Strafrecht Allgemeiner Teil

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5. Dolus cumulativus und dolus alternativus
a) Dolus cumulativus

168Ein sogenannter dolus cumulativus bzw. kumulativer Vorsatz liegt vor, wenn der Täter bei Vornahme der Tathandlung vorsätzlich hinsichtlich der Verwirklichung mehrerer Tatbestände handelt. Er begegnet häufig in der Form, dass der Täter es für möglich hält, dass neben der primär angestrebten Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandes noch ein weiterer Erfolg eintritt. So ist ein kumulativer Vorsatz anzunehmen, wenn A eine Falle stellt, um den |59|Nachtwanderer O ums Leben zu bringen, und es hierbei für möglich hält, dass O gemeinsam mit seinem Hund in die Falle gerät und auch Letzterer in dieser verendet. Nach einheitlicher Auffassung ist der Täter im Fall des kumulativen Vorsatzes wegen sämtlicher vom Vorsatz umfasster Taten zu bestrafen.[182] Geraten O und sein Hund tatsächlich in die Falle und verstirbt O, während sein Hund verendet, hätte sich A somit sowohl nach § 212 Abs. 1 StGB als auch nach § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, wobei zwischen den verwirklichten Taten Tateinheit (§ 52 StGB) besteht.

b) Dolus alternativus

169Umstritten ist die Behandlung des sogenannten dolus alternativus bzw. Alternativvorsatzes. Bei diesem handelt der Täter vorsätzlich hinsichtlich zwei sich gegenseitig ausschließender Tatbestände, geht also davon aus, von zwei möglichen Tatbeständen entweder den einen oder den anderen zu verwirklichen. Ein Alternativvorsatz liegt bspw. dann vor, wenn A auf den berittenen Polizisten O schießt und hierbei davon ausgeht, dass er entweder nur das Pferd oder den O tödlich verletzen wird. Hier wird A nach seiner Vorstellung entweder nur eine Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) oder aber einen Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) verwirklichen. Gleichwohl behandelt die mehrheitliche Auffassung den Alternativvorsatz weitgehend nach den gleichen Gesichtspunkten wie den kumulativen Vorsatz, indem sie die Problematik auf der Konkurrenzebene verortet und Tateinheit zwischen sämtlichen Delikten annimmt, hinsichtlich deren Verwirklichung der Täter vorsätzlich gehandelt hat.[183] Soweit A im Beispielsfall sowohl O als auch das Pferd verfehlt, wäre er nach dieser Sicht der Dinge wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit versuchter Sachbeschädigung zu bestrafen. Verletzt er demgegenüber O oder das Pferd tödlich, so stünde das jeweils vollendete Delikt in Tateinheit mit dem jeweils versuchten Delikt.

170Die soeben skizzierte herrschende Auffassung, welche zu einem weitgehenden Gleichlauf von kumulativem und alternativem Vorsatz führt, wird zunehmend skeptisch beurteilt, da es nicht überzeugen kann, einen Täter, der davon ausgeht, durch sein Verhalten höchstens einen Straftatbestand zu verwirklichen, genauso zu bestrafen, wie einen Täter, der es für möglich hält, durch sein Verhalten mehrere tatbestandliche Erfolge herbeizuführen. Teilweise wird daher vorgeschlagen, den Täter immer nur wegen dem verwirklichten Tatbestand und bei Ausbleiben aller für möglich gehaltenen Erfolge wegen des Schwersten zu bestrafen.[184] Andere Autoren wollen den Täter immer nur wegen dem schwersten vom Vorsatz umfassten Delikt bestrafen, unabhängig davon, ob und welche Tat vollendet wurde.[185] Auch diese Lösungswege sehen sich jedoch beachtlichen Bedenken ausgesetzt. Die Bestrafung aus dem schwersten Delikt kann immer dann nicht überzeugen, wenn ein anderes (weniger schwer wiegendes) Delikt |60|verwirklicht wurde. Tötet A im Beispielsfall das Pferd, würde diese Auffassung ihn gleichwohl nur wegen versuchten Totschlags bestrafen und hierdurch die Kongruenz zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand auflösen. Demgegenüber vermag die Bestrafung nur aus dem vollendeten Delikt dann nicht zu überzeugen, wenn der ausgebliebene Erfolg deutlich schwerer wiegendes Unrecht darstellt. Trifft A im Beispielsfall das Pferd, müsste diese Auffassung ihn allein wegen einer Sachbeschädigung bestrafen und würde hierdurch unberücksichtigt lassen, dass A vorsätzlich hinsichtlich der Tötung eines Menschen gehandelt hat.

171Richtigerweise ist der Problematik des dolus alternativus somit durch eine differenzierende Lösung zu begegnen.[186] Grundsätzlich ist der Täter nur wegen des vollendeten Deliktes zu bestrafen, Tateinheit zwischen vollendetem und versuchtem Delikt ist jedoch dann anzunehmen, wenn der Unrechtsgehalt der nicht verwirklichten Tat deutlich schwerer wiegt. Tötet A im Beispielsfall den O, ist er somit strafbar nach § 212 Abs. 1 StGB. Tötet er demgegenüber das Pferd, ist er aufgrund des größeren Unrechtsgehalts der ebenfalls in seinen Vorsatz aufgenommenen Tötung eines Menschen sowohl nach § 303 Abs. 1 StGB als auch nach §§ 212 Abs. 1 StGB, 22, 23 Abs. 1 StGB zu bestrafen, wobei zwischen den Taten Tateinheit besteht. Bleiben sämtliche Erfolge aus, ist der Täter allein wegen des schwereren Deliktes zu bestrafen. Verfehlt A im Beispielsfall sowohl O als auch das Pferd, ist er daher lediglich strafbar nach §§ 212 Abs. 1 StGB, 22, 23 Abs. 1 StGB, nicht auch gemäß §§ 303 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB.

6. Leitentscheidungen

172BGHSt 7, 363, 368ff.; Anforderungen an den dolus eventualis (hierzu bereits Rn. 164): Der Täter würgt das Opfer mit einem Lederriemen, um dieses kampfunfähig zu machen und mehrere Gegenstände aus seiner Wohnung wegnehmen zu können. Dabei hofft er zwar, das Opfer würde das Würgen überleben, erkennt aber die Möglichkeit, dass es verstirbt, findet sich hiermit jedoch ab, um ungestört nach den Tatobjekten suchen zu können. Das Opfer verstirbt. – Der BGH stellte klar, dass bedingter Vorsatz auch dann vorliegen kann, wenn dem Täter der Eintritt des Erfolges unerwünscht ist. Ein Billigen im Rechtssinne läge immer schon dann vor, wenn sich der Täter damit abfindet, dass seine Handlung den (wenn auch unerwünschten) Erfolg herbeiführen kann.

173BGHNStZ 1983, 452; Unbeachtlichkeit eines nachfolgenden Vorsatzes: Um einer körperlichen Misshandlung durch ihren Mann zu entgehen, flüchtet die Ehefrau in den Wohnungsflur. Dort stolpert sie und schlägt mit dem Gesicht so hart auf den Fußboden auf, dass sie regungslos liegen bleibt. Der Mann entschließt sich nunmehr, seine Frau zu töten und tritt mehrfach auf sie ein. Diese verstirbt nach mehreren Stunden, wobei einzige Todesursache die beim Sturz zugezogenen Verletzungen sind. – Der Mann hat sich nicht wegen |61|vorsätzlich begangenen, vollendeten Totschlags durch aktives Tun strafbar gemacht. Der Vorsatz muss im Zeitpunkt der zum Erfolgseintritt führenden Tathandlung vorliegen, ein hieran nachfolgender Vorsatz (dolus subsequens) ist unbeachtlich. Zum Tod hat vorliegend der Sturz der Ehefrau geführt. Dass ihr Mann anschließend den Entschluss fasste, sie zu töten, reicht nicht aus, um die erforderliche Kongruenz zwischen objektivem Geschehen und subjektiver Vorstellung herzustellen. In Betracht kommt jedoch eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen (soweit der Mann im Anschluss an den Sturz seiner Ehefrau den Todeseintritt noch hätte verhindern können), bzw. eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags.

174BGHSt 36, 1, 9ff.; Anforderungen an den dolus eventualis: Der mit dem HI-Virus infizierte Täter übt in Kenntnis seiner Infizierung wiederholt und mit unterschiedlichen Partnern Geschlechtsverkehr aus, wobei er immer nur unmittelbar vor dem Samenerguss ein Kondom verwendet. Vorher hatte ihn ein Arzt mehrfach auf die Gefahren von ungeschütztem Geschlechtsverkehr hingewiesen. – Der BGH bejahte den bedingten Verletzungsvorsatz des Täters. Zumindest im Anschluss an die Aufklärung durch den Arzt hatte er hinreichende Kenntnis von der Möglichkeit der Ansteckung. Zwar sei zu vermuten, dass der Täter gehofft hat, dass eine Übertragung des Virus nicht stattfinden würde, jedoch stehe dies der Annahme einer Billigung des tatbestandlichen Erfolges nicht entgegen, zumal aus dem Wissensstand des Täters bzgl. der Ansteckungsgefahr Rückschlüsse auf sein Wollen möglich seien.

175BGHSt 36, 221, 222f.; Anforderungen an vorsätzliches Handeln: Der Täter möchte ein Bürogebäude in Brand setzen, indem er Papier auf eine eingeschaltete Herdplatte legt. Hierdurch soll das Papier entflammen und das Feuer auf wesentliche Gebäudeteile übergreifen. Nachdem er die Herdplatte um 16 Uhr angeschaltet hat, verlässt er das Gebäude und ist hierbei davon überzeugt, dass die einzig noch anwesende Mitarbeiterin das Büro noch vor Ausbruch des Brandes verlassen wird, da die Bürozeit um 16.30 Uhr endet. Die Mitarbeiterin wird um 16.25 Uhr auf den beginnenden Brand aufmerksam und verständigt die Feuerwehr, welche den Brand löscht, bevor das Feuer auf wesentliche Gebäudeteile übergreift. – Der Täter handelt nicht vorsätzlich hinsichtlich einer (versuchten) schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB. Die Vorschrift setzt in der Vollendungsvariante voraus, dass eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit in Brand gesetzt wird, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen. Auch der Vorsatz des Täters muss sich auf das Inbrandsetzen des Tatobjektes zu einem Zeitpunk beziehen, in dem sich Menschen in der Räumlichkeit befinden. Da der Täter davon überzeugt war, dass sich im Zeitpunkt des Brandes keine Person im Bürogebäude aufhalten würde, handelte er nicht vorsätzlich bzgl. der Tat nach § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB.

176BGHSt 57, 183, 186ff.; Anforderungen an den Tötungsvorsatz, Hemmschwellentheorie: Während eines Diskobesuchs sowie unmittelbar danach geraten zwei Personen mehrfach in körperliche Auseinandersetzungen, die immer wieder durch das Eingreifen der Türsteher beendet werden. Nachdem |62|beide die Disko zunächst in unterschiedliche Richtungen verlassen haben, überrascht einer der beiden den anderen, der gerade an einem Taxistand steht, und stößt diesem aus schnellem Lauf kommend von hinten ein 11 cm langes Messer mit den Worten „Verreck’, du Hurensohn“ in den Rücken. Das Messer durchstößt eine Rippe und trifft die Lunge des Angegriffenen. Beim trinkgewohnte n Angreifer wird eine Blutalkoholkonzentration von 1,58 ‰ festgestellt. – Auch wenn bei Tötungsdelikten von einer besonderen Hemmschwelle auszugehen ist, heißt dies doch nicht, dass bei offensichtlicher Lebensgefährlichkeit des Angriffs die Annahme eines Tötungsvorsatzes durch bloßen Verweis auf die Hemmschwellentheorie abgelehnt werden kann. Die Hemmschwellentheorie fordert lediglich die besonders sorgfältige Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angreifer ernsthaft und nicht nur vage auf den Nichteintritt des Erfolges gehofft hat, kann in Fällen der vom Täter erkannten Lebensgefährlichkeit auch auf die Billigung des Tötungserfolges geschlossen werden. Die festgestellte Alkoholisierung des trinkgewohnten Angreifers ist dabei kein hinreichender Anhaltspunkt für eine fehlende Billigung.

 

V. Tatbestandsirrtum
1. Überblick: Tatbestandsirrtum und umgekehrter Tatbestandsirrtum

177Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB bewirkt die fehlende Kenntnis eines Umstands, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, dass der Täter nicht vorsätzlich handelt. Ein derartiger, den Vorsatz ausschließender, Tatbestands- bzw. Tatumstandsirrtum liegt vor, wenn das Wissenselement des Vorsatzes im Hinblick auf ein Merkmal des objektiven Tatbestandes fehlt, unabhängig davon, ob der Irrtum vermeidbar war oder nicht.[187] Anwendungsfall eines Tatbestandsirrtums ist daher die in Rn. 151 behandelte Konstellation, in der Jäger A den Pilzsammler O irrtümlich für ein Reh hält und erschießt, ihm also schon die Kenntnis fehlt, einen anderen Menschen zu töten. Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB liegt daher kein vorsätzlicher Totschlag nach § 212 Abs. 1 StGB vor. Möglich ist nach § 16 Abs. 2 StGB jedoch eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB), in deren Rahmen es maßgeblich auf die Vermeid- und Vorwerfbarkeit des Irrtums ankommt.

178Ein umgekehrter Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Handelnde irrtümlich annimmt, dass ein Tatbestandsmerkmal vorliegt.[188] In diesem Fall ist der Täter wegen (untauglichen) Versuchs strafbar, es sei denn, der Versuch des jeweiligen Deliktes steht nicht unter Strafe (§ 23 Abs. 1 StGB). Somit ist Jäger A |63|strafbar wegen versuchten Totschlags gemäß §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB, wenn er auf ein Reh schießt, welches er in der Dunkelheit irrig für den Liebhaber seiner Frau O hält, den er mit dem Schuss ums Leben bringen möchte.

179Bei Qualifikationstatbeständen führt die Unkenntnis des Täters über ein (qualifizierendes) Tatbestandsmerkmal gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB zum Vorsatzausschluss. Der Täter kann aber aus dem Grundtatbestand bestraft werden. Nimmt der Täter irrig an, das qualifizierende Tatbestandsmerkmal sei gegeben, kommt ein Versuch der Qualifikation (ggf. in Tateinheit mit dem vollendeten Grunddelikt) in Betracht.

180Bei Privilegierungen führt die Unkenntnis eines privilegierenden Tatbestandsmerkmals dazu, dass die Bestrafung aus dem Grundtatbestand zu erfolgen hat, während die irrtümliche Annahme des privilegierenden Merkmals gem. § 16 Abs. 2 StGB zu einer Bestrafung aus dem Privilegierungstatbestand führt.[189] Tötet A den O, weil er irrig davon ausgeht, dass dieser ihn ausdrücklich und ernsthaft hierzu aufgefordert hat, ist A daher nach § 216 Abs. 1 StGB und nicht nach § 212 Abs. 1 StGB zu bestrafen, auch wenn O objektiv nicht mit der Tötung einverstanden war.

181Abb. 3: Irrtum über Tatbestandsmerkmale


2. Irrtum über den Kausalverlauf

182Der Vorsatz des Täters muss sich auch auf den Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen erstrecken.[190] Tritt der vom Täter gewollte Erfolg zwar ein, geschieht dies jedoch auf völlig andere Art und Weise als von ihm vorgestellt, handelt er nicht vorsätzlich. Nicht erforderlich ist allerdings, dass der Täter den Geschehensablauf in all seinen Einzelheiten vorhersieht. Nur bei erheblichen Abweichungen im tatsächlichen Geschehensablauf gegenüber dem |64|vom Täter vorgestellten Verlauf liegt ein Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB vor, der zum Vorsatzausschluss führt.

183Soweit im konkreten Fall das Geschehen auf andere Art und Weise zum Erfolg führt als vom Täter vorgestellt, ist in der Fallbearbeitung somit danach zu fragen, ob eine wesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf vorliegt. Der BGH nimmt hierbei eine unwesentliche und für den Tatbestandsvorsatz unbeachtliche Abweichung an, „wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren (hält) und keine andere Bewertung der Tat rechtfertig(t).“[191] Hierdurch werden die Anforderungen an die Bejahung eines beachtlichen Irrtums über den Kausalverlauf hoch angesetzt. Nur unter engen Voraussetzungen, insbesondere wenn der Geschehensablauf als völlig unvorhersehbar erscheint, liegt eine vorsatzausschließende Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf vor. Besonders problemträchtig sind hierbei mehraktige Geschehensabläufe, bei denen der Erfolg entweder früher oder später eintritt als vom Täter vorgestellt.

a) Früherer Erfolgseintritt

184In dieser Konstellation wird der tatbestandliche Erfolg nicht durch die vom Täter vorgestellte, sondern eine früher liegende Handlung verwirklicht. Diese Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf ist nur dann unbeachtlich, wenn schon die frühere Handlung vom Vorsatz der Erfolgsherbeiführung getragen war. Es muss also zumindest die Versuchsphase erreicht sein.[192] Führt der Täter den tatbestandlichen Erfolg demgegenüber durch ein Verhalten herbei, das nach seiner Vorstellung von der Tat eine bloße Vorbereitungshandlung darstellt, handelt er unvorsätzlich. Nach diesen Abgrenzungskriterien ist im folgenden vom BGH entschiedenen Fall eine beachtliche Abweichung des Kausalverlaufs anzunehmen: A fesselte und knebelte O in dem Bewusstsein und mit dem Willen, sie später zu töten. Er verbrachte sie im Kofferraum seines PKW an einen abgelegenen Ort, führte die dort beabsichtigte Tötung dann aber nicht mehr aus, weil O bereits auf der Fahrt entgegen seinem Plan im Kofferraum erstickt war. Der BGH führt dazu aus: „Handlungen im Vorbereitungsstadium mögen zwar der Umsetzung des Tatplans dienen, setzen nach der Vorstellung und dem Willen des Täters aber noch nicht den unmittelbar in die Tatvollendung einmündenden Kausalverlauf in Gang (…). Wird der Taterfolg schon durch eine Vorbereitungshandlung bewirkt, kommt daher nur eine Verurteilung wegen fahrlässiger Verursachung dieses Erfolgs in Betracht.“[193]

|65|b) Späterer Erfolgseintritt

185Beachtliche Schwierigkeiten bereiten Konstellationen, in denen der Täter glaubt, den erstrebten Erfolg schon erreicht zu haben, dieser aber tatsächlich erst durch eine spätere Handlung herbeigeführt wird. Erstmals relevant wurde diese Problematik in der viel zitierten Jauchegruben-Entscheidung des BGH[194], der folgender Fall zu Grunde lag: A würgte die O mit bedingtem Tötungsvorsatz und stopfte ihr zwei Hände voll Sand in den Mund, um sie am Schreien zu hindern. O lag schließlich regungslos da und wurde von A für tot gehalten. A warf die vermeintliche Leiche in eine Jauchegrube. Erst dadurch erstickte O, die bis dahin nur bewusstlos gewesen war.

186Problematisch ist in den Fällen des späteren Erfolgseintritts zunächst die objektive Zurechnung des Erfolges und insbesondere die Frage, ob sich in diesem die vom Täter geschaffene Gefahr realisiert hat. Da die Verursachung einer Bewusstlosigkeit aber durchaus die Gefahr schafft, dass der Bewusstlose für tot gehalten und im Rahmen der Beseitigung der vermeintlichen Leiche ums Leben gebracht wird, ist die objektive Zurechnung im Jauchegruben-Fall und in vergleichbaren Konstellationen regelmäßig zu bejahen.[195]

187Im Bereich des subjektiven Tatbestandes erscheint demgegenüber fraglich, ob der Täter mit dem erforderlichen Vorsatz gehandelt hat, da er in dem Zeitpunkt, in dem er die tatsächlich zum Erfolg führende Handlung vorgenommen hat, davon ausging, dass der Erfolg bereits eingetreten ist. Nach der älteren Lehre vom dolus generalis[196] sollen die beiden Einzelakte einen einheitlichen Geschehensablauf darstellen, so dass der zunächst bestehende Vorsatz des Täters auch während der zum Erfolg führenden Handlung fortwirkt. Nach dieser Auffassung wäre A im Jauchegruben-Fall nach § 212 Abs. 1 StGB zu bestrafen, da der im Zeitpunkt des Würgens bestehende Tötungsvorsatz auch noch im Zeitpunkt des Werfens der vermeintlichen Leiche in die Jauchegrube fortbestünde. Demgegenüber geht eine beachtliche Auffassung in der Literatur davon aus, dass die beiden Teilakte des Geschehens selbständig zu bewerten seien, mit der Folge, dass der Vorsatz erlösche, sobald der Täter annimmt, dass der tatbestandliche Erfolg eingetreten ist. Da er dann in demjenigen Zeitpunkt, in dem er den Erfolg tatsächlich herbeiführt, nicht mehr vorsätzlich handelt, sei er nicht aus einem vollendeten Vorsatzdelikt zu bestrafen.[197] Nach dieser Auffassung hätte sich A im Jauchegruben-Fall nicht nach § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, sondern wegen versuchten Totschlags gemäß §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB (durch das Würgen) in Tatmehrheit mit fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB (durch das Werfen in die Jauchegrube).

188Der BGH überträgt demgegenüber die von ihm entwickelten Grundsätze zum Irrtum über den Kausalverlauf auch auf die Konstellation des späteren Erfolgseintritts und kommt hierdurch in der Regel zur Bejahung des Tatbestandsvorsatzes|66|.[198] Auch im Jauchegruben-Fall nahm er an, dass es sich im Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren bewege, wenn ein irrtümlich für tot gehaltenes Opfer erst durch die Beseitigungshandlung ums Leben kommt. Da auch keine andere Bewertung der Tat geboten sei, läge eine unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs vor, mit der Folge, dass sich A wegen eines vorsätzlich begangenen, vollendeten Tötungsdelikts strafbar gemacht habe.

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