Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus

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6. Rom: Wo ist der „Heilige Geist“?


Castel Sant Angelo (Engelsburg)

Treffen sich der „Heilige Geist“ und der Papst in Jerusalem. Der Papst sagt: „Wir haben so viel zu besprechen, wollen wir uns nicht mal treffen?“ „Ja,“ antwortet der „Heilige Geist“, „wo denn?“ Der Papst schlägt vor: „Wie wär’s mit Rom?“ „Gerne!“, erwidert der „Heilige Geist“. „Da war ich noch nie!“

Martin Luther hätte sich über diesen Witz bestimmt gefreut, Millionen von Katholiken in der ganzen Welt wohl eher nicht.

Rom ist Mittelpunkt der Katholischen Weltkirche, und vielleicht ein Drittel der unendlich vielen Reisenden, die man antrifft, sind Pilger vom ganzen Erdball. Ein anderes Drittel sind Asiaten (überwiegend Japaner) und ein weiteres Drittel Buntgemischte – Schulklassen en Masse, Bildungsbeflissene aller Altersgruppen, Fußballanhänger, Vergnügungssüchtige oder Einzelgänger. Sie alle stellen sich in kilometerlangen Schlangen vor den Sehenswürdigkeiten Roms an, zahlen ihre zwölf Euro oder mehr Eintritt und ziehen als wahre Völkerwanderung durchs „Kolosseum“, durch den riesigen „Petersdom“ oder was auch immer.

Silke und Andor wollten ihrer Enkeltochter Terry die „ewige Stadt“ zeigen und Geschichten erzählen über Päpste und Matin Luther.

Die meisten Leute hier hatten gute Laune, weil sie dem neuesten Trend frönten, und das war das „Selfie“-Teleskop. Von fliegenden Händlern wurden die Stangen angeboten. Man konnte damit seine „Digie“ auf Abstand und in die Höhe halten, lächeln, und ein Bild entstand, wie man lächelnd vor der „Spanischen Treppe“ oder am „Trevi-Brunnen“ war. Wer keine Selfies machte, hatte sein Handy am Ohr, spielte auf dem Smartphone oder jonglierte mit einem Tablett in der Masse. Für das alles begeisterten sich die Menschen und weniger für den Papst oder gar für Martin Luther.

Rom: Die Stadt hatte drei Millionen Einwohner und zwanzig Millionen Touristen pro Jahr. Den modernen Römern hatte der Herr offenbar fahrbare Untersetzer mitgegeben, den jungen Männern darunter meist dröhnende Motorräder. Mit diesen Gefährten donnerten sie durch die Straßenschluchten, und wenn es ihnen zu leise wurde, gab es obendrauf dröhnende „Musik“. Unterstützt wurden diese Menschen von der Müllabfuhr, die nachts um zwei Mülltonnen leerte und morgens um halb sieben Flaschencontainer ausschüttete.

Die Touristen waren derweil mit Beten, Telefonieren oder Fotografieren beschäftigt. Alle zusammen wollten essen, trinken und fröhlich sein. Kein Wunder, dass Reiseführer vermerkten, Rom sei keine „erholsame, ruhige oder entspannende Stadt“.

Also: Vier Tage Rom: Das war eine Menge!

In der Schule hatten alle gelernt: „Sieben, fünf, drei – Rom schlüpft aus dem Ei.“ Das war „natürlich“ 753 vor Christus. Seitdem gilt der einundzwanzigste April als Geburtstag Roms: „Ab urbe condita“ – „Seit Gründung der Stadt“. Danach hatte Rom Auf- und Niedergänge erlebt, aber die Stadt hat immer wichtige Rollen gespielt. Anfangs hatten etruskische Könige geherrscht; dann machte Rom Gebiete im Mittelmeer zu seinen Kolonien. Zur Zeit von Christus kamen die römischen Kaiser, und nach der Verlegung der Reichshauptstadt des Weltreiches nach Konstantinopel im 4. und 5. Jahrhundert stand Rom nach dem 6. Jahrhundert als Sitz der Päpste wieder auf, 1870/71 wurde es die Hauptstadt Italiens. In fast all diesen Perioden waren beeindruckende Bauwerke entstanden.

391 n.Chr. übrigens wurde das Christentum Staatsreligion von Rom.

Der Flughafen von Rom liegt nahe der Küste beim Örtchen Fiumicinu. Damit niemand dachte, er sei in Japan gelandet, heißt der Flughafen „Leonardo da Vici“. Alles klar!

Nach zwei Stunden waren die drei dort. Da kamen auch schon die Koffer. Aber was ist das? Sunny hatte zwar einen Koffer gegriffen, der genau aussah wie ihrer, es aber nicht war. Also legten sie den „falschen“ Koffer wieder aufs Band, und plötzlich war er weg. Dafür tauchte ziemlich vertrödelt und einsam Sunnies wirklicher Koffer auf. – Anfang gut, alles gut!

Über die Autobahn flitzten sie in die Kapitale. Die Häuser wurden zahlreicher und der Verkehr dichter. Nach etwa fünfundvierzig Minuten waren sie im Hotel, gleich neben „Engelsburg“ und „Petersdom“. So hatten sie es gebucht.

Wer nach Rom kommt, erblickt die Stadt auf den berühmten sieben Hügeln. Die Häuser sind sandfarben oder gelb bis ocker, stehen wild gewürfelt da. Die Stadtlandschaft wird unterbrochen von Wäldchen und Parks, in denen dunkelgrüne Pinien und Zypressen wachsen. Mitten durch Rom fließt der steinern eingefasste und von alten Platanen gesäumte Fluss „Tiber“. Darüber strahlt fast immer das helle Blau des italienischen Himmels, oft durchsetzt mit schneeweißen Gutwetterwolken: – Das ist eine Stadt!

Überall (auf Gullydeckeln, an antiken Gemäuern und in amtlichen Bekanntmachungen) entdeckten sie die Buchstaben „S.P.Q.R.“. Das heißt „Senatus Populusque Romanus“ (Senat und Volk von Rom). Seit eh verwendet man hier dieses Signum. Bemerkenswert, wie weltlich das ist. Vielleicht ist Rom auch gar keine „Heilige“ Stadt, sondern eine sehr hiesige, allerdings eine mit mindestens zweifachem Anspruch auf eine Weltherrschaft. War der „Heilige Geist“ tatsächlich nie hier? – Sie wollten es testen.

Die Drei klapperten Rom mit seinen Sehenswürdigkeiten ab. Am ersten Tag standen „Engelsburg“ und „Petersdom“ auf dem Programm. Vor der „Engelsburg“ waren Sänger, Gaukler, Buden und viele Touristen. Die Drei reihten sich ein in die Schlange der Wartenden, welche das Bauwerk betreten wollten. Nach einer erheblichen Weile erwarben sie in einem überfüllten und dunklen Tunnel zwei Karten zu zehn Euro fünfzig; Sunny war noch umsonst, da sie noch nicht achtzehn Jahre alt war. Dann musste Silke zur Toilette und sich erneut anstellen: -Warten! Erinnerungen wurden wach an die Oper „Tosca“, wo die Helden an eben diesem Ort der Hinrichtung im Morgengrauen entgegensahen. So schlimm war es diesmal nicht.

Plötzlich: Es ging los: Steile Treppen führten zu verschiedenen Ebenen hinauf, und ganz oben befand sich der bronzene Engel wie er gerade sein Schwert in die Scheide steckt. Das war der Erzengel Michael, welcher 590 dem Papst Gregor erschienen war, als eine Pestwelle ihr Ende fand. Aber das meiste hier war heidnischen Ursprungs, denn die Burg wurde 134 n. Chr. als Mausoleum für den römischen Kaiser Hadrian errichtet.

Beeindruckt und erschöpft zogen sie weiter Richtung „Petersplatz“ und „Petersdom“. Vorher kehrten sie in einem Restaurant ein, das viel Geld für ein wenig Wasser, einen kleinen Kaffee und eine zähe Pizza verlangte. Hier war der „Heilige Geist“ bestimmt noch nie drin gewesen – eher schon sein Gegenspieler.

Wieder draußen erlebten sie die nächste Überraschung: Vor dem „Petersdom“ hatte sich eine kilometerlange mäandernde Menschenschlange gebildet, die in den Dom strebte. Sunny streikte. Sie mochten das Ende dieser Schlange nicht suchen.

Gegen siebzehn Uhr zogen Silke und Andor noch ‘mal los. Auf dem Weg zum „Petersdom“ befand sich eine dem Papst Woytila geweihte Kirche; dann kam eine Schneiderei, wo man sich ein Priestergewand bis zu dem eines Kardinals (oder noch mehr?) schneidern lassen konnte; es folgte ein Vatikanisches Postamt, dann die Schweizergarde.

Kurz vor achtzehn Uhr war die Schlange vor dem Dom geschmolzen. Ohne Sicherheitsscheck wie am Flughafen kam man jedoch nicht in den Dom. Schließlich konnte der „Heilige Geist“ nicht in jeden Besucher fahren. Der Dom („Basilica di San Pietri in Vaticano”) wurde an der Stelle eines Gebäudes aus der Zeit von Kaiser Konstantin (4. Jahrhundert) errichtet und wurde das Zentrum der Katholischen Christenheit. Die Ausmaße der Anlage sind enorm: 60.000 Menschen gehen hinein und 200.000 auf den Platz davor. In der Kirche befindet sich eine Porphyrscheibe, auf der Karl der Große an Weihnachten 800 zum Kaiser gekrönt wurde. Kein Geringerer als Michelangelo baute die Vierung und plante die gewaltige Kuppel. Alles wurde aus edlem Material (meist Marmor) hergestellt: Gleich im rechten Seitenschiff hinter der verschlossenen „Heiligen Pforte“ befand sich die „Pietà“ von Michelangelo.

Es ist müßig, alle Kunstwerke aufzuzählen, die hier versammelt waren. Zu Weihnachten kann man alles im Fernsehen sehen. Unglaublich, welcher Prunk das war. Man musste davor kapitulieren – entweder in Ergebenheit oder in Ablehnung. Aber wie schon die Eingangskontrolle zeigte: Hier herrscht er offensichtlich nicht durchgängig, der „Heilige Geist“.

Beim Verlassen des „Vatikans“ konnte man die „Schweizergarde“ beobachten, wie sie einen Hof bewachte. Dann trat sie zur Seite und ließ einige Personen in Zivil passieren. Darunter war auch eine Frau. Ob das die neue Botschafterin Deutschlands beim Vatikan, Annette Schavan, war?

Zu Ende ging dieser Tag wie die folgenden mit einem Besuch in einem Restaurant. Es gab Pasta, Pizza, Wasser und Rotwein.

Danach war das antike Rom dran. Auf ging’s zum Kolosseum („Colosseo“). Im Hotel sagte man, dorthin könne man mit dem Bus fahren. Es war die „Linie 81“, die ab „Piazza del Risorgimenta“ fuhr. Die Fahrkarten musste man in einer Bar kaufen und im Bus mittels eines geheimnisvollen Apparates entwerten. Dann kam eine kleine Stadtrundfahrt, und als die Fahrgäste ausstiegen, waren sie zwei Stationen zu früh: „Circo Massimo“ stand an der Haltestelle. Es hieß, man könnte mit dem folgenden Bus, der nach zehn Minuten käme, weiterfahren. Der „folgende Bus“ kam aber nicht, und so liefen sie eben. Am „Kolosseum“ dann das gewohnte Bild: dunkle Gänge, ellenlange Menschenschlangen und am Ende je zwölf Euro Eintritt für die Alten. Wieder ging es die Treppen hinauf und die Gänge entlang.

 

Errichtet wurde dieses Stadion ab 72 n.Chr. unter Kaiser Vespasian. Es heißt, 40.000 Sklaven hätten 100.000 Kubikmeter Travertin und 300 Tonnen Eisen verarbeitet. 80 n. Chr. soll dieses größte Bauwerk der Antike unter Kaiser Titus mit hunderttätigen Spielen eingeweiht worden sein. Dabei seien 5000 Tiere getötet worden. Später fanden Gladiatorenkämpfe statt, Christen wurden gequält. Heute ziert zwar ein Kreuz die Anlage, aber ein Ort für den „Heiligen Geist“ war sie sicher nie.

Gleich neben dem „Kolosseum“ liegt das „Forum Romanum“ („Foro Romano“), und man wurde freundlicherweise mit der Eintrittskarte vom „Kolosseum“ hereingelassen. Das Forum liegt in einer Senke, und am Eingang befindet sich der „Titusbogen“. Den ließ Kaiser Domitian 81 n.Chr. errichten. Wer durch dieses heidnische Gemäuer ging, konnte im Rest des Areals nichts Heiliges erwarten. Tempel lag neben Tempel, und viel mehr als die Beschädigung dieser Kultorte konnte der „Heilige Geist“ auch in zwei Jahrtausenden nicht erreichen.

Alles war nunmehr Museum. Mit dem Heidentum war es vorbei. Aber ist der „Heilige Geist“ Nachmieter (in einem Museum)?

Wohl kaum!

Beim Mittagessen kam ein kleiner Tiefschlag: Sunny erklärte, sie würde nur noch mit in die vielen Kirchen kommen, wenn Oma Silke sie dafür in diverse Klamottenläden begleiten würde. Das konnte auch keine Eingebung des „Heiligen Geistes“ gewesen sein…

Auf dem langen Weg zurück ins Hotel kamen sie zum „Trevibrunnen“ („Fontane di Trevi“). Hier aalte sich einst Anita Ekberg ziemlich entblößt im Brunnenwasser unter den Augen von Marcello Mastroainni. Das Ganze hieß „La Dolce Vita“ („Das süße Leben“) und war bestimmt kein heiliger Ort. Jetzt war der Brunnen wegen Bauarbeiten zudem trocken gelegt – ob das die Strafe dafür ist, dass er einst als Sündenpfuhl herhalten musste, sei dahin gestellt.

Mit der „Piazza del Popolo“ war es etwas kompliziert. Zwar hatte 1589 Papst Sixtus V. seine Hand bei der Planung im Spiel, und als Folge gab es hier Zwillingskirchen: „S. Maria dei Miracoli“ und „S. Maria in Montessanto“. Aber: In der Mitte des Platzes steht ein Obelisk, der aus „Heliopolis“ in Ägypten stammt. Ob die Ägypter diese Säule in Verehrung des „Heiligen Geistes“ verschenkt haben? – Am besten war es, hierüber zu schweigen...

Anderntags ging es zur „Piazza Navona“. Der galt als der schönste Platz Roms, vielleicht sogar der Welt. Er ist ein riesiges Oval mit drei Brunnen darauf, eingefasst von hervorragenden Bauwerken. Den Mittelpunkt bildet der Vier-Ströme-Brunnen („Fontane die Fiumi“), den Bernini geschaffen haben soll. Er zeigt vier kraftvolle Männergestalten, welche die größten Ströme der damals bekannten vier Kontinente (Donau für Europa, Nil für Afrika, Ganges für Asien und Río de la Plata für Amerika) symbolisieren.

Über allem befindet sich das Papstwappen. Der Brunnen steht vor einer prachtvollen Kirche. Dieses Werk wurde gestaltet unter der Oberaufsicht des Papstes Innozenz X. (1644 – 1655).

War das nun endlich ein wahrhaft heiliger Ort? Vorsicht! Die „Piazza Navona“ steht auf einem antiken Stadion, das Domitian (1. Jh. n. Chr.) erbauen ließ. Und Bernini bekam den Auftrag für den Brunnen, weil er der Schwägerin des Papstes ein Silbermodell davon zum Geschenk gemacht hatte. Eine kleine Bestechung: War das christlich-„heilig“ gehandelt?

Beim „Pantheon“, das sie nach der „Piazza Navona“ besuchten, scheint die Sache klar zu sein. Es entstand im 2. Jahrhundert nach Christus unter Kaiser Hadrian und war antiken Göttern geweiht. 609 wurde der wie ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg wirkende Tempel in eine Kirche umgewandelt und heißt jetzt „Santa Maria ad Martyres“. Dennoch erscheint der graue runde Koloss wie ein Monster aus uralter vorchristlicher Zeit: Kein Ort für Christliches!

Wie alle Touristen strebten die Drei schließlich zur „Spanischen Treppe“ an der „Piazza dei Spagna“. Die weltberühmte Treppe führte hinauf zu einer (natürlich!) Kirche: „Trinitá dei Monti“. Zwischen Treppe und Kirche wollte sich einst der französische „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. mit einem Reiterstandbild verewigen lassen. Das scheiterte am Widerstand des Papstes, als hätte er vorausgeahnt, dass der Enkel dieses „Sonnenkönigs“ wie dessen Ehefrau Marie Antoinette der Guillotine anheimfallen würde. Keine weltliche oder geistliche Macht hatte damals auch nur einen Finger gekrümmt, um wenigstens der österreichischen Kaisertochter zu helfen. Europäische Innenpolitik, wie man sie kennt: Was sollte daran „heilig“ sein?

Ohne Franzosen wurde die Treppe in der heutigen Form nach päpstlichen Plänen doch gebaut. Unterhalb der Treppe befindet sich der „Baccaria-Brunnen“ von Pietro und Gian Lorenzo Bernini mit der Nachbildung eines Tiberschiffes, das bei einem Hochwasser im 16. Jahrhundert gestrandet sein soll. Jetzt sahen die Besucher eine Reihe ältlicher Damen aus einer Reisegruppe, die sich nacheinander in den Brunnen stellten, um fotografiert zu werden. Keine fiel ins Wasser. Seinen Namen hat das Ganze übrigens, weil sich in der Nähe die Spanische Botschaft beim Vatikan befindet.

Das alles scheint doch sehr weltlich zu sein, und für einen „Heiligen Geist“ wäre auch hier wenig Raum.

1849 jedoch kam es zu einer Revolte gegen das Papsttum. „Trastevere“ war die Hochburg, und viele Bewohner dieses Stadtviertels von Rom sind noch immer stolz darauf. Also machten sich die Besucher auf den Weg nach „Trastevere“. Bei Sonne und Wind gingen sie den „Tiber“ entlang und gelangten zum Ziel. Hier gab es Trödelmärkte, ein kleines Kaufhaus (in dem Silke und Sunny für längere Zeit verschwanden), einen Lebensmittelladen mit vielen Käselaiben und ebenso vielen Weinflaschen (die Andor inspizierte). Sie „landeten“ in einem Restaurant an einem Platz gegenüber der Kirche „S. Maria in Trastevere“ und stärken sich. Dies war ein beschauliches Plätzchen. Hier gab es sogar „Frascati“, den Wein der Römer, der bis dahin auf keiner Karte zu entdecken war!

Es könnte durchaus sein, dass der „Heilige Geist“ irgendwo in „Trastevere“ schwebt. Auch der „Vatikan“ soll in diesem Viertel schon einige Niederlassungen haben. – Man kann ja nie wissen….

Abends nahmen die Gäste Abschied von Rom. Alle orderten Rotwein. Da fragte der italienische Ober engelgleich, ob denn das Fräulein – gemeint war Sunny– schon achtzehn wäre. „Natürlich!“, antwortete der Opa.


Wenn das der „Heilige Geist“ mitbekommen haben sollte: Oh je!

„In Rom“

(2014)

7. Apulien: „Nationale Schande“ in Matera

Apulien zog von jeher fremde Völker an. Einst gehörte das Land an der Ferse des italienischen Stiefels zu Griechenland. Dann kamen Menschen aus Albanien. Ständig versuchten auch die Sarazenen, das Land zu erobern. 1453 nahmen Türken „Konstantinopel“, und es war ein Schock für das gesamte christliche Abendland, als die Türken 1480 sogar „Otranto“ eroberten. 800 Einwohner mussten am Ende kapitulieren. Da sie ihrem Glauben nicht abschwören wollten, wurden sie niedergemetzelt. Eine Märtyrerkapelle im Dom bewahrt ihre Gebeine. Die Türken wurden 1481 verjagt, aber noch heute soll der Ruf „Mamma, li turchi!“ zum Sprachschatz Süditaliens gehören.

Gegenwärtig kommen arme Schwarze nach Lampedusa, um in der EU ihr Glück zu finden. Italien nimmt viele auf. Sie dürfen dann nicht in andere EU-Länder weiterreisen. Doch ein italienisches Schutzprogramm verfügt nur über 3000 Plätze bei 75000 Bedürftigen (geschätzt 2012). Besonders in Apulien leben sie in Ghettos ohne staatliche Hilfe. Sie verdingen sich als Tagelöhner bei den Bauern, helfen bei der Weinlese und Olivenernte. Die italienischen Landwirte könnten zum großen Teil nicht existieren, wenn es diese Tagelöhner nicht gäbe. Die schlafen zwischen Dreck und Müll, liegen in öffentlichen Parks oder auf Bahnhöfen. Dass die italienische Öffentlichkeit sich darüber aufregt, erstaunt nicht.

Dass Silke und Andor mitsamt einer Reisegruppe aus Deutschland die Provinz besuchte, regte seinerzeit keinen Italiener auf.

Am Ende ihrer Reise verweilten sie drei Tage „privat“ in „Polignano a Mare“, einer alten Stadt südlich von „Bari“, die auf Felsen am Meer gebaut ist. Hier zeigte sich die Adria mit verlockenden Buchten, die aber alle sehr felsig sind und daher fast nur von der Jugend zum Schwimmen aufgesucht wurden. Die Kirche des Ortes heißt „Santa Maria Assunta“. Als sie in diesem Ort waren, wurde gerade das Fest des Ortsheiligen San Vito Martire gefeiert. Auf einem Platz war eine Messe. Es gab eine Prozession mit der Figur eines Heiligen, und Musikkapellen zogen durch das Örtchen. Ein paar Straßen weiter war an Tischen und Ständen ein „Markt“ aufgebaut, wo überwiegend Schwarze Handtaschen, Gürtel, Holzfiguren und andere Billigprodukte verkauften. Die Einheimischen schoben sich an den Ständen vorbei, und niemand schien es zu stören, wenn die „Händler“ hinterher im Park auf der Erde lagen, um zu schlafen.

„Frederico Secondo“ sollte man nicht mit Friedrich II., genannt „Der Alte Fritz“, verwechseln. Frederico lebte von 1194 bis 1250, war der Enkel von Barbarossa, Hohenstaufer, Italiener, Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“, König von Sizilien, Muslimfreund, Arabist und für viele der „Antichrist“. Er war ein richtiger Fürst. Im Dom von „Palermo“ ist er begraben, und noch immer zieren rote Rosen sein Grab. Man sagt, die Blumen stammen von den Nachkommen seiner vielen Kinder. Er hatte mehrere Frauen und schrieb Liebesgedichte auf Italienisch. Berühmt ist sein Buch über die Falkenjagd. Wer ist schon dagegen der Alte Fritz – jener andere König, der die Kartoffel in Brandenburg eingeführt hatte?


„Castel del Monte“

Frederico gilt als Erbauer des „Castel del Monte“, das die Landschaft Apuliens bestimmt. Der berühmte Bau thront auf einem Berg und ist um die Zahl „Acht“ konzipiert. Der Grundriss ist achteckig, das Castello hat acht gewaltige Türme, die den Innenhof umstellen, und im oberen Stockwerk liegen acht trapezförmige Räume. Man weiß nicht, ob Frederico die Pfalzkapelle in „Aachen“ oder den Felsendom in „Jerusalem“ als Vorbild genommen hatte. Jedenfalls wirkt der wuchtige Bau sehr modern. Manche vergleichen ihn mit einem Kristall, der die Macht des Kaisers symbolisieren sollte.

Für den Herrscher war dies nur eine seiner Residenzen. Einst soll das Castello ein fröhliches Schloss gewesen sein, doch die Nachfolger verwandelten es in ein Gefängnis für die Kinder des Hohenstaufers. Die neuen Herren kamen nunmehr aus „Anjou“, und die Zeit der Staufer war vorbei.

Doch: Auf Fredericos Grab liegen rote Rosen, auf Friedrichs Kartoffeln. Apulien (Italiener sagen „Puglia“) ist eine besondere Region Italiens. Die Nachbarregionen heißen „Basilicate“ und „Calabria“. Apulien hat sechs „Provinzen“: Bari, Brindisi, Foggia, Lecce, Taranto und Barletta-Andria-Trani. Die Hauptstadt ist „Bari“, und Apulien hat eine Arbeitslosenquote von fünfzehn Komma sechs Prozent. In der Region leben etwas über vier Millionen Einwohner. Die vorherrschende Sprache ist Italienisch. Es soll griechische und albanische Einsprengsel geben. Apulien hat eine lange Küstenstrecke an der Adria.

Im Norden befindet sich die gebirgige Halbinsel Bargano. Die Küste ist kahl, aber in der Höhe erstreckt sich ein waldreiches Gebiet, das Nationalpark ist. Stolps erster Aufenthaltsort in Apulien war die Stadt „Monte Sant Angelo“. Die liegt auf einem Berg in etwa tausend Metern Höhe und hat angenehmes Klima. Im Süden erstreckt sich eine weite Ebene, die überwiegend mit uralten Olivenbäumen und Weinstöcken bewachsen ist. Das wirkt wie eine riesige Parklandschaft. Die Olivenbäume stehen auf Abstand, und die Erde dazwischen ist entweder säuberlich umgepflügt oder mit goldenem Korn bewachsen. Immer wieder sieht man steinerne Dörfer oder Städtchen, meist auf Anhöhen errichtet.

Diese Gegend hat nicht nur Geschichte und Kultur pur; sie zeichnet sich auch durch hohes kulinarisches Niveau aus. Die Antipasti sind hervorragend: schwarze Oliven, gegrillte Auberginen, Zucchini und Paprika, eingelegte Artischocken oder getrocknete Tomaten: Alles ist fein gewürzt und nur mit Olivenöl bereitet. Auch Schinken, feine Salami und Meeresfrüchte fehlen nicht. Die Pasti werden meist aus „Orecchiette“ („Öhrchen“) – das sind Nudeln – bereitet und mit Gemüse, Meeresfrüchten oder Kräutersaucen serviert.

 

Danach kommt das „Secondo“ (Hauptgericht) in vielen Variationen. Natürlich gibt es Salat und am Ende „Dolci“. Dabei herrscht kein Mangel an Wasser und vor allem Wein. Der ist schwer, aber ungeheuer weich und vor allem reichlich vorhanden. „Primitívo“ heißt eine Rotweinsorte. Der Name verbirgt, wie edel dieser Wein ist. Sie haben vor allem davon gekostet, und waren des Lobes voll.

Dabei ist Apulien ein Bauernland und wirtschaftlich nicht gerade obenauf. Sie sehen ehemalige Fabriken und ahnen, wie viele Menschen ihre Arbeit verloren haben. Die klassischen italienischen Großfamilien existieren nicht mehr. Die Steuer erdrückt alle. Sofas, Kleidung und Stahl werden derweil in China oder anderswo billiger hergestellt. Das Land taumelt und die Region mit ihm.

Bei allem scheint der Katholizismus nach wie vor populär zu sein. Stolps sehen Busse mit Pilgern, Kirchen über Kirchen, Umzüge, Feste und volle Gotteshäuser. Dieser Glaube ist offensichtlich fest verwurzelt in der Seele Apuliens.

„Air Berlin“ – die gab es noch – brachte sie nach „Bari“. Wie um die Passagiere auf die italienische Küche vorzubereiten, gab es im Flieger „Fischlis“ und Tomatensaft. Vom Flughafen fuhren sie drei Stunden nach „Monte Sant Angelo“, wo sie übernachteten. Sie waren eine Gruppe von vierundzwanzig Personen, von denen die meisten durch Sprachkurse mit Frau Dott. Orietta Angelini, die in der Olympischen Straße in „Berlin“ wohnte, bekannt waren. Frau Orietta hatte die Reise organisiert und Silke, Andor, Antje und Siegfried fuhren mit. Die Reiseleiterin vor Ort hieß „Mirella“. Sie war etwas emanzipatorisch und esoterisch veranlagt. Der Busfahrer hörte auf den Namen „Angelo“ und machte seine Sache gut.

„Monte Sant Angelo“ hatte 13000 Einwohner. Über der dicht bebauten Stadt thront ein Castello. In dieser Stadt befindet sich, so die Legende, das Heiligtum des Erzengels Michael. Er soll 493 n.Ch. in einer Grotte erschienen sein. Über dieser steht nun eine Kirche, von der aus es neunundachtzig Stufen hinab in die Tiefe geht. Massen strömten in die Grotte, wo eine Messe gelesen wurde. Auf den Stufen hinab beteiligten sich die Menschen schon singend und betend an der Liturgie. Alles wurde per Lautsprecher übertragen. Die Pilger drängten und drängelten, um ein paar Sekunden früher in der überfüllten Grotte zu sein. Sie waren mit Bussen angereist.

Auf einem großen Platz sahen die Besucher viele ältere Männer im „Sonntagsstaat“. Sie standen in Gruppen beisammen und diskutierten, vielleicht über Politik oder über die Kirche oder über Fußball – wer weiß? Dann zogen diese Herren ab – wahrscheinlich ging es zum Essen, das die Frauen zubereitet hatten.

Danach ging es in den „Nationalpark Gargano“. Am Ufer eines umwachsenen Bergsees sahen die Gäste Kaulquappen und unendlich viele klitzekleine schwarze Frösche. Sie waren so klein wie Fliegen, und es wurde behauptet, sie würden auch quaken. Den Beweis dafür traten sie indes nicht an – oder waren die Besucher in einem Alter, in dem man derartiges nicht mehr hört?

In „Vieste“ erwartete sie eine dreischiffige Kathedrale aus dem 11. Jahrhundert mit einem barocken Campanile. Die aus Tuff gebaute Renaissancekirche San Francesco schließt die weit ins Meer ragende alte Stadt wirkungsvoll ab. Auch diese wird beherrscht von einem Castello, das Federico habe errichten lassen. Man vermutet, dass der Kaiser hier sein berühmtes Buch über die Falknerei geschrieben habe.

Auf der Fahrt nach „Martina Franca“ im Süden und Landesinneren, wo sie vier Nächte blieben, kamen die Besucher nach „Trani“. Das ist eine wunderschöne Stadt an der Adria. Hier steht die „Königin der Kathedralen“ „San Nicola Pellegrino“, die majestätisch am Meer liegt. Mittags aßen sie „auf dem Lande“ in einer „Masseria“ und wurden dabei mit Köstlichkeiten verwöhnt. „Martina Franca“ schließlich war wieder ein Ort auf einer Anhöhe, weithin sichtbar, und Angelo musste sein ganzes Können aufbieten, um seine Passagiere zum Hotel zu chauffieren.

Sie kamen zu einem Gut, wo sie junge Leute empfingen, die offensichtlich nicht zum armen Teil der Bevölkerung Italiens gehörten. Deren „Masseria“ war in der Hauptsache ein riesengroßer und gepflegter Olivenbaumpark, der allerdings auch andere südliche Pflanzen beherbergte. Es war hell, ein sanfter Wind ging, und die Luft war angenehm warm. Hier konnte man sich in exquisiter Atmosphäre einquartieren. Die Besucher absolvierten einen Kochkurs: Unter der Anleitung einer älteren Dame kneteten sie verschiedene Teigsorten, hantierten mit Auberginen, Tomaten und Oliven und fertigten Nudeln an. Alles wurde mit Gries, feinem Mehl, etwas Knoblauch und viel Olivenöl zubereitet. Dazu verkosteten sie die Weine des Hauses – erst den Weißen, dann den Rosé und schließlich den Roten.

Die Sache ging über in ein längliches Mahl mit Antipasti, Pasti, Hauptgericht, Salaten und süßen Backwaren. Für die Nudelgänge hatten die Damen und Herren der Küche nicht die Produkte der Gäste benutzt und lieber die echt einheimischen Zutaten verwendet.- Satt und müde sanken alle in die Sitze des Busses.

Es ging weiter! Am Nachmittag stand die Gruppe wieder in einem Olivenhain, diesmal an einem mächtigen Baum, der 2000 Jahre alt sein sollte. Auch dieser uralte Baum hatte ein kleines Nummernschild, das ihn vor Diebstahl schützen sollte. Man kann sich nicht vorstellen, wie dieser Riese entwendet und nach Norditalien verfrachtet werden soll.

Anschließend konnte man sehen, wie über die Jahrhunderte hinweg Öl gewonnen wurde. Nur wie gegenwärtig das Öl gepresst wurde, sah man nicht. Das geschehe in der Genossenschaft, wurde mitgeteilt.

Dann ging es nach „Ostuni“. Das ist „die weiße Stadt“. Sie liegt auf drei Anhöhen und leuchtet weit in das Land hinein. Sie wird überragt von einer Kathedrale und einer Barockkirche, „Santa Maria Maddalena“, die eine farbige Kuppel ziert. Es ging treppauf und treppab, und dann stand man vor der Kathedrale von 1435 mit einer prächtigen Fensterrose.

Auf der Fahrt nach „Matera“ kam die Gruppe an „Taranto“ vorbei. Das ist ein Kriegshafen. Auch sah man Industriebrachen. „Matera“ selbst liegt schon in der Basilicate, aber man fühlte sich mit Apulien verbunden. Ein Dom aus dem 13. Jahrhundert wurde gerade restauriert. Es ging wieder treppauf und treppab. Dann erreichte die Gruppe die „Sassi di Matera“. Das sind Grotten am Rande der Stadt, wo man eine Kirche und eine Wohnung von früher besichtigen konnte. In diesen Grotten waren Betten und Küchen der Landarbeiter und ihrer Familien. Die Maultiere standen nebenan. Das liebe Federvieh scharrte unter den riesigen Betten, in denen mehrere Familienmitglieder einschließlich Kinder schliefen. Bis in die fünfziger Jahre sollen 15000 Bewohner so gehaust haben. Dann wurde „Sassi“ als „nationale Schande“ gebrandmarkt, und die Menschen wurden umgesiedelt. Ein Teil der Grotten diente nun als Hotel. Es wurde alles luxuriös hergerichtet, und wenn man wollte und konnte, durfte man siebenhundert Euro pro Nacht hierlassen! Später (2019) wurde „Matera“ mit den „Sassi“ „Europäische Kulturhauptstadt“- sehr erfolgreich, wie man hörte.

„Alberobello“ ist die „Hauptstadt der Trulli“. Das sind weiße Häuser mit runden aufgeschichteten Dächern aus Stein. Diese seltsamen Gebäude beherrschen ganze Stadtviertel und die umliegende Landschaft. Angeblich hat der Landesherr Gian Girolamo II. Accquaviva 1635 den Bauern befohlen, mörtellose Steinhütten in Trockenbauweise zu errichten, damit er dem Vizekönig in „Neapel“ keinen Tribut leisten musste, was bei gemauerten Siedlungen der Fall gewesen wäre. So seien die „Trulli“ entstanden. Nach einer anderen Variante seien die Runddächer von Einwanderern importiert worden. Wie auch immer: Seit 1996 ist „Alberobell“ UNESCO-Weltkulturerbe.

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