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Zwei Freunde

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– Waren Sie es, der mich auf den Fuß getreten? – sprach ihn Wjasownin an.

– Oui, monsieur.

– Aber in solchen Fällen pflegt man doch um Verzeihung zu bitten.

– Und wenn ich mich bei Ihnen nicht entschuldigen will, monsieur ie Moscovite?

Die Pariser erkennen einen Russen sofort.

– Sie scheinen mich also beleidigen zu wollen? – fragte Wjasownin.

– Oui, monsieur! Die Form ihrer Nase gefällt mir nicht!

Fi! le gros jaloux! – äußerte sich mademoiselle Julie, für die der Infanterieoffizier durchaus kein Fremder zu sein schien.

– In diesem Falle . . . – begann Wjasownin unentschlossen.

– Sie wollen sagen – fiel ihm der Offizier ein – daß wie uns in diesem Falle schlagen müssen? Nun freilich! Ganz recht! Da haben Sie meine Karte.

– Da ist die meinige – erwiederte Wjasownin, der noch immer nicht zu sich kommen konnte, und kritzelte pochenden Herzens, wie im Traume, auf das glacirte Papier seiner Visitenkarte mit dem im Laufe des Tages als Breloqne an seine Uhrkette gekauften goldenen Stifte die Worte: »Hotel des trois Monarques, No. 46.«

Der Offizier nickte und erklärte, er werde sich die Ehre geben, seinen Sekundanten zu »Monsieur . . . monsieur (er näherte die Karte Wjasownins seinem rechten Auge) monsieur de Vazavononin« zu schicken – und kehrte Boris Andrejitsch den Rücken, der auf der Stelle das Châtenu de fleurs verließ. Mademoiselie Julie wollte ihn zurückhalten, aber er sah sie sehr kalt an . . . Sie wandte sich sofort von ihm ab, entfernte sich und war lange damit beschäftigt, dem mürrischen Offizier anscheinend Etwas auseinanderzusetzen, der übrigens seine Hände in den Hosentaschen behielt, den Schnurrbart ab und zu bewegte und seine unfreundliche Miene nicht veränderte.

Als Wjasownin auf die Straße trat, überlas er unter der ersten Laterne, auf die er stieß, zwei Mal hintereinander aufmerksam die ihm eingehändigte Visitenkarte. Es stand darauf: »Alexandre Leboeuf, capitaine en second au 83me de ligne

– Soll das denn wirklich ernste Folgen nach sich ziehen? – dachte er bei sich, indem er in’s Hotel zurückkehrte. – Werde ich mich wirklich schlagen müssen und weshalb denn eigentlich? Und das – schon am zweiten Tage nach meiner Ankunft in Paris! Wie dumm! – Er begann an Wjerotschka, an Peter Wassiljewitsch zu schreiben, zerriß aber jedesmal den Brief und warf die angefangenen Bogen zur Seite. – Unsinn! Alles Schauspiel! – murmelte er wiederholt vor sich hin und legte sich in’s Bett.

Seine Gedanken nahmen aber eine andere Richtung, als sich am andern Morgen, während er frühstückte, zwei Herren bei ihm anmeldeten, die nur etwas jünger waren als Monsieur Leboeuf, ihm aber sonst sehr ähnlich sahen (alle französischen Infanterieoffiziere sind aus einem Guß), und ihm ihre Namen nannten – der Eine hieß Monsieur Lecoq, der Andere Monsieur Pinochet, beide dienten als Lieutenants »en 83me de ligne« Sie stellten sich Boris Andrejitsch als Sekundanten »de notre ami Leboeuf« vor, der sie geschickt hätte, die nöthigen Anstalten zu treffen – da nämlich ihr Freund, Monsieur Leboeuf, ihnen nicht erlaubt habe, die Sache beizulegen. Wjasownin war seinerseits genöthigt, den Herren Offizieren und Freunden des Monsieur Leboeuf zu erklären, daß er, da er in Paris vollkommen fremd sei, noch nicht habe Gelegenheit nehmen können sich umzusehen und einen Sekundanten aufzufinden (»Einer wird doch genügen ?« fügte er hinzu. »Vollkommen!« bestätigte Monsieur Pinochet) und daß er daher die Herren Offiziere bitten müsse, ihm noch gegen vier Stunden Zeit zu lassen. Die Herren sahen einander an, zuckten mit den Achseln, gaben jedoch ihre Zustimmung und erhoben sich von ihren Plätzen.

– Si monsieur le désire – sagte unerwartet Pinochet, indem er in der Thür sich wieder wendete und stehen blieb, von den beiden Sekundanten war dieser augenscheinlich der beredeste, weshalb ihm auch die Unterhandlungen übertragen worden waren; Monsieur Lecoq begnügte sich damit, seine Zustimmung durch eigenthümliche Töne zu erkennen zu geben) – si monsieur le désire – wiederholte er (bei dieser Gelegenheit kam Wjasownin sein Moskauer Coiffeur, Monsieur Galicis, in den Sinn, der diese Phrase oft gebraucht hatte) – so können wir Ihnen Einen der Offiziere unseres Regimentes empfehlen »le lieutenant Barbichon, un garcon trèg dévoné,« der sicherlich bereit sein wird, »à un gentleman« (Herr Pinochet sprach dieses Wort auf französische Weise aus nämlich ,,geantlemen«), einen Dienst zu erweisen, um Ihnen aus der Verlegenheit zu helfen. Er wird sich als Ihr Sekundant schon Ihr Interesse zu Herzen nehmen —prendre à coeur vos intérêts.«

Wjasownin war im ersten Augenblick von diesem Antrage überrascht. Nachdem er aber überlegt, daß er doch in Paris keine Bekannten habe, dankte er Herrn Pinochet für sein Anerbieten und erklärte sich bereit, Herrn Barbichon zu erwarten. Letzterer versäumte auch nicht zu erscheinen. Dieser »garcon très dévoné« erwies sich als eine überaus hurtige und thätige Persönlichkeit. Nachdem er die Erklärung abgegeben, daß »cet animal de Leboeuf n’en fait jamais d’entres . . . C’est un Othello, monsieur, un véritable Othello – fragte er Wjasownin: – N’est ce pas, vous désirez, que l’affaire soit sérieuse? und, ohne eine Antwort abzuwarten, rief er schon wieder aus: C’est tout ce que je désirais savoir. Laissez-moi faire! – Und in der That, er leitete die ganze Angelegenheit mit einer solchen Lebhaftigkeit,

nahm so warm die Interessen Wjasownins sich zu Herzen, daß der arme Boris Andrejitsch, der bisher nie etwas von Fechten gewußt, schon zwei Stunden später in der Mitte einer kleinen, grünen Lichtung im Vincenne’schen Walde stand – mit einem Säbel in der Hand, mit aufgestreiften Hemdsärmeln und entblößter Brust, in einer Entfernung von zehn Schritten Angesichts seines Gegners, der ebenfalls den Rock abgeworfen hatte. Ein heiterer Himmel beleuchtete die Scene. Wjasownin konnte sich noch kaum Rechenschaft geben, wie er an diesen Ort gekommen war. Er hörte nicht aus sich zu wiederholen: »Wie dumm ist das! Wie dumm ist das!« und das Gewissen plagte ihn, wie wenn er sich an einem albernen Jugendstreiche betheiltgte. Mit einer Art Leichtsinn belächelte er aus seiner Seele heraus den Vorgang, und seine Augen konnten sich von der niedrigen Stirn und den kurz geschnittenen, schwarzen Haaren des vor ihm stehenden Franzosen nicht abwenden.

– Tout est prêt – erscholl eine schnarrende Stimme – Allez! – wisperte eine zweite nach.

Das Gesicht des Herrn Leboeuf nahm einen mehr blutgierigen, als erzürnten Ausdruck an; Wjasownin schwang den Säbel . . . (Pinochet hatte ihm versichert, daß die Unkenntniß der Fechtkunst ihm große Vortheile biete – »de grands avantages!«) . . . da widerfuhr im plötzlich etwas ganz Seltsames. Ein Stoß, ein Aufstampfen – ein Funkeln – und Wjasownin empfand in der rechten Seite der Brust etwas wie einen kalten, langen Stock . . . Er wollte ihn von sich reißen, er wollte rufen: »Weg mit ihm!« – aber schon lag er aus dem Rücken, und ein wunderliches fast komisches Gefühl überwältigte ihn: es kam ihm vor, als ob man ihm durch den ganzen Körper einen Zahn herausreißen wollte . . . Dann fing die Erde an, vor ihm zu schwinden . . . die erste Stimme fragte: »Tout c’est passé dans les règles, n’est ce pas, messieurs?« . . die zweite erwiederte; »Oui, parfaitement!« – und . . . krach! . . . Alles rund herum fing an zu fliehen und zusammenzustürzen . . . Wjerotschka! – hatte er kaum noch Zeit, voll Wehmuth auszurufen . . .

Des Abends brachte ihn »le garcon dévoné« in das Hotel des trois Monarques« – und in der Nacht verschied er. Wjasownin ging in jenes Reich, aus dem noch kein einziger Reisender zurückgekehrt« . . . Er blieb bis zum letzten Augenblicke ohne Bewußtsein, und nur zwei Mal flüsterte er: »Ich komme bald zurück . . . Das ist Nichts . . . jetzt aufs Land! . . . Der russische Geistliche, den der Hotelwirth hatte holen lassen, berichtete Alles an die Gesandtschaft – und zwei Tage später war »das Unglück eines zugereisten Russen, in allen Zeitungen zu lesen . . .

Schwer und bitter war es für Peter Wassiljewitsch gewesen, den Brief Wjasownin’s der Frau desselben mitzutheilen. Als ihn aber die Kunde von dem Tode seines Freundes erreichte, da gerieth er vollkommen außer sich. Der Erste, der die Nachricht in den Zeitungen gelesen hatte, war Michej Michejitsch. Er kam sofort zu Peter Wassiljewitsch gelaufen, in Gesellschaft Onuffri Iljitsch’s, mit dem er inzwischen wieder Frieden geschlossen hatte. Wie man sich denken kann, rief er schon im Vorzimmer aus: »Denken Sie sich, welches Unglück!« u.s.w. Peter Wassiljewitsch wollte ihm lange nicht glauben. Als es ihm aber nicht mehr möglich war, an der Wahrheit des Hinterbrachten zu zweifeln, wartete er noch einen ganzen Tag; erst am nächsten begab er sich zu Wjerotschka. Er war wie vernichtet, und sein zerstörtes Aussehen erschreckte sie so, daß sie sich kaum auf den Beinen erhalten konnte. Er wollte sie auf die verhängnißvolle Nachricht vorbereiten, aber die Kräfte versagten ihm – er fiel auf einen Stuhl und lispelte unter Thränen:

– Er ist todt – todt . . .

* * *

Es verging ein Jahr. Aus den Wurzeln eines gefällten Baumes sprossen neue Zweige, die allertiefste Wunde heilt mit der Zeit, das Leben löst den Tod ab, wie der Tod das Leben – und das Herz Wjerotschkas hatte etwas ausgeruht und erholte sich allmählich.

Und – zudem gehörte Wjasownin weder in die Kategorie der unersetzbaren Menschen (giebt es deren überhaupt?), noch war Wjerotschka fähig, für die Dauer ihres Lebens einem einzigen Gefühle nachzuhängen (giebt es überhaupt solche Gefühle ?). Sie hatte Wjasownin ohne Zwang geheirathet, aber auch ohne Entzücken, sie war ihm treu und unterthan gewesen, ohne sich ihm jedoch ganz hingeben zu können, sie betrauerte ihn aufrichtig, aber ohne den Verstand zu verlieren. Was sollte man denn noch mehr verlangen? – Peter Wassiljewitsch hörte nicht auf, sie zu besuchen. Er blieb auch weiterhin ihr nächster Freund, und ist es daher nicht zu verwundern, daß er ihr eines Tages, als sie allein mit ihm im Zimmer war, in’s Gesicht sah und ruhigen Ernstes den Antrag machte, seine Frau zu werden? . . .

 

Sie antwortete ihm mit einem Lächeln und reichte ihm die Hand. Ihr Leben ging nach der Hochzeit seine alten Geleise: es war Nichts an ihm zu ändern. —

Seit jener Zeit sind schon zehn Jahre hinabgerollt. Der alte Barssukow wohnt bei seinen Kindern. Er trennt sich nicht von ihnen und ihren Kindern – er zählt der letzteren schon drei, ein Mädchen und zwei Knaben – und wird mit jedem Jahre jünger. Mit seinen Enkeln unterhält er sich sogar, besonders mit seinem Liebling, einem lockigen, schwarzäugigen Jungen, der ihm zu Ehren auch den Namen Stepan trägt. Der kleine Schelm weiß nur zu gut, daß der Großvater ihn über die Maßen liebt, und erlaubt sich daher schon, ihm nachzuahmen, wie er im Zimmer auf und abgeht und das »Brau, Brau!« vor sich hinbrummt. Dieser muthwillige Trieb erregt jedesmal große Heiterkeit im ganzen Hause. Der arme Wjasownin ist bis jetzt noch nicht vergessen. Peter Wassiljewitsch ehrt sein Andenken, erwähnt seiner stets mit einem besonderen Gefühle, und sobald sich eine Gelegenheit darbietet, verfehlt er nie zu bemerken, daß der Verstorbene z.B. dies geliebt habe, oder daß er diese und jene Gewohnheit hatte. Peter Wassiljewitsch, seine Frau und Alle, die zum Hause gehören, verbringen ihre Tage einförmig – friedlich und still. Sie sind glücklich . . . ein Anderes Glück giebt es nicht auf Erden.