzipiellen Gründen. Düstere Erfahrungen, die er einst mit einem jungen Mädchen gemacht, haben ihn zu einem Feind der Menschheit werden lassen. Es ist ihm ein Herzensbedürfnis, Schaden und Unheil zu stiften, er ist Übeltäter aus Überzeugung: dieses gesteht er, kurz vor seiner Verhaftung, dem Kreis der Kumpane, die sich wundern und fürchten; denn sie ihrerseits haben aus weniger komplizierten Gründen gestohlen. Sie murmeln ehrfurchtsvoll und betroffen, da sie erfahren, wie seltsam es um ihren Chef, den Schwarzen Satan, steht, und daß er keineswegs immer Verbrecher, vielmehr Husarenoffizier gewesen ist. Im Verlaufe dieser dramatischen Szene nimmt der Bösewicht seine Maske ab: sein Gesicht, zwischen dem steifen schwarzen Hut und dem hochgeschlossenen dunklen Hemd, ist von schauriger Blässe, übrigens immer noch aristokratisch bei aller Verkommenheit, und nicht ohne tragischen Zug.

Die maßgebenden Herren der großen Filmgesellschaft sind höchst beeindruckt von dieser grausamen und leidvollen Miene. Höfgen bringt Überraschungen, er ist eigenartig und wird gute Kassen machen, sowohl in der Hauptstadt als auch in der Provinz; so sagen sich die maßgebenden Herren, und die Angebote, die Hendrik von ihnen empfängt, übertreffen alle seine Hoffnungen. Er muß sie teilweise ablehnen; sein Vertrag mit dem Professor bindet ihn. Da er sich rar macht, werden die Filmgewaltigen erst recht wild auf ihn. Sie setzen sich mit Herrn Katz und Fräulein Bernhard in Verbindung und bieten erhebliche Abstandssummen, wenn man ihnen den Schauspieler Höfgen für einige Wochen in der Saison überläßt. Es wird viel telefoniert, korrespondiert und verhandelt. Bernhard und Katz sind anspruchsvoll; selbst für schweres Geld wollen sie nicht auf ihren Liebling verzichten. Höfgen ist der Umworbene. Alle wollen ihn haben. Er sitzt in seiner kahlen und feinen Wohnung mit den Stahlmöbeln, lächelt aasig und glossiert mit spöttisch überlegenen Worten den Kampf zwischen Bühne und Film um seine kostbare Person.

Dieses ist die Karriere! Der große Traum verwandelt sich in Wirklichkeit. Man muß nur innig genug träumen können – denkt Hendrik – und aus dem kühnen Wunschbild wird die Realität. Ach, sie ist herrlicher, als man es jemals zu träumen gewagt! In jeder Zeitung, die er aufmacht, findet er nun seinen Namen – die erfahrene Bernhard sorgt für solche Publizität – und jetzt wird er immer richtig geschrieben, in schon beinah ebenso fetten Lettern wie die Namen jener altbewährten Stars, deren Ruhm man einst, in der Kantine des Provinztheaters, neidisch verfolgt hat. Auf der Titelseite bringt eine wichtige Illustrierte Hendriks Bild. Was für ein Gesicht wird Kroge machen, wenn er es sieht! Und Frau Konsul Mönkeberg! Und der Geheimrat Bruckner! Alle, die sich Höfgen gegenüber skeptisch und ein wenig hochmütig verhalten haben, werden ehrfurchtsvoll zusammenschauern angesichts seiner Karriere, die nun in schwindelerregend steiler Kurve nach oben führt.

Am Ende der Spielzeit 1929/30 steht Hendrik Höfgen unvergleichlich größer da als an ihrem Beginn. Alles ist ihm geglückt, aus jedem Unternehmen wurde der Triumph. In den Theatern des Professors hat er schon beinahe mehr zu sagen als der Chef selber – der sich übrigens selten in Berlin aufhält, sondern meist in London, Hollywood oder Wien. Höfgen beherrscht Herrn Katz und die Dame Bernhard; längst kann er es sich leisten, mit beiden ebenso ungeniert umzuspringen, wie er mit Schmitz und Frau von Herzfeld umzuspringen pflegte. Höfgen bestimmt, welche Stücke angenommen, welche abgelehnt werden, und mit der Bernhard zusammen teilt er den Schauspielern ihre Rollen zu. Die Dichter, die aufgeführt werden wollen, umschmeicheln ihn; die Schauspieler, die auftreten wollen, umschmeicheln ihn; die Gesellschaft – oder der Klüngel von reichen Snobs, der sich so nennt – umschmeichelt ihn: denn er ist der Mann des Tages.

Alles ist wieder, wie es in Hamburg war, nur in größerem Stil, nur in anderen Dimensionen. Sechzehn Stunden Arbeit am Tag, und dazwischen interessante Nervenkrisen. In dem eleganten Nachtlokal »Zum Wilden Reiter«, wo Hendrik zuweilen von ein Uhr bis drei Uhr morgens Bewunderer um sich versammelt, sinkt er, das Cocktailglas in der Hand, seufzend vom hohen Barstuhl: Es ist eine kleine Ohnmacht, nichts Schlimmes, aber doch schlimm genug, um alle anwesenden Damen kreischen zu lassen; Fräulein Bernhard ist mit stärkenden Wohlgerüchen zur Hand – immer ist eine ergebene Frauensperson in der Nähe, wenn der Schauspieler Höfgen seine Zustände hat. Er gönnt sie sich nun wieder recht häufig, die hysterischen kleinen Zusammenbrüche, die sich vom sanften Schüttelfrost oder der stillen Ohnmacht bis zum Schreikrampf mit konvulsivischen Zuckungen steigern können – und sie bekommen ihm gut: erfrischt wie aus heilsamen Bädern geht er aus ihnen hervor, voll neuer Kraft für seine anspruchsvolle, angreifende und genußreiche Existenz.

Übrigens muß er seltener zu den erholsamen Krisen seine Zuflucht nehmen, seitdem er die Prinzessin Tebab wieder in der Nähe hat. Während des ersten Berliner Winters ließ er die drohenden Briefe der schwarzen Königstochter, die in einem wunderlichen, von orthographischen Fehlern wimmelnden Stil abgefaßt waren, unbeantwortet. Nun aber hat Barbara sich beinah ganz von ihm zurückgezogen: sie erträgt den Betrieb um ihren smarten Gatten nicht; immer seltener kommt sie nach Berlin, ihr Zimmer in dem feinen Appartement am Reichskanzlerplatz bleibt meistens unbewohnt; sie zieht die stilleren Räume im Hause des Geheimrats oder in der Villa der Generalin vor. Da entschließt sich Hendrik, seiner Juliette das Reisegeld zu schicken – das Leben ohne sie entbehrt der Würze, die grimmig blickenden Damen, die mit ihren hohen Stiefeln über die Tauentzienstraße stolzieren, sind kein Ersatz. Prinzessin Tebab läßt sich nicht lange bitten. Sie trifft ein.

Hendrik mietet ihr ein Zimmer in entlegener Gegend, wo er ihr wöchentlich mindestens einmal Visite macht; wie ein Verbrecher an den Ort seiner Übeltat – den Schal bis über das Kinn gewickelt und den Hut tief in die Stirne gedrückt – schleicht er sich zu seiner Geliebten. »Wenn mich irgend jemand ertappen würde – in diesem Aufzug!« flüstert er, während er ins Trainingshöschen schlüpft. »Ich wäre verloren! Alles wäre aus!«

Prinzessin Tebab amüsiert sich über seine schlotternde Angst; sie lacht rauh und herzlich. Aus Vergnügen daran, ihn zittern zu sehen, und auch, um noch mehr Geld aus ihm herauszukriegen, verheißt sie ihm zum hundertsten Male, sie werde ins Theater kommen und wie eine wilde Katze schreien, wenn er die Bühne betritt. »Paß nur auf, Bubi!« neckt sie ihn grausam. »Einmal tu ich es wirklich – zum Beispiel bei der großen Premiere nächste Woche. Ich ziehe mir mein buntes Seidenkleid an und setze mich in die erste Reihe. Das gibt einen Skandal!« Animiert reibt sich das dunkle Fräulein die Hände. Dann verlangt sie hundertfünfzig Mark von ihm, ehe er den neuen Tanzschritt üben darf. Mit seinem Aufstieg ist auch sie anspruchsvoller geworden. Nun benutzt sie kostspielige Parfüms, kauft sich in erheblichen Mengen bunte Seidentücher, klirrende Armbänder und kandierte Früchte, die sie aus großen Tüten mit ihren rauhen und gewandten Fingern zu naschen liebt. Wenn sie grinsend kaut und sich dazwischen behaglich am Hinterkopf kratzt, sieht sie einem großen Affen zum Verwechseln ähnlich.

Hendrik muß zahlen, und er zahlt gerne. Es bereitet ihm Lust, auf so plumpe Art ausgenutzt zu werden von der Schwarzen Venus. »Denn ich liebe dich wie am ersten Tag!« sagt er ihr. »Ich liebe dich sogar mehr als am ersten Tage. Wenn du weg bist, begreife ich erst ganz, was du mir bedeutest. Die strengen Damen von der Tauentzienstraße sind unerträglich langweilig.«

»Und deine Frau?« erkundigt sich das Urwaldmädchen mit einem grollenden Kichern. »Und deine Barbara?«

»Ach die …«, macht Hendrik, sowohl kummervoll als verächtlich, und wendet das fahle Gesicht dem Schatten zu.

Barbara kommt immer seltener nach Berlin; auch der Geheimrat zeigt sich beinah nie mehr in der Hauptstadt, wo er früher, mehrmals im Winter, Vorträge zu halten und an der repräsentativen Geselligkeit teilzunehmen pflegte. Der Geheimrat sagt: »Ich bin nicht mehr gern in Berlin. Ja, ich fange an, mich vor Berlin zu fürchten. Es bereiten sich hier Dinge vor, die mich entsetzen – und das schaurigste ist, daß die Menschen, mit denen ich Umgang habe, die Gefahren nicht zu bemerken scheinen. Man ist geschlagen mit Blindheit. Man amüsiert sich, streitet sich, nimmt sich ernst; inzwischen verfinstert sich der Himmel, aber man hat keinen Blick für das Ungewitter, das näher kommt – das schon beinahe da ist. Nein, ich bin nicht mehr gern in Berlin. Vielleicht meide ich es, um es nicht verachten zu müssen …«

Er kommt doch noch einmal; aber nicht mehr, um an repräsentativer Geselligkeit teilzunehmen oder in der Universität zu dozieren; vielmehr um eine große kulturpolitische und tagespolitische Rede zu halten. Die Rede trägt den Titel: »Die drohende Barbarei«; mit ihr will der Geheimrat den geistigen Teil des Bürgertums noch einmal – zum letzten Mal – warnen vor dem, was heraufkommt und was Verfinsterung und Rückschlag bedeutet, während es sich selber frech »Erwachen« und »nationale Revolution« zu nennen wagt.

Der alte Herr spricht anderthalb Stunden lang vor einem Publikum, welches tobt – teils vor Beifall, teils zum Widerspruch.

Während seines letzten Aufenthalts in der Kapitale hat der bürgerliche Gelehrte, der durch seinen Besuch in der Sowjetunion der Rechten verhaßt und den Demokraten schon ein wenig verdächtig ist, Besprechungen mit vielen seiner Freunde, mit Politikern, Schriftstellern, Professoren. All diese Unterredungen endigen mit der heftigsten Meinungsverschiedenheit. Die Freunde erkundigen sich, nicht ohne Hohn: »Wo bleibt Ihre geistige Toleranz, Herr Geheimrat? Wohin sind Ihre demokratischen Prinzipien? Wir erkennen Sie gar nicht wieder. Sie sprechen ja wie ein radikaler Tagespolitiker, nicht mehr wie ein kultivierter, überlegener Mensch. Alle kultivierten Menschen sollten sich darin einig sein, daß es diesen Nationalsozialisten gegenüber nur eine Methode gibt: die erzieherische. Wir müssen alles daransetzen, diese Menschen zu zähmen, mittels der Demokratie. Wir müssen sie gewinnen, anstatt sie zu bekämpfen. Wir müssen diese jungen Menschen überreden zur Republik. – Und übrigens«, fügen die sozialdemokratischen oder liberalen Herren mit einer vertraulich gedämpften Stimme und mit einem ernsten Blick hinzu, »und übrigens, lieber Geheimrat: Der Feind steht links.«

 

Manches muß Bruckner sich anhören über die »gesunden und aufbauwilligen Kräfte«, die »trotz allem« im Nationalsozialismus stecken; manches über das edle nationale Pathos einer Jugend, der gegenüber »wir Älteren« eben nicht länger verständnislos ablehnend bleiben dürfen; über den »politischen Instinkt des deutschen Volkes«, seinen »gesunden Menschenverstand«, der stets das Schlimmste verhüten werde – (»Deutschland ist nicht Italien«) – ehe er, erbittert und enttäuscht, abreist, im Herzen entschlossen, nie wiederzukehren. Der Geheimrat Bruckner entzieht sich einer Gesellschaft – in welcher Hendrik Höfgen Triumphe feiert.

In Berliner Salons ist jeder willkommen, der Geld hat oder dessen Namen häufig genannt wird von der Boulevardpresse. Auf dem Parkett der Tiergarten- und Grunewaldvillen treffen sich die Schieber mit den Rennfahrern, Boxern und berühmten Schauspielern. Der große Bankier ist stolz darauf, Hendrik Höfgen bei sich zu empfangen; noch lieber freilich hätte er Dora Martin in seinem Hause gesehen, aber Dora Martin kommt nicht, sie sagt ab oder zeigt sich höchstens für zehn Minuten.

Natürlich erscheint auch Höfgen nicht vor Mitternacht. Nach der Abendvorstellung tritt er noch in einer Music-Hall auf, wo er für dreihundert Mark ein Chanson singt, welches sieben Minuten dauert. Die schicke Gesellschaft, die er mit seiner Gegenwart beehrt, trällert ihm den Refrain des Songs entgegen, den er berühmt gemacht hat:

»Es ist doch nicht zu schildern.

Soll ich denn ganz verwildern?

Mein Gott, was ist denn nur mit mir geschehn!«

Wie schön und fein Hendrik ist – es ist doch nicht zu schildern! Grüßend und lächelnd, hinter sich Herrn Katz und Fräulein Bernhard als seine treuen Trabanten, bewegt er sich durch diese Gesellschaft von versnobten jüdischen Finanziers, von politisch radikalen und künstlerisch impotenten Literaten und von Sportsleuten, die noch nie ein Buch gelesen haben und, gerade deshalb, von den Literaten angehimmelt werden. »Sieht er nicht aus wie ein Lord?« flüstern reich geschmückte Damen orientalischen Typs. »Er hat einen so lasterhaften Zug um den Mund – und diese herrlich blasierten Augen! Sein Frack ist von Knize, er hat zwölfhundert Mark gekostet.« – In einer Ecke des Salons wird behauptet, Höfgen habe ein Verhältnis mit Dora Martin. »Aber nein – er schläft doch mit Fräulein Bernhard!« wollen noch Eingeweihtere wissen. »Und seine Frau?« erkundigt sich ein etwas naiver junger Herr, der noch nicht lange in der Berliner Gesellschaft verkehrt. Er bekommt nur ein verächtliches Lachen zur Antwort. Die Familie Bruckner ist nicht mehr ernst zu nehmen, seitdem sich der alte Geheimrat politisch auf eine so anstößige und übrigens sinnlose Art exponiert hat. Gelehrte sollten sich nicht in Dinge mischen, von denen sie nichts verstehen – darüber sind alle sich einig – und außerdem empfindet man es als albernen Eigensinn, gegen den Strom zu schwimmen. Für die zukunftsträchtige Bewegung des Nationalsozialismus, die soviel positive Elemente enthält und ihre störenden kleinen Fehler, zum Beispiel diesen lästigen Antisemitismus, schon noch ablegen wird, bringt man als moderner Mensch Verständnis auf. »Daß der Liberalismus etwas Überwundenes ist und keine Zukunft mehr hat, ist doch wohl eine Tatsache, über die wir nicht mehr zu diskutieren brauchen«, sagen die Literaten, und weder die Boxer noch die Bankiers widersprechen ihnen.

»Wie reizend, daß Sie eine Stunde Zeit für uns gefunden haben, Herr Höfgen!« flötet die Hausfrau ihrem attraktiven Gast entgegen und hält ihm ein Tellerchen mit Kaviar hin. »Man weiß doch, wie beschäftigt Sie sind! Darf ich Sie mit zwei Ihrer glühendsten Verehrer bekannt machen? Dieses ist Herr Müller-Andreä, der Ihnen durch seine bezaubernden Plaudereien im ›Interessanten Journal‹ gewiß bekannt ist. Und dieses ist unser Freund, der berühmte französische Schriftsteller Pierre Larue …«

Herr Müller-Andreä ist ein eleganter, grauhaariger Mann mit stark hervortretenden wasserblauen Augen in einem roten Gesicht. Jedermann weiß, daß er von den guten Beziehungen seiner schönen Frau lebt, die aus aristokratischer Familie stammt. Durch sie erfährt er den ganzen Klatsch der Berliner Gesellschaft, aus dem er seine kleinen Artikel für das »Interessante Journal« zusammenstellt. In diesem verrufenen Skandalblatt plaudert Herr Müller-Andreä wöchentlich unter dem Titel: »Hatten Sie davon eine Ahnung?« Gerade diesen amüsanten Artikeln verdankt das »Interessante Journal« seine Beliebtheit; denn in ihnen wird mitgeteilt, daß die Gattin des Industriellen X mit dem lyrischen Tenor Y eine kleine Reise nach Biarritz unternommen hat, und daß die Gräfin Z jeden Nachmittag im Adlon zum Tanztee erscheint, und dieses nicht der guten Kapelle, sondern eines gewissen Gigolos wegen … Durch solche Eröffnungen versteht es Herr Müller-Andreä, die Leser zu fesseln und zu belehren. Seine ziemlich luxuriöse Lebenshaltung bestreitet er übrigens keineswegs mit seinen Einnahmen aus veröffentlichten Artikeln; vielmehr mit jenen Summen, die er sich für die Nichtveröffentlichung von »Plaudereien« bezahlen läßt. So manche Dame hat schon schweres Geld an Herrn Müller-Andreä überwiesen, damit ihr Name nicht in die Rubrik »Hatten Sie davon eine Ahnung?« komme. Herr Müller-Andreä ist ein gemeiner Erpresser, niemand bestreitet es – auch er selber nicht – niemand macht besonderes Aufheben davon.

Der andere »glühende Verehrer« des Schauspielers Höfgen, Monsieur Pierre Larue, ist ein kleines Männchen. Er reicht Hendrik eine bleiche, spitze Hand und spricht mit einer klagenden Sopranstimme: »Sehr interessant, lieber Herr Höfgen! Darf ich mir Ihre Adresse notieren?« Dabei hat er schon, mit geübtem Griff, ein dickes Notizbuch hervorgeholt. »Ich hoffe, Sie werden nächstens im Esplanade bei mir speisen«, ruft er noch mit seinem jammernden und dabei sirenenhaft lockenden Stimmchen. – Monsieur Larue hat in seinem altjüngferlich spitzen, von unzähligen Fältchen durchzogenen Gesicht merkwürdig scharfe und durchdringende Augen; aus ihnen leuchtet, beinah ekstatisch, eine ungeheure Neugierde; sie funkeln von jener Sucht nach Menschen, Namen und Adressen, die der eigentlich herrschende Impuls und der einzige echte Inhalt seines Lebens ist. Monsieur Larue würde sterben, traurig eingehen wie ein Fischlein, dem man das Wasser entzieht, an dem Tage, der ihn keine neuen Bekanntschaften machen ließe. Jedoch wird diese Situation, die so beklagenswert wäre, dem kleinen Menschensammler erspart bleiben, mindestens solange er sich in Berlin aufhält. Denn Ausländer haben es leicht in Berliner Salons: ein Gast, der mit schlechtem Akzent deutsch spricht, gereicht einer Gesellschaft fast ebenso zur Ehre wie ein Boxer, eine Gräfin oder ein Filmschauspieler – und nun gar noch ein Ausländer, der Geld hat, interessante Diners im Hotel Esplanade arrangiert, mehreren Königen vorgestellt ist und sogar den Prince of Wales kennt. Keine Tür bleibt verschlossen vor Monsieur Larue, sogar der ehrwürdige alte Herr Reichspräsident hat ihn empfangen. Er genießt den Umgang der reaktionärsten und exklusivsten Familien von Potsdam; andererseits sieht man ihn in Gesellschaft linksradikaler junger Leute, die er als »mes jeunes camarades communistes« in den Häusern der Bankdirektoren einzuführen liebt.