LUNATA
Die Schule der Ehemänner
© 1664 Molière
Originaltitel L’École des maris
Aus dem Französischen von Ludwig Fulda
Umschlagbild Edward Villiers Rippingille
© Lunata Berlin 2020
Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Sganarell
Arist, sein Bruder
Isabella
Leonore, ihre Schwester
Valer
Ergast, sein Diener
Lisette, Leonores Kammermädchen
Ein Kommissar
Ein Notar
Schauplatz: Ein freier Platz in Paris
Erster Auftritt
Sganarell. Arist
Sganarell. Das viele Reden kann uns wenig frommen,
Mein Bruder; jeder leb' auf seine Art!
Obgleich du älter und genug bejahrt,
Um endlich zu Verstand zu kommen,
Sag' ich dir offen, daß mir's ratsam schien,
Mich deinem Gängelbande zu entziehn:
Die Lebensweise, die mich von dir trennt,
Behagt mir, und ich will dabei beharren.
Arist. Doch jeder tadelt sie.
Sganarell. Ja, solche Narren
Wie du.
Arist. Recht schönen Dank fürs Kompliment!
Sganarell. Laß hören – nur der Wissenschaft zulieb –
Was diese Sippschaft dran zu tadeln weiß.
Arist. Dein überspanntes Wesen, die Vermeidung
Gesell'ger Freuden, den bizarren Trieb,
Dich abzusondern, dem mit so viel Fleiß
Du folgst in allem, selbst in deiner Kleidung.
Sganarell. Jawohl, zu Kreuze kriechen vor der Mode
Und mich für andre anziehn, nicht für mich!
Bezweckst du gar mit dieser schönen Ode
Als ältrer Bruder – denn unweigerlich
Hast zwei Jahrzehnte mehr du auf dem Rücken,
Doch das steht hier nicht zur Erwägung –
Bezweckst du, sag' ich, mir die stolze Prägung
Von euren jungen Früchtchen aufzudrücken?
Soll ich wie sie das kleine Hütchen tragen,
Das preisgibt jedem Wind ihr bißchen Hirn,
Den Schwall von falschen Locken, der die Stirn
Des Menschen einem Urwald läßt vergleichen,
Ein Wams, das bei den Ärmeln aufhört, Kragen,
Die schlecht gemessen bis zum Nabel reichen?
Manschetten, die bei Tisch in jede Suppe
Eintauchen, Hosen, weit wie Unterröcke,
Winzige Schuhe, deren Bänderpracht
Den Eindruck plumper Taubenfüße macht,
Gamaschen gar, in die der armen Puppe
Gebein gezwängt wird wie in Schraubenstöcke?
So ausstaffiert und in gespreiztem Schritt
Hinwandelnd, ähnlich einem Federballe,
Dürft' ich gewiß sein, daß ich dir gefalle;
Machst du doch selbst den ganzen Unsinn mit.
Arist. Niemals die große Mehrheit zu befehden
Noch aufzufallen, war ich stets bedacht:
Jedes Zuviel verletzt; mit seiner Tracht
Hält's ein verständ'ger Mann wie mit dem Reden:
Er übertreibt nichts; doch mit Maß und Feinheit
Folgt er dem Brauch der Allgemeinheit.
Obgleich ich nicht wie jene mich gebärde,
Die hinter jeder neuen Mode her
Wettlaufen, voller Angst, daß irgendwer
Bei dieser Jagd sie überholen werde,
So halt' ich doch den schroffen Bruch der Sitte
Für tadelnswert und will in jedem Falle
Mich lieber schau'n in vieler Toren Mitte,
Als weise dastehn einer gegen alle.
Sganarell. Nur setzt der alte Herr noch, um zu blenden,
Ein schwarz Perückchen auf die weißen Haare.
Arist. Warum denn mußt du mir an allen Enden
Unter die Nase reiben meine Jahre?
Warum schärfst du mir täglich ein,
Ich müss' in Schmuck und Freude mich beschränken,
Als ob, verdammt zu liebeleerem Sein,
Das Alter nur noch dürft' ans Sterben denken?
Soll seinen ohnedies geringen Reiz
Nachlässigkeit und Missmut noch vermindern?
Sganarell. Wie dem auch immer sein mag – meinerseits
Lass' ich in meiner Tracht mich nicht behindern.
Der Mode trotzend wähl' ich einen Hut,
Der meinem Kopf ein breites Schutzdach baue,
Ein langes, ungeschlitztes Wams, das gut
Den Magen wärmt, damit er schön verdaue;
Beinkleider, wie sie meinem Wuchse taugen,
Schuhwerk, in dem man nicht vor Schmerzen schreit,
Wie man es weislich trug in alter Zeit,
Und wem's mißfällt, der schließe seine Augen.
(Sie sprechen im Vordergrunde leise weiter miteinander, ohne von den Auftretenden bemerkt zu werden)
Zweiter Auftritt
Vorige. Leonore. Isabella. Lisette
Leonore (zu Isabella). Ich nehm's auf mich; dir soll kein Leid geschehn!
Lisette (zu Isabella). Stets eingesperrt und keinen Menschen sehn!
Isabella. Er ist nun einmal so.
Leonore. Du armes Kind!
Lisette (zu Leonore. Wahrhaftig, Fräulein, seien Sie zufrieden,
Daß die zwei Brüder sich nicht ähnlich sind
Und Ihnen der vernünft'ge ward beschieden!
Isabella. Ein Wunder, daß er heute mich zu Hause
Zurückließ, ohne fest mich einzuschließen.
Lisette. Sie sollten ihn, samt seiner spanischen Krause,
Zum Teufel schicken ...
Sganarell (stößt Lisette zusammen). Mit Verlaub, wohin?
Leonore. Ich weiß noch nicht: wir hatten nur im Sinn,
Des schönen Morgens Frische zu genießen:
Jedoch ...
Sganarell (zu Leonore). Sie mögen gehn, wohin Sie wollen.
Nur immerzu; (auf Lisette deutend) Sie sind ja schon zu zweit.
(Zu Isabella)
Doch dir befehl' ich, dich nach Haus zu trollen.
Arist. Gönn' ihnen doch die kleine Lustbarkeit!
Sganarell. Ergebner Diener!
Arist. Jugend ...
Sganarell. Ist nicht klug,
Und Weisheit kommt nicht immer mit den Jahren.
Arist. Ist ihr nicht Leonore Schutz genug?
Sganarell. Noch sichrer werd' ich selber sie bewahren.
Arist. Doch ...
Sganarell. Doch sie tue, was ich vorgeschrieben,
Solang für sie zu sorgen meine Pflicht.
Arist. Sorg' ich vielleicht für ihre Schwester nicht?
Sganarell. Mein Gott, das halte jeder nach Belieben,
Ihr Vater, unser Freund, hat uns im Sterben
Die Kinder anvertraut, die früh verwaisten;
Wir sollten einmal selber um sie werben,
Wo nicht, für ihr Geschick ihm Bürgschaft leisten,
Und bündige Vollmacht hat er uns verliehn,
Als Bräut' und Töchter beide zu erziehn.
Du hast dir zur Erziehung jene dort
Und ich mir diese vorbehalten:
Bei jener führe du das große Wort!
Doch über sie laß mich gefälligst schalten.
Arist. Mir scheint ...
Sgnnarell. Mir scheint, sofern man einsichtsvoll,
Ist dies die klarste Sache von der Welt!
Du willst, daß sich die Deine putzen soll,
Mir gleich! daß sie Lakai'n und Zofen hält,
Mir recht! daß sie bei müßigem Spazieren
Den Hof sich machen läßt von jungen Herrn,
Mir lieb! jedoch die Meine möcht' ich gern
Nach meinem Kopf erziehn, nicht nach dem ihren;
Will, daß sie ehrbar in Kattun sich kleide
Und nur am Feiertag in Seide;
Daß sie das Haus mir hütet, daß ihr Schaffen
Und Denken nur sich um die Wirtschaft dreht,
Daß sie des Abends meine Wäsche flickt,
Mir zur Zerstreuung Strümpfe strickt
Und weder Umgang pflegt mit jungen Laffen
Noch unbegleitet auf die Straße geht.
Das Fleisch ist schwach; man muß gar manches hören:
Vorm Hörnertragen schütze sich, wer kann,
Und wenn das Glück ihr mich beschert zum Mann,
Will ich auf sie wie auf mich selber schwören.
Isabella. Sie haben, denk' ich, keinen Grund ...
Sganarell. Schweig still!
Wenn du noch einmal ohne mich das Haus ...
Leonore. Mein Herr ...
Sganarell. Mein Fräulein, nicht zu Ihnen will
Ich sprechen; Ihre Tugend ist vollkommen!
Leonore. Verdrießt es Sie, daß ich sie mitgenommen?
Sganarell. Sie wird durch Sie verdorben, frei heraus.
Ihr täglicher Besuch behagt
Mir wenig, und ich wünscht' ihn eingeschränkt.
Leonore. Nun, gleichfalls frei heraus gesagt:
Zwar weiß ich nicht, was sie darüber denkt;
Mir aber wäre solch ein Misstraun unerträglich.
Man nennt sie meine Schwester; doch es gibt
Mir Grund, daran zu zweifeln, wenn sie täglich
Dergleichen duldet und Sie dennoch liebt.
Lisette. 's ist unerhört! Sind wir in der Türkei,
Wo man die Frauen einsperrt, wo Barbaren
Sie zwingen zu gemeiner Sklaverei
Und deshalb insgesamt zur Hölle fahren?
Ja, Herr, es stünde schlecht um unsre Ehre,
Wenn Aufsicht ihr so unentbehrlich wäre.
Und ist, falls wir entschlossen sind, zuletzt
Nicht dennoch alle Wachsamkeit verloren?
Wenn wir uns etwas in den Kopf gesetzt,
Dann machen wir den schlausten Mann zum Toren.
Verschanzt uns noch so toll, es wird nichts nützen;
Es steigert die Gefahr, vor der euch graut:
Ihr seid am sichersten, wenn ihr vertraut,
Und wir, wenn wir uns selbst beschützen.
Gerade dadurch reizt man uns zu Sünden,
Daß man zu eifrig uns davor bewacht,
Und litt' ich eines Ehemanns Verdacht,
Dann hätt' ich große Lust, ihn zu begründen.
Sganarell. (zu Arist). Dies deine Früchte, weiser Pädagog!
Und alles das bringt dich nicht in Erregung?
Arist. Du siehst, daß es zum Lachen mich bewog;
Doch was sie sagte, fordert Überlegung.
Nach Luft und Freiheit dürstet ihr Geschlecht,
Und allzu viel der Strenge schmeckt ihm bitter;
Durch Argwohn und durch Schloß und Gitter
Wird Frauentugend noch nicht echt.
Die Sittsamkeit verbürgt die Treue
Weit sichrer, als es hartem Druck gelingt,
Und ich vermute, daß man's bald bereue,
Sofern man eine Frau zur Tugend zwingt;
Nein, statt bei jedem Schritt ihr nachzuspäh'n,
Soll um ihr Herz man eine Fessel weben.
Ich würde meine Ehre nur mit Beben
In einer Gattin Händen sehn,
Der zur Verletzung ihrer Pflichten
Nichts anderes fehlt als die Gelegenheit.
Sganarell. Gewäsch!
Arist. Mein Grundsatz war es jederzeit:
Man soll die Jugend lachend unterrichten,
Soll nur mit Milde tadeln ihre Schwächen,
Weil man ihr Tugend sonst zum Schreckwort macht.
Bei Leonoren hab' ich dies bedacht
Und nahm nicht kleine Launen für Verbrechen:
Niemals versagt' ich, was dem Kind gefiel,
Und hatt' es, Gott sei Dank, nicht zu bereuen.