Strafrecht Allgemeiner Teil

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

III. Objektive Zurechnung



128Legt man bei der Prüfung der Kausalität die Äquivalenztheorie zugrunde, so führt dies infolge der von dieser angenommenen Gleichwertigkeit sämtlicher Bedingungen zu einer Erfolgszurechnung auch für solche Verhaltensweisen, die lediglich eine ganz entfernte Ursache für den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges gesetzt haben und insbesondere im gesamtdeliktischen Geschehen eine eindeutig untergeordnete Rolle spielen (vgl. schon oben Rn. 101.). Da Anknüpfungspunkt für eine strafrechtliche Haftung aber nicht ein rein naturwissenschaftlicher Ursachenzusammenhang sein kann, sondern vielmehr erforderlich ist, dass der eingetretene Erfolg gerade dem Täter als

„sein Werk“

 zuzurechnen ist, entspricht es einhelliger Auffassung, dass die auf der Grundlage der Conditio-sine-qua-non-Formel gewonnenen Ergebnisse einer |43|haftungseinschränkenden Korrektur bedürfen. Uneinheitlich beantwortet wird indes, ob die Einschränkung bereits auf der Ebene des objektiven Tatbestandes zu erfolgen hat, oder ob es sich hierbei primär um ein Problem des Vorsatzes handelt, welches die subjektive Erfolgszurechnung betrifft. Richtigerweise geht die vorherrschende Auffassung in der Literatur davon aus, dass die Korrektur bereits im objektiven Tatbestand vorzunehmen und damit (im strafrechtlichen Gutachten) unmittelbar im Anschluss an die Feststellung der Kausalität zu erörtern ist. Ob der Eintritt eines tatbestandlichen Erfolges dem Täter als sein Werk zugerechnet werden kann, ist bspw. dann fraglich, wenn das Opfer selbst oder ein Dritter wesentlich zum Schadenseintritt beigetragen hat. Da diese Fragestellung eindeutig an eine objektive Betrachtung des Geschehens anknüpft, führt allein die Verortung im objektiven Tatbestand zu sachgerechten Ergebnissen.



129Die sich hiernach unmittelbar an die Kausalitätsprüfung anschließende Feststellung der objektiven Zurechnung ist an der Frage orientiert, ob der strafrechtlich relevante Erfolg gerade auf einem vorwerfbaren Verhalten des Täters beruht. Die im Gutachten zugrunde zu legende Definition der objektiven Zurechnung lautet daher: Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn der Täter eine

rechtlich missbilligte Gefahr für den Erfolgseintritt geschaffen

 hat, die sich

in tatbestandsmäßiger Weise im konkreten Erfolg realisiert

 hat. Diese allgemeine Formel der objektiven Zurechnung muss in einer Reihe von Fallgruppen konkretisiert werden, die teilweise die Frage nach der rechtlich missbilligten Gefahrschaffung, teilweise die Prüfung der Realisierung der Gefahr im tatbestandlichen Erfolg betreffen.





1. Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr

a) Fehlende Beherrschbarkeit des Kausalgeschehens und erlaubtes Risiko



130Die (nach der Äquivalenztheorie kausale) Veranlassung rechtlich nicht relevanter Vorgänge, die sich im Rahmen des allgemeinen Lebensrisikos bewegen, stellt keine Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr dar. Neben den Konstellationen, in denen der Handelnde eine

ganz entfernte Bedingung

 für den Erfolgseintritt gesetzt hat (vgl. bereits Rn. 101: Zeugung des späteren Täters), |44|ist die objektive Zurechnung unter diesem Gesichtspunkt insbesondere dann zu verneinen, wenn der zum Erfolg führende

Kausalverlauf unbeherrschbar

 ist, oder wenn sich das Verhalten des Täters im Rahmen des

erlaubten Risikos

 bewegt und daher als sozialadäquat einzustufen ist.



131Überredet A seinen Erbonkel O zu einer Flugreise und stirbt O (wie von A erhofft) infolge eines Absturzes des Flugzeuges, so ist die objektive Zurechnung des Erfolges in mehrfacher Hinsicht zu verneinen. Zunächst hat A auf das Abstürzen des Flugzeugs keinerlei Einfluss und kann daher das von ihm in Gang gesetzte Kausalgeschehen nicht als sein Werk beherrschen. Zugleich bewegt sich das Überreden zu einer Flugreise im Rahmen des erlaubten Risikos, da es sich hierbei um ein alltagstypisches Verhalten handelt und sich die damit einhergehenden Gefahren innerhalb des allgemeinen Lebensrisikos bewegen. Anders zu entscheiden wäre nur, wenn A Kenntnis davon hat, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Flugzeug des O abstürzen wird, etwa weil er weiß, dass auf dieses ein Anschlag geplant ist.





b) Risikoverringerung



132Eine rechtlich missbilligte Gefahr wird nicht geschaffen, wenn der Handelnde das Risiko einer bereits anderweitig in Gang gesetzten Kausalkette lediglich verringert. Dies ist etwa dann der Fall, wenn B einen Axthieb in Richtung des Kopfes von O ausführt und es dem A durch sein Eingreifen gelingt, den Hieb auf die Schulter des O umzulenken. Hier ist das Handeln des A zwar kausal für die Körperverletzung in ihrer konkreten Gestalt. Jedoch sind die durch den Hieb auf die Schulter verursachten Verletzungen ihm nicht objektiv zurechenbar, da er durch sein Verhalten das Risiko des Todeseintritts verringert und somit keine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat.



133Der Ausschluss der objektiven Zurechnung greift auch, wenn ein

Erfolg lediglich hinausgezögert

 wird, z.B. durch einen Arzt, der durch medizinisch indizierte Maßnahmen den Tod eines Menschen um einige Tage verzögert. Demgegenüber entfällt die objektive Zurechnung unter dem Gesichtspunkt der Risikoverringerung dann nicht, wenn durch die Rettungsmaßnahme zwar eine Gefahr verringert oder beseitigt, hierdurch aber eine

neue und eigenständige Gefahr geschaffen

 wird. Wenn etwa der Feuerwehrmann A das Kind O vor dem Tod in den Flammen rettet, indem er es aus dem 4. Stock des brennenden Hauses wirft, hat A die Verletzungen und damit die Körperverletzung, die O infolge des Wurfs aus dem Fenster erleidet, objektiv zurechenbar verursacht. Ob A sich tatsächlich gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat, ist hiermit indes noch nicht entschieden, vielmehr kommt eine Rechtfertigung aufgrund mutmaßlicher Einwilligung oder Notstands nach § 34 StGB in Betracht.





|45|c) Eigenverantwortliche Selbstgefährdung



134Der Schutzbereich einer Norm, die ein Rechtsgut gegen Verletzungen durch Dritte schützen soll, endet dort, wo der

eigene Verantwortungsbereich des Rechtsgutsträgers

 beginnt. Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstschädigung oder Selbstgefährdung unterfällt nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer lediglich eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, macht sich danach nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar. Unter diesem Gesichtspunkt ist die objektive Zurechnung insbesondere dann zu verneinen, wenn der Handelnde dem Opfer einen Gegenstand überreicht, mit dem sich dieses eigenverantwortlich schädigt. Bspw. liegt in der Regel kein dem A objektiv zurechenbarer Todeseintritt vor, wenn O dadurch verstirbt, dass er sich Heroin spritzt, welches ihm A besorgt hat.



135Eine Ablehnung der objektiven Zurechnung unter dem Gesichtspunkt der Selbstgefährdung des Opfers kommt jedoch nur solange in Betracht, wie diese tatsächlich eigenverantwortlich erfolgt. Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung liegt dann nicht vor, wenn der Mitwirkende im Hinblick auf die Gefährlichkeit der vom Opfer vorgenommenen Handlung eindeutig über

überlegenes Wissen

 verfügt. Verschreibt der Arzt A dem heroinsüchtigen Patienten O eine Ersatzdroge und lässt den O darüber im Unklaren, dass diese ebenfalls abhängig macht, so kann ihm die Körperverletzung des O objektiv zugerechnet werden, wenn dieser infolge der Einnahme der Droge tatsächlich abhängig wird. Im Übrigen ist jedoch umstritten, nach welchem Maßstab das Kriterium der

Eigenverantwortlichkeit

 zu bestimmen ist. Teilweise wird die Eigenverantwortlichkeit des sich selbst Schädigenden erst dann verneint, wenn er nach den geltenden

Exkulpationsregeln

 (§§ 20, 35 StGB, § 3JGG) schuldunfähig wäre. Hiernach ist die Veranlassung einer Selbstschädigung nur ausnahmsweise objektiv zurechenbar, namentlich dann, wenn der sich selbst Schädigende schuldlos gehandelt hätte, wenn er anstatt sich selbst einen anderen verletzt hätte. Die Gegenauffassung stellt strengere Anforderungen an die Eigenverantwortlichkeit eines Verhaltens, indem sie sich an den Regeln der

Einwilligungslehre

 orientiert. Hiernach ist die Eigenverantwortlichkeit nur zu bejahen und entfällt die Zurechnung nur dann, wenn der sich selbst Schädigende über eine hinreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt, also die Folgen seines Verhaltens überblicken kann. Die zuletzt genannte Auffassung erscheint vorzugswürdig, da sie dem insbesondere in § 216 StGB zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken Rechnung trägt, wonach hohe |46|Anforderungen an die Ernstlichkeit eines Einverständnisses in die Schädigung der eigenen körperlichen Integrität zu stellen sind.



136Abzugrenzen von der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung sind die Fälle der

einverständlichen Fremdgefährdung

. Eine solche liegt dann vor, wenn sich das Opfer in vollem Bewusstsein des Risikos von einem anderen gefährden lässt. Zur Abgrenzung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung von der einverständlichen Fremdgefährdung werden überwiegend die Kriterien zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme herangezogen, so dass es maßgeblich darauf ankommt, wer den zum tatbestandlichen Erfolgseintritt führenden Geschehensablauf in den Händen hält (Kriterium der sog. Tatherrschaft; vgl. noch Rn. 471f.). Hiernach läge in einer Abwandlung des oben skizzierten Heroinspritzen-Falls keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung, sondern eine einverständliche Fremdgefährdung vor, wenn A dem O auf dessen Bitte Heroin spitzt und O hieran verstirbt. Wie sich das Vorliegen einer einverständlichen Fremdgefährdung auf die Prüfung der objektiven Zurechnung auswirkt, ist weitgehend umstritten. Teilweise wird angenommen, diese sei zumindest dann nach den gleichen Maßgaben wie die eigenverantwortliche Selbstgefährdung zu behandeln, wenn der Erfolgseintritt allein Folge des eingegangenen Risikos ist, das Opfer das Risiko im selben Maß überschaut wie der Gefährdende und sich die Gefährdung nicht auf Allgemeingüter bezieht. Demgegenüber spricht die Rechtsprechung dem Umstand, dass eine Fremdgefährdung einverständlich erfolgt, zumindest dann keinerlei Bedeutung für die Prüfung der objektiven Zurechnung zu, wenn die konkrete Behandlung lebensgefährdend ist. Im Übrigen soll die Problematik allein für die Frage Bedeutung gewinnen, ob eine rechtfertigende Einwilligung des Opfers vorliegt.

 



137Ebenfalls zu unterscheiden ist die freiverantwortliche Selbstgefährdung von den

Retterfällen

, welche die nachfolgend geschilderte Fallkonstellation betreffen: A zündet das Haus der Eheleute B und C an. Als der 22-jährige Sohn O der Eheleute B und C, der sich außerhalb des Hauses aufhält, das Feuer bemerkt, entschließt er sich sogleich zu versuchen, in das Obergeschoss zu gelangen, um dort Sachen oder Menschen, insbesondere seinen 12-jährigen Bruder, in Sicherheit zu bringen. O gelangt bis in den Flur des Obergeschosses, bricht bewusstlos zusammen und stirbt an den Folgen einer Kohlenmonoxidvergiftung. – Man könnte erwägen, Retterfälle als Veranlassung einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung anzusehen und deshalb straflos zu stellen. Mit der überwiegend vertretenen Auffassung ist aber darauf abzustellen, ob die Rettungsmaßnahme sinnvoll und verhältnismäßig ist und so letztlich eine Fremdgefährdung vorliegt: „Einer Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit|47| wegen bewusster Selbstgefährdung des Opfers bedarf es insbesondere dann, wenn der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schafft.“ Im soeben skizzierten Brandstiftungs-Fall sind diese Voraussetzungen erfüllt, so dass auch der Tod des O dem A objektiv zuzurechnen ist. Erst recht ist die objektive Zurechnung in Retterfällen zu bejahen, bei denen der Retter aufgrund einer Garantenpflicht tätig wird, also bspw. bei Feuerwehrleuten im Einsatz.





2. Realisierung der Gefahr im tatbestandlichen Erfolg

a) Pflichtwidrigkeitszusammenhang



138Unter dem Stichwort des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs werden Fälle diskutiert, in denen ein pflichtwidriges Verhalten zwar einen tatbestandlichen Erfolg verursacht, dieser aber auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Zwar hat der Handelnde hier eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, jedoch kann ihm der Erfolg unbestritten nicht zugerechnet werden, wenn feststeht, dass auch ein ordnungsgemäßes Verhalten den Eintritt nicht verhindert hätte. Umstritten ist demgegenüber, ob der Pflichtwidrigkeitszusammenhang auch dann entfällt, wenn nicht eindeutig geklärt werden kann, ob es auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten zum Eintritt des Erfolges gekommen wäre. Eine entsprechende Konstellation lag dem vom BGH entschiedenen

„Lastwagen-Fall“

zugrunde: A überholt mit seinem LKW den Radfahrer O, der eine BAK von 1,96 ‰ aufweist. A hält statt des nach der StVO gebotenen Seitenabstandes von 1–1,5 m nur einen Abstand von 75 cm ein. Während des Überholvorgangs gerät O mit dem Kopf unter die rechten Hinterreifen des LKW-Anhängers, wird überfahren und ist auf der Stelle tot. Nach der tatrichterlichen Überzeugung hätte sich der tödliche Unfall

mit hoher Wahrscheinlichkeit

 auch bei pflichtgemäßem Verhalten des A ereignet. Diese Überzeugung beruht unter anderem auf der Wahrscheinlichkeit, dass „der Radfahrer das Fahrgeräusch des Lastzuges zunächst nicht wahrnahm, dann plötzlich, als er seiner inne wurde, heftig erschrak, besonders stark reagierte und dabei völlig ungeordnet und unvernünftig sein Fahrrad nach links zog, eine Verhaltensweise, wie sie für stark angetrunkene Radfahrer typisch ist“.



139Die herrschende

Vermeidbarkeitstheorie

 will die objektive Zurechnung nur bejahen, wenn bei rechtmäßigem Alternativverhalten der Erfolg

mit an |48|Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit

 entfallen wäre. Begründet wird dies insbesondere damit, dass auch an dieser Stelle der Grundsatz in dubio pro reo Anwendung finden müsse und daher bei unklarem Geschehensablauf zugunsten des Täters davon auszugehen sei, dass der Erfolg auch bei ordnungsgemäßem Verhalten seinerseits eingetreten wäre. Bereits der Umstand, dass sich im Lastwagen-Fall der Unfall mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei pflichtgemäßem Verhalten des A ereignet hätte, führt hiernach zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs unter dem Aspekt des rechtmäßigen Alternativverhaltens.



140Die in der Literatur verbreitete

Risikoerhöhungslehre

 geht demgegenüber davon aus, dass die objektive Zurechnung immer schon dann anzunehmen ist, wenn der Täter das Risiko für den Erfolgseintritt unerlaubt und signifikant erhöht hat und der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten

möglicherweise

 ausgeblieben wäre. Eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo sei hiermit nicht verbunden, da sich dieser lediglich auf die Schuld- und Straffrage beziehe, nicht aber auf die Deutung ungewisser Geschehensabläufe. Bei Anwendung der Risikoerhöhungslehre wäre im Lastwagen-Fall die objektive Zurechnung zu bejahen. Denn die Nichteinhaltung des Seitenabstands hat das Risiko eines tödlichen Unfalls signifikant und in rechtlich missbilligter Weise erhöht.



141Die Risikoerhöhungslehre vermag in mehrfacher Hinsicht nicht zu überzeugen. Zunächst ist festzustellen, dass sie Verletzungsdelikte (d.h. Erfolgsdelikte) contra legem als Gefährdungsdelikte behandelt. Denn in den Streitfällen, in denen Vermeidbarkeitstheorie und Risikoerhöhungslehre zu abweichenden Ergebnissen gelangen, ist der Nachweis der Rechtsgutsverletzung ja gerade nicht erbracht, sondern nur eine Rechtsgutsgefährdung bewiesen. Hierdurch führt die Risikoerhöhungslehre zugleich zu einer unzulässigen Beweislastumkehr zu Lasten des Täters, da sie es in Fällen ungewisser Sachverhaltsentwicklung zur Aufgabe des Täters macht, nachzuweisen, dass der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten ausgeblieben wäre. Insoweit ist der Vorwurf des Verstoßes gegen den in dubio pro reo-Grundsatz gerade nicht entkräftet. Mit der herrschenden Vermeidbarkeitstheorie ist daher im Lastwagen-Fall und in vergleichbaren Konstellationen die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhangs zu verneinen.





|49|b) Fehlender Risiko- bzw. Schutzzweckzusammenhang



142Die objektive Zurechenbarkeit ist auch dann zu verneinen, wenn der eingetretene Erfolg außerhalb des Schutzzwecks der vom Täter verletzten Verhaltensnorm liegt, da sich dann gerade nicht die rechtlich missbilligte Gefahr verwirklicht. Diese Fallgruppe wirkt sich insbesondere in den sog.

Geschwindigkeitsüberschreitungs-Fällen

aus: A fährt auf der Landstraße zwischen den Orten X und Y statt der dort erlaubten 70 km/h durchschnittlich 130 km/h. Im Ort Y, wo er sich an die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit hält, springt zwischen zwei Autos plötzlich das Kind O vor den PKW des A und wird tödlich verletzt. Hätte A außerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten, wäre er später an der Unfallstelle gewesen. O hätte dann bereits die Straße überquert. – Zwar hat A einen Verstoß gegen die StVO begangen. Der Schutzzweck der Geschwindigkeitsbegrenzung ist jedoch darauf gerichtet, vor den Gefahren hoher Geschwindigkeiten in der jeweils kritischen Verkehrssituation zu bewahren. Diese Gefahren verwirklichen sich, wenn der KFZ-Führer infolge überhöhter Geschwindigkeit nicht mehr so bremsen kann, dass es „gerade noch einmal gut geht“. Dass eine bestimmte Stelle zeitlich später erreicht wird, liegt nicht im Schutzbereich der Norm. Im Beispielsfall hat sich also nicht die rechtlich missbilligte Gefahr verwirklicht.



143Auch bei sog.

Schockschäden

scheitert die objektive Zurechnung des Erfolgs bereits unter dem Aspekt des fehlenden Schutzzweckzusammenhangs. Hiervon ist bspw. dann auszugehen, wenn O einen Herzinfarkt erleidet, als sie vom Tod ihres Ehemanns B erfährt, der von A fahrlässig getötet wurde. Zwar hat A durch die fahrlässige Tötung des B eine Ursache auch für den Herzinfarkt der O gesetzt. Jedoch ist der Schutzzweck der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte auf den unmittelbar Geschädigten begrenzt und erstreckt sich nicht darauf, auch andere vor den Folgen seelischer Erschütterungen zu bewahren.





c) Atypischer Kausalverlauf



144Die Beantwortung der Frage, ob der konkrete Erfolg dem Täter auch dann objektiv zuzurechnen ist, wenn er auf einem atypischen Kausalverlauf beruht, muss unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Lebenserfahrung bei Berücksichtigung normativer Kriterien beurteilt werden. Erscheint der Erfolg als zufällig eingetreten, so ist die objektive Zurechnung z

Other books by this author