Stolz und Vorurteil

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Stolz und Vorurteil
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Stolz und Vorurteil

Jane Austen

Inhaltsverzeichnis

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

13. KAPITEL

14. KAPITEL

15. KAPITEL

16. KAPITEL

17. KAPITEL

18. KAPITEL

19. KAPITEL

20. KAPITEL

21. KAPITEL

22. KAPITEL

23. KAPITEL

24. KAPITEL

25. KAPITEL

26. KAPITEL

27. KAPITEL

28. KAPITEL

29. KAPITEL

30. KAPITEL

31. KAPITEL

32. KAPITEL

33. KAPITEL

34. KAPITEL

35. KAPITEL

36. KAPITEL

37. KAPITEL

38. KAPITEL

39. KAPITEL

40. KAPITEL

41. KAPITEL

42. KAPITEL

43. KAPITEL

44. KAPITEL

45. KAPITEL

46. KAPITEL

47. KAPITEL

48. KAPITEL

49. KAPITEL

50. KAPITEL

51. KAPITEL

52. KAPITEL

53. KAPITEL

54. KAPITEL

55. KAPITEL

56. KAPITEL

57. KAPITEL

58. KAPITEL

59. KAPITEL

60. KAPITEL

61. KAPITEL

Impressum

Public Domain

(c) zeilenPunkt

1. KAPITEL

Es ist eine Wahrheit, über die sich alle Welt einig ist, daß ein unbeweibter Mann von einigem Vermögen unbedingt auf der Suche nach einer Lebensgefährtin sein muß.

Welcher Art die Gefühle und Wünsche eines solchen Mannes im übrigen auch immer sein mögen, diese Wahrheit hat eine so unumstößliche Geltung, daß er schon bei seinem ersten Auftauchen von sämtlichen umwohnenden Familien als rechtmäßiger Besitz der einen oder anderen ihrer Töchter angesehen wird.

»Mein lieber Bennet«, sprach eines Tages Mrs. Bennet zu ihm, »hast du schon gehört, daß Netherfield Park endlich einen Mieter gefunden hat?«

Mr. Bennet erwiderte, er habe es noch nicht gehört.

»Trotzdem ist es so, wie ich sage«, beharrte Mrs. Bennet. »Mrs. Long war gerade hier und hat es mir erzählt – Willst du denn nicht wissen, wer der neue Mieter ist?« fuhr sie mit ungeduldiger Stimme fort.

»Du willst es mir doch gerade erzählen, und ich habe nichts dagegen.«

Einer deutlicheren Aufforderung bedurfte es nicht.

»Also, Mrs. Long erzählte, daß Netherfield von einem sehr wohlhabenden jungen Mann aus Nordengland gepachtet wurde. Er kam letzten Montag im Vierspänner an, um das Haus zu besichtigen, und er war so entzückt davon, daß er sogleich mit Mr. Morris abschloß. Noch vor Michaelis will er einziehen, und seine Dienerschaft soll zum Teil schon Ende dieser Woche herkommen.«

»Wie heißt er denn?«

»Bingley.«

»Verheiratet?«

»Aber nein! Unverheiratet! Natürlich unverheiratet! Ein steinreicher Junggeselle, mit vier-oder fünftausend Pfund im Jahr! Welch ein Glück für unsere Kinder!«

»Wieso? Wieso für unsere Kinder?«

»Du bist aber auch zu langweilig, mein Lieber. Verstehst du denn nicht, daß er vielleicht eine unserer Töchter heiraten wird?«

»Kommt er deshalb hierher?«

»Deshalb? Was redest du da? Unsinn! Aber es ist doch sehr gut möglich, daß er sich in eine von ihnen verliebt; und daher mußt du ihm einen Besuch machen, sobald er eingezogen ist.«

»Weshalb denn? Du kannst ja mit den Mädchen hinübergehen. Oder besser noch, du schickst sie allein; denn da du noch ebenso gut aussiehst wie jede von deinen Töchtern, würde sich Mr. Bingley vielleicht gar dich aus dem Schwarm aussuchen.«

»Ach, du Schmeichler. Gewiß, ich bin einmal recht schön gewesen, aber jetzt bilde ich mir nicht mehr ein, irgend etwas Besonderes vorzustellen. Wenn eine Frau fünf erwachsene Töchter hat, tut sie gut daran, alle Gedanken an ihre eigene Schönheit fallen zu lassen. Du mußt aber unbedingt Mr. Bingley aufsuchen, sobald er unser Nachbar ist.«

»Ich gebe dir heute nur die Versicherung, daß ich es dir nicht versprechen kann.«

»Aber denk doch an deine Töchter! Denk doch an die gesellschaftliche Stellung, die es für eine von ihnen bedeuten mag! Sogar Sir William und Lady Lucas sind fest entschlossen, ihm nur deshalb einen Besuch zu machen; du weißt, wie wenig sie sich sonst um Neuankömmlinge kümmern. Du mußt unter allen Umständen hingehen; denn wie sollen wir ihn besuchen können, wenn du es nicht zuerst tust?«

»Du bist viel zu korrekt; ich bin überzeugt, Mr. Bingley wird sich sehr freuen, euch bei sich begrüßen zu dürfen. Ich kann dir ja ein paar Zeilen mitgeben und ihm aufs herzlichste meine Einwilligung zusichern für den Fall, daß er sich eine von meinen Töchtern aussuchen und sie heiraten will. Für meine kleine Lizzy will ich dabei ein besonders gutes Wort einlegen.«

»Ich will sehr hoffen, daß du nichts dergleichen tust. Lizzy ist nicht einen Deut besser als die anderen. Im Gegenteil, ich finde sie nicht halb so hübsch wie Jane und nicht halb so reizend wie Lydia. Aber du mußt sie ja immer vorziehen.«

»Du hast recht. Wirklich empfehlen könnte ich keine von ihnen«, erwiderte Mr. Bennet. »Sie sind albern und unwissend wie alle jungen Mädchen; nur Lizzy ist wenigstens etwas lebhafter als ihre Schwestern.«

»Aber hör mal, wie kannst du deine eigenen Kinder so herabsetzen! Es macht dir offenbar Spaß, mich zu ärgern. Du hast eben gar kein Mitgefühl mit meinen armen Nerven!«

»Da verkennst du mich ganz und gar, meine Liebe. Ich hege die größte Achtung vor deinen Nerven. Seit zwanzig Jahren höre ich mir nun schon das mit deinen Nerven an; sie sind mir nun gute alte Bekannte geworden.«

 

»Ach, du ahnst nicht, wie sehr ich unter ihnen leiden muß!«

»Aber ich hoffe, du überstehst es auch dieses Mal und erlebst, daß noch viele andere junge Männer mit viertausend Pfund im Jahr sich in unserer Nachbarschaft niederlassen.«

»Und wenn zwanzig kämen, was nützt es uns, wenn du sie doch nicht besuchen willst?«

»Verlaß dich auf mich, meine Liebe: wenn es erst zwanzig sind, werde ich sie nacheinander aufsuchen.«

Mr. Bennet stellte eine so eigenartige Mischung von klugem Verstand und Ironie, von Zurückhaltung und Schalkhaftigkeit dar, daß eine dreiundzwanzigjährige Erfahrung nicht genügt hatte, um seine Frau diesen Charakter verstehen zu lassen. Ihre Gedankengänge zu ergründen war einfacher: sie war eine unbedeutende Frau mit geringem Wissen und unberechenbarer Laune. War sie mit etwas unzufrieden, liebte sie es, die Nervöse zu spielen. Ihre Lebensaufgabe bestand darin, ihre Töchter zu verheiraten. Besuche machen und Neuigkeiten austauschen war ihre Erholung.

2. KAPITEL

Mr. Bennet gehörte zu den ersten, die Mr. Bingley auf Netherfield begrüßten. Er war von vornherein entschlossen gewesen, den neuen Nachbarn aufzusuchen, so sehr er seiner Frau auch immer wieder das Gegenteil versicherte; und so wußte sie noch am Abend nichts von seinem Besuch am Morgen.

Mr. Bennet machte seiner Familie auf folgende Weise Mitteilung von seinem Antrittsbesuch: eine Weile sah er seiner zweiten Tochter Elisabeth zu, wie sie an einem Hut arbeitete, und sagte dann plötzlich: »Hoffentlich wird er Mr. Bingley gefallen, Lizzy.«

»Leider ist es uns ja nicht möglich, Mr. Bingleys Geschmack festzustellen«, sagte seine Frau vorwurfsvoll, »da wir ihn nicht besuchen können.«

»Du vergißt aber, Mama«, sagte Elisabeth, »daß wir ihn auf einem von den Bällen treffen werden. Mrs. Long hat versprochen, ihn uns vorzustellen.«

»Mrs. Long wird sich hüten! Sie hat ja selbst zwei Nichten. Mrs. Long ist eine selbstsüchtige und falsche Person, ich habe keine gute Meinung von ihr.«

»Ganz recht, ich auch nicht«, sagte Mr. Bennet. »Ich freue mich, daß du dich nicht auf ihre Gutmütigkeit verlassen willst.«

Seine Frau würdigte ihn keiner Antwort. Aber da nichts zu sagen über ihre Kraft gegangen wäre, fing sie an, eine ihrer Töchter zu schelten: »Hör um Himmels willen mit deinem Husten auf, Kitty! Nimm doch ein wenig Rücksicht auf meine Nerven – du zerreißt sie mir ja geradezu!«

»Kitty hustet ohne jedes Taktgefühl«, meinte ihr Vater, »sie hustet in einem sehr unpassenden Augenblick.«

»Ich huste nicht zum Vergnügen«, erwiderte Kitty störrisch. »Wann ist denn dein nächster Ball, Lizzy?«

»Morgen in vierzehn Tagen.«

»Richtig«, rief ihre Mutter, »und Mrs. Long kommt erst einen Tag vorher zurück; sie kann ihn euch also gar nicht vorstellen, denn sie wird ihn selbst noch nicht kennen!«

»Dann wirst du, meine Liebe, gegen deine Freundin großmütig sein können und Mr. Bingley ihr vorstellen.«

»Ausgeschlossen, Bennet, ganz ausgeschlossen! Ich kenne ihn ja auch nicht. Warum mußt du mich immer ärgern?«

»Deine Vorsicht macht dir alle Ehre. Eine vierzehntägige Bekanntschaft genügt allerdings kaum, um jemand kennenzulernen; man kann einen Menschen nach so kurzer Zeit noch nicht beurteilen. Aber wenn wir es nicht tun, dann tut es jemand anders; Mrs. Long und ihre Nichten müssen das Risiko eben auf sich nehmen. Wenn du also glaubst, es nicht verantworten zu können – Mrs. Long wird das sicherlich als einen besonderen Beweis deiner Freundschaft anerkennen –, dann will ich es übernehmen.«

Die Mädchen starrten ihren Vater an. Mrs. Bennet sagte bloß: »Unsinn, Unsinn!«

»Was willst du mit deinem ›Unsinn‹ sagen?« fragte Mr. Bennet. »Etwa, daß die Förmlichkeit des Vorstellens und das Gewicht, das man dieser Förmlichkeit beimißt, Unsinn ist? In dem einen Punkt müßte ich dann verschiedener Meinung mit dir sein. Was meinst du dazu, Mary? Du denkst doch, soviel ich weiß, tief über alles nach und liest dicke Bücher und machst dir Notizen und Auszüge.«

Mary hätte für ihr Leben gern etwas sehr Kluges gesagt, aber ihr fiel nichts Passendes ein.

»Während Mary ihre Gedanken ordnet«, fuhr ihr Vater fort, »wollen wir zu Mr. Bingley zurückkehren.«

»Ich kann den Namen nicht mehr hören!« rief seine Frau.

»Das täte mir wirklich sehr leid. Aber warum sagtest du es mir nicht eher? Hätte ich es heute morgen schon gewußt, wäre mein Besuch bei ihm bestimmt unterblieben. Zu schade –, aber nun ist es einmal geschehen, und wir werden uns seiner Bekanntschaft nicht mehr entziehen können.«

Das Erstaunen seiner Familie war so groß und so lebhaft, wie er es sich gewünscht hatte. Mrs. Bennet übertraf auch hierin die anderen, wenn auch nur um ein weniges. Nichtsdestoweniger erklärte sie, nachdem man sich wieder etwas beruhigt hatte, sie habe es sich schon die ganze Zeit gedacht.

»Das war einmal richtig nett von dir. Aber ich wußte ja, daß ich dich würde überreden können. Ich wußte ja, daß du deine Kinder viel zu lieb hast, als daß du eine solche Bekanntschaft vernachlässigt hättest. Wie ich mich freue! Und wie gut dir dein Scherz gelungen ist –, heute morgen bist du schon bei ihm gewesen, und jetzt erzählst du uns erst davon!«

»So, Kitty, jetzt kannst du husten, so viel es dir Spaß macht«, mit diesen Worten verließ Mr. Bennet das Zimmer, offensichtlich ziemlich mitgenommen von dem Begeisterungsausbruch seiner Frau.

»Ihr Mädchen habt einen einzigartigen Vater«, sagte sie, als die Tür sich geschlossen hatte. »Ich weiß nicht, wie ihr ihm je seine Güte werdet danken können – ich übrigens auch nicht. In unserem Alter ist es kein Vergnügen, kann ich euch versichern, täglich neue Bekanntschaften machen zu müssen. Aber für euch tun wir eben alles. Lydia, mein Liebling, du bist zwar sehr jung, aber ich bin fest davon überzeugt, daß Mr. Bingley auf dem nächsten Ball mit dir tanzen wird.«

»Och«, sagte Lydia stolz, »ich hab’ keine Angst. Ich bin wohl die Jüngste, aber auch die Größte von uns.«

Den Rest des Abends verbrachten sie auf das angenehmste damit, zu überlegen, wann wohl Mr. Bingleys Gegenbesuch zu erwarten sei und wann sie ihn dann zum Essen laden könnten.

3. KAPITEL

So sehr sich indessen Mrs. Bennet, eifrig von ihren fünf Töchtern unterstützt, darum bemühte, es war keine auch nur einigermaßen zufriedenstellende Beschreibung des neuen Nachbarn aus ihrem Mann herauszubekommen. Die Angriffe erfolgten von den verschiedensten Seiten, geradewegs als Fragen oder unter Harmlosigkeit getarnt oder wieder als scheinbar ganz fernliegende Andeutungen, aber er ließ sich in keine Falle locken. Zuletzt mußten sie sich mit dem zufriedengeben, was Lady Lucas ihnen aus zweiter Hand berichten konnte. Sir William war entzückt gewesen. Er sei noch sehr jung, ungewöhnlich gut aussehend, außerordentlich wohlerzogen, und, als Krönung des Ganzen, er beabsichtige, an dem nächsten Ball mit einer größeren Gesellschaft teilzunehmen … Wo konnte es da noch fehlen! Zwischen gern tanzen und sich verlieben war nur noch ein kleiner, ein fast unvermeidlicher Schritt! Mr. Bingleys Herz wurde Gegenstand der lebhaftesten Erörterungen und Erwartungen.

»Wenn ich es erleben darf, daß eine meiner Töchter als Herrin in Netherfield einzieht«, sagte Mrs. Bennet zu ihrem Mann, »und wenn es mir gelingen sollte, die anderen ebensogut unterzubringen, dann wird mir jeder Wunsch erfüllt sein.«

Nach einigen Tagen erwiderte Mr. Bingley Mr. Bennets Besuch und blieb mit ihm etwa zehn Minuten in der Bibliothek. Er hatte die leise Hoffnung gehabt, wenigstens einen Blick auf die jungen Damen werfen zu dürfen, von deren Schönheit er schon viel gehört hatte; aber der Vater war alles, was er zu sehen bekam. Die Damen selbst waren ein wenig mehr vom Glück begünstigt; gelang es ihnen doch, von einem Fenster im oberen Stock festzustellen, daß er einen blauen Mantel trug und ein schwarzes Pferd ritt.

Bald darauf wurde auch die Einladung zum Essen abgeschickt. Mrs. Bennet war sich schon über alle Gerichte und Gänge klar, mit denen sie hausfrauliche Ehre einzulegen gedachte; da kam seine Antwort und schob all die schönen Pläne auf unbestimmte Zeit auf. Mr. Bingley bedauerte sehr, am folgenden Tag nach London fahren und sich daher des Vergnügens berauben zu müssen, der Einladung usw. usw. Mrs. Bennet war ganz unglücklich. Sie konnte sich gar nicht denken, was das für eine Angelegenheit sein mochte, die ihn schon so bald nach seiner Ankunft in Hertfordshire nach London zurückrief. Der Gedanke, er könne vielleicht zu der Sorte junger Männer gehören, die ständig von einem Ort zum anderen flattern, anstatt sich mit einem festen Wohnsitz zu begnügen – in diesem Fall Netherfield –, wie es sich gehörte, begann sie ernstlich zu beunruhigen. Und sie schöpfte erst wieder ein wenig Mut, als Lady Lucas ihr gegenüber die Möglichkeit erwähnte, er sei doch vielleicht nur nach London gefahren, um seine große Ballgesellschaft nach Netherfield zu holen. Bald darauf verbreitete sich das aus sicheren Quellen stammende Gerücht, Mr. Bingley werde mit zwölf Damen und sieben Herren auf dem Fest erscheinen. Zwölf Damen! Die jungen Mädchen hörten diese Nachricht mit großer Besorgnis. Aber auch sie faßten wieder Mut, als die Zahl zwölf am Tage vor dem Ball auf sechs – fünf Schwestern und eine Kusine – berichtigt wurde. Die Gesellschaft, die tatsächlich den großen Festsaal betrat, war dann schließlich nicht zahlreicher als insgesamt nur fünf Personen: Mr. Bingley, seine beiden Schwestern, der Gatte der älteren und ein unbekannter junger Mann.

Mr. Bingley sah sehr gut aus und machte einen vornehmen Eindruck. Seine ganze Haltung und Art, sich zu geben, waren natürlich und von einer ungezwungenen Freundlichkeit. Die Schwestern waren mit gutem, eigenem Geschmack nach der letzten Mode gekleidet und mußten zweifellos zu den Schönheiten der Londoner Gesellschaft gezählt werden. Mr. Hurst, dem Schwager Mr. Bingleys, war die gute Familie anzusehen; mehr allerdings auch nicht. Mr. Darcy, der junge Freund, dagegen war bald mit seiner großen, schlanken Figur, seinem angenehmen Äußeren und seinem vornehmen Auftreten Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des ganzen Saales. Kein Wunder, daß in weniger als fünf Minuten die verbürgte Nachricht ihren Lauf über alle Lippen nahm, Mr. Darcy verfüge über zehntausend Pfund im Jahr. Die Herren gestanden ihm sein ungewöhnlich stattliches und männliches Wesen zu, die Damen versicherten, er sehe noch besser aus als Mr. Bingley, und die Blicke von jedermann folgten ihm bewundernd den halben Abend lang; dann aber wandelte sich die anfängliche Auffassung von der Vornehmheit seines Auftretens vollständig in das Gegenteil um, woraufhin die Hochflut der Achtung, die man ihm entgegengebracht hatte, rasch abzuebben begann. Denn man konnte nicht umhin, die Feststellung zu machen, daß Mr. Darcy hochmütig war, auf die anwesende Gesellschaft herabsah und an nichts Anteil nehmen wollte. Nichts, nicht einmal sein großer Grundbesitz in Derbyshire, war ein Ausgleich für sein abweisendes und wenig freundliches Benehmen. Jedenfalls konnte er in keiner Weise mit seinem Freund Mr. Bingley verglichen werden.

Mr. Bingley hatte sich bald schon mit all den vornehmlichsten Anwesenden bekanntgemacht. Er tanzte jeden Tanz, war lebhaft und aufgeräumt, ärgerte sich nur darüber, daß das Fest so früh zu Ende sein sollte, und sprach davon, einen Ball auf Netherfield zu geben. Solche Liebenswürdigkeit bedarf keiner weiteren Lobesworte. Welch ein Gegensatz zwischen ihm und seinem Freund! Mr. Darcy tanzte nur je einmal mit Mrs. Hurst und mit Miss Bingley und lehnte es ab, irgendeiner anderen Dame vorgestellt zu werden. Den größten Teil des Abends brachte er damit zu, im Saal herumzugehen und hin und wieder mit dem einen oder der anderen von seinen Bekannten ein paar Worte zu wechseln. Über seinen Charakter brauchte auch kein Wort mehr verloren zu werden. Er war der hochmütigste, unangenehmste Mensch auf der Welt, und man konnte nur hoffen, daß man ihn zum letzten Male gesehen hatte.

Seine heftigste Gegnerin war Mrs. Bennet; denn zu der allgemeinen Mißstimmung kam bei ihr ein persönlicher Grund hinzu, der ihre Abneigung noch bedeutend verschärfte: Mr. Darcy hatte eine ihrer Töchter beleidigt.

Da die Herren sehr in der Minderzahl waren, hatte Elisabeth zwei Tänze auslassen müssen; und in dieser Zeit war Mr. Darcy während seines gelangweilten Rundganges für einen kurzen Augenblick ihr so nahegekommen, daß sie nicht umhin konnte, ein Gespräch zwischen ihm und Mr. Bingley mit anzuhören; der hatte die Tanzenden verlassen, um seinen Freund aus seiner Interesselosigkeit zu reißen.

 

»Los, Darcy«, sagte er, »du mußt auch einmal tanzen. Es wird mir zu dumm, dich in dieser blöden Weise hier allein herumstehen zu sehen. Wenn du doch schon hier bist, ist es viel vernünftiger, du tanzt.«

»Alles andere lieber als das! Du weißt, wie sehr ich es verabscheue, mit jemand zu tanzen, den ich nicht kenne. Und in einer Gesellschaft wie dieser hier wäre es geradezu unerträglich. Deine Schwestern haben beide einen Partner, und außer ihnen gibt es auch nicht ein einziges Mädchen im ganzen Saal, mit dem sich zu zeigen nicht eine Strafe wäre.«

»Nicht für ein Königreich möcht’ ich solch ein Mäkler sein wie du!« rief Bingley aus. »Auf Ehre, ich hab’ noch nie so viele nette Mädchen auf einmal kennengelernt wie heute abend; viele sind sogar ganz ungewöhnlich hübsch.«

»Du tanzt ja auch mit dem einzigen Mädchen, das hier wirklich gut aussieht«, erwiderte Darcy und schaute gleichzeitig zu Jane hinüber.

»Ja, sie ist das wunderbarste Geschöpf, das mir je vor Augen gekommen ist! Aber gerade hinter dir sitzt eine ihrer Schwestern, die sehr nett aussieht und wahrscheinlich auch sehr nett ist. Ich werde meine Dame bitten, dich ihr vorzustellen.«

»Welche meinst du?« Darcy drehte sich um und betrachtete Elisabeth, bis sie unter seinem Blick hochsah. Daraufhin wandte er sich wieder an seinen Freund und meinte gleichgültig: »Erträglich, aber nicht genügend, um mich zu reizen. Außerdem habe ich heute keine Lust, mich mit jungen Damen abzugeben, die von den anderen Herren sitzengelassen worden sind. Kehr du nur wieder zu deiner Tänzerin zurück und sonne dich in ihrem Lächeln; bei mir vergeudest du doch nur deine Zeit.«

Mr. Bingley folgte seinem Rat, und Darcy nahm seinen Rundgang wieder auf. Elisabeths Ansicht über ihn war nicht sehr freundlich, aber nichtsdestoweniger berichtete sie ihren Freundinnen voll Humor ihr kleines Erlebnis; denn da sie selbst von Natur lustig und heiter war, lachte sie gern, auch wenn es auf ihre eigenen Kosten ging.

Im übrigen verlief jedoch der Abend zur vollsten Zufriedenheit der ganzen Familie. Mrs. Bennet hatte die Freude gehabt, ihre älteste Tochter von dem Netherfield-Kreis akzeptiert zu sehen: Mr. Bingley hatte zweimal mit ihr getanzt, und seine Schwestern zeichneten sie durch größte Zuvorkommenheit aus. Janes Freude und Stolz hierüber waren wohl nicht geringer als die ihrer Mutter, aber sie ließ es sich nicht so sehr anmerken. Elisabeth teilte als gute Schwester Janes Freude. Mary hatte sich Miss Bingley gegenüber als das gebildetste junge Mädchen aus der ganzen Nachbarschaft rühmen gehört. Und die beiden Jüngsten, Catherine und Lydia, konnten das unwahrscheinlichste Glück für sich in Anspruch nehmen, nicht einen einzigen Tanz ausgelassen zu haben, und das war das einzige, worauf es ihnen vorläufig bei einem Ball ankam.

Sie kehrten daher alle in bester Laune nach Longbourn zurück, dem Dorf, dessen vornehmstes Haus das ihre war. Mr. Bennet war noch auf. In Gesellschaft eines guten Buches vergaß er die Zeit. Am heutigen Abend kam noch ein gut Teil Neugierde hinzu, ihn wach zu halten; er wollte doch gern wissen, wie das Fest verlaufen war, das so viele Hoffnungen erweckt hatte. Im stillen hatte er wohl erwartet, die vorgefaßte Meinung seiner Frau über den neuen Nachbarn enttäuscht zu sehen; daß er sich seinerseits getäuscht hatte, darüber wurde er nicht lange im Zweifel gelassen.

»Wir haben einen herrlichen Abend verbracht.« Damit kam sie ins Zimmer. »Ein wundervoller Ball! Ich wünschte, du wärst dagewesen. Jane wurde bewundert – es ist gar nicht zu beschreiben! Alle sagten, wie gut sie aussehe; und Mr. Bingley fand sie wunderschön und hat zweimal mit ihr getanzt! Stell’ dir das bitte vor, mein Lieber! Zweimal hat er mit ihr getanzt! Und sonst hat er keine einzige zum zweitenmal aufgefordert! Zuerst forderte er Miss Lucas auf. Ich hab’ mich richtig geärgert, als er mit ihr tanzte; doch er hat sie gar nicht gemocht, na ja, weißt du, das wäre wohl auch schwer möglich gewesen. Aber schon während des ersten Tanzes schien ihm Jane aufzufallen; er erkundigte sich, wer sie sei, ließ sich vorstellen, und bat sie um den nächsten Tanz. Dann tanzte er den dritten mit Miss King und den vierten mit Maria Lucas und den fünften wieder mit Jane und den sechsten mit Lizzy und dann noch ein Boulangermenuett hinterher …«

»Um Gottes willen, ich will nichts mehr von Mr. Bingleys Tänzerinnen hören!« unterbrach Mr. Bennet sie ungeduldig. »Wäre er ein wenig rücksichtsvoller gegen mich gewesen, hätte er nur halb so viel getanzt. Schade, daß er sich nicht schon beim ersten Tanz den Fuß verstaucht hat.«

»Aber«, fuhr Mrs. Bennet fort, »ich bin ganz entzückt von ihm! Er sieht ungewöhnlich gut aus! Und seine Schwestern sind reizende Damen. Ihre Kleider waren das eleganteste, was ich je gesehen habe. Die Spitzen an Mrs. Hursts Kleid haben gut und gerne …«

Sie wurde wieder unterbrochen. Ihr Mann legte auf das energischste Verwahrung dagegen ein, jetzt einen Diskurs über Spitzen und Moden ertragen zu müssen. Sie sah sich daher gezwungen, das Thema in eine andere Richtung abzulenken, und berichtete mit ehrlicher Entrüstung und einigen Übertreibungen von dem unglaublichen Betragen des Mr. Darcy.

»Aber das weiß ich und das kann ich dir versichern«, schloß sie nach einiger Zeit, »Lizzy verliert nicht viel, wenn sie seinem Geschmack nicht entspricht; er ist ein ganz schrecklich unangenehmer, scheußlicher Mensch und gar nicht wert, daß man sich um ihn kümmert. Nicht zum Aushalten war es, wie hochmütig und eingebildet er hin-und herging und sich wunder wie

großartig vorkam! ›Erträglich – aber nicht genügend, um ihn zu reizen –!‹ Ich wünschte, du wärst dagewesen, mein Lieber, um ihn ein wenig zurechtzustutzen, du verstehst dich so gut darauf. Ich finde den Menschen abscheulich!«