Strafrecht Allgemeiner Teil

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4. Analogieverbot und zulässige Auslegung

26Das Gebot, dass die Strafbarkeit bestimmt sein muss (§ 1 StGB), richtet sich auch an den Rechtsanwender. Die Bestimmtheit des Strafgesetzes muss auch auf der Ebene der Gesetzesanwendung verwirklicht werden. Die Grenzen des Strafbaren werden vom Gesetzgeber durch die Verwendung von Gesetzesbegriffen – d.h. Worten – festgelegt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass eine Rechtsanwendung dann gegen das Gesetzlichkeitsprinzip verstößt, wenn sie den möglichen Wortsinn überschreitet. Eine über den Wortsinn hinausgehende Analogie zu Lasten des Täters, d.h. die Anwendung einer Strafnorm in Fällen, die von ihrem Wortlaut nicht erfasst werden, ist unzulässig.[38] Eine Analogie zugunsten des Täters, d.h. die Nichtanwendung einer dem Wortlaut nach einschlägigen Strafnorm, ist demgegenüber zulässig.

27Abzugrenzen von der unzulässigen strafbarkeitserweiternden Analogie zu Lasten des Täters ist die erlaubte und notwendige Auslegung des gesetzlichen Tatbestands. Auch eine für den Täter ungünstige Auslegung ist nicht verboten. Auslegung ist die Ermittlung des Gesetzesinhaltes. Dabei kann in Anlehnung an den „Kanon der Gesetzesauslegung“ von Friedrich Carl v. Savigny auf vier Auslegungsmethoden, die nebeneinander zur Anwendung kommen können, zurückgegriffen werden: Die grammatische, die systematische, die historische sowie die teleologische Auslegung.[39] Zwar existiert keine bestimmte Rangfolge unter den Auslegungsarten, jedoch stellt der Wortlaut eine absolute Grenze dar. Häufig sind mehrere Sichtweisen vertretbar.

28Die grammatische Auslegung geht vom Wortlaut des Gesetzes aus. Sie markiert die Grenze zwischen Auslegung und Analogie. Gefragt wird, ob eine bestimmte Interpretation mit dem allgemeinen Sprachgebrauch oder der üblichen Rechtssprache in Einklang steht.

29Systematische Auslegung betrachtet die Stellung der Vorschrift im Gesetz (Gesetzessystematik) und die Stellung des Gesetzes innerhalb der Rechtsordnung (Rechtssystematik).

30|11|Nach den Motiven des Gesetzgebers fragt die historische Auslegung. Entscheidend ist die Entstehungsgeschichte. Quelle zur Ermittlung der Motive sind insbesondere die Gesetzgebungsmaterialien. Dazu gehören v.a. Bundestags- sowie Bundesratsdrucksachen und Protokolle.

31Die teleologische Auslegung stellt auf Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ab. Entscheidend ist insbesondere der Schutzzweck der Strafnorm.

32In bestimmten Konstellationen kann es neben den soeben benannten „klassischen“ Auslegungsmethoden auch erforderlich sein, die Grundsätze der verfassungskonformen[40] oder unionsrechtskonformen[41] Auslegung heranzuziehen. Der grundsätzliche Vorrang des primären und sekundären Rechts der EU[42] gilt auch gegenüber dem nationalen Strafrecht. Dies hat zur Folge, dass von mehreren möglichen Bedeutungen einer Strafnorm diejenige zu wählen ist, die mit dem Recht der EU übereinstimmt. Zugleich sind jedoch die allgemeinen Grundsätze des nationalen Rechts zu beachten, insbesondere darf eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht dazu führen, dass das Bestimmtheitsgebot, das Rückwirkungs- oder das Analogieverbot faktisch außer Kraft gesetzt wird.[43] Grenze der Auslegung bleibt also auch hier der Gesetzeswortlaut. Die verfassungskonforme Auslegung verfährt auf ähnliche Weise wie die unionsrechtskonforme. Dabei wird die Möglichkeit der Auslegung einer Norm in der Weise eingeschränkt, dass die Auslegung verfassungskonform sein muss, d.h. nicht gegen Wertentscheidungen des GG verstoßen darf.[44]

5. Leitentscheidungen

33BGHSt 22, 235, 236f.; Gesetzesauslegung am Bsp. des Begriffs „gefährliches Werkzeug“ in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB: Der Täter stößt den Kopf des Opfers gegen eine Wand und wird hierfür unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung durch den Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs (§ 223a StGB a.F.; § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB n.F.) verurteilt. Er legt hiergegen Revision mit der Begründung ein, eine Wand sei kein gefährliches Werkzeug. – Der BGH kommt unter Heranziehung der allgemeinen Auslegungsmethoden zu dem Ergebnis, dass unbewegliche Gegenstände keine gefährlichen Werkzeuge sein können. Zunächst wehre sich „das natürliche Sprachempfinden (…) dagegen, eine feste Wand (…) als ‚Werkzeug‘ zu bezeichnen.“ Ferner zeigten „die Bsp. aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes (…), dass auch die Gesetzgeber unter Werkzeugen nur solche Gegenstände verstanden haben, die durch menschliche Einwirkung irgendwie gegen einen menschlichen Körper in Bewegung gesetzt werden können.“ Die teleologische Auslegung gebe im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut nicht den Ausschlag: „Allein der Umstand, dass |12|eine weitere Auslegung dem Zweck der Strafschärfung vielleicht besser entsprechen würde (…), rechtfertigt es nicht, von der bisherigen Auffassung abzugehen (…).“ Schließlich berücksichtigt der BGH noch systematische Aspekte: „Körperverletzungen durch Stoßen gegen eine Wand, den Fußboden, durch Sturz aus einem Fenster und dergleichen fallen, wenn sie das Leben des Verletzten gefährden, ohnehin unter § 223a StGB (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB n. F.). Für leichtere Fälle reicht der Strafrahmen des § 223 StGB aus.“

34BGHSt 26, 95ff.; Gesetzesauslegung am Bsp. des Begriffs „auf frischer Tat betroffen“ in § 252 StGB: Ein Dieb befindet sich zwecks Diebstahls von Schmuck und Scheckheften in der Wohnung einer Frau. Dabei trägt er eine Tasche und einen Holzknüppel bei sich. Als die Frau unerwartet in der Wohnung erscheint, versteckt sich der Dieb hinter einer Tür und schlägt die Frau nieder, bevor er entdeckt werden kann. – Der Dieb hat sich nach § 252 StGB strafbar gemacht, obgleich ihn die Frau nicht bewusst wahrgenommen hat. Das Tatbestandsmerkmal „auf frischer Tat betroffen“ setzt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht voraus, dass sich das Opfer über die Anwesenheit des Täters bewusst ist, vielmehr kann ein bloßes raumzeitliches Zusammentreffen ausreichen – der Täter ist „betroffen“, nicht der Entdeckende. Auch Sinn und Zweck der Norm sprechen dafür, dass es für § 252 StGB nicht darauf ankommt, ob das Opfer den Täter wahrgenommen hat, da es nicht sachgerecht wäre, einen Dieb, der Gewalt ausübt, unmittelbar bevor er bemerkt wird, anders zu bestrafen als einen Dieb, der zuschlägt, nachdem er bemerkt wurde.

35BGHSt 37, 89, 91ff.; Nachträgliche Änderung des Grenzwertes der absoluten Fahruntüchtigkeit: Ein PKW-Fahrer führt sein Fahrzeug mit einer BAK von 1,1 ‰ und wird dabei in einen Unfall verwickelt. Die zu dem Zeitpunkt geltende Rechtsprechung nahm eine absolute Fahruntüchtigkeit ab einer BAK von 1,3 ‰ an. Gleichwohl bejahte der BGH die Voraussetzungen einer absoluten Fahruntüchtigkeit und bestrafte den PKW-Fahrer nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, 316 StGB. Aufgrund neuer Erkenntnisse der medizinisch-biologischen Forschung sowie den veränderten Verkehrsverhältnissen sei von nun an eine absolute Fahruntüchtigkeit bereits bei einer BAK von 1,1 ‰ zu bejahen. – Die nachträgliche höchstrichterliche Änderung des Grenzwertes begründet keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, da die Änderung nicht auf neuen rechtlichen Wertungen beruht, sondern auf veränderten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das Rückwirkungsverbot gilt uneingeschränkt nur für Gesetze, so dass an eine sich ändernde Rechtsprechung weniger strenge Anforderungen zu stellen sind. Diese hat sich an konkreten Lebensverhältnissen zu orientieren und muss flexible Entscheidungen treffen können.

36BGHSt 39, 1, 6ff.; Zeitliche Anwendung des Strafgesetzes: Ein Grenzsoldat der DDR erschießt an der innerdeutschen Grenze vorsätzlich einen Grenzflüchtling. – Wird das Geschehen nach der Wiedervereinigung strafrechtlich verfolgt, so findet hierauf § 212 StGB über Art. 315 Abs. 1EGStGB i.V.m. § 2 StGB Anwendung. Zwar wäre nach § 2 Abs. 1 StGB grundsätzlich DDR-Strafrecht anwendbar, dies gilt jedoch nach § 2 Abs. 3 StGB dann nicht, wenn das bundesdeutsche Strafrecht eine mildere Rechtsfolge vorsieht, was |13|vorliegend aufgrund der in § 213 StGB enthaltenen (und im DDR-Strafrecht fehlenden) Milderungsmöglichkeit der Fall ist.

IV. Aufbau der Straftat
1. Grundlagen

37Der Grundbegriff der „Straftat“ setzt sich aus drei Grundelementen zusammen: Dem Tatbestand, der Rechtswidrigkeit und der Schuld.

Tab. 1:

38Dreigliedriger Straftataufbau


1. Tatbestand
2. Rechtswidrigkeit
3. Schuld

39Diese Aufbauelemente sind im Gesetz vorgezeichnet. Zunächst kann man Unrecht und Schuld unterscheiden. Einerseits gibt es z.B. nach § 34 StGB Taten, die gerechtfertigt sind, andererseits Taten, die – z.B. nach § 35 StGB – entschuldigt sind. Das Unrecht ist der Inbegriff für die allgemeine strafrechtliche Verbotenheit eines Verhaltens (objektiv-genereller Unrechtsvorwurf), während die Schuld die Frage der personalen Zurechnung, die persönliche Vorwerfbarkeit (individueller Schuldvorwurf) betrifft. Beließe man es bei dieser Unterteilung, ergäbe sich ein zweigliedriger Straftataufbau.[45]

40Doch kann das Unrecht seinerseits in Tatbestand und Rechtswidrigkeit untergliedert werden.[46] Im Tatbestand wird beschrieben, wann ein Unwert verwirklicht wird, der strafrechtserheblich ist. Der Deliktstypus wird festgelegt. Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit wird geprüft, ob trotz der Unwertverwirklichung das Verhalten rechtmäßig ist. Tötet bspw. A den O in Notwehr, stellt der Tod des O zwar einen strafrechtsrelevanten Unwert dar (§ 212 StGB), jedoch bezeichnet § 32 Abs. 1 StGB das Handeln in Notwehr als „nicht rechtswidrig“. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes (hier die Notwehr) nicht die Tatbestandsmäßigkeit entfallen lässt, sondern im Rahmen einer Wertung die Rechtswidrigkeit ausschließt. Dabei ist entgegen einer verbreiteten Formel nicht davon auszugehen, dass der Tatbestand die Rechtswidrigkeit indiziere. Zwar lässt sich etwa bei einer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB) kaum der Fall einer Rechtfertigung konstruieren. Andererseits aber dürften viele Freiheitsberaubungen nach § 239 Abs. 1 StGB, die tatbestandlich Eingriffe in die persönliche Fortbewegungsfreiheit|14| voraussetzen, gerechtfertigt sein (insbesondere in Fällen der Freiheitsentziehung im Strafvollzug).

 

41Auch der Tatbestand kann unterteilt werden in einen objektiven und einen subjektiven Tatbestand. Der Deliktstypus wird zum einen durch objektive (äußere) Elemente geprägt, z.B. beim Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) dadurch, dass eine fremde bewegliche Sache weggenommen wird. Zum anderen wird der Deliktstypus aber auch durch subjektive (innere) Elemente bestimmt, die einem subjektiven Tatbestand zuzuordnen sind. Die Unwertbeschreibung des Diebstahls wäre unvollständig, wenn nicht die Absicht rechtswidriger Zueignung davon umfasst wäre. Aber auch der Vorsatz (vgl. § 15 StGB) ist dem subjektiven Tatbestand zuzuordnen. Er unterscheidet bspw. den Deliktstypus des Totschlags, § 212 Abs. 1 StGB, von dem der fahrlässigen Tötung, § 222 StGB.

42Aus diesen Unterteilungen kann das allgemeine Schema in Tab. 2 für das vollendete, vorsätzliche Begehungsdelikt als Grundform der Straftat abgeleitet werden:

Tab. 2:

43Vollendetes, vorsätzliches Begehungsdelikt


Prüfungsstufe Inhalt
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand Täter, Tathandlung, Taterfolg (im BT beschrieben) Kausalität objektive Zurechnung
2. Subjektiver Tatbestand Vorsatz Deliktsspezifische subjektive Tatbestandsmerkmale (im BT beschrieben)
II. Rechtswidrigkeit Rechtfertigungsgründe objektive und subjektive Rechtfertigungselemente
III. Schuld Schuldfähigkeit (§§ 19, 20 StGB) spezielle Schuldmerkmale (im BT beschrieben) Fehlen von Entschuldigungsgründen

2. Koinzidenzprinzip und Hinweis für die Fallbearbeitung

44Aus dem sog. Koinzidenzprinzip folgt, dass eine Strafbarkeit nur vorliegt, wenn sämtliche Voraussetzungen der Straftat in einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig erfüllt sind.[47] Wer die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des |15|Totschlags erfüllt (d.h. vorsätzlich einen anderen Menschen tötet), ist daher nur dann nach § 212 Abs. 1 StGB zu bestrafen, wenn er in genau diesem Moment auch rechtswidrig und schuldhaft handelt. Liegen die Voraussetzungen von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld zeitgleich (und sei es auch nur kurz) vor, kann sich der Täter demgegenüber nicht darauf berufen, dass er zu einem anderen Zeitpunkt die Voraussetzungen eines der Strafbarkeitselemente nicht erfüllte. Wer einen Menschen erschießt und im Zeitpunkt der Abgabe des Schusses rechtswidrig und schuldhaft handelt, kann einer Bestrafung nach § 212 Abs. 1 StGB also nicht dadurch entgehen, dass er sich darauf beruft, am vorrangegangenen Abend eine (die Schuldunfähigkeit begründende) BAK von 3,2 ‰ aufgewiesen zu haben.

45In der Fallbearbeitung sind die Voraussetzungen von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld nacheinander zu prüfen. Wird dabei auf einer Ebene festgestellt, dass die Strafbarkeitsvoraussetzungen nicht vorliegen, ist die Prüfung in der Regel zu beenden und nicht mehr auf die weiteren Stufen im Deliktsaufbau einzugehen, da die Straflosigkeit der betroffenen Person (hinsichtlich des geprüften Tatbestandes) bereits feststeht.

V. Einteilung und Erscheinungsformen der Straftaten

46Im Zusammenhang mit den Tatbeständen des Strafrecht BT können zahlreiche Unterscheidungen zwischen verschiedenen Straftaten vorgenommen werden.

1. Verbrechen und Vergehen

47Nach § 12 StGB sind Verbrechen und Vergehen anhand der Strafdrohung voneinander zu unterscheiden. Verbrechen sind gem. § 12 Abs. 1 StGB rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (z.B. § 212 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren). Vergehen sind gem. § 12 Abs. 2 StGB rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind (z.B. § 223 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe). Die Zweiteilung der Straftaten in Verbrechen und Vergehen ist relevant für

 die Strafbarkeit des Versuchs: Gem. § 23 Abs. 1 StGB ist der Versuch eines Verbrechens stets strafbar, der Versuch eines Vergehens dagegen nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (so z.B. in § 223 Abs. 2 StGB für die versuchte Körperverletzung; die fehlende Bestimmung in § 185 StGB führt hingegen dazu, dass eine versuchte Beleidigung straflos ist).

 den Versuch der Beteiligung, der gem. § 30 StGB nur bei Verbrechen strafbar ist.

 den Verlust der Amtsfähigkeit (§ 45 Abs. 1 StGB).

48Für die Einteilung als Vergehen oder Verbrechen bleiben gem. § 12 Abs. 3 StGB Schärfungen und Milderungen des Allgemeinen Teils oder für besonders |16|schwere oder minder schwere Fälle außer Betracht. § 12 Abs. 3 StGB betrifft Fälle, in denen der Charakter des Delikts unberührt bleibt und kein eigenständiger Deliktstypus erfasst wird. Solche Milderungen finden sich im Allgemeinen Teil z.B. in §§ 13 Abs. 2, 21, 23 Abs. 2 und 3, 27 Abs. 2 S. 2, 30 Abs. 1 S. 2, 35 Abs. 1 S. 2HS2 StGB. Minder schwere Fälle im Besonderen Teil sind z.B. §§ 213, 249 Abs. 2 StGB, besonders schwere Fälle z.B. §§ 212 Abs. 2, 253 Abs. 4 StGB.

2. Qualifikationen und Privilegierungen

49Anders als bei den vom Regelungsbereich des § 12 Abs. 3 StGB erfassten Strafschärfungen und -milderungen ist der Deliktstypus betroffen, wenn eine Qualifikation oder Privilegierung vorliegt. Dies ist der Fall, wenn ein Grundtatbestand durch Hinzutreten weiterer tatbestandlich beschriebener Gesetzesmerkmale so geändert wird, dass ein neuer Tatbestand entsteht, der eine höhere (dann Qualifikation) oder mildere (dann Privilegierung) Strafdrohung vorsieht. Grundtatbestände beschreiben die Grundform des Deliktstypus anhand von Mindestmerkmalen. Bsp. für eine Qualifikation ist somit die gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB) gegenüber dem Grundtatbestand der (einfachen) Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB). Bsp. für eine Privilegierung ist die Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1 StGB) gegenüber dem Grundtatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB).[48]

3. Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte

50Gem. § 15 StGB ist nur vorsätzliches Handeln strafbar, es sei denn, das Gesetz bedroht fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe. Dementsprechend ist zwischen Vorsatzdelikten, die voraussetzen, dass der Täter mit Vorsatz handelt (z.B. die Sachbeschädigung in § 303 Abs. 1 StGB), und Fahrlässigkeitsdelikten, die ein fahrlässiges Verhalten des Täters ausreichen lassen (vgl. etwa die fahrlässige Tötung in § 222 StGB), zu unterscheiden.

4. Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte

51Erfolgsdelikte sind solche, die tatbestandlich den Eintritt eines objektiven Ereignisses voraussetzen, den Erfolg (z.B. den Tod eines Menschen bei § 212 Abs. 1 StGB). Es gibt aber auch Straftatbestände, die keinen bestimmten Erfolg, sondern lediglich eine bestimmte Tätigkeit voraussetzen (z.B. das Tätigen einer Falschaussage in den von §§ 153, 154 StGB beschriebenen Fällen). Dies sind Tätigkeitsdelikte. Eine besondere Form der Erfolgsdelikte sind die sog. erfolgsqualifizierten Delikte, bei denen zu dem Erfolg des Grunddeliktes ein zumindest fahrlässig (§ 18 StGB) herbeigeführter weiterer Erfolg hinzutritt, |17|z.B. bei der Körperverletzung mit Todesfolge zum Verletzungserfolg des Grunddelikts der (zumindest fahrlässig verursachte) Tod des Verletzten, § 227 Abs. 1 StGB. Sie werden gem. § 11 Abs. 2 StGB als vorsätzliche Taten behandelt.

5. Verletzungs- und Gefährdungsdelikte

52Verletzungsdelikte kennzeichnen sich dadurch, dass die Tatbestandsverwirklichung eine Schädigung des Handlungsobjektes voraussetzt (z.B. Tod eines Menschen bei § 212 Abs. 1 StGB; Beschädigung einer Sache bei § 303 Abs. 1 StGB). Demgegenüber knüpfen die Gefährdungsdelikte an eine bloße Gefahrschaffung durch den Täter an. Die abstrakten Gefährdungsdelikte lassen es für die Tatbestandsverwirklichung ausreichen, dass der Täter eine Handlung vorgenommen hat, welche nach der gesetzlichen Vermutung generell gefährlich ist (z.B. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahruntüchtigkeit in § 316 Abs. 1 StGB). Die konkreten Gefährdungsdelikte setzen demgegenüber voraus, dass sich die Gefahr im konkreten Fall realisiert hat, dass es also zu einer Situation gekommen ist, in der das geschützte Rechtsgut tatsächlich gefährdet war. So liegt eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB nicht schon dann vor, wenn der Täter in fahruntüchtigem Zustand ein Fahrzeug führt, vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass es hierdurch tatsächlich zu einer Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert gekommen ist.

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