Fluchtpunkt Mogadischu

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3. Kontakt unerwünscht

Stellring hielt sein Versprechen an Sarina nicht. Noch nie war, aus welchem Grund auch immer, dem ausdrücklichen Wunsch nach einer Rücksprache ausgewichen. Zwei Tage nach dem Empfang des Briefes rief er unter der angegebenen Nummer an. Aus Vorsicht nutzte er einen Archivbesuch jenseits der Grenze und meldete sich aus einem Internet Café. „M.“ meldete sich in tadellosem Deutsch und zeigte sich über den Rückruf erfreut. Er wiederhole Rashids Grüße und bitte um ein persönliches Gespräch. Das passe nicht in seine Pläne, wehrte Stellring ab. Er sei beruflich angespannt und ständig unterwegs, komme nur gelegentlich und immer nur für kurze Zeit in seine Stadt. Er erwidere gleichfalls herzlich die Grüße an Rashid. Er halte in Zukunft aber ohne Mittelsmann Kontakt. Der Mensch, dem die kindlichen Handschrift gehören mußte, blieb hartnäckig. „M.“ sei flexibel bezüglich Ort und Zeitpunkt, aber in spätestens vier Tagen reise er zurück. Er werde Stellrings Zeit nicht ungebührlich in Anspruch nehmen. Ein kurzes Treffen habe Rashid als unverzichtbar angesehen. Rashid habe die Bereitschaft dazu als selbstverständlich vorausgesetzt, M. nehme nicht an, Stellring wolle den Freund enttäuschen. Unplausibel war das nicht. Rashid hatte beim Abschied in Pakistan davon gesprochen, er sende ihm sobald möglich eine Erinnerung an Rawalpindi. Aus den Unterlagen der Eltern habe ein Gruppenphoto in Erinnerung. Das Photogeschäft hatte den Abzug vor der Abreise nicht rechtzeitig geliefert. Stellring nahm an, der Emissär „M.“ sei beauftragt, er bringe das versprochene Präsent persönlich an den Mann.

Warum Rashid sich nicht selbst gemeldet habe? Rashid übe wichtige Funktionen aus. Habe einen Telephonanruf vielleicht versucht, Stellring aber anscheinend nicht erreicht, vielleicht auch Bedenken gehabt, Anrufe aus Pakistan nach Deutschland würden womöglich überwacht. Stellrings Mißtrauen war wach. „M.“'s Deutsch schien ihm ungewöhnlich für einen Pakistani. Er wurde beschieden, „M.“ habe in Deutschland studiert, sei aber jetzt wieder in sein Land zurückgekehrt. Er erinnerte den Anrufer, Zweck dieses Gespräches sei nur die Absprache über einen persönlichen Termin, alles weitere werde später zur Sprache kommen.

Stellring vereinbarte ein Treffen in der Lobby eines Hotels in Düsseldorf. Erkennungszeichen: ein ausgebreitetes Exemplar der "Le Monde". Er fuhr mittags mit dem Zug hinüber und war sich bewußt, es war schäbig von ihm gehandelt, daß er Sarina den wahren Grund der Fahrt verschwiegen hatte.

„M.“ kreuzte mit freundlichem Lächeln auf. Stellring faltete die Zeitung zusammen und musterte den Mann. Kein Zweifel, ein Orientale, vielleicht ein Einwohner der Golfregion oder Ägypter, auch als Inder oder Pakistani ginge er widerspruchslos durch. Dunkel glänzende große Augen unter einer hellen Stirn, tiefschwarzes Haar und ein gepflegter Oberlippenbart. Nicht der Vollbart ohne den regelmäßigen Kontakt zur Schere, mit dem Stellring bei seiner Flucht im Übermaß bekannt geworden war.

"Freut mich, Herr Stellring, daß wir uns nun endlich treffen. Sie sehen, ich habe den Weg hierher nicht gescheut."

"Ganz meinerseits, Herr „M.“ warum diese unnötige Geheimniskrämerei?"

"Nennen sie mich Machmoud. Rashid Durrani hatte um Vertraulichkeit gebeten. Ich bin sicher, er hat dafür einen guten Grund. Die Geheimniskrämerei ging übrigens eher von Ihnen aus. Sie haben unser Land in guter Erinnerung behalten?"

"Gehen Sie davon aus, sonst wäre ich nicht hier. Glauben Sie mir, die Nötigung einem konspirativen Treffen zuzustimmen kostet Überwindung, auch wenn Rashid sich auf eine alte Verbundenheit berufen kann. Ich an Rashids Stelle hätte einen Freund niemals so bedrängt." Machmoud schien unberührt. Stellring fuhr fort:

"Trotzdem ist er mir natürlich eine gute Erinnerung. Eine alte Bekanntschaft, ich bin Rashid sehr verpflichtet. Er hat mir geholfen bei einem Problem vor einem Vierteljahr. Wie geht es ihm? Ich denke, sie haben den engeren Kontakt."

"Soweit ich sehe, geht es ihm nicht schlecht. Wenn ein Moslem weiß, er ist gesund und leistet wichtige Arbeit für sein Land und seine Religion, geht es ihm nicht schlecht. Er gab mir ein Stück Erinnerung an alte Zeiten für Sie mit, so hat er sich ausgedrückt." Stellring nahm das Präsent in Empfang. Schlug das Schutzpapier vorsichtig so zurück, daß das Photo vor Machmoud verborgen blieb. Wahrscheinlich hatte er es längst neugierig betrachtet. Stellring war der Gedanke nicht angenehm, ein völlig Fremder verglich das Kind auf einer alten Aufnahme mit dem inzwischen älter gewordenen Gegenüber. Auch vor Machmoud hatte die Serviererin schwarzen Kaffee aufgetischt. Noch ein paar unverbindliche Floskeln und das Treffen würde beendet sein. Stellring spürte Erleichterung. Machmoud war ihm nicht unsympathisch. Richtig gehandelt, daß er dem Gespräch nicht ausgewichen war! Sarinas Warnung und die Vorsichtsmaßnahmen, mit denen er das Treffen arrangiert hatte, erwiesen sich im Rückblick als übertrieben. Er bat um die Adresse, unter der er sich bei Rashid bedanken würde.

"Schreiben Sie nicht nur, suchen Sie ihn auf," sagte Machmoud mit unbewegter Mine.

Stellring lachte. Er wolle nicht unhöflich sein. Natürlich sei das der beste Weg. Die Einladung zu gegenseitigen Besuchen habe er mit Rashid schon in Pakistan getauscht. Er habe einen Beruf und könne von hier unmöglich weg. Für seinen nächsten Urlaub sei ein Flug ans Mittelmeer geplant.

"Er besteht darauf und bittet um Ihr Verständnis. Rashid Besuch in Ihrem Land ist ausgeschlossen, er brächte sich in Gefahr. " Stellring fühlte die Enttäuschung. Ein Freund setzte den anderen so nicht unter Druck.

"So weit reicht mein Verständnis nicht. Ich fahre jetzt auf keinen Fall, eine Reise nach Pakistan ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Das schreibe ich ihm selbst. Wenn Sie die Adresse haben, dann her damit." Machmoud änderte den Ton :

"Sehen wir die Sache nüchtern, Stellring. Wir haben Ihnen seinerzeit geholfen und erwarten jetzt eine Gegenleistung. Reisekosten und Entschädigung für Auslagen werden von uns bezahlt. Sie werden sich nicht beklagen, die Organisation gilt im Hinblick auf Spesen nicht als kleinlich.

"Da gehen Sie zu weit, mein lieber Machmoud. Meine Reiseziele bestimme bei aller Dankbarkeit für Rashid immer noch allein. Wenn die Adresse geheim bleibt, dann danken Sie ihm bitte mündlich. Ich gehe." Stellring machte Anstalten zum Aufbruch.

"Sie sind in Ihren Entscheidungen nicht ganz frei, Stellring. Erinnern sie sich an dieses Stück Papier? Leider nur eine Kopie, aber der Inhalt spricht für sich. Wenn der Vertrag bekannt würde, brächte Sie das in Schwierigkeiten." Stellring wußte, er hatte sich nichts vorzuwerfen. Als er damals in Peschawar angekommen war, geschwächt und müde, hatte er einen Zettel betreffend die Kurzausbildung unterschrieben. In allen Einzelheiten durchgelesen hatte er das Papier nicht. Esregele die Kosten und Vergütung, auch eine Versicherung für den Fall möglicher Schäden werde abgeschlossen, hatte man ihm gesagt. Stellring hatte sich nachträglich und in besserer Verfassung vorgeworfen, er habe diesen Regelungen nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt.

Er nahm die Blätter zur Hand und sah sie flüchtig durch. Blieb an einer Passage hängen, die ein Stück weit oberhalb seiner Unterschrift farblich durch Marker hervorgehoben war.

"Der Teilnehmer erklärt sich bereit, nach Ende der Ausbildung auf Aufforderung hin an Operationen der Jamaat E Islami teilzunehmen. Mögliche Gefährdungen sind ihm bekannt. Im Falle einer Verwundung hat er Anrecht auf Entschädigung nach Maßgabe des Anhangs 2. Bei Gefangenschaft oder Tod tritt gem. Anhang 3 die Jamaat E Islami für die Versorgung der Familie ein." Stellring räusperte sich verlegen. Er war sich sicher, bei vollem Bewußtsein und klarem Verstand hätte er diese Verpflichtung niemals unterschrieben. Sollte er Entrüstung zeigen über die Frechheit, mit der man ihn zu betrügen suchte oder ordnete er Machmouds Auftritt besser ein wenn er sich amüsiert zeigte über die Anflüge von Bürokratie in einer Organisation, in der er sie nie vermutet hätte? Das Papier ihm untergeschoben als er von der Anreise erschöpft gewesen war oder war es nur dreist gefälscht? Er hatte vor Längerem irgendwo gelesen, daß es bei der Al Qaida eine Versorgung zurückbleibender Angehöriger von Sprengstoffattentätern gab. Sollte er das Papier zerreißen? Es wäre sinnlos. Machmoud hatte ihm nicht das Original gezeigt. Stellring verbesserte sich: nicht das gefälschte Original gezeigt. Seine Angehörigen waren auf eine Versorgung post mortem jedenfalls nicht angewiesen.

"Gehen Sie in sich, Machmoud, lassen Sie mich mit diesem Kram in Frieden. Sie wissen ebenso gut wie ich, freiwillig war ich nicht in diesem Camp und diese Fälschung hier habe ich niemals unterschrieben." Stellring beendete das Treffen grußlos und ging. Unbedenklich war ihm Machmouds Drohung nicht. Während der Rückfahrt im Zug verdüsterte sich seine Stimmung. Wenn der Mann hartnäckig war, brachte er über Bekannte von zuhause leicht Stellrings Adresse in Brüssel in Erfahrung. Er hatte dann alle Möglichkeiten, ihn dort unter Druck zu setzen. Den Besuch im Norden Pakistans betreffend, war Stellrings Bericht über seine Flucht aus Gründen der Vorsicht lückenhaft gewesen. Er hatte das Treffen mit Rashid erwähnt, sei eingeladen worden vom zufällig getroffenen Freund und habe in seiner Nähe einige Tage im Land verbracht zu einem ersten Atemschöpfen nach der Flucht. Daß er die Zeit zu einer Kurzlehrgang im Häuserkampf genutzt hatte, war außer Sarina niemand bekannt. Holte die Vergangenheit ihn ein? Er mußte sich mindestens Van Beeken anvertrauen, seinem Chef. Auch dann noch stand sein neuer Posten auf dem Spiel.

 

Abends berichte er Sarina über das Treffen in Düsseldorf. Sie ihm sah sich in ihrer Erwartung bestätigt, machte ihm keine Vorwürfe, aber die Enttäuschung über Stellrings Mangel an Vertrauen ließ sich nicht übersehen. Gab ihm immerhin darin recht, wenn das Treffen diesem Mann wirklich wichtig gewesen war, hätte er es mit einiger Mühe auch auf anderem Weg erreicht. Sarina riet dazu, sich Van Beeken anzuvertrauen. So wie er ihr Machmoud beschrieben habe, lasse der Mann nicht locker und erfahre das "Centre ..." aus anderer Quelle von der Sache, sei die Chance für ein freiwilliges reumütiges Geständnis vertan.

Wie eine so späte Offenbarung zu begründen sei? Gewissensbisse! Stellring habe sich in der bisher gegebenen Version der Flucht auf das für ihn Wesentliche beschränkt. Die Teilnahme an einem Besuch im Jamaat-Camp in Pakistan habe man ihm als Freundschaftsgeste angetragen, eine Art Wiedergutmachung nach den Strapazen seiner Flucht. Er habe die Episode für sich behalten, jetzt sehe er, wenn auch verspätet ein, daß das "Centre ..." Anspruch auf Kenntnis davon habe. Sein Blick auf ein geheimes Trainingscamp der Taliban könne der eigene Seite von Nutzen sein. Wenn die Leute im "Centre …" Vernunft zeigten, würden sie ihren Vorteil erkennen und drehten ihm aus dem Verhalten keinen Strick.

Stellring hätte ihr nur zu gern geglaubt. Würde man ihm Glauben schenken nachdem er so lange eine Version verbreitet hatte, die in einem wesentlichen Punkt unvollständig gewesen war?Jeder im Institut wußte, die Sicherheitsvorschriften für das Verhalten nach außen und innen waren streng. Er hatte eine lange und detaillierte Erklärung über frühere und gegenwärtige Kontaktpersonen und den Umgang mit allen, selbst harmlosen Intera im Institut unterschrieben. Man setze selbstverständlich absolute Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit voraus, war betont worden und er hatte sich ohne Zögern zu diesen Eigenschaften bekannt. Er mußte auf Van Beeken setzten, einen Mann, der im "Centre ..." einigen Einfluß hatte und ihm wohlgesonnen schien. Selbst wenn der sich für seinen neuen Mann verwendete, würde er ein gutes Wort einlegen und wendete den drohenden Rauswurf ab? Die bedrückende Gedankenkette riß nicht ab:

Seine Reaktivierung war für die Jamaat fehlgeschlagen. Er mußte hoffen, die Leute dort drüben es dabei bewenden ließen. Es hatte andere Teilnehmer im Kurs gegeben, die für konspirative Aufgaben besser geeignet sein würden als er. Falls Machmoud ihn kompromittierte, hatte er kein Mittel, das zu verhindern. Gab er seien Versuche auf, beschädigte Stellring sich mit einer Offenbarung bei Beeken und dem neuen Arbeitgeber ohne Not.

Die Aussprache mit Van Beeken fand nicht statt. Stellring scheute eine Entscheidung und schob das Problem unschlüssig vor sich her. Das Treffen in Düsseldorf geriet nach einigen Tagen in Vergessenheit. Stellring setzte zunehmend zuversichtlich die Arbeit an seiner Studie fort.

Eine Woche nach dem letzten Kontakt meldete sich Machmoud im Büro am Telephon. Er erreichte den gewünschten Partner nicht direkt. Franco Fella nahm den Anruf entgegen. Er bat seinen Freund Stellring aus der Teeküche an den Apparat. Ein Anrufer, schwer verständlichen Namens, er gebe sein Anliegen als dringlich aus.

"Bedaure die Störung, Stellring, ich komme auf unsere Unterredungen zurück."

"Und ich sagte Ihnen schon, ich lehne ihren Wunsch in dieser Sache ab. Bitte unterlassen Sie in Zukunft jeden Kontaktversuch. Guten Tag." Er legte auf.

Ein zweiter Anruf ließ nicht lange auf sich warten.

"Heute Abend 21 Uhr im Restaurant "Coq Bruxellois". Tun Sie sich den Gefallen und kommen Sie hin. Wir haben keine krummen Sachen vor, Sie sind der einzige, der uns helfen kann."

Stellring reagierte dieses Mal in grobem Ton:

"Den Teufel werde ich tun Mann, gehen Sie aus der Leitung."

Franco zeigte Feingefühl und verließ den Raum.

"21 Uhr, Stellring", dann legte Machmoud auf. Als Franco zurückkam, berichtete Stellring ihm über seinen Kontakte zur Jamaat E Islami. Er habe den Leuten Zugeständnisse gemacht. Ohne ihre Hilfe wäre ihm die Flucht aus Somalia nicht geglückt.

Dann sei spätestens jetzt Zeit für eine andere Flucht, nämlich die nach vorn, riet Franco Fella. Aussitzen sei seiner Ansicht nach in dieser Lage eine schlechte Wahl. Die andere Seite handle anscheinend im Glauben, sie habe ihn in der Hand. Stellring zeigte Einsicht. Er rief umgehend Van Beeken an und bat um ein Personalgespräch, nach Möglichkeit gleich jetzt.

Van Beeken zeigte sich über die Dringlichkeit erstaunt. Gebe es denn ein so ungewöhnliches Problem? Ob Stellring sich sorge wegen der Ankündigung von Sparmaßnahmen? Er habe sich überzeugt, Stellrings Arbeit an der Studie komme voran. Stellring solle sich um die Aussicht auf eine Festanstellung keine Sorge machen. Seine Arbeit gebe Anlaß zu Zufriedenheit. Beeken breche noch am späteren Abend zu einem Vortrag nach Mailand auf und stehe nach der Rückkehr wieder zur Verfügung. Zwei Tage habe die Angelegenheit hoffentlich noch Zeit. Nein, da müsse er bedauern, ein persönlicher Termin jetzt gleich passe absolut nicht in sein Konzept. Der Vortrag morgen erfordere noch Detailarbeit. Er bitte Stellring um Verständnis, auch am Freitag komme man mit seinem Anliegen sicherlich noch nicht zu spät.

"Keine schöne Situation, mein Lieber. Wünschte mir, ich könnte Dir behilflich sein." Franco zeigte schon wieder Mitgefühl. "Mein Rat: geh hin und hör Dir den Vorschlag an. Ich an Deiner Stelle wollte wissen, was hinter dem Vorschlag der Leute steckt, wenn sich schon ein Kniefall bei Van Beeken nicht vermeiden läßt."

Er fragte nach, was bei Stellring zuhause bekannt sei über seine Tätigkeit in Brüssel und erfuhr, Genaueres könne das nicht sein. Stellring hatte sich gleich nach der ersten Vorbesprechung mit Tronchard an die den Verhaltenskodex des "Centre ..." orientiert und gezielt Unbestimmtes über seine Arbeit in Brüssel preisgegeben. Mehr als den Telephonanschluß im Büro konnte Machmoud nicht erhalten haben. Die engen Vorgaben über zulässige Kontakte für Angehörige des "Centre ..." waren ihm fast sicher nicht bekannt. Franco hatte recht, er war sich selbst schuldig, daß er nicht in panischer Angst den Kopf verlor.

Die Konzentration auf die Arbeit war geschwunden und stellte sich an diesem Tag auch nicht mehr ein. Er malte sich das Treffen in ähnlich düsterer Stimmung aus wie auf der Rückfahrt aus Düsseldorf. Machmoud hatte sich noch nicht ausdrücklich erklärt aber er trat mit kaum verhohlen konspirativen Absichten an ihn heran. Widersetzte er sich weiter, würde die Jamaat in Karatschi ihn erpressen. Stellring, Mitglied in einer islamistischen Organisation? Er hatte Rashid die eigenen Vorzüge in einer Agentenrolle selbst ausgemalt: War ein für Fahnder in der Szene unbeschriebenes Blatt, kam als unverdächtig und unbeschriebenes Blatt in Brüssel für Spezialaufgaben in Betracht. Brachte Qualifikationen mit, über die wenige Mitglieder der Jamaat verfügen konnten. Er malte sich einige Szenarien aus. Vielleicht suchte Rashid nur einen unverdächtigen Spion oder man schlug ihm die Mitwirkung an islamistischer Propaganda vor, wenn nicht sogar die Mitwirkung an gewalttätigen Aktionen.

Er beschloß, wenn Machmoud ihn massiv anging, drehte er den Spieß kurz entschlossen um. Hetzte ihm die Polizei auf den Hals und stellte ihn als Agenten des Islamismus bloß. Er fand Gefallen an dem Gedanken und schlug Franco vor, auf ein telephonisches Klingelzeichen hin sorge er für umgehenden Besuch der Polizei im "Coq Bruxellois". Ein Vorwand lasse sich immer finden. Er werde zweimal anklingeln und lege dann gleich auf, Zeichen dafür, daß er auf Hilfe angewiesen sei.

Franco redete ihm den Gedanken aus. Er möge sich vor Panik hüten und bewahre doch bitte die Übersicht. Sofern die Polizei einen Einsatz auf anonyme Nachricht hin überhaupt folgte, wem wäre damit gedient? Dieser Agent namens Machmoud trage mit Sicherheit keinen Mitgliedsausweis der Al Qaida mit sich herum.

Machmoud war im schon zur Stelle als Stellring das Restaurant betrat.

"Herr Stellring, freue mich, daß Sie zur besseren Einsicht gekommen sind."

"Warten wir das ab! Sie haben Ihre Rückreise verschoben?"

"Irrtum, ich bin nach einem Abstecher nach Mittelost schon wieder zurück. Spielen wir nicht weiter Katz und Maus, Stellring. Wir hatten schon festgestellt, unsere Organisation hat eine Vereinbarung mit Ihnen abgeschlossen. Stehen Sie jetzt dazu!"

"Nichts habe ich abgeschlossen, das nicht mühelos als Folge einer Erpressung aufzuklären wäre."

"Zur Sache Wir planen für das kommende Frühjahr eine Operation in Frankreich. Eine Demonstration zur Aufklärung der Leute, keine gewalttätige Aktion. Personenschäden an Leben und Gesundheit von aktiv oder passiv Beteiligten werden ausgeschlossen sein. Es geht um ein Zeichen, eine drastische Warnung ans Publikum wenn man so will. Der Staat darf nicht weiter feindselig wie bisher die Würde des Islam verletzen. Die Organisation hat Sie auf Empfehlung von Rashid Durrani als Mittelsmann ausgewählt. Ich bin nur wenn Sie so wollen der Kurier, alles Weitere erfahren sie direkt von ihm." Stellrings sah seine Erwartungen bestätigt. Um keinen Preis der Welt gab er sich als Verbindungsmann der Jamaat E Islami her, gleich ob bei der harmlos genannten Operation Blut fließen würde oder ob die Jamaat nur gewaltlos Propaganda trieb.

Diese Ablehnung stand für ihn nicht in Frage aber Stellrings Neugier war geweckt. Machmoud hatte sich auf eine leere Vorankündigung beschränkt. Der Mann konnte kaum nur Rashids Sprachrohr sein, er machte nicht den Eindruck, er fühle sich nur als ausführendes Element. Sehr sorgfältig erledigte er andererseits seine Arbeit nicht, sonst hätte er vor dem Gespräch herausgefunden, auf welchem Gebiet der Mittelsmann in spe seine Arbeit tat. Wahrscheinlich würde Machmoud sich an der Operation in Frankreich selbst beteiligen, vielleicht sogar als Kopf des Unternehmens. Zumindest sollte ihm die Richtung, in die die Planung lief, bekannt sein. Stellring mußte Van Beeken am Folgetag Rede und Antwort stehen. Alles was hier in Erfahrung zu bringen war, würde das Institut und die Geldgeber im Hintergrund interessieren. Stellring zeigte sich dem "Centre ..." gegenüber nicht nur als Kenner somalischen Piraterie sondern auch als Informant über die örtliche Islamistenszene.

"Ich wiederhole: ein Besuch in Pakistan kommt nicht infrage." Machmoud winkte ab.

"Wir sind erwachsene Leute, also verhalten wir uns auch so! Die Mitwirkung wird nicht ehrenamtlich zu leisten sein. Ich sagte schon am Telephon, unsere Organisation ist weder arm noch kleinlich. Sie werden einige Tage Urlaub nehmen, erst für das Treffen mit Rashid, dann für die abschließende Planung und letzte Vorbereitungen. Die Aktion selbst nimmt nicht mehr als einen halben Tag in Anspruch. Womit verdienen Sie Ihr Geld in Brüssel?" Stellring gab mißmutig zurück, das gehe den Gesprächspartner nichts an.

"Soll mich auch nicht weiter interessieren. Nehmen Sie Urlaub oder wenn es Schwierigkeiten gibt, kündigen Sie den Job." Stellring war bewußt, es war nicht unwahrscheinlich, Trochard nahm ihm diese Mühe schon anderntags durch einen Rauswurf ab.

"Sie stehen am Berufsanfang, vielleicht in einem Fach, in dem man zu Beginn nicht gut verdient. Mit diesem Problem stehen Sie nicht alleine da. Wer wünschte sich nicht etwas finanziellen Spielraum? Wenn der Auftrag ausgeführt ist, versetzt sie das Honorar in eine komfortable Lage. Sie orientieren sich ohne Eile beruflich neu."

Der Umgang mit finanziellen Engpässen war Stellring vertraut.

"Machen Sie sich um mein Wohlergehen nicht unnötig Gedanken, Machmoud. Ich regle meine Angelegenheiten gerne in eigener Regie. Wenn sie nicht mehr Informationen preisgeben dürfen, dann vergessen wir dieses Gespräch. Ich fahre nicht blindlings nach Pakistan. Rechnen Sie nicht auf meine Zustimmung solange ich über die Operation Näheres nicht weiß." Machmoud antwortete nicht gleich. Er überlegte. Rashid hatte ihm bei seiner Mission den Rahmen für die Weitergabe von Einzelheiten anscheinend eng gesteckt.

"Wir sprechen wie man bei uns sagt von einem Fisch, der an der Leine aber noch im Wasser ist. Unsere Gruppe hier braucht einen Mann, der über jedem Verdacht der Nähe zum Islamismus steht. Einen Mann, der die Mentalität der Leute im Westen kennt und zu dem unsere Führung Vertrauen haben kann."

"Kommen Sie zum Punkt, Machmoud! Die Operation! Was haben Ihre Leute vor?"

"Die Aktion gilt einer Stelle zur Versorgung mit dem täglichem Bedarf. Eine Demonstration der Macht, die unser Potential aufzeigt, mehr nicht. Schaden wird nicht angerichtet. Das Projekt ist in der Planungsphase. Wir werden ein Bekennerschreiben mit unseren Forderungen vorlegen versehen mit der Warnung, bei Nichtbeachtung handeln wir bei nächster Gelegenheit mit aller Konsequenz."

 

"Die nämlich wäre?"

"Ein weiterer Fisch, noch weniger ins Boot gezogen, Stellring. Jedenfalls Forderungen, für die wir uns nicht schämen müssen und für die Konsequenzen tragen dann weder Sie noch ich Verantwortung."

"Mit unverbindlichen Andeutungen ist niemandem gedient. Nun werden Sie mal konkret! Wie verhält es sich mit dem Honorar?" Machmoud grinste breit. Goldbelag zeigte sich an einem oberen Schneidezähne. Ein auffallendes Merkmal, ging Stellring durch den Kopf. Zahnersatz mit Goldauflage war hierzulande nicht mehr in Mode. Wenn ein besonderes Kennzeichen für Fahndungzwecke gebraucht würde, hätte man leichtes Spiel, es sei denn der Mann hatte sich die Mühe einer Wechselblende auf seinem Zahn gemacht.

Konnte Machmoud sicher ausschließen, daß der unwillige Partner der Unterredung ihm keine Falle stellte? Anscheinend spürte der Mann zu besonderer Vorsicht keinen Grund. Hatte beim Eintritt nicht ängstlich gewirkt und keine Zeichen Mißtrauen gezeigt. Erst später klärte Machmoud ihn einmal auf über diese Unbekümmertheit: Rashid habe sich für Stellring verbürgt. Sein Freund Stellring sei vertrauenswürdig und außerstande zu Verrat. Machmouds Papiere waren in Ordnung, nichts Belastendes gegen ihn lag vor. Zuhause im eigenen Land liefe er ein höheres Risiko wenn er zwischen den Fronten unter Verdacht geriet. So ähnlich hatte auch Raschid schon über die Gefahren für seine Leute in Pakistan geklagt. Teile der Polizei kannten gegen die Mitglieder der Jamaat keine Gnade. Wehe dem Mitglied seiner Organisation, der der falschen Seite in die Hände fiel und hatte für den Freikauf nicht genügend Geld. Wie passte das zu Machmouds Prahlerei, seine Organisation sei finanziell auskömmlich ausgestattet? Stellring spürte, seine Gedanken schweiften ab.

"Ganz unverbindlich: ich weiß von Honoraren zwischen 100 000 und 200 000 Dollar nach dem erfolgreichen Abschluß einer wichtigen Operation. Viel Geld, auch in Ihrem Land, Stellring. Die zufällige Bekanntschaft in jungen Jahren mit Rashid Durrani hätte sich nicht schlecht bezahlt gemacht."Stellring fühlte peinliche Geringschätzung heraus. Sein eigenes Verschulden! Der Andere unterstellte kaum verhohlen Käuflichkeit. Machmoud hatte ihn unter Wert taxiert und sah den Handlanger, dessen Skrupel schnell überwunden waren wenn Geld in Aussicht stand. Er hatte nicht aus Gier nach Mammon nachgefragt sondern wollte erfahren, worum es bei dem konspirativen Auftrag ging.

"Geld steht für mich nicht im Vordergrund. Wenn ich hier überhaupt mit Ihnen spreche, geschieht das allein aus Dankbarkeit für meinen Freund Rashid."

"Sie hatten selbst danach gefragt."

Machmoud zog einen Umschlag aus der Tasche.

" Geben Sie also bis morgen den endgültigen Entschluß bekannt. Eine Weigerung würde negative Folgen für Sie haben. Wir legen Wert auf Ihre Mitarbeit aber denken Sie daran, unsere Geduld ist nicht unbegrenzt. Ein Vorschuß für die Reisekosten." Er präsentierte einen Zettel und forderte wortlos die Empfangsbestätigung. Stellring wehrte mürrisch ab. Ob Machmoud ihn für einen Trottel halte? Ein Entschluß sei noch nicht gefaßt. Machmoud möge sich jeder Drängelei enthalten. Er reichte Machmoud den Umschlag zurück. Keine Anrufe mehr im Büro! In spätestens drei Tagen melde er sich selbst.

Franco Fella gegenüber hielt er sich mit der genauen Schilderung des Treffens im "Coq Bruxellois" zurück. Sagte, die Besprechung habe seine Befürchtungen nicht zerstreut. Er weihe Franco später in Einzelheiten ein. Der Freund zeigte Verständnis für die Verschlossenheit, einen Rat gab er ihm dennoch mit. Wie immer Stellring entscheide, er besorge sich eine Rückversicherung. Falls er wirklich konspiratives Handeln in Erwägung ziehe, dann bitte allenfalls mit Wissen des Instituts.

Er teilte Sarina aus der Erinnerung den Ablauf des Treffens mit. Sie mahnte zur Besonnenheit und riet Stellring von der Fahrt nach Karatschi ab. Er riskiere sinnlos Kopf und Kragen. Seine Zukunft läge nicht in der Illegalität, gleich wie viel Geld bei einem Zuschlag zu verdienen sei, nicht in der Komplizenschaft mit halbseidenen Figuren aus dem Untergrund. Wie er Machmoud schildere, stehe dieser Mann in nächster Nähe zu islamistischer Gewalt. Kein Gedanke mehr an eine gemeinsame Zukunft in Brüssel wenn Stellrings Job verloren ging! Es hätte ihrer Mahnung nicht bedurft. Daß Sarinas Sorge berechtigt war, lag ohne ausführliche Begründung auf der Hand. Er versicherte ihr, den leichtfertiger Umgang mit der verfahrenen Lage verbiete er sich selbst. Was immer er selbst entscheiden könne, entscheide er im Blick zuerst auf sie. Der Blick auf die Zukunft gemeinsam für sie und ihn selbst nehme bei jeder Überlegung immer den Vorrang ein. Alles Andere stehe dagegen zurück. Ohne Vorbehalt akzeptierte er das Drängen zu Sarinas Enttäuschung dennoch nicht: kein endgültiger Entschluß vor der Rücksprache mit Van Beeben! Mit einer Entscheidung ohne Abwarten der Reaktion des"Centre …" bleibe ohne Not die Chance auf einen akzeptablen Ausweg ungenutzt.

Das Personalgespräch bei Van Beeken fand am Montagmorgen statt. Stellring betrat das Büro unbehaglichem Gefühl. Beeken präsentierte sich gut ausgeschlafen und gut gelaunt. Sein Vortrag in Mailand sei positiv aufgenommen worden. Stellring bestätigte auf Nachfrage, auch die eigene Arbeit komme zu seiner Zufriedenheit voran. Er habe einige Passagen überarbeitet und drei Seiten mitgebracht. Er hoffe, wenn die Studie ein Stück weiter gediehen sei, sehe Beeken sie mit ihm gemeinsam durch. Der Chef bewies, daß er sich mindestens schon eingelesen hatte: er hoffe noch auf Präzisierung und belastbare Belege für die These der Zusammenarbeit zwischen den Al Shabaab und einem Teil der somalischen Behörden.

"Unser Gemeeinschaftswerk läßt sich nicht übel an, Stellring! In Mailand habe ich vorab Interesse dafür gespürt. Wir arbeiten da an einem wichtigen Projekt. Für Sie als Neuer hier kein schlechter Einstieg!" Bei der Präsentation in vier Wochen in London sei Stellring als Mitverfasser selbstverständlich eingeladen. Ein Drittel der laufenden Kosten des "Centre ..." wollte eingeworben sein. Anscheinend hatte Van Beeken in Mailand Versprechungen gemacht.

Warum machte er sich über die Finanzierung des Instituts gerade jetzt Gedanken? Stellring hatte Grund zur Befürchtung, sein Wirken in der Agentur würde beendet ehe die angefangene Arbeit zur Druckreife gediehen war. Er entschloß sich, unverzüglich Van Beeken seine Verbindung mit der Jamaat zu gestehen. Sein Verhalten würde er nicht beschönigen, Anlaß zur reumütigen Abbitte bestand dennoch nicht.

Stellring schickte voraus, er trete mit einer schlechten Nachricht an. Van Beeken sah erstaunt von den übergebenen Blättern auf.

"Kommen Sie schon, Stellring, so wie Sie hier auftreten und in ihrem Lebensalter kann die Nachricht so schlecht kaum sein."

"Fürchte ich leider doch. Ich werde erpreßt. Sie werden mir zustimmen, eine Befindlichkeit, die für Mitarbeiter in diesem Institut schlecht paßt."

"Was haben Sie angestellt? Steckt eine Frau dahinter, schulden Sie jemandem Geld?Sie wissen, auch harmlose Affären werden in unserem Metier leider weniger leicht genommen als an anderer Stelle. Die Geschichte ist ehrenrührig oder eher ein Kavaliersdelikt?"

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