Jasmina und die Sache mit Hartz IV

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Jasmina und die Sache mit Hartz IV
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Jasmina Marks

Jasmina und die Sache mit Hartz IV

Wenn das Weiterlaufen zur Herausforderung wird

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorneweg

Das Übel an sich

Der Ursprung allen Übels

Wo bitte ist der Ausgang aus dem Elend?

Genickbruch

Den Kopf wieder richtig aufsetzen

Noch mal von vorne anfangen

Totales Durcheinander

Immer wiederkehrender Mist

Noch nicht genug …

Wer drückt ständig auf „repeat“?

Schnauze voll jetzt!

Der Ausweg, genau …

Ist jetzt gut?!

LMAA – leck mich am …

So sei es!

Nachklapp

Lesetipps

Impressum neobooks

Vorneweg

„Ich kann, weil ich will, was ich muss.“

Immanuel Kant

Das Übel an sich

Wenn der Tag schon so beginnt …

Manchmal möchte man sich ja wirklich verkriechen, dieses Dasein einfach wegwischen und aufhören, zu existieren. Was die Leute immer denken, wenn es um die sogenannten „Sozialschmarotzer“ geht, ist eigentlich nicht auszuhalten. Ob die wohl wissen, wie das ist? Wohl eher weniger, wie man sieht.

Als ich heute Morgen aufgestanden bin, war schon der Wurm drin. Mein Sohn hat Ferien, weshalb es nicht nötig ist, sich wie sonst üblicherweise noch vor sieben Uhr aus dem Bett zu schälen. Dass ich aber so verschlafen habe und es inzwischen kurz vor 9 ist, erschreckt mich dann doch. Hoch mit dir, aber flott jetzt. Taumelnd und noch durcheinander verschwinde ich im Badezimmer und hoffe, unter dem Strahl heißen Wassers, wieder wach zu werden. Mist aber auch, dabei muss ich doch noch so viel regeln!

Schnell den Wasserkocher angeschmissen, erstmal Kaffee kochen. Provisorisch den alten Filtertütenhalter der Kaffeemaschine auf ein Litermaß postiert (weil er sonst nirgendwo drauf passt) und die Thermoskanne rausholen. Da geht es ja schon los. Die alte Maschine habe ich vor mehr als 10 Jahren geschenkt bekommen von jemandem, der sich eine neue gekauft hat und diese nicht wegschmeißen wollte. Dankbar habe ich sie angenommen und nun hat sie ihren Dienst eingestellt. Eine Neue kaufen? Geht nicht, wovon denn bitte schön?

Egal, wir sind ja nicht auf den Kopf gefallen und finden schon eine Lösung! Funktioniert ja auch, sieht nur etwas komisch aus, aber es gibt weitaus Schlimmeres. Zum Beispiel ist wesentlich schlimmer, dass am Fahrrad meines Sohnes das Licht kaputt ist. In der dunklen Jahreszeit wirklich unverantwortlich. Dankbar, dass gerade noch Ferien sind und ich ein paar Tage Zeit zum Jonglieren habe, dachte ich zumindest, denke ich widerwillig daran, welcher Weg mir gleich bevorsteht. Gestern Abend nämlich war mein Kind trotzdem mit seinem Rad unterwegs und ich habe bibbernd zuhause gesessen und gebetet, dass er heile wiederkommt. Den Termin, den er hatte, habe ich völlig vergessen und mich in Sicherheit gewähnt – war wohl nichts! Wie gefährlich das ist und wie wenig Autofahrer einen unbeleuchteten Radfahrer erkennen können, weiß ich aus eigener Erfahrung. Auch, dass ich mich selbst immer sehr darüber geärgert, oft sogar erschrocken habe, wenn da so ein Mensch in der Dunkelheit, ungeschützt und nur schwer zu erkennen, meine Motorhaube kreuzt und ich ein Stoßgebet zum Himmel schickte, den Wagen abzubremsen, sofort und auf der Stelle!

Mir wird schlecht bei dem Gedanken, dass ich nun in der umgedrehten Position bin. Das Gespräch noch im Ohr, das mir signalisierte „du bist echt unverantwortlich – schäm dich“! Vor Erleichterung war ich nämlich zur Tür geeilt, nachdem ich den Schlüssel im Schloss sich drehen hörte.

„Mensch, jetzt musstest du ja doch ohne Licht fahren!“

„Mama, du weißt schon, wenn die Polizei mich erwischt, kostet das 40,00 Euro Strafe und drei Punkte in Flensburg. Die kriege aber nicht ich, sondern du!“

Ja, geknickt drehe ich mich um und verkrieche mich in meinem Zimmer. So war das doch gar nicht gemeint – ich dachte doch, ich hätte noch ein paar Tage Zeit. Morgen also sofort zur Bank fahren und Geld holen, muss doch noch was da sein, oder nicht?

Irgendwas in mir klingt dumpf nach, bei diesem Gedanken. War es nicht die letzten Male schon so gewesen, dass ich eine Einkaufsliste, gefüllt mit „must have“ - Sachen (darunter auch eine Leuchte fürs Rad), im Geiste mit mir führte und dann der entsetzte Blick auf den Kontostand mich dazu zwang, unverrichteter Dinge wieder kehrtmachen zu müssen? Viel deutlicher jedoch in meinem Hirn eingebrannt war, dass ich mich nicht noch einmal diesem Disaster von vor Kurzem ausgeliefert sehen wollte. Als ich dastand und schon von Zuhause aus die Zustimmung meiner Filiale eingeholt hatte, dass ich noch 20,00 Euro abholen darf, was schon erniedrigend genug ist, wenn man wegen einer so geringen Summe betteln muss. Dummerweise ist das in der hiesigen Zweigstelle nicht so ganz angekommen, da sich die entsprechende Email nicht finden ließ. Der Raum zum Geldabheben ist offen, die Kundenbetreuer gucken einem fast über die Schulter und so etwas wie eine Diskretionslinie macht überhaupt keinen Sinn, wenn die Klangwellen ein außerordentlich breites Volumen annehmen können. Was jeden gesangsfreudigen Chor zu wahren Jubelstürmen veranlasst habe würde, ließ mich entgegen dieser Frohstimmung genau das Gegenteil fühlen. Irritiert hatte der Mitarbeiter die Nachricht gesucht, aber nicht finden können und zum Telefon gegriffen. Dumm nur, dass wirklich jeder mithören kann hier und ärgerlich, dass es auch jeder tut!

„Ja, hallo. Ich wollte nur fragen, darf Frau Marks noch 20,00 Euro haben? Ja – alles klar, bis dann!“ Entsetzt stehe ich da, das passiert doch jetzt nicht grade wirklich! Was wäre ich froh gewesen, wenn er wenigstens ein bisschen die Stimme gesenkt hätte oder in einem Nebenraum verschwunden wäre. Doch gerade weil er das nicht getan hat, hatte es den Touch von etwas Respektlosem unsereinem gegenüber. Mangelnder Takt vielleicht? Er legt auf, grinst mich blöde an und sagt so etwas von „kein Problem“. „Kein Problem?!“, denke ich und möchte am Liebsten spontan einer Unsichtbarkeit anheimfallen. Eben dieses Grinsen setzt dem Ganzen dann doch noch die Krone auf.

Letztendlich aber bin ich es gewohnt, solche Situationen, die, Menschen wie mich, entwürdigen. Klar ist offensichtlich, dass es einem schon echt mies geht, wenn man wegen 20,00 Euro eine Erlaubnis einholen muss. Aber verdienen denn nur die Achtung, die sich die Hunderter lose in die Taschen stopfen können?

Dran gewöhnen kann ich mich an solche Umgangsformen überhaupt nicht. Das an meiner Stirn festgetackerte Schild, das mich in die unterste Kategorie von Mensch manifestiert, nervt mich. Ich möchte es abreißen, aber bis dahin ist der Weg noch lang, leider!

Vor meinem geistigen Auge zieht noch vorbei, wie ich mich bei meinen Lesungen öffentlich präsentiert habe und wie man mir dort begegnet, mit Respekt. Schräg eigentlich, wie wenig eine so entblößende Lage wie die eben durchlebte damit vereinbar ist. Ob dieser Mensch mich vielleicht anders behandelt haben würde, wenn er wüsste, dass er hier jemanden vor sich stehen hat, dem ein winziges bisschen Achtung nicht schaden würde, womöglich sogar zustand? Sinnlos, darüber nachzudenken, ganz ehrlich! Augen zu und durch mit dem Wissen, dass die so hart erkämpften 20,00 Euro nicht mal ansatzweise das abdecken, was ich eigentlich bräuchte!

Bevor ich das Risiko einer solchen Situation noch mal auf mich nehme, halte ich lieber die Klappe und werde jegliches „Betteln“ unterlassen. Dann haben eben tausend Abbuchungen und was auch immer das Konto geschröpft … knurrenden Magens schnell davonschleichen und schon mal den Inhalt des überschaubar gefüllten Kühlschrankes sondieren. Etwas muss sich daraus noch machen lassen, muss ganz einfach!

Schon innerlich mit Widerwillen aufgeladen ob dieser Erinnerung, fasse ich mir heute Morgen dann ein Herz und rappel mich auf, der Weg zur Bank unausweichlich. Eilig habe ich es nicht und radele gelassen vor mich hin. So wirklich will ich es gar nicht wissen, stelle ich fest, denn irgendetwas in mir sagt unmissverständlich, dass mein zur Verfügung stehendes Geld bereits futsch ist. Um nicht fassungslos nach dem endlos scheinenden Rattern des Kontoauszugsdruckers dazustehen, lege ich mir eine Strategie zurecht. Ermahne mich, dann einfach ganz gelassen tuend durch die Ausgangstür zu treten und mich so zu geben, als hätte ich auch nichts anderes erwartet. Da sich in unmittelbarer Nähe mehrere Einkaufscenter befinden, nehme ich mir vor, wenigstens schon mal Informationen einzuholen über so eine Leuchte zur Selbstmontage.

 

Der Moment ist da und wie erwartet, schmeißt dieses Gerät unaufhörlich eine Seite nach der anderen raus. Bei dem, was der alles druckt, kann unmöglich noch Geld da sein. Und so ist es auch! Die Niedergeschlagenheit schlucke ich runter und wende mich dem Automaten zu, der mir noch 25,00 Euro anbieten kann. Ob es noch weitere Abbuchungen geben wird, bis die nächste Zahlung in ein paar Tagen eingeht, am Ende der Woche um genau zu sein und heute ist Dienstag, kann ich nicht mehr sagen, muss mir auch egal sein, in diesem Augenblick. Ein Toastbrot und zwei Liter Milch, eine Packung Schinkenwurst muss ich haben … heute und nicht erst am Freitag. Raten, die von fiesen Schulden herrühren, muss ich zwingend überweisen, egal wie. Dann ist es eben so – jetzt!

Wenig später schleiche ich durch die Regale des Supermarktes auf der Suche nach Lichtern. Mein Bauch rumort und fordert von mir, die Kundentoilette aufzusuchen. Umgehend! Der entnervte Blick folgt der Beschilderung und ich gehorche. Mein Kopf will meinen Körper zur Ruhe zwingen und wenige Minuten später stehe ich wieder vor dem Zubehör für Fahrräder. Die nächste Klatsche folgt, mir fehlen nämlich genau 6,00 Euro, um diese verdammte Lampe kaufen zu können. Unbeteiligt verlasse ich das Geschäft und gehe zum gegenüberliegenden Baumarkt. Hier finde ich aber erst gar nicht, wonach ich suche, weil ich viel zu aufgewühlt bin und mich das Bollern im unteren Bauchbereich zwingt, das Weite zu suchen und heimatliche Gefilde anzusteuern – sofort!

Dass ich ein Jonglierspiel vor mir habe, hoffen und bangen muss, nein – ein flehentliches Gebet zum Himmel schicken sollte, dass wenigstens zum Wochenende der so dringend benötigte Betrag verfügbar sein möge, ohne bettelnd am Kundenschalter stehen zu müssen, gefällt mir überhaupt nicht. Wieder in meiner Wohnung angekommen, die ich erst vor knapp vier Monaten bezogen habe, bin ich froh, mich vor meinen Rechner hocken zu können … meine Nase, fern ab der Realität, die mir grade schwer im Nacken sitzt, in Manuskripten versenken kann.

Wie genau bin ich letztlich in diese bescheuerte Lage gekommen – mal Revue passieren lassen … und im Grunde überhaupt keine Lust drauf, weil es mir so vorkommt, als wäre es eine nicht enden wollende Aneinanderreihung meines irdischen Scheiterns, gepflastert von etlichen Versuchen, meine Lage zu verbessern … die aber leider nur ein Zeugnis meines allumfassenden Versagens sind.

Dennoch schaue ich mal … was Schuld daran ist, dass es so ist, wie es ist!

Der Ursprung allen Übels

Eigentlich will ich nicht und doch kann ich mich nicht drücken. Ich bin deswegen so unmotiviert, weil es so wenig Sinn macht, verlorenen Dingen hinterher zu heulen. Dass meine Kindheit und Jugend bis zum Alter von 27 Jahren gepflastert war von Grausamkeit und Gewalt, darf und sollte keine Rolle mehr spielen, tut es auch nicht. Der Gedanke allerdings, dass die Dauer des Schreckens weit mehr als die Hälfte der Zeit in Beschlag genommen hat, die ich hier überhaupt auf Erden rumlaufe, stimmt mich dennoch nachdenklich, aber nun gut. Gerade deshalb liegen darin die Wurzeln begraben, dass mir heute die beruflichen Grundlagen fehlen. Nichts vorhanden ist, auf dem man aufbauen könnte und ich mit anderen Worten „ungelernt“ dastehe. Mein Hintergrund unzuverlässig und desorientiert aussieht und letztendlich nichts anderes als Hilfs- oder Putzarbeiten übrig bleiben. Allem anderen muss ich mich aufgrund fehlender Referenzen geschlagen geben – na klasse!

Als Kind war ich eingeschlossen, in einem kleinen Raum. Warum das so war, habe ich lange genug ausgebreitet und belastet mich nicht mehr, weil es verarbeitet ist. Manchmal allerdings kommt es mir so vor, als wäre eben das ausschlaggebend dafür, warum es mich so glücklich macht, meine Zeit vor dem heimischen Rechner zu verbringen, und meinen seelischen Ergüssen freien Lauf zu lassen. Die Welt da draußen, wenn ich meine Wohnung verlassen muss, gibt es zwar und es gibt viele Tage, an denen tue ich das auch wirklich gerne, aber meistenteils, das gebe ich zu, finde ich es bei mir am Besten. Schwer, unsagbar schwer – aus der Tür zu gehen. Dämlich eigentlich, auch wenn ich damit umgehen kann, keine Frage! Es bricht mir nicht das Herz, wenn ich es trotzdem tun muss. Die Zeiten sind vorbei, kehren in dem Maße auch nicht wieder zurück. Jene Phasen, in denen ich noch nicht einmal zum Einkaufen das Haus verlassen konnte, ohne panikartige Regungen meines Bauches durchleben zu müssen, sind lange passé. Ein Abklatsch davon holt mich auch heute noch ein, so hin und wieder, wenn der Druck so hoch ist, wie gerade jetzt. Allerdings gehe ich anders damit um. Anstatt mich niederzwingen zu lassen und dem unterzuordnen, bleibe ich ruhig, reagiere gelassen und lege es als „kurzfristig etwas überanstrengt“ ad acta – fertig aus!

Zurück zu der Lebensphase, in der sich der „normale“ Mensch damit befasst, wohin er beruflich möchte. Die Prägung als auch die äußerst erniedrigende Ausgangslage, sprich mein Elternhaus, führte mich in ein wiederkehrendes Versagen. Nichts wollte mir gelingen, nirgendwo konnte ich Fuß fassen und rein von außen betrachtet, kriegte ich tatsächlich rein gar nichts auf die Reihe. Anfangen und dann doch wieder abbrechen – super Sache! Wirft ein mieses Bild, das bis heute noch sichtbar ist – Mist aber auch!

Mein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg ist zwar da, auch erfolgreich abgeschlossen, wenigstens ein Zeugnis in den Händen, aber leider sowas von nutzlos, wenn es einsam und allein auf weiter Flur dasteht und kein Studium gefolgt ist. Naja gut – da war ja ein Studium, aber schon wieder abgebrochen. Warum? Wer will das denn wissen? Niemand, zumindest möchte die Antwort keiner wirklich hören. Die Antwort, welche da lauten müsste, dass ich auch als junge Erwachsene, selbst schon Mutter und längst dem elterlichen Haus entflohen, dennoch den tätlichen Übergriffen ausgeliefert war.

Psychisch labil – das war ich auf jeden Fall. Ich habe heute aber auch keine Lust mehr darauf, diesem schrecklichen Weg noch immer Aufmerksamkeit zu schenken, indem ich ihn immer wieder als Rechtfertigung angeben muss. Irgendwann ist auch mal Schluss! Ich habe Bücher darüber geschrieben, mein Leben preisgegeben und sehe nicht ein, dass mein berufliches „Auf-die-Beine-kommen“ davon beeinflusst wird! Was ich auch tue, ich kann das nicht unterbinden, leider! Also habe ich mich zu beugen. Blöde irgendwie! Denn die Gesellschaft, also die potenziellen Arbeitgeber da draußen wollen das wissen, wie das sein kann, dass eine Frau Anfang 40, ohne Lehre dasteht und nach einem Job zu greifen versucht, für den sie keine Ausbildung hat, also nicht qualifiziert ist. Geh doch putzen, Mädchen! Ja, danke – habe ich auch lange genug getan. Will ich aber nicht mehr! Weil ich mir zu fein bin? Nein, das ist es nicht. Ich fühle mich erniedrigt, das wiegt weit mehr auf meiner Seele, aber nun gut! Also doch zu fein … grrrr!

Die Jahre, die ich damit zugebracht habe, mich aufzurichten und aus dem Elend wieder aufzustehen, vergingen mit Hartz IV. Tolle Sache – man wird von vorne bis hinten kontrolliert, entblößt und als minderwertig angesehen. Regelmäßig sind die Konto-Auszüge der letzten drei Monate einzureichen, eventuell vorhandene Sparbücher offen zu legen und im Grunde steht man nackt da – irgendwie zumindest! Man bekommt Schulungen aufgedrückt, ob nun sinnvoll oder zweckmäßig nicht in jedem Fall relevant, und erhält die notwendige Unterschrift für die Weiterbewilligung nur dann, wenn man diese antritt, am Besten morgen schon. Ansonsten keine Unterschrift – keine Unterschrift bedeutet dann auch, kein Geld!

Als man mich vor etlichen Jahren in ein „Modul“ zwängte, für mehrere Wochen, wo es darum ging, jenen, die nicht hoch kommen, Hilfestellung zu bieten, fühlte ich mich leicht deplatziert. Das wöchentliche Programm war von Montag bis Freitag festgelegt und sich wiederholend. Je nachdem, an welchem Tag man halt dazustieß, eben von heute auf morgen, durfte man an der Gruppe teilhaben. Kannte man den Vortrag aber schon, durfte man sich in einem Nebenraum an den bereitstehenden Rechnern langweilen. Einer dieser „Vorträge“ war der einer Frau, die vehement dafür eintrat, sich an eine Zeitarbeitsfirma zu wenden und dass es sowas von klasse sei, für solche zu arbeiten. Dass der Lohn für dieselbe Tätigkeit der anderen Kollegen weniger war, ist nicht weiter tragisch. Wir bewegen uns auf einem Level, da habe ich nicht zu hinterfragen, sondern bin verpflichtet anzunehmen, was sich mir bietet. Schließlich bin ich wer, der der Gesellschaft zur Last fällt.

Was mich persönlich störte, war weniger der Umstand an sich, dass sie eine Zeitarbeitsfirma als auch deren Vorgehen verständlich machen wollte, sondern vielmehr ging mir ziemlich quer ab, wie sie das tat. Als säßen da alles absolute Vollidioten vor ihr, die kein eigenes Denkvermögen haben und erstmal ordentlich „auf Trapp“ gebracht werden müssen. Von Glorie umgeben stand sie da und präsentierte sich selbst durchaus als herausragend. Sie nahm sich einzelne Teilnehmer vor, die sie wahllos herauspickte. Vor allen anderen sollten diese dann ihren Lebensweg entblößen, was ihr nur wieder die Gelegenheit gab, das Scheitern und Versagen aber mal so richtig detailliert darzulegen. Ob ich an dieser Stelle noch erwähnen sollte, oder gar muss, dass ich da nicht mitmachte? Wieder mal negativ auffiel, weil ich mich weigerte, die vorgeführte Gehirnwäsche zu durchlaufen. Bei meiner Lebensgeschichte als auch den Hintergründen absolut indiskutabel, mich vor mir fremden Menschen zu entblößen – taktisch unklug! Muss man denn ständig unter die Nase gerieben bekommen, dass man am A… ist? Danke, das weiß ich auch so – sonst würde ich hier nicht sitzen!

Ein anderes Mal wurde die zugrunde liegende Gesetzeslage ausführlich erörtert. Was ich als Nutznießer dieses Systems für Auflagen zu erfüllen habe. Ja, schon klar! Satzungen wie die Mitwirkungsverpflichtung sind mir geläufig und sich damit mal zu befassen, macht schon Sinn. Bitter aufstoßen tut es dennoch, weil man erneut sich der Lage stellen muss, dass man unterste Stufe ist! Ob man auch Rechte hat, stand nicht zur Diskussion … die Würde des Menschen ist? – Ja, das ist hier die Frage!

Mal abgesehen davon, dass man drei Wochen mit diesem Schwachsinn zuzubringen hatte und man lediglich eine Woche lang davon, täglich den Stunden folgen konnte, den Vorträgen also. Ansonsten saß man seine Zeit vor dem Computer ab. Da die Stellenanzeigen nun nicht täglich um etliche Angebote erweitert wurden, was der ländlichen Region zuzurechnen ist, war es entsetzlich langweilig, keine Frage. Mehr noch, die Zeit, die ich dort zubringen musste und vor mich hindümpelte, verging damit, dass ich mich ernsthaft mit der Zweckmäßigkeit dieses Kurses auseinandersetzte … so ganz habe ich das bis heute nicht verstanden, aber nun gut! Die, die abgesondert wurden, weil sie Deutsch lernen sollten, blieben sich selbst überlassen und niemand kümmerte sich oder half ihnen. Dazu hätte es wen gebraucht, der deren Muttersprache versteht, um ihnen etwas nahebringen zu können. Mal abgesehen davon, dass sie mit uns den Raum teilten und so etwas wie in Ruhe arbeiten aufgrund der herrschenden Lautstärke unmöglich war. ERROR – würde ich sagen und zwar auf ganzer Linie! Aber ich hatte wenigstens die Unterschrift für die Weiterbewilligung, sah es aber nicht ein, mich noch länger zu solchen „Schulungen“ nötigen lassen zu müssen. Hätte ich ein Modul für Büroarbeiten oder so belegen dürfen, keine Frage. Oder etwas, das mir eine berufliche Grundlage bieten kann, um raus zu kommen, eine Anstellung zu finden – sofort, ebenfalls kein Thema. Aber so – fand ich das ziemlich schwachsinnig!

Noch heftiger wird es, wenn man infolgedessen dann als mutmaßlicher Totalverweigerer zum Amtsarzt geschickt wird, was als Abschreckung dienen soll. Man gesagt bekommt, „was auch immer du simulierst, dort kommt es raus! Und dann haben wir dich, dann ist Ende der Fahnenstange!“ Man ahnt beinahe das diabolische Grinsen und kann das Händereiben schon in den Ohren hören, das einsetzt, wenn rechtmäßig Kürzungen wegen mangelnder Mitarbeit endlich möglich werden. Der Traum eines jeden Menschen, der wirklich gebrochen und völlig überfordert nicht weiß, wie er sein Leben auf die Reihe bringen soll! Albtraum trifft es da wohl eher … kenne ich, habe ich auch schon durch. Auch wenn die Ärztin dort wirklich verständnisvoll war und den Durchblick hatte. Ich ihr bis heute dankbar bin, dass sie erkannte, wie wenig ich unter diesen Bedingungen funktionieren konnte. Aber danach halt als „erwerbsunfähig“ dazustehen und noch unter Hartz IV auf Sozialgeld angewiesen zu sein, ist nicht prickelnd. War aber für etliche Jahre der einzige Weg, der mir blieb.

 

Glücklicherweise bekam ich nach diesem Debakel eine wirklich liebenswerte Fallmanagerin zugewiesen, der es absolut nicht schwerfiel, mich zu respektieren und mir Achtung zuteilwerden zu lassen. Davon ist so vieles abhängig, kaum in Worte zu fassen.

Das wäre ja auch so eine Sache, wenn es Schulungen betrifft. Würde man sich dort den Menschen nähern auf einer Ebene, die vermittelt, wo sind deine Stärken, und wo deine Schwächen, was kannst du, und wie kriegen wir dich da hin? Wo es dir freigestellt ist, ob du der Gruppe von dir erzählen möchtest und man dir die Zeit lässt, dich in ihr zu finden. Voraussetzung dafür sollte aber sein, dass nicht täglich die Teilnehmer wechseln und man einander auch kennenlernen kann. Denkbar wäre unter Umständen sogar, dass man auf einer solchen Grundlage lernt, wie man auf andere wirkt und an sich arbeiten kann, um eben das dahingehend zu verbessern, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen zu können. Module, die den Spieß quasi umdrehen und vielleicht auch Menschen mit ähnlichem Bildungshintergrund vereinen oder aber so konzipiert sind, dass die Stärkeren den Schwachen helfen. Man irgendwie das Gefühl vermittelt bekommt: „Mensch, dir geht’s grade nicht so klasse, aber du bist dennoch was wert und wir finden einen Weg.“ Etwas, das Hoffnung vermittelt oder wenigstens Auftrieb signalisiert und nicht so auf das Versagen ausgerichtet ist. Naja – so halt …

Zurück zu mir. Ob ich mich dafür schäme, solange auf unterster Stufe gestanden zu haben? Nein, nicht wirklich. Es ging nicht anders, war sonst nicht zu regeln. Zu der Zeit war ich ständig betreut vom sozialpsychiatrischen Dienst als auch regelmäßig in einer Beratungsstelle vom Bistum zu Gast, und zwar über Jahre hinweg konsequent als auch konstant. Als völlig aus dem System knallend dazustehen, hebt zwar das Selbstwertgefühl nicht unbedingt an, verschaffte mir aber die Luft zum Atmen, die ich brauchte. Wie soll ich denn einen beruflichen Alltag als Alleinerziehende bewältigen, was auch seine Aufmerksamkeit fordert, wenn zeitgleich mein Ich am Boden liegt? Schwer zu meistern und für einige von denen da draußen womöglich sogar nicht nachvollziehbar. Ich konnte ja nicht einmal einkaufen gehen, ohne heftige Magenkrämpfe, geschweige denn mich in der Dunkelheit draußen bewegen. Wenn jeder Schritt außerhalb der Wohnung zur nervlichen Tortour wird, dann ist das Leben alles andere als lebenswert!

Aus meiner Sicht war es der einzige Weg, den ich damals gehen konnte. „Posttraumatische Belastungsstörung“ nennt sich so etwas, ein dehnbarer Begriff irgendwie und doch zutreffend. Geplagt von Nachklängen, die quälen und alles innerlich erschüttern, einen das Erlebte wieder und wieder durchmachen lassen und ein Abschalten per Knopfdruck nicht machbar ist. Die Folgen davon den Alltag dominieren und man als Bündel voller Angst und Verzweiflung froh ist, jeden Tag ohne neuerliche Angriffe zu überstehen. Man dann noch Stärken mobilisieren muss, um die noch viel furchtbareren Nächte hinter sich zu bringen. Man gleichzeitig den Anforderungen und der Verantwortung als Mutter nachkommen will. Um einen über so viele Jahre währenden psychischen Terror, einen, mit dem ich aufwuchs, irgendwie in Bahnen zu lenken, in denen er die Klappe hält, Mensch noch mal, braucht es Zeit - damit er mich in Ruhe lässt und mir einen würdigen Alltag gestattet.

Das ist nämlich genau das Problem an der Sache, dass man selbst so sehr beladen mit Schuld und noch viel schwerwiegender Scham durch sein Dasein schleicht, stets mit gesenktem Haupt und die Erniedrigung schon vor sich herträgt frei nach dem Motto „Ich ergebe mich! Bitte schlag mich nicht – ich weiß ja, dass ich nichts tauge“ – ist doch zum Kotzen, ganz ehrlich! Aber man fühlt so, man empfindet so und kann rein gar nichts dagegen tun, glaubt man. Was allerdings noch viel mieser ist an so einer Lage, sind die Reaktionen der Menschen um einen herum. In deren Gesichtern kannst du es ablesen, wieder und wieder, wie wenig man dich für voll nehmen kann und dass man besser Abstand zu dir halten sollte. Etliche von denen machen daraus keinen Hehl und lassen es dich und alle anderen um dich herum auch wissen. Den Ruf, „einen an der Waffel“ zu haben, hat man schneller weg und eilt einem zumeist schon um Kilometer voraus, bevor man selbst ihn überhaupt wahrgenommen hat. Wer dann noch behauptet, das ist doch alles ganz easy und entspannt bleiben kann, der lügt – in so einer Verfassung bricht jeder und erst recht dann, wenn er vollkommen alleine dasteht und niemanden hat, der dich schützend in den Arm nimmt und an dich glaubt – Ende der Fahnenstange, aber diesmal wirklich!

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