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Silex - Risse & Lügen

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From the series: Silex
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Silex - Risse & Lügen
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Jade Tatnon

Silex

Risse und Lügen

(Prequel)

Weitere Bücher der Silex Reihe:

Silex – Die Garde (Buch 1)

Silex – Die Geächteten (Buch 2 – verfügbar ab Sommer 2016)

Besucht die Autorin

und erfahrt mehr über die Silex Reihe auf:

www.jadesbooks.net

www.facebook.com/jadetatnon

Impressum

© 2016 Jade Tatnon

Umschlaggestaltung: Jade Tatnon unter Verwendung eines Fotos von Pixabay

Verlag: neobooks, www.neobooks.com

Der Regen prasselt ans Fenster und der Wind pfeift ums Gebäude. Es ist der erste richtige Herbststurm dieses Jahr. Kleinere hat es schon gegeben, aber keinen wie diesen hier.

Ich liebe so was. Wenn man es sich eingekuschelt auf dem Sofa oder im Bett gemütlich machen kann, schön mit einem Kaffee/Tee in der einen und einem Buch in der anderen Hand. Aber das ist eben echt nur dann schön, wenn man drinnen ist. Letztes Jahr, da haben die uns bei dem scheiß Wetter vor die Tür geschickt, damit wir unsere Elemente gegen die Kraft des Sturms trainieren konnte. Ich hatte gesagt, ich hätte Kopfschmerzen und war ganz schnell wieder rein.

Manchmal, glaube ich, da machen die das extra. Nur um uns vor die Tür scheuchen zu können. Damit wir üben können. Eben eine Stunde Elemente-Training mehr am Tag.

Und das Unwetter, das jetzt gerade da draußen tobt, ist noch schlimmer als das von letztem Jahr. Oh, schießt es mir durch den Kopf und ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht, vielleicht haben wir ja Glück und das Erdgeschoss wird wieder überflutet! Letztes Jahr, da haben die nämlich den Unterricht absagen müssen, weil die ganzen Zimmer im Westflügel unter Wasser gestanden hatten. Und weil die Profanen den Schaden vor uns entdeckt hatten, konnten wir – leider – nicht einfach mal mit einem einzigen Gedanken machen, dass das Wasser wieder verschwand. Nein, so musste das den ganzen Vormittag lang abgepumpt werden. Und Bio und Chemie gibt es bei uns – leider Gottes – nur in den entsprechenden Räumen, weil die ganzen Präparate und Zeugs eben nur da sind.

Aber das Erdgeschoss ist nicht das einzige, das bei Unwetter leidet. Das Internat ist schon uralt. So alt, dass es unter Denkmalschutz steht. In Geschichte habe ich mal lernen müssen, von wann es ist und wer es gebaut hat, aber wozu muss ich wissen, wie alt ein bescheuertes Haus ist? Sagen wir mal so: Es ist ein riesiges fünfstöckiges Herrenhaus, das so historisch ist, dass es sogar noch verschiedene Gänge und Treppen hat. Einmal die für die richtigen Leute und dann die anderen für die Bediensteten. Gar nicht mal so unpraktisch, wenn man sich des Nachts herumtreibt und auf keinen Fall gefunden werden will.

Aber egal, zurück zum eigentlichen Thema: Das Unwetter und das Internat. Weil das Ding von anno dazumal ist, hat es ein paar Macken. Die Eckzimmer, zum Beispiel. Wenn der Wind ungünstig steht, dann hat man da einen Swimmingpool drin. Charlottes Zimmer ist so eins. Wenn es so richtig stürmt und der Wind von Osten kommt, dann wird der Regen durch die geschlossenen Fenster gepresst und Charlotte hat ihren eigenen kleinen See im Zimmer. Mensch, wie oft haben wir ihr schon dabei geholfen, das ganze Wasser wieder aufzuwischen? Beziehungsweise sich in Luft auflösen zu lassen. Aber das mache ich nur, wenn es keiner sieht. Das verstößt nämlich gegen den Codex der Garde.

Kleine Gardisten-Kunde

Ich bin Gardist in Ausbildung. Wir teilen uns das Internat mit den Profanen, die nichts von uns und unseren Fähigkeiten wissen dürfen. Wieso verstehe ich auch nicht so ganz. Ich meine, erst heißt es, misch dich unters Volk, schließe Freundschaften und so weiter. Aber wehe, du lässt fallen, dass du Fähigkeiten besitzt, die andere nicht haben. Wahrscheinlich macht die Garde das, damit wir uns nicht als was Besonderes sehen. Im Sinne von: „Hey, Gardist in Ausbildung, du hast zwar ganz tolle Fähigkeiten, aber hier, schau her, du lebst wie alle anderen auch, als bleib mal schön auf dem Teppich!“ Außerdem brauchen wir Gardisten die Profanen, weil wir von denen häufig Jobs bekommen. Gerade Politiker haben oft Gardisten als Leibwachen – ohne es zu wissen, wohlbemerkt.

Doch, glaub mir, die Sache mit den besonderen Fähigkeiten ist nur schwer zu verbergen, wenn du a) mehrmals täglich deine Elemente trainieren sollst und b) alles so viel schneller und einfacher geht, als es auf die Profane Art und Weise zu machen.

Ich meine, welcher angehende Gardist holt bitte schön erst mal Wasser für die Gießkanne, um seine Zimmerpflanzen zu wässern? Geht doch viel schneller, wenn du denkst: Oh, Mensch, ja, die braucht mal wieder Wasser. Die sieht echt schon nicht mehr gut aus. Und – ta-da – sofort fängt das Ding an zu blühen und ist um etliche Zentimeter gewachsen. Aber egal.

Auf jeden Fall dürfen die Profanen nichts von uns wissen. Das hätte eigentlich nicht so schwer sein sollen, wir sind ja nur eine Handvoll Gardisten in Ausbildung hier am Internat. Aber zwing du dich mal dazu, alles wie so ein Profaner zu machen. Also gucken wir nur einmal rechts und links und machen es dann trotzdem auf unsere Art und Weise. Und wenn es dann doch mal auffliegt, dann sind die uns eigentlich auch ganz dankbar dafür.

Also, nicht, dass es richtig auffliegt! Die würden uns umbringen! Oberste Priorität der Garde! Aber hier, Charlotte und ihr Swimmingpool-Zimmer, zum Beispiel. Wie oft hab ich das schon mit einem einzigen Gedanken wieder trockengelegt, während alle anderen weggewesen sind, um Handtücher zu holen. Und wenn sie dann wiedergekommen und alle schön blöd geguckt haben, habe ich nur gesagt: „War gar nicht so schlimm. Ich hab`s schon alles weggemacht.“

Alison und Justin verkneifen sich dann immer nur das Grinsen. Die zwei sind wie ich. Justin ist sogar Seher. Wenn der mit seiner Ausbildung fertig ist, dann wird er in anderer Leute Köpfe gucken können. Egal, ob nun Profaner oder Gardist. Aber, ich glaube, der wird nur Spotter. Wenn überhaupt. Ich meine, Justin und Sentinel? Dazu ist er viel zu sehr Couch Potato! Steward passt noch besser zu ihm. Da braucht er eh nur rumzusitzen und Akten zu sortieren. Aber er ist nun mal ein Seher und die werden eh mit 99%iger Wahrscheinlichkeit Spotter. Also: Ende der Diskussion.

Stewards sind ein Bisschen so wie Bibliothekare. Nur eben mit den Gardisten-Fähigkeiten über die Elemente. Einige, nicht alle, beherrschen sogar noch die Telekinese. Das kannst du dir so vorstellen, als wenn du in einer riesigen Bibliothek sitzen würdest und statt dir alle Bücher mühsam zusammensuchen zu müssen, denkst du nur Charles Dickens, „Oliver Twist“! und schon kommt das Ding zu dir geflogen.

Aber Stewards schlagen sich natürlich nicht mit Profaner Literatur rum. Die sichten, lesen, analysieren, interpretieren, ordnen und archivieren alle Schriften der Garde. Ich habe mal gehört, dass es in der Garde-Hochburg, dem St. Michaels, sogar das Original des ersten niedergeschrieben Codex von 13-Hundert-knipps-mich-tot gibt! Das ist für uns so heilig wie die Unabhängigkeitserklärung für die Vereinigten Staaten von Amerika.

Aber das weiß ich nur vom Hörensagen, ich bin selber noch nie da gewesen. Doch vor meinem geistigen Auge sehe ich es haargenau. Ein dunkler Raum. Eine mit Spot beleuchtete Glasvitrine. Dunkelroter Samt. Und darauf: unser Codex. Verfasst in einer so alten Schrift, dass sie kaum mehr zu entziffern ist.

Und dann kracht es draußen plötzlich und hinter meinen geschlossenen Augenlidern wird es taghell. Ich zucke zusammen und reiße die Augen auf, aber von dem Blitz und dem ohrenbetäubenden Krachen fehlt schon wieder jede Spur. Der ist bestimmt irgendwo eingeschlagen. Wenn ich wollte, könnte ich ja aufstehen, zum Fenster gehen und nachschauen, aber, ganz ehrlich, ich bin zu faul. Isabels Bett unter mir ist einfach zu bequem. Und wenn irgendwas passiert ist, dann werden die eh gleich Alarmschlagen und das werde ich dann hören.

Also schließe ich wieder die Augen und stelle mir mein imaginäres Museums-Zimmer mit unserem Codex drin vor. Wie er da einer Königskrone gleich auf Samt gebettet liegt. Das Ding ist garantiert bewacht, denke ich und lasse ein paar Spotter Wache stehen.

SPOTTER stehen über den Stewards. Also, nicht offiziell. Offiziell sind alle Gardisten gleich. Aber das ist wie bei den Profanen: Angeblich auch alle gleich, aber mit den Untersten der Unterschicht will trotzdem keiner was zu tun haben. Spotter sind, inoffiziell, wie gesagt eine Stufe höher als die Stewards. Ihre Aufgabe ist es, Objekte und/oder Personen zu bewachen und/oder auszuspähen. Security-Leute, wenn du so willst. Eine Mischung aus Lawrence von Arabien und Albert Einstein – eben nur Spionieren und Wissenschaft ohne wirkliche Action.

Das Coole bei der ganzen Sache ist allerdings, dass einige von ihnen der Präkognition fähig sind. Das heißt, sie können für eine kurze Zeit in die Zukunft blicken. Das soll allerdings, jedenfalls was ich so gehört habe, nicht so ganz einfach sein, weil man sich ganz genau auf das konzentrieren muss, was man sehen will. Nehmen wir beispielsweise einen Autounfall. Ein Spotter kann, durch einen einzigen Blick in die unmittelbar bevorstehende Zukunft, herausfinden, welche der Verletzten größere Überlebenschancen haben und um welche man sich – höchstwahrscheinlich – gar nicht erst zu kümmern braucht.

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