James Bond 17: Der Kunstsammler

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From the series: James Bond #17
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CEDAR

Später hatte Bond das Gefühl, er musste wie ein Trottel ausgesehen haben, als er dort mit offenem Mund in Ms Büro stand und die Frau anstarrte. Sie war durchaus jemand, bei dem es sich lohnte, ein wenig zu starren, selbst in dem lässigen Jeansrock und der Bluse. Ihr Gesicht wies genau wie ihre braunen Augen eine Ruhe auf, hinter der, wie Bond sofort spürte, ein wacher Verstand lauerte – ein Verstand, der genauso präzise und tödlich wie ihr Körper war. Die Frau war eine Expertin. Allerdings sollte sie das auch sein, wenn man bedachte, wer ihr Vater war.

»Tja«, war alles, was Bond hervorbringen konnte.

In Cedars Gesicht erblühte ein Lächeln, das ihn fast schon schmerzlich an seinen alten Freund Felix erinnerte. Es war ein völlig unbekümmerter Ausdruck, bei dem sie eine Augenbraue hochgezogen hatte, als wollte sie sagen: Mach es richtig oder fahr zur Hölle.

M schnaubte. »Dann haben Sie Miss Leiter also tatsächlich noch nie zuvor getroffen, 007?« M redete Bond noch immer mit 007 an, als wäre die berühmte Doppelnullabteilung mit ihrer Lizenz zum Töten nicht schon lange aufgelöst worden.

Bond hatte gewusst, dass Felix verheiratet war, doch während ihrer Zusammenarbeit hatte sein alter CIA-Freund – der später Privatdetektiv geworden war – nie von seiner Frau oder Kindern gesprochen.

»Nein«, erwiderte Bond ein wenig angespannt. »Wie geht es Felix?«

Cedars Augen verfinsterten sich ein wenig, als hätte man ihr einen schnellen körperlichen Schmerz zugefügt. Als sie sprach, war ihre Stimme tief und heiser und wies nicht einmal einen Hauch dessen auf, was die Briten als amerikanischen Akzent betrachteten.

»Daddy geht es gut. Sie haben ihn mit den neuesten Erfindungen in Sachen Prothesen ausgestattet.« Der Anflug von Traurigkeit verschwand, und das Lächeln kehrte zurück. »Er hat eine unglaubliche neue Hand und sagt, dass sie alles machen kann. Er verbringt viel Zeit mit Schießen und dem Üben von Methoden, um schnell zu ziehen. Ich bin mir sicher, er würde wollen, dass ich Sie von ihm grüße.«

Innerhalb eines Sekundenbruchteils erlebte Bond erneut die Zeit seines Lebens, die er am liebsten in die Vergessenheit verbannt hätte – die Zeit, in der Felix einen Arm und ein halbes Bein verloren und auch andere Verletzungen erlitten hatte, die über mehrere Jahre hinweg von plastischen Chirurgen hatten behandelt werden müssen. James Bond hatte sich oft selbst die Schuld für Felix Leiters missliche Lage gegeben, obwohl sie beide hinter dem dunkelhäutigen Gangster her gewesen waren, dessen sadistischer Wahnsinn fast einmalig gewesen war. Buonaparte Ignace Gallia alias Mr Big. Auf jeden Fall hätte Felix sofort zugegeben, dass er nach dem Haiangriff, den der Kriminelle arrangiert hatte, von Glück reden konnte, überhaupt noch am Leben zu sein. Und Bond tröstete sich mit der Tatsache, dass er Big am Ende ein für alle Mal ausgeschaltet hatte – und zwar auf die unangenehmste Art: Er hatte dafür gesorgt, dass die Strafe zum Verbrechen passte.

Bond schüttelte seine Tagträume schnell ab und registrierte Cedar Leiters letzten Satz: »… er würde wollen, dass ich Sie von ihm grüße.« Sie legte den Kopf schief. »Wenn er wüsste, dass ich hier bin.«

M schnaubte erneut. »Ich denke, wir sollten besser zur Sache kommen, 007. Miss Leiter ist eine Schläferin, die gerade aktiviert wurde. Sie traf in den frühen Morgenstunden ein.« Er zögerte und runzelte leicht die Stirn, um seine Unzufriedenheit auszudrücken. »Vor meiner Haustür. Ich habe mir angehört, was sie zu sagen hatte. Der Stabschef überprüft das gerade mit einer Chiffre durch die US-Botschaft.«

Bond fragte, ob er sich setzen dürfe, und erhielt von M ein steifes Nicken.

»Ich habe das alles schon gehört. Miss Leiter wird Sie auf den neuesten Stand bringen«, fuhr M fort.

»Oh, bitte nennen Sie mich Cedar, Sir …« Sie hielt inne, als sie Ms vernichtenden Blick sah, und erkannte, dass sie gerade den schlimmsten Fauxpas aller Zeiten begangen hatte. M lehnte leichtfertige Vertraulichkeit aufs Heftigste ab, vor allem wenn es um Angelegenheiten ging, die den Service betrafen.

»Fangen Sie an, Miss Leiter«, schnauzte M.

Cedars Karriere hatte begonnen, als sie achtzehn war und als Sekretärin im Außenministerium der Vereinigten Staaten arbeitete. Nach einem Jahr kam die Central Intelligence Agency auf sie zu. »Ich vermute, es war wegen meines Vaters.« Dieses Mal lächelte sie nicht. »Aber man warnte mich, dass er es nie erfahren dürfe.« Sie behielt ihre Stelle im Ministerium, belegte aber während ihres Urlaubs, an den Wochenenden und an manchen Abenden umfassende Kurse.

»Sie wollten mich nicht im aktiven Dienst einsetzen. Das haben sie mir von Anfang an klargemacht. Ich sollte ausgebildet werden und regelmäßig Auffrischungskurse besuchen, aber meine Stelle beim Ministerium behalten. Sie sagten mir, man würde mich irgendwann anrufen.

Nun, der Anruf kam letzte Woche. Ich vermute, sie beobachten einen. Ich plante eine kurze Reise nach Europa. Daraus ist eine Dienstreise geworden, und ich wurde benutzt, weil ich nicht das bin, was man als ›Gesicht‹ bezeichnet.« Cedar meinte damit, dass sie den internationalen Geheimdienstorganisationen nicht bekannt war. »Es gibt ein Passwort, das M an die Leute in Langley weitergeben muss, und ein Passwort, das die Antwort darstellt, um zu beweisen, dass ich in Ordnung bin – ich schätze, darauf warten wir momentan.«

M nickte und fügte hinzu, er hege keine Zweifel daran, dass Miss Leiter »in Ordnung« sei, wie sie es ausdrückte. Sicher würden die Dokumente und die Bitte, mit der sie an ihn herangetreten sei, Sinn ergeben.

»Ich setzte Sie darauf an, 007, da es hier darum geht, harmonisch mit Miss Leiter und den Vereinigten Staaten zusammenzuarbeiten.«

»Aber SPE…?«, begann Bond.

»Die Angelegenheit wird Ihnen in einem Augenblick klar sein. Ich versetzte Sie in den Spezialdienst. Spezialdienste für die US-Regierung.« M nahm einige Papiere von seinem Schreibtisch, und Bond kam nicht umhin, zu bemerkten, dass es sich bei dem ersten um eine kurze maschinengeschriebene Notiz handelte, auf der das Siegel des Präsidenten prangte. Es hatte keinen Sinn, weiter mit seinem Vorgesetzten zu diskutieren.

»Also, was hat es mit der Sache auf sich, Sir?«, fragte Bond.

»Kurz gesagt«, begann M, »geht es um einen Mann namens Markus Bismaquer.«

M warf einen Blick auf die Papiere in seiner Hand und ratterte die Einzelheiten von Bismaquers Leben und Hintergrund herunter: Geboren 1919, New York City. Einziger Sohn gemischter Eltern, deutsch und englisch. Beide amerikanische Staatsbürger. Machte seine erste Million vor seinem zwanzigsten Lebensjahr, innerhalb von drei Jahren war er Multimillionär. Entging dem Militärdienst während des Zweiten Weltkriegs, weil er als »unerwünscht« eingestuft wurde. Offenbar war er ein standhaftes und überzeugtes Mitglied der amerikanischen Nazipartei. Seit damals hat er versucht, es geheim zu halten, jedoch mit wenig Erfolg.« M gab ein Geräusch von sich, das man nur als Zeichen von Abscheu deuten konnte. »In den frühen 1950ern verkaufte er all seine Geschäftsanteile mit großem Profit und lebt seitdem wie ein Prinz der Renaissance. Man sieht ihn nur selten außerhalb seines eigenen Fürstentums …«

»Seines eigenen was?« Bond runzelte die Stirn.

»Eine Redewendung, 007. Miss Leiter wird es Ihnen erklären.«

Cedar Leiter holte tief Luft.

»Bismaquer besitzt ein knapp vierhundert Quadratkilometer großes Grundstück, das einst Wüste war. Es befindet sich etwa hundertdreißig Kilometer südwestlich von Amarillo, Texas. Und M hat es zu Recht als Fürstentum bezeichnet. Keine Straßen führen zur Rancho Bismaquer. Man kommt nur auf zwei Arten hinein: Es gibt einen kleinen Flugplatz, und er hat sein eigenes privates Einschienenbahnsystem. Fünfundzwanzig Kilometer außerhalb der Stadt – also Amarillo – befindet sich ein abgeschotteter Bahnhof, und man muss sehr gute Beziehungen zu Mr Bismaquer haben, wenn man mit der Einschienenbahn fahren will. Ist man auf dem Anwesen wirklich erwünscht, kann man sein eigenes Auto mitnehmen – auf der Einschienenbahn gibt es einen Autotransporter und draußen auf der Ranch haben sie Straßen, aber nur innerhalb des Geländes. Es ist ein verdammt beeindruckender Ort – ein riesiges Haus, Nebengebäude, eine Autorennstrecke, Pferde, Angelteiche, alles, was das Herz begehrt.«

»Waren Sie mal dort?«

»Nein, aber ich habe all die Bilder gesehen – von den Satelliten und den hoch fliegenden Luftaufklärern. In Langley gibt es ein 3D-Modell. Sie haben es mir im Zuge meiner Unterweisung gezeigt. Ich habe Fotos dabei. Das gesamte Gebiet – die ganzen vierhundert Quadratkilometer – ist extrem gut eingezäunt, und Bismaquer hat seinen eigenen Sicherheitstrupp.«

»Also, was hat er angestellt?« Bond holte sein Zigarettenetui aus Geschützbronze hervor und schaute zu M, um sich seine Erlaubnis einzuholen. M nickte nur und machte sich daran, seine Pfeife zu stopfen. Cedar lehnte die angebotene Zigarette ab. »Was hat er angestellt? Abgesehen davon, dass er ein Vermögen verdient hat?«

»Das ist das Problem.« Cedar schaute unsicher zu M.

»Oh, Sie können ruhig weitermachen, Miss Leiter. 007 muss alles wissen, bevor wir diese Besprechung beenden.«

»Bis vor ein paar Monaten war alles noch sehr vage«, fuhr Cedar fort und zog die Beine auf dem Lederstuhl unter ihren Körper. M schaute zur Decke hinauf, als wollte er die Götter um gute Manieren und eine ordentliche Haltung für die junge Frau anflehen. »Politisch gesehen war Bismaquer schon immer verdächtig, aber offenbar hat sich niemand allzu große Sorgen gemacht, weil er sich so weit vom Geschehen entfernt hält. Es gibt sehr eindeutige Beweise, dass er – wie drückt man das am besten aus? – sein Fähnchen stets in den Wind hängt?«

 

Bond nickte.

»So agiert Bismaquer seit Jahren – auf der Suche nach einem ›Einstieg‹, einer Möglichkeit, in ein politisches Amt aufgenommen zu werden. Niemand hat ihn je für voll genommen.« Sie lachte, und Bond musste erneut an Felix denken. »Sie haben sein Geld genommen, aber nicht ihn. Nach Watergate kam heraus, dass Geld von Bismaquer in die berühmte Schmiergeldkasse geflossen war. Und zwar nicht nur Peanuts. Doch die nachfolgenden Regierungen haben ihn in Schach gehalten.«

»Warum?«

Sie zuckte kurz mit den Schultern, als wollte sie sagen, dass die Gründe offensichtlich seien. »Es gibt außerdem Beweise, dass Bismaquer nach einer Möglichkeit gesucht hat, in jede beliebige Behörde zu gelangen, und zwar mit dem Gedanken, ein Übernahmeangebot zu machen.«

Nun musste Bond lachen. »Übernahmeangebot? Für was? Die Regierung der Vereinigten Staaten?«

»Ich weiß, dass das weit hergeholt klingen muss, aber das ist genau das, was die Leute befürchten.« Cedar bedachte ihn mit einem kühlen Blick. »Sie glauben, dass diese Araber und ihr Gefolge reich sind? Tja, es gibt Familien in Texas, die tatsächlich wie Könige leben. Und es gibt einige wenige – wie in jedem Land –, die eine gefährliche Fantasie haben. Wenn man diese Fantasie mit immensem Reichtum kombiniert …«

Sowohl Bond aus auch M nickten, um anzuzeigen, dass sie verstanden hatten.

»Hat er die Nazi-Ideologie immer noch verinnerlicht?« Bond blies den Rauch seiner Zigarette Richtung Decke.

»Davon ist die CIA überzeugt.«

»Aber so ein Spinner wie er kann nicht wirklich gefährlich werden, es sei denn …«

»Es sei denn, er unternimmt etwas, richtig?« Cedar schaute Bond direkt an. »Ja, da stimme ich Ihnen zu, aber es hat Probleme gegeben – oder zumindest Anzeichen davon. Bismaquer hat im Laufe des vergangenen Jahres eine große Anzahl sehr seltsamer Besucher auf der Ranch empfangen. Außerdem hat er die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt und seinen Mitarbeiterstab vergrößert.«

Bond seufzte und schaute hilfesuchend zu M. »Das ist verrückt. Ein Kerl, der seine eigenen Fantasien auslebt …«

»Hören Sie ihr weiter zu, 007«, sagte M ruhig.

»Er hat auf jeden Fall etwas vor. Das FBI hat ihn überwacht und die Besucher und die Ausrüstung überprüft, die auf die Ranch kamen. Sie haben beschlossen, ein paar ihrer Erkenntnisse mit der Bundessteuerbehörde zu teilen. Die haben daraufhin ein paar mögliche Steuerhinterziehungen entdeckt. Das gab der Steuerbehörde und dem FBI etwas, womit sie arbeiten konnten. Letzten Januar machten sich vier Agenten – zwei von jeder Abteilung – auf, um mit Bismaquer zu reden. Sie verschwanden. Das FBI schickte zwei weitere. Sie kehrten nicht zurück. Also meldete sich die Polizei von Amarillo bei ihm und führte eine Ermittlung durch. Unser Freund Bismaquer wusste nichts und konnte ihnen nichts mitteilen. Es gab keine Beweise. Also zog die Polizei wieder ab, und die CIA schickte eine Agentin rein. Man hörte nie wieder etwas von ihr.

»Dann, vor etwa einer Woche, tauchte in einem Sumpfgebiet in der Nähe von Baton Rouge, Louisiana, eine Leiche auf. Die Sache wurde geheim gehalten – die Medien bewahrten Stillschweigen darüber. Offenbar war die Leiche in einem üblen Zustand, aber man identifizierte sie als die der Agentin. Seitdem sind alle Leichen in der Nähe dieses Ortes aufgetaucht. Zwei konnten nicht identifiziert werden, aber die restlichen schon – hauptsächlich mithilfe der Zähne. Jeder Beamte, der ausgesandt wurde, um Markus Bismaquer in Texas etwas anzulasten, wurde tot in Louisiana aufgefunden.«

»Und das ist jetzt unsere Sache?« Bond gefiel das ganz und gar nicht. Bismaquer kam ihm wie ein psychopathischer Wahnsinniger vor, der Geld wie Heu, eine Privatarmee und eine überdurchschnittlich große Menge an folie de grandeur besaß.

»Ganz genau.« Cedar Leiter schaute zu M. »Werden Sie es ihm zeigen, Sir?«

M blätterte die Papiere durch, die in einem ordentlichen Stapel vor ihm lagen, zog ein Blatt heraus und reichte es Bond.

Es handelte sich um eine klare Fotokopie eines zerrissenen Stücks Papier, auf dem deutlich maschinengeschriebene Worte zu lesen waren. Bonds Miene verfinsterte sich, als er sie las:

sollten natürlich zerstört werden. Aber er wollte sichergehen, dass Sie vollständige Gewissheit bezüglich unserer weltweiten Substan-1-

Unterstützung haben. Der erste Stoß wird vor allem in Europa und im Nahen Osten zu spüren sein. Aber,

ießlich wird es den weitläufigen Pferch der Vereinigten Staaten verlassen. Mit sorgfältiger Manipulation können wir erfolgreich

eilen und herrschen – oder zumindest Ich freue mich auf unser nächstes Treffen.

Dann folgte die gekritzelte, aber deutlich lesbare Unterschrift:

Blofeld

Bond spürte, wie sich seine Eingeweide zusammenzogen. »Wo …?«, begann er.

»In der verrottenden Kleidung unserer CIA-Agentin. Der Zettel wurde an ihrer Leiche gefunden«, antwortete Cedar ruhig. »Die Analytiker in Langley glauben, dass Bismaquer mit einer Terrororganisation namens SPECTRE zusammenarbeitet. Man sagte mir, Sie seien ein Experte dafür, Mr Bond …«

»Blofeld ist tot.« Bonds Stimme war ebenfalls ruhig.

»Es sei denn, 007«, M zog die Pfeife aus seinem Mund, »es sei denn, es gab einen Nachkommen. Oder einen Bruder. Oder sonst jemanden. Sie haben eine beträchtliche Menge Zeit damit verbracht, mich davon zu überzeugen, dass SPECTRE wieder aktiv ist und hinter diesen elenden Flugzeugentführungen steckt. Und nun haben wir den Beweis, dass Blofeld in irgendeiner Form noch existiert und mit einem sehr reichen, verrückten Texaner gemeinsame Sache macht. Dieses Stück Papier« – er deutete auf die Fotokopie – »legt nahe, dass Bismaquer und SPECTRE ein Wagnis eingehen wollen, das die ganze Welt in Brand setzen könnte. Und dieses Risiko ist weiß Gott schon groß genug, wenn man an die Regierungen, die Unruhen, die politischen Albernheiten, den Wirtschaftsrückgang und die schwindenden Ressourcen denkt – auf offizieller Ebene. Eine große unabhängige Operation könnte zu einer Katastrophe führen, und wir wissen bereits aus früherer Erfahrung, dass SPECTRE durchaus internationale Probleme auslösen kann.«

Als er zu Ende gesprochen hatte, klopfte es an der Tür und Bill Tanner trat ein, sobald M sein knappes »Herein« gerufen hatte.

»Alles in Ordnung, Sir. Wir haben gerade die Antwort von der Botschaft erhalten. Sie wissen nicht, was sie bedeutet, meinten aber, es müsse etwas Besonderes sein, da sie mit beträchtlicher Priorität sowie der Präsidentenchiffre zurückgeschickt wurde. Ich fürchte, deren Leute wurden ein wenig neugierig.«

»Tja, ich hoffe, Sie haben deren Neugier zerschlagen, Stabschef.«

Tanner lächelte und nickte Bond zu.

M zog an seiner Pfeife und tippte mit dem Stiel gegen seine Zähne, bevor er fortfuhr. »Eines der anderen Dokumente, 007, ist ein persönlicher Brief an mich vom Präsidenten der Vereinigten Staaten. Darin heißt es, die Information ist in seinen Augen so heikel, dass er nicht die üblichen Kanäle benutzen will: Deswegen wurde Miss Leiter eingesetzt. Er bittet um besondere Hilfe. Mit anderen Worten: Er will, dass jemand vom Service Miss Leiter in die Vereinigten Staaten begleitet und Bismaquers Vorhaben infiltriert. Können Sie da jemanden empfehlen, 007? Jemanden mit entsprechender Arbeitserfahrung in Bezug auf diese Eiterbeule namens SPECTRE?«

»Ja.« Bond spürte bereits, wie ihn das Adrenalin durchströmte. »Ja, natürlich werde ich gehen. Aber ich habe noch ein paar Fragen an Miss Leiter. Wie sieht es mit Bismaquers Familienstand aus?«

»Er war drei Mal verheiratet«, antwortete sie. »Die ersten beiden sind gestorben. Natürliche Tode – ein Autounfall und ein Hirntumor. Seine aktuelle Frau ist deutlich jünger als er. Umwerfend, elegant: Nena Bismaquer, ehemals Nena Clavert. Gebürtige Französin. Sie lebte in Paris, wo sie Bismaquer kennenlernte.«

»Können wir überprüfen, ob das wirklich absolut astrein ist?«

M nickte und warf Tanner einen kurzen Blick zu – ein Befehl ohne Worte.

»Und die zweite Frage?« Cedar entfaltete ihre Beine.

»Wie hat Bismaquer seine erste Million gemacht? Ich vermute, der Rest folgte durch sorgfältige Investitionen.«

»Eiscreme.« Cedar grinste. »Er war der erste große Eiscremekönig. Er hat sich Dinge ausgedacht, die Sie niemals glauben würden. Schließlich kaufte ihn eine der ersten großen Ketten auf, aber er hat immer noch eine Leidenschaft dafür. Er hat sogar ein Labor draußen auf der Ranch. Offenbar ist er fest entschlossen, eine komplett neue, bislang unversuchte Methode zur Herstellung dieses Zeugs zu finden. Er entwickelt ständig neue ausgeklügelte Rezepte und Geschmacksrichtungen.«

M räusperte sich. »In seine Nähe zu kommen, wird das eigentliche Problem darstellen, so viel ist klar.«

»Abgesehen von seiner Frau und Eiscreme hat Bismaquer noch eine weitere Schwäche«, bot Cedar an.

Sie schauten sie erwartungsvoll an.

»Drucke. Seltene Drucke. Er hat eine erstaunliche Sammlung – zumindest unseren Informationen zufolge. Und es ist wirklich eine Schwäche. Soweit ich weiß, haben die hohen Tiere in Langley eine der wenigen sauberen Personen verhört, die in den letzten Jahren je die Rancho Bismaquer betreten und auch wieder verlassen haben. Es handelte sich dabei um einen bekannten Händler für seltene Drucke.«

»Wissen Sie irgendetwas über seltene Drucke, 007?« M wirkte zum ersten Mal seit Bonds Ankunft im Büro fröhlich.

»Bisher nicht, Sir.« Bond zündete sich eine weitere Zigarette an. »Aber ich habe das Gefühl, dass ich recht schnell etwas darüber lernen werde.«

»Das Gleiche gilt für Miss Leiter.« M gestattete sich ein seltenes Lächeln, während er nach dem Telefon griff.


SELTENE DRUCKE ZU VERKAUFEN

James Bond war stets von New York erstaunt. Andere Leute sagten, es werde schlimmer und gehe schnell den Bach runter. Sie sprachen davon, wie schmutzig und gefährlich es sei. Doch jedes Mal, wenn Bond im Rahmen eines Auftrags dorthin geschickt wurde, stellte er fest, dass sich New York seit seinem ersten Besuch kaum verändert hatte. Zweifellos gab es mehr Gebäude und – wie in jeder Stadt – mehr Orte, von denen man sich nachts besser fernhielt. Doch er konnte nicht leugnen, dass es ihn als Stadt emotional stärker ansprach als sein geliebtes London.

Dieses Mal war er jedoch nicht als James Bond in New York City. Sein Pass war auf den Namen Professor Joseph Penbrunner ausgestellt, der als Kunsthändler geführt wurde. Cedar Leiter hatte ihren Namen ebenfalls geändert – in Mrs Joseph Penbrunner – und das Paar hatte die Aufmerksamkeit der Medien erregt: Dafür hatten M und sein Stabschef bereits gesorgt.

Am Abend nach Cedar Leiters Ankunft in London hatte Bond sie vom Hauptquartier aus mit in einen geheimen Unterschlupf in einer kleinen Gasse in Kensington genommen, der problemlos von einer Gruppe Kindermädchen überwacht werden konnte, die man ihnen zugeteilt hatte. Bill Tanner war innerhalb einer Stunde eingetroffen, um den beiden einen schnellen Überblick über die Tarnidentitäten zu verschaffen, die man für sie ausgewählt hatte. Da Cedar in der Branche unbekannt war, brauchte sie keine Tarnung, aber Bond würde sich ein paar äußerlichen Veränderungen unterziehen müssen, und Tanner hatte dafür verschiedene Ideen auf Lager.

Tarnung, das wusste Bond nur zu gut, funktionierte am besten, wenn man sie auf ein Minimum beschränkte – eine veränderte Frisur, ein paar neue Eigenarten beim Gehen, Kontaktlinsen, vielleicht Gummipolster in den Wangen, um sie voller wirken zu lassen (diese Möglichkeit wurde jedoch nicht oft benutzt, weil sie Schwierigkeiten beim Essen und Trinken verursachte), eine Brille oder ein anderer Kleidungsstil. Das waren die einfachsten Dinge, und in dieser ersten Nacht erfuhr Bond, dass er mit einem grau werdenden Schnurrbart, einer Brille mit breitem Gestell – und Fensterglas – sowie einer vorsichtigen Ausdünnung und kompletten Graufärbung der Haare ausgestattet werden würde. Außerdem schlug man vor, er solle sich die geduckte Haltung eines Akademikers und eine langsamere Gangart sowie eine recht aufgeblasene Art zu sprechen angewöhnen.

 

In den folgenden paar Tagen fuhr Bond jeden Morgen direkt zu dem Unterschlupf in Kensington, um mit Cedar zu arbeiten.

M schickte einen kleinen, humorlosen Niemand von einem Mann zu ihnen, der ein Experte für Drucke war, besonders für seltene englische Werke. Sein Name wurde nie erwähnt. Der Schnellkurs, den er Bond und Cedar erteilte, verschaffte ihnen zumindest ausreichend oberflächliches Wissen über das Thema.

Innerhalb dieser einen Woche lernten sie, dass es vor Caxtons frühen einfachen Holzschnitten bis zur Mitte des siebzehnten Jahrhunderts keine bedeutenden englischen Drucker gegeben hatte. Die wahre Pracht kam vom Kontinent mit Meistern wie Dürer, Lucas van Leyden und anderen. Sie erfuhren etwas über Holbein den Jüngeren, die ersten englischen Kupferdrucke von John Shute, und dann ging es weiter mit Hollar, Hogarth und seinen Zeitgenossen, über die sogenannte romantische Tradition, bis hin zur Wiederentdeckung und der hohen Kunst des Kupferstechens und Druckens im neunzehnten Jahrhundert.

Am dritten Tag kam M nach Kensington und bat ihren Lehrer darum, sich auf Hogarth zu konzentrieren. Der Grund dafür wurde an diesem Abend enthüllt, als M erneut auftauchte, dieses Mal mit Bill Tanner und einem Paar seiner persönlichen Wachhunde im Schlepptau.

»Nun, ich denke, wir haben es geschafft«, verkündete M, setzte sich auf den bequemsten Stuhl und rümpfte angesichts der Tapete angewidert die Nase. Wie alle sicheren Verstecke des Service besaß der Ort die spärlichen Annehmlichkeiten eines schlechten Hotels.

»Zwei Dinge«, fuhr M fort. »Nena Bismaquer, geborene Clavert, scheint sauber zu sein. Zweitens: Sie, Professor Penbrunner, haben bei gewissen Leuten in der Welt der Kunst keinen guten Stand. Morgen könnte die Presse durchdrehen. Tatsächlich suchen sie gerade jetzt nach Ihnen.«

»Und was genau soll ich getan haben?« Bond war nun eindeutig misstrauisch.

»Nicht viel.« Ms Stimme hatte einen höchst professionellen Tonfall angenommen. »Sie haben eine Reihe bislang unbekannter signierter Hogarth-Drucke entdeckt, ganz ähnlich wie Werdegang eines Wüstlings oder Werdegang einer Dirne. Insgesamt handelt es sich um sechs Werke, die allesamt wundervoll ausgeführt sind und den Titel Werdegang einer Dame tragen. Das wird für ziemlichen Aufruhr sorgen, kann ich Ihnen sagen. Sie wurden voll und ganz für echt erklärt. Sie haben versucht, es geheim zu halten, aber jetzt ist die Katze aus dem Sack. Es geht das Gerücht, dass Sie sie in England gar nicht erst anbieten, sondern sie in die Vereinigten Staaten bringen werden. Das wird im Parlament zweifellos für Fragen sorgen.«

Bond kaute auf seiner Lippe herum. »Und die Drucke?«

»Wunderschöne Fälschungen«, verkündete M strahlend. »Es dürfte sehr schwer sein, das Gegenteil zu beweisen, und sie haben den Service ein Vermögen gekostet. Sie werden morgen hergebracht, und ich werde dafür sorgen, dass die Presse einen Tipp bekommt, kurz bevor Sie nächste Woche nach New York aufbrechen.«

»Da wir gerade vom Aufbrechen sprechen …« Bond führte M von seinem Stuhl weg ins Nebenzimmer, wo sie unter sich waren. Der Auftrag würde anstrengend werden, da sie bis zum letztmöglichen Augenblick weder mit der Hilfe des amerikanischen noch der des britischen Geheimdiensts rechnen konnten – einfach deswegen, weil nur wenige über ihre Anwesenheit oder ihre Aufgabe Bescheid wissen würden.

»Es gibt keine Unterstützung«, begann Bond.

»Sie haben schon zuvor Aufträge ohne Unterstützung erledigt, James.« M wurde milder und benutzte in dieser privaten Umgebung Bonds Vornamen.

»Stimmt. Ich gehe davon aus, dass für meine persönliche Bewaffnung Vorkehrungen getroffen wurden?«

M nickte. Die VP70, Munition und seine Lieblingsmesser sollten in einem Aktenkoffer – in dem sich außerdem die sechs gefälschten Hogarth-Drucke befanden – in ihr New Yorker Hotel geliefert werden. »Die Q-Abteilung hat noch ein oder zwei weitere nützliche Dinge für Sie vorbereitet. Vor Ihrer Abreise wird für Sie eine Technologiesitzung mit Miss Reilly stattfinden.«

»Dann muss ich noch um einen letzten Gefallen bitten.«

»Bitten Sie und er könnte Ihnen gewährt werden.«

»Das Silberbiest.« Bond schaute M direkt in die Augen und bemerkte das zweifelnde Flackern. »Das Silberbiest« war der Spitzname, den die Mitglieder des Service Bonds privatem Auto gegeben hatten – dem Saab 900 Turbo. Der Wagen war sein persönlicher Besitz und die Spezialtechnologie hatte er auf eigene Kosten einbauen lassen. Auf Sticheleien darüber, dass es sich bei dem Fahrzeug um Bonds »Spielzeug« handelte, reagierte 007 nur mit einem höflichen Lächeln. Er wusste, dass Major Boothroyd, der Waffenmeister, ständig um den Wagen herumgeschlichen war, um seine Geheimnisse zu lüften: die versteckten Fächer, die Tränengasdüsen und die neuen Verbesserungen, die erst kürzlich in das kugelsichere Fahrzeug eingebaut worden waren. Sogar Q’utie hatte – zweifellos auf Boothroyds Anweisung hin – versucht, in die Rolle der Mata Hari zu schlüpfen, um Bond die Geheimnisse zu entlocken. Damals hatte Bond ihr lediglich einen spielerischen Klaps auf den Hintern versetzt und gesagt, sie solle sich nicht einmischen. Nun war er kurz davor, das, was sich als seine Rettung herausstellen mochte, in Ms Hände zu geben.

»Was ist mit dem Silberbiest?«

»Ich brauche es in Amerika, Sir. Ich will nicht den öffentlichen Verkehrsmitteln ausgeliefert sein.«

M ließ ein flüchtiges Lächeln aufblitzen. »Ich kann dafür sorgen, dass Ihnen ein Mietwagen zur Verfügung steht – sogar einer mit anständiger Linkssteuerung.«

»Das ist nicht dasselbe, und das wissen Sie, Sir.«

»Und Sie wissen, dass Ihr Saab kein Dienstwagen des Service ist. Gott allein weiß, was Sie in diesem Ding verstecken …«

»Es tut mir leid, aber ich brauche dieses Auto für den Auftrag, Sir«, erwiderte Bond.

M runzelte die Stirn und überlegte. »Ich muss darüber schlafen. Ich gebe Ihnen morgen Bescheid. Dann zog er noch einmal an seiner Pfeife und verließ brummelnd den Raum.

Bond machte sich bezüglich seines Wagens keine allzu großen Hoffnungen, auch wenn er auf einen Sonderbefehl hin in die Vereinigten Staaten reiste. Aber am folgenden Abend erhielt er nach einem langen und gereizten Vortrag von M über den Zustand der Finanzmittel des Service die Erlaubnis. Der Service würde den Saab, wenn auch unter Vorbehalt, in die Vereinigten Staaten transportieren. »Er wird dort bei Ihrer Ankunft auf Sie warten«, erklärte M mürrisch.

Professor und Mrs Joseph Penbrunners Ankunft mit ihrem Saab war in der Tat ein großes Ereignis gewesen. Bond, der seiner Stimme ein pedantisches, pompöses und recht affektiertes Timbre verliehen hatte, wich den Fragen der Presse am New Yorker JFK-Flughafen gekonnt aus: Die Medien waren davon ausgegangen, dass er in Amerika die neu entdeckten Hogarth-Drucke verkaufen würde. Nun, er wolle noch nichts verraten. Nein, er habe noch keinen speziellen Käufer im Sinn. Dies sei ein privater Besuch in Amerika. Nein, er habe die Drucke nicht bei sich, aber ja, sie befänden sich, so viel könne er verraten, bereits in New York.

Insgeheim war der getarnte Bond sehr zufrieden mit dem Tonfall, der auf der lange zurückliegenden Erinnerung an seinen alten Hausleiter während der zwei unglücklichen Halbjahre in Eton basierte. Der Mann war für Bond in allen Belangen eine Nervensäge gewesen, und nun bereitete es ihm große Freude, sich über ihn lustig zu machen. Gleichzeitig sorgte Bond dafür, dass Professor und Mrs Penbrunner in den Abendnachrichten und den Schlagzeilen der Zeitungen landen würden, indem er sich mürrisch und unhöflich gab. Die Medien seien nicht wirklich an Kunst interessiert, sagte er, nur an dem Ärger, den sie aufwirbeln konnten. »Letzten Endes«, fügte er hinzu und zog Cedar durch die Menge, »werden Sie alle sich doch nur für den Preis interessieren. Dollars, Dollars und noch mehr Dollars. Das ist alles, wohinter Sie her sind – der Preis.«