Menschenbilder

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Menschenbilder
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Julia Ulrike Mack

Menschenbilder

Anthropologische Konzepte und stereotype Vorstellungen vom Menschen in der Publizistik der Basler Mission 1816–1914

Basler und Berner Studien zur historischen Theologie

herausgegeben von Martin Sallmann und Martin Wallraff

Band 76 – 2013

TVZ

Theologischer Verlag Zürich

Gedruckt mit Unterstützung der Basler Studienstiftung, der Evangelischen Landeskirche in Baden und der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-290-17667-9 (Buch)

ISBN 978-3-290-17737-9 (E-Book)

|XX| Seitenzahlen des E-Books verweisen auf die gedruckte Ausgabe.

© 2013 Theologischer Verlag Zürich

www.tvz-verlag.ch

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Vorwort

Einleitung

A. Fragestellung

B. Quellen und Methoden

a) Quellen

b) Methoden

C. Inhaltliche Untersuchung

Teil I Grundlegungen:

Verortung der Basler Mission und ihrer Publikationen in ihrem geistes- und theologiegeschichtlichen Kontext

1. Einleitung

2. Zeitschriften als Quelle kirchen­geschichtlicher Forschung

2.1. Forschungsstand

2.2. Zeitschrift – kirchliche Zeitschrift – Missionszeitschrift

2.3. Illustrationen

2.4. Reflexion

3. Missionsgesellschaften und ihre Publizistik: Von den englischen societies zum ‹Missionsjahrhundert›

3.1. Das 18. Jahrhundert

3.1.1. Die englischen societies: Society for Promoting Christian Knowledge (1699) und Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts (1701)

3.1.2. Halle und der Beginn der planmäßigen protestantischen Mission

3.1.3. Die Sammlung der Erstlinge: Die Herrnhuter Mission ab 1732

3.2. Das ‹Missionsjahrhundert›: Protestantische Mission im 19. Jahrhundert

3.2.1. Pietismus und Erweckung

3.2.2. Das ‹Missionsjahrhundert› in der Wahrnehmung seiner Akteure

3.2.3. Mission im Verhältnis zu Kirche, Konfession und Staat

3.2.3.1. Überkonfessionelle Missionsgesellschaften

3.2.3.2. Konfessionelle Missionsgesellschaften

3.2.3.3. ‹Radikale› bzw. Glaubensmissionen

3.2.3.4. Kolonialmissionen

3.2.3.5. Die liberale Missionsgesellschaft

4. Die Basler Missionsgesellschaft

4.1. Entstehung und Vernetzung

4.2. Konfessionelles und theologisches Profil

4.3. Organisationsstruktur

4.4. Die Entstehung der Basler Frauenmission

5. Publikationen aus dem Umfeld der Basler Mission

5.1. Zeitschriften

5.1.1. Das Evangelische Missions-Magazin

5.1.2. Der Heidenbote

5.1.3. Die Missionszeitschriften der Church Missionary Society und der London Missionary Society

5.1.4. Calwer Missionsblatt

5.1.5. Allgemeine Missionszeitschrift

5.2. Die christliche Glaubenslehre

5.3. Missionstraktate

5.4. Reflexion

Teil II Durchführung:

Menschenbilder in den Publikationen der Basler Mission

6. Einleitung

6.1. Stereotyp, Anthropologie und Menschenbild

6.2. Die qualitative und hermeneutische Inhaltsanalyse des Missions-Magazins

6.3. Aufbau und Gliederung

7. Die Figur des ‹Wilden› und seine Funktion im Missions-Magazin

7.1. Wild – heidnisch – barbarisch

7.2. Gut – edel

7.3. Kontakt zu Europäern

7.4. Hell – dunkel: Der ‹Wilde› und sein Äußeres

7.5. Sprache und Auffassungsgabe: Wild und intelligent?

7.6. Gewalt und Sesshaftigkeit: Bürgerlich-soziale Fähigkeiten des ‹Wilden›

7.7. Der Ackerbau als äußeres Symbol von innerer Wildheit und Bezähmung

7.8. ‹Wilde› als Demonstrationsobjekt und Medium der Kritik

7.9. Reflexion

8. «Geben Sie ihnen tüchtige, fromme Weiber»: Die Rolle der Frau im Missions-Diskurs

8.1. Frauen als Akteurinnen im Missions-Magazin

8.2. Frauen als Indikatorinnen für den Zustand von Familie und Gesellschaft

8.3. Frauen als Multiplikatorinnen des Glaubens

8.4. Von der Gehilfin zur Missionarin: Frauen als Mitarbeiterinnen der Mission

8.5. Die Ordnung der Geschlechter: Theologische Argumentationsmuster

8.6. Reflexion

9. ‹Die Rettung der armen Nachtbewohner›: Bildung und Kultur im Gefolge der Mission

9.1. ‹Bildung› und ‹Erziehung›

9.2. Zivilisations- und Kulturdiskurse bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts

9.3. ‹Kultur› und ‹Volkscharakter› ab 1880

9.4. Das Licht des Evangeliums und die Finsternis des Aberglaubens

9.5. Reflexion

10. Der ‹Fluch des Ham› und das schlechte Klima: Stereotype Aussagen zu Sklaverei, Hautfarbe und Rasse

10.1. Der Sonderfall der Sklaverei

10.2. Kulturelle und sittliche Inferiorität als Folge des Klimas

10.3. Der ‹Fluch des Ham› als Begründung für Sklaverei und Unterdrückung

10.4. ‹Die gelbe Gefahr› und ‹die Not Afrikas›: Rasse und nationale Hierarchien

10.5. Reflexion

11. Der ‹wahre› Mensch: Theologische Aussagen zum Menschen

11.1. Die Bestimmung des Menschen: Menschen- und Nächstenliebe als Hauptmotiv der Mission

 

11.2. Das Wesen des Menschen: Das Ringen um die Gleichheit aller Menschen in Christus

11.3. Die Ambivalenz der Rede vom Kind (Gottes)

11.4. Bekehrung und Heiligung: Der Mensch als Ebenbild Gottes

12. Ergebnisse und Ausblick: Menschenbilder und die Publikationen der Basler Mission

12.1. Missionsanthropologie im Kontext von Heidenmission und Basler Missionsgesellschaft

12.1.1. Der alte Mensch

12.1.2. Der neue Mensch

12.1.3. Die Bestimmung des Menschen

12.2. Der Mensch als Zeichen: Die Beschreibung des/der Anderen als normatives Instrument

12.3. ‹Mission sind Menschen›

Teil III Anhang

13. Abkürzungen

14. Skizze der protestantischen Missionsgesellschaften im 19. Jahrhundert

14.1. Überkonfessionelle Missionsgesellschaften

14.1.1. London Missionary Society (LMS)

14.1.2. Basler Missionsgesellschaft (BM)

14.1.3. Berliner Missionsgesellschaft

14.1.4. Rheinische Missionsgesellschaft

14.1.5. Goßner(-sche) Missionsgesellschaft

14.1.6. Pilgermission St. Chrischona/Schweizer Zweig der China Inland Mission (CIM)

14.1.7. Norddeutsche Missionsgesellschaft

14.2. Konfessionelle Missionsgesellschaften

14.2.1. Church Missionary Society (CMS)

14.2.2. Leipziger Mission

14.2.3. Hermannsburger Mission

14.2.4. Neuendettelsauer Mission

14.2.5. Breklumer Mission

14.3. ‹Radikale› bzw. ‹Glaubensmissionen›

14.3.1. China Inland Mission (CIM)

14.3.2. Neukirchener Mission

14.3.3. Allianz-Mission Barmen

14.3.4. Pilgermission St. Chrischona – Schweizer Zweig der CIM

14.3.5. Liebenzeller Mission

14.4. Kolonialmissionen

14.4.1. Der Allgemeine evangelisch-protestantische Missionsverein

14.4.2. Deutsch-ostafrikanische Evangelische Missionsgesellschaft/Bethel-Mission

14.5. Evangelisch-lutherische Missionsgesellschaft für Ostafrika

15. Übersicht über die Missionszeitschriften aus dem Zeitraum 1800 bis 1914

15.1. Überkonfessionelle Missionszeitschriften

15.1.1. Basler Missionsgesellschaft

15.1.2. Berliner Missionsgesellschaft

15.1.3. Goßner Mission

15.1.4. London Missionary Society

15.1.5. Norddeutsche Missionsgesellschaft

15.1.6. Pilgermission St. Chrischona

15.1.7. Rheinische Missionsgesellschaft

15.2. Konfessionelle Missionsgesellschaften

15.2.1. Breklumer Mission

15.2.2. Church Missionary Society

15.2.3. Hermannsburger Mission

15.2.4. Leipziger Mission

15.2.5. Neuendettelsauer Mission

15.3. ‹Radikale›/Glaubensmissionen

15.3.1. Allianz-Mission

15.3.2. China Inland Mission

15.3.3. Liebenzeller Mission

15.3.4. Neukirchener Mission

15.4. Kolonialmission/Die Bethel-Mission

15.5. Der Allgemeine Evangelisch-Protestantische Missionsverein

15.6. Sonstige

15.6.1. Ärztliche Mission

15.6.2. Blindenmission

15.6.3. Hallesche Mission

15.6.4. Herrnhuter Mission

15.6.5. Missionsvereine

15.6.6. Missionswissenschaft

15.6.7. Society for the Propagation of the Gospel

16. Abbildungen

17. Archivquellen

17.1. Archiv der Basler Mission, Basel

17.1.1. Personalfaszikel

17.1.2. Komiteeprotokolle

17.2. Universität Birmingham

17.3. School of Oriental and African Studies, London

18. Gedruckte Quellen

19. Literaturverzeichnis

20. Personenverzeichnis

Fußnoten

Übersicht über die bisher erschienenen Bände der Reihe

Seitenverzeichnis

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Herbstsemester 2010 von der theologischen Fakultät der Universität Basel als Dissertation angenommen. Nach diesem Zeitpunkt erschienene Literatur konnte nur noch in Ausnahmefällen berücksichtigt werden.

Die Arbeit an einer Dissertation spielt sich zwar in weiten Teilen als recht einsamer Denk- und Schreibprozess am Schreibtisch ab. Doch ohne Unterstützung wäre dieses Denken und Schreiben nicht möglich:

Mein Doktorvater Prof. Thomas K. Kuhn (Greifswald) begleitete mich mit Ver­trauen, Fachwissen und konstruktiver Kritik zum jeweils richtigen Zeitpunkt. Prof. Christine Lienemann-Perrin (Basel/Bern) brachte als Mitbetreuerin und Leiterin des ÖMW-Kolloquiums das Forschungsprojekt auf den Weg.

Die Mitarbeiter/-innen in den Archiven der Basler Mission, der University of Birmingham und der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London stellten mir bereitwillig und kompetent ihr Archivmaterial, ihre Infrastruktur und Zeit zur Verfügung.

Die großzügige finanzielle Förderung des Projektes durch die Freiwillige Akademische Gesellschaft in Basel und den Schweizerischen Nationalfonds ermöglichte eine ungestörte Konzentration auf meine Forschung.

Die Basler Studienstiftung, die Evangelische Landeskirche in Baden und die Deutsche Gesellschaft für Missionswissenschaft bezuschussten die Drucklegung der Arbeit.

Meine Familie, Freunde, Freundinnen, Kommilitonen und Kommilitoninnen, allen voran Dr. des. Christian Mack (Basel) sowie PD Dr. Christina Aus der Au-Heymann (Zürich), Dr. Judith Becker (Mainz), Dr. Daniel Frei (Basel), Dr. Ulrike Schröder (Heidelberg) und Roland Durst (Lupsingen), begleiteten den Fortgang des Projektes mit Geduld und großem Interesse und ließen sich jederzeit zum Diskutieren, Zuhören und Korrekturlesen einspannen. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank.

Widmen möchte ich dieses Buch meiner Mutter Ulrike und meinem Bruder Christian sowie in liebevoller Erinnerung meinem Vater Dr. Ulrich Mack. |12|

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Einleitung

Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich am Beispiel des Evangelischen Missions-Magazins mit dem Medium der Missionszeitschrift (Teil I) und dem in ihr vertretenen Menschenbild (Teil II).

Im ersten Teil der Arbeit erfolgt eine geschichtliche Verortung der Missionsgesellschaften des 19. Jahrhunderts in ihrem Verhältnis zu Kirche und Obrigkeit. Die publizistische Tätigkeit der Missionen und ihre damit verbundenen Motive werden in die Charakterisierung mit einbezogen. Als Paradigma dienen die Basler Missionsgesellschaft (BM) und das von ihr herausgegebene Evangelische Missions-Magazin. Daraus ergibt sich ein systematischer Überblick über die Zeitschriften aus dem Umfeld der Basler Mission, im 19. Jahrhundert eine der bedeutendsten Missionsgesellschaften im deutschsprachigen Raum. Die besonderen Kennzeichen des Evangelischen Missions-Magazins erklären sich aus seinem pietistisch-erwecklichen1 Entstehungskontext und werden in Übereinstimmung und Abgrenzung zu anderen Periodika entwickelt. Mit einer derartigen Systematisierung von Missionszeitschriften betritt die vorliegende Untersuchung Neuland. Dies macht eine relativ ausführliche Behandlung dieses Themas im ersten Teil notwendig. Die überkonfessionelle und internationale Vernetzung der Basler Mission und ihrer Publikationen sowie die große Bedeutung von Missionszeitschriften im Hinblick auf Identifikation, Kommunikation und der Steuerung von Diskursen spielen für die |14| Interpretation der Menschenbilder eine zentrale Rolle. Die Grundlegung erarbeitet so die nötigen Instrumente für die Interpretation im zweiten Teil.

Nach dieser Grundlegung kommen im zweiten Teil die in den Publikationen vertretenen Menschenbilder in den Blick. Sie dienen nicht nur als Beispiel dafür, wie in den Zeitschriften mit einem bestimmten Thema umgegangen wurde, sondern führen zu der These, dass die Beschreibung von ‹dem Menschen› allgemein, von menschlichen und nicht-menschlichen Eigenschaften, von verschiedenen Ethnien, Rassen, Völkern und Kulturen das Hauptinteresse einer Missionsgesellschaft darstellte. Demnach hatten die deutschsprachigen Missionsgesellschaften des 19. Jahrhunderts ihren theologischen und praktischen Schwerpunkt in der Anthropologie. Die Entwicklung und Veränderung von Menschenbildern, z.B. im Zuge der Kolonialisierung oder während der Zeit des Imperialismus, war immer auch ein Spiegel der Entwicklungen und Veränderungen der Missionsgesellschaft als Ganze.

Die Basler Mission ist als Forschungsobjekt aus mehreren Gründen interessant. Erstens nahm sie im 19. Jahrhundert aktiv am gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und religiösen Leben ihrer Umwelt teil, grenzte sich da­bei aber auch deutlich von anders ausgerichteten Kulturträgern ab und bezog eine eigene Position im pietistisch-erwecklichen Kontext. Zweitens sind diese ­Diskurse im hauseigenen Publikationsorgan, dem Missions-Magazin, gut zugänglich, aber bislang noch kaum für die wissenschaftlich-theologische ­Diskussion fruchtbar gemacht worden.2 Drittens organisierte sich die Basler Mission von Anfang an patriarchal-autoritär und zugleich bürokratisch, was sich in einer oft nahezu lückenlosen Dokumentation von Lebensläufen und schriftlichen Rechtfertigungen der Tätigkeiten im Missionsgebiet niederschlug. Dadurch bietet das Archiv der Basler Mission eine Fülle von Quellen: Briefe, Trak­tate, Fotografien, Personalfaszikel, die für die Untersuchung ergänzend hinzu­ge­zogen werden können. Und viertens ist die Basler Mission eine der ältes­ten Missionsgesellschaften im deutschsprachigen Raum. Sie stand in enger Ver­bindung zur Norddeutschen und Berliner Missionsgesellschaft, zu Missionsgesellschaften in England, wie der Church Missionary Society (CMS) sowie zu Unterstützerkreisen (‹Hilfsvereinen›) in ganz Europa.

 

Mit der Erforschung des Menschenbildes einer bestimmten Zeit, einer Gesellschaft, einer literarischen Gattung oder einer theologischen Strömung ist es möglich, zumindest ansatzweise zu bestimmen, worin damals die Ziele des menschlichen Lebens bestanden, welche Werte als fundamental angesehen |15| wurden und was jeweils als Normalität des menschlichen Handelns galt. Durch das Generieren eines bestimmten Bildes vom Menschen wird gleich­zeitig eine Trennungslinie gegenüber der Welt der Tiere, der Pflanzen und Maschinen gezogen, wird festgestellt, was ‹menschlich› und was ‹un-› oder ‹nicht-menschlich› ist. Über das jeweilige Menschenbild werden somit fundamentale Aspekte der jeweiligen eigenen Identität bestimmt. Dementsprechend wurden und werden Menschenbilder verwendet, um potenziellen Gegnern oder Fremden die grundlegende Gleichheit zu- oder abzusprechen bis hin zur Aberkennung ihres Menschseins überhaupt.

Die Frage nach dem Menschenbild ist immer auch eine Frage nach stereotypen Vorstellungen vom Menschen eines bestimmten Kontinentes (‹der Afrikaner›), eines bestimmten Landes (‹die Schweizerin›), einer bestimmten Hautfarbe (‹der Schwarze/die Weiße›). Dabei entwerfen Heterostereotypen, also verfestigte, kollektive Charakteristiken, die einer fremden Ethnie oder Gruppe zugeschrieben werden, ein erhellendes Bild derjenigen Gruppe, die für diese Vorurteile oder Zuschreibungen verantwortlich ist. Die Zuschreibungen basieren auf gemeinsamen Vorstellungen, Erwartungen und Werten und dienen der Orientierung in einer sonst unübersichtlichen und unverständlichen Fülle von Erscheinungen und Signalen. Stereotype sind grundlegend für die Art und Weise, wie die Welt und die darin befindlichen Menschen wahrgenommen werden. Durch ihre gleichzeitig simplifizierende wie auch realitätsstiftende Wirkung bieten sie schließlich Identifikationsmöglichkeiten an. Mit ihrer Analyse ist auch die Möglichkeit zur Motivforschung verbunden: «Das Handeln von Subjekten wird verstehbar aufgrund ihrer (stereotypen) Vor­stellungen».3

Menschenbilder haben einen kulturell bestimmten, veränderlichen Charakter. Zugleich gibt es bestimmte Kontinuitäten – zeitlich und auch innerhalb einer bestimmten theologischen oder weltanschaulichen Strömung –, die erhellende Einblicke in das Selbstverständnis einer Epoche oder einer bestimmten theologischen Richtung bieten können.

Ziel dieser Dissertation ist es, Menschenbilder des 19. Jahrhunderts zu untersuchen, die in den Kontaktzonen unterschiedlicher Kulturen und Reli­gionen entwickelt wurden. Zu den wichtigsten Exponenten des Kulturaus­tausches jener Zeit gehören neben den staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen der kolonialen Expansion hauptsächlich die Missionswerke der verschiedenen protestantischen Kirchen und Freikirchen sowie der römisch-katholischen Kirche, die im Spannungsfeld von Christentum und den Religionen der ‹heidnischen› Welt, europäischer Kultur und ‹heidnischen› Kulturen, Zivilisation und ‹unzivilisierter› Welt ihre kultur- und religionsvergleichen |16| den Selbst- und Fremdbilder konstruiert haben. Diese Missionswerke sollen am Beispiel der Basler Missionsgesellschaft analysiert werden. Die ‹Menschenbilder der Basler Mission› werden in den geisteswissenschaftlichen Kontext des 19. Jahrhunderts eingezeichnet, um die Anknüpfungspunkte, aber auch die Grenzlinien zu ihrer Umwelt deutlich zu machen. Die hier gewonnenen Erkenntnisse werfen ein Schlaglicht auf die Anthropologie der pietistisch-erwecklichen Bewegung im 19. Jahrhundert als Ganze und auf die zentrale Stellung von Menschenbildern im Missionsdiskurs.

A. Fragestellung

Folgende Forschungsfragen sind für die vorliegende Untersuchung maßgeblich:

Was waren die besonderen Kennzeichen einer Missionszeitschrift im Vergleich zu anderen Publikationen? Welche Rolle spielten Missionszeitschriften im 19. Jahrhundert für Missionsgesellschaften, für die Leserschaft und für die Mitarbeitenden? War die Basler Missionsgesellschaft – und damit auch deren Publikationen – eine für ihre Zeit typische Missionsgesellschaft, in welchen Positionen und Diskursen wich sie von dem Profil anderer Missionsgesellschaften ab? Welche Aussagen zu Menschenbildern wurden im Evangelischen Missions-Magazin getroffen? Werfen diese Aussagen ein Licht auf die Basler Missionsgesellschaft in ihrer Theologie und Praxis? Und schließlich: Lässt sich aufgrund der anthropologischen Konzepte und stereotypen Vorstellungen ‹vom Menschen› eine eigenständige Missionsanthropologie der Basler Missionsgesellschaft und eine über sie hinausgehende Missionsanthropologie entwerfen?