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Zwei Freunde

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– Wirklich gesund?

– Freilich. Wie ist Ihnen?

– Brau, brau! – antwortete er leise und schloß wieder die Augen.

Wjerotschka begab sich zur Thür; Boris Andrejitsch hielt sie an.

– Sagen Sie mir wenigstens, ob Sie mir gestattet, mit Ihrem Vater zu sprechen.

– Wie es Ihnen beliebt – sagte sie leise. – Aber, Boris Andrejitsch, ich glaube, ich passe nicht für Sie.

Boris Andrejitsch wollte sie an der Hand fassen; sie wich aber aus und verließ das Zimmer.

– Wunderbar! – dachte er bei sich. – Sie sagt dasselbe wie Krupitzin.

Als er nun ganz allein mit Stepan Petrowitsch im Zimmer war, gab er sich das Wort, ihm Alles klar auseinander zu setzen und zu dem unerwarteten Antrage ihn nach Möglichkeit vorzubereiten. Das erwies sich aber hier in Wirklichkeit noch schwieriger, als bei Wjerotschka. Stepan Petrowitsch fieberte etwas; bald verfiel er in Nachdenken, bald schlummerte er ein, und auf die an ihn gerichteten Fragen und Bemerkungen, durch welche Boris Andrejitsch zum eigentlichen Gegenstande des Gespräche übergehen zu können glaubte, antwortete er unwillig und immer erst nach einiger Zeit. Boris Andrejitsch sah schließlich ein, daß seine Winke ihre Wirkung verfehlten, und mußte sich daher entschließen direkt zur Sache zu schreiten.

Er holte einige Male tief Atem, als ob er sprechen wollte, blieb aber lange stumm und brachte kein Wort heraus.

– Stepan Petrowitsch, – begann er endlich, – ich habe die Absicht, Ihnen einen Antrag zu machen, von dem ich glaube, daß er Sie nicht wenig überraschen wird.

– Brau, brau! – erwiederte ruhig Stepan Petrowitsch.

– Einen Antrag, den Sie gar nicht erwartet haben. Stepan Petrowitsch sperrte die Augen auf.

– Ich . . . ich erlaube mit, um die Hand ihrer Tochter Wjera Stepanowna anzuhalten.

Stepan Petrowitsch sprang in die Höhe.

– Wie? – fragte er mit derselben Stimme und demselben Ausdruck im Gesichte, wie vordem Wjerotschka.

Boris Andrejitsch mußte seinen Antrag wiederholen.

Stepan Pertrowitsch ließ sein Auge auf ihm ruhen und sah ihn längere Zeit schweigend an, sodaß es Boris Andrejitsch zuletzt ordentlich unheimlich wurde.

– Weiß Wjera davon? fragte Stepan Petrowitsch.

– Ich habe mich Wjera Stepanowna erklärt, und sie gab mir die Erlaubniß, mich an Sie zu wenden.

– Soeben haben Sie sich erklärt?

– Soeben!

– Warten Sie! – versetzte Stepan Petrowitsch und trat aus dem Zimmer.

Boris Andrejitsch blieb allein zurück. Aengstlich starrte er bald an die Wände, bald nach dem Boden – als sich plötzlich Pferdegetrappel vernehmen ließ. Die Thür des Vorzimmers bewegte sich in ihren Angeln, und eine tiefe Stimme fragte: »Zu Hause?« Es wurden Schritte hörbar und in’s Kabinet herein drängte sich der uns bekannte Michel Michejitsch.

Boris Andrejitsch konnte vor Aerger gar nicht zu sich kommen.

– Ist das hier eine Hitze! – rief Michej Michejitsch aus, indem er sich auf das Sopha warf. – Ah, guten Morgen! Wo ist aber Stepan Petrowitsch?

– Er ist hinausgegangen; wird bald kommen.

– Heut, ist es sehr kalt – bemerkte Michej Michejitsch, indem er sich ein Gläschen einschenkte.

Und ehe er es noch recht hinunter geschluckt hatte, sprach er schon wieder mit Lebhaftigkeit.

– Ich komme ja wieder aus der Stadt.

– Aus der Stadt? – erwiederte Boris Andrejitsch, der seine Aufregung kaum bemeistern konnte.

– Aus der Stadt – wiederholte Michel Michejitsch. – Und Alles nur Dank diesem Räuber Onuffri. Stellen Sie sich vor: er schwatzte mir einen Teufelssack voll tausend Geschichten vor, sodaß man sich Wunder was Gutes dabei denken konnte. Ein Geschäft, – sagte er – ein Geschäft habe ich für Sie ausfindig gemacht, aber ein Geschäft, wie es sich nach Niemandem in der ganzen Welt dargeboten hat. Mit einem Worte, jeder einzelne Rubel sollte nach ihm ganze Hundertrubel-Scheine einbringen. Das Ende vom Liede war, daß er mich noch mit 25 Rubel anpumpte, ich aber mußte mich umsonst in der Stadt abquälen und die Pferde fast zu Tode fahren.

– Was Sie sagen! – murmelte Wjasownin.

– Ich sage Ihnen, das ist ein Räuber, ein wahrer Räuber. Er sollte auf der Landstraße mit einer Wurfkugel herumstrolchen. Ich begreift gar nicht, wie die Polizei so Etwas ruhig mit ansehen kann. Es steht Einem ja bevor, an den Bettelstab zu kommen.

Stepan Petrowitsch trat ein.

Und Michel Michejitsch fing nochmals an, von seinem Abenteuer mit Onuffri zu erzählen.

– Ich begreife nicht, weshalb ihn Niemand durchhaut! – rief er zuletzt aus.

– Durchhaut – wiederholte Stepan Petrowitsch – und brach plötzlich in das convulsivische Lachen aus.

Michel Michejitsch ahmte ihm nach und wiederholte:

– Ja wohl, er müßte durchgehauen werden!

Als aber Stepan Petrowitsch im Anfalle des Lachkrampfes endlich auf dem Sopha zusammenbrach, wandte sich Michej Michejitsch an Boris Andrejitsch und sagte achselzuckend :

– So ist es immer mit ihm. Auf einmal fängt er an zu lachen, Gott weiß weshalb! Es ist so seine Gewohnheit.

Wjerotschka kam herein; sie schien aufgeregt, ihre Augen waren geröthet.

– Der Vater ist heute nicht ganz wohl – bemerkte sie leise zu Michej Michejitsch. Er nieste mit dem Kopfe und schob ein Stück Käse in den Mund. Endlich hielt Stepan Petrowitsch ein, ruhte etwas aus und begann im Zimmer auf und abzugehen. Boris Andrejitsch wich seinem Blick aus und saß wie auf Nadeln. Michej Michejitsch fing von Neuem an, sich über Onuffri Luft zu machen.

Man ging zu Tisch. Während der Mahlzeit sprach nur Michej Michejitsch. Endlich, schon gegen Abend, nahm Stepan Petrowitsch Wjasownin bei der Hand und führte ihn schweigend in das Nebenzimmer.

– Sind Sie ein guter Mensch? – fragte er, ihm in’s Gesicht sehend.

– Ich bin ein ehrlicher Mann, Stepan Petrowitsch. Das kann ich frei von mir behaupten – und ich liebe Ihre Tochter.

– Sie lieben sie? Ehrlich?

– Ich liebe sie und werde mir Mühe geben, auch ihrer Liebe würdig zu sein.

– Wird sie Ihnen nicht lästig werden? – Fragte Stepan Petrowitsch.

– Niemals!

Das Antlitz Stepan Petrowitsch’s verzog sich seltsam.

– Nun sehen Sie . . . sie zu lieben . . . ich bin einverstanden.

Boris Andrejitsch war schon bereit, ihn zu umarmen, aber er wies ihn ab.

– Später . . .Schon gut!

Er wendete sich gegen die Wand, Boris Andrejitsch konnte sehen, daß er weinte.

Stepan Petrowitsch trocknete die Augen, ohne sich ums zuwenden; dann ging er vor Boris Andrejitsch vorbei ins Kabinet zurück und sagte ihm mit seinem gewöhnlichen Lächeln ohne ihn anzusehen:

– Heute nicht mehr davon, ich bitte Sie . . . Morgen Alles . . . was nöthig . . .

– Schon gut, schon gut! – erwiederte hastig Boris Andrejitsch und folgte ihm in’s Kabinet, wobei er mit Wjerotschka einen Blick austauschte.

In seinem Herzen war er heiter und unruhig zu gleicher Zeit.

Er vermochte nicht lange in Gesellschaft von Michej Michejitsch bei Stepan Petrowitsch zu bleiben. Er bedurfte der Einsamkeit Dabei zog es ihn zu Peter Wassiljewitsch. Er entfernte sich mit dem Versprechen, den andern Tag wiederzukommen. Als er im Vorzimmer von Wjerotschka Abschied nahm, drückte er ihr einen Kuß auf die Hand; sie sah ihn verwundert an.

– Bis morgens – sagte er zu ihr.

– Adieu! erwiederte sie leise.

– Weißt Du, Peter Wassiljewitsch – sagte Boris Andrejitsch, nachdem er seinen Bericht geendet hatte, im Schlafzimmer auf und abspazierend – weißt Du, was mir jetzt einfällt? Woher kommt es, daß mancher junge Mann nicht heirathet? Daher, daß er Furcht hat, sein Leben in die Knechtschaft zu verkaufen! Er denkt sich: wozu soll ich mich beeilen? Ich habe noch Zeit, und vielleicht trifft sich inzwischen etwas Besseres. Die Geschichte endigt dann gewöhnlich damit, daß er entweder sein ganzes Leben Junggeselle bleib!, oder aber die Erste, Beste heirathen. Das ist Alles nichts weiter, als Egoismus und Stolz. Schickt Dir der liebe Gott ein liebes und gutes Mädchen in den Weg, so versäume nicht die Gelegenheit – sei glücklich und nicht allzu wählerisch. Eine bessere Frau als Wjerotschka finde ich wirklich nicht für mich; und wenn sich auch manche Lücken in ihrer Erziehung vorfinden, so wird es meine Aufgabe sein, an ihr das Nöthige nachzuholen. Sie ist etwas phlegmatisch – aber das hat nichts zu sagen. Im Gegentheil . . . das eben ist die Veranlassung, daß ich meinen Entschluß so schnell gefaßt habe. Du hattest mir ja außerdem zugeredet, zu heirathen . . . Sollte ich mich aber getäuscht haben – fügte er hinzu, indem er sinnend stehen blieb – nun, so ist das Unglück nicht so groß! Aus meinem Leben wäre ohnedies nicht viel geworden.

Peter Wassiljewitsch hörte seinem Freunde schweigend zu, indem er nicht versäumte, von Zeit zu Zeit aus einem gesprungenen Glase den Thee zu schlürfen, den ihm die eifrige Macedonia zubereitet hatte.

– Nun, was schweigst Du? – fragte endlich Boris Andrejitsch, und stellte sich abwartend vor ihn hin. – Nicht wahr, ich urtheile doch richtig? Du bist doch mit mir einverstanden?

– Der Antrag ist gemacht – erwiederte Peter Wassiljewitsch mit Zwischenpausen – der Vater hat seinen Segen gegeben, die Tochter hat nicht nein gesagt, also ist es nicht mehr an der Zeit, Betrachtungen anzustellen. Vielleicht fährt auch Alles zum Guten. Jetzt muß an die Hochzeit gedacht werden. Morgenstund’ hat Gold im Mund’ . . . Wir wollen also morgen früh Alles besprechen, wie es sich gebührt. Heda! – rief er darauf nach der Dienerschaft – wer da ist, mag Boris Andrejitsch begleiten

– Umarme mich doch wenigstens! Beglückwünsche mich! versetzte Boris Andrejitsch. – Was bist Du aber für ein Mensch!

– Umarmen will ich Dich schon, Und von Herzen gern.

Und er drückte Boris Andrejitsch an seine Brust.

– Gebe Dir Gott hienieden alles Beste!

 

Die Freunde gingen auseinander. —

»Alles kommt daher – sagte Peter Wassiljewitsch laut vor sich hin, wobei er sich, nachdem er lange still gelegen, im Bette stürmisch auf die andere Seite warf – Alles kommt daher, daß er nicht beim Militair gedient hat. Er ist gewohnt seinen Neigungen zu leben und kennt keine Raison.«

* * *

Einen Monat später feierte Wjasownin seine Hochzeit. Er selbst bestand darauf, daß die Trauung nicht länger aufgeschoben werde. Peter Wassiljewitsch war Trauführer. Im Laufe dieses ganzen Monats besuchte er Stepan Petrowitsch tagtäglich, jedoch war in seinem Benehmen gegen Wjerotschka und umgekehrt keine Veränderung zu bemerken. Sie wurde vielleicht noch schüchterner – das war Alles. Er brachte ihr »Furi Miroslawsky« und las ihr selbst einige Kapitel vor. Dieser Sagoski’sche Roman gefiel ihr zwar; als sie aber mit ihm zu Ende war, verlangt sie kein Buch mehr. Karantjeff kam einmal extra angefahren, um Wjerotschka als Braut eines Andern zu sehen. Er hatte etwas im Kopfe und wendete seine Augen nicht von ihr ab, gleich als wollte er ihr etwas sagen – er sagte aber Nichts. Man forderte ihn auf, Etwas vorzusingen. Er stimmte ein melancholisches Lied an, ging dann auf ein Bravourlied über, warf die Guitarre aus den Divan, verabschiedete sich von Allen, und, nachdem er im Schlitten Platz genommen hatte, warf er sich mit der Brust auf das unten ausgebreitete Stroh und brach in Schluchzen aus. – Eine Viertelstunde später schlief er den Schlaf eines Todten.

Am Tage der Trauung war Wjerotschka sehr in sich gekehrt. Stepan Petrowitsch war ebenfalls niedergeschlagen. Er hatte gehofft, daß Boris Andrejitsch einwilligen würde, zu ihm, in sein Haus überzusiedeln, aber dieser verrieth durchaus keine Neigung dazu, sondern machte im Gegentheil Stepan Petrowitsch den Antrag, auf einige Zeit sich in Wjasowna niederzulassen. Der Alte schlug es aus mitzufahren: er war sein Kabinet zu sehr gewöhnt. Wjerotschka gab ihm das Versprechen, ihn wenigstens einmal in der Woche zu besuchen. Wie muthlos antwortete ihr darauf der Vater sein »brau, brau!«

Und so begann Boris Andrejitsch ein eheliches Leben. In der ersten Zeit ging alles prächtig. Wjerotschka, die sich als eine ausgezeichnete Wirthin erwies, brachte sein Haus in Ordnung. Er beobachtete ihr gelassenes, sorgsames Schaffen mit Wohlgefallen, ergötzte sich an ihrem unveränderlich klaren und sanften Gemüthe, nannte sie seine »kleine Holländerin« und wiederholte Peter Wassiljewitsch beständig, daß er erst jetzt eigentlich verstehe, was das Glück sei. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß Peter Wassiljewitsch seit Boris Andrejitsch’s Verheirathung nicht mehr so oft bei diesem zu sehen war; und wenn er einmal kam, so pflegte er nicht lange zu bleiben, obwohl ihn Boris Andrejitsch mit der früheren Gastfreundlichkeit empfing und Wjerotschka ihm aufrichtig gewogen war.

– Dein Leben ist nicht mehr, was es früher war – so pflegte er zu Wjasownin zu sagen, der ihm freundschaftliche Vorwürfe machte, daß er kalt gegen ihn geworden sei. – Du bist jetzt ein verheiratheter Mann, ich bin ein Junggeselle. Ich könnte Euch stören.

Anfangs pflegte ihm Wjasownin nicht zu widersprechen. Allmählich aber machte er ihm bemerklich, daß es ihm allein zu Hause langweilig sei. Seine Frau war durchaus nicht die Ursache davon; im Gegentheil, manchmal vermißte er ihre Gesellschaft gar nicht und wechselte während des ganzen Vormittags kein einziges Wort mit ihr, obwohl er immer mit Vergnügen und Zärtlichkeit ihr Gesicht beobachtete, und jedesmal. wenn sie mit ihrem leichten Schritt an ihm vorüberging, ihre Hand auffing und küßte, was dann wieder ein Lächeln auf ihren Lippen hervorrief. Dieses Lächeln war immer dasselbe, das er so liebte. Genügt uns denn aber ein Lächeln allein?

Es war so wenig Gemeinschaftliches in ihnen, und er fing an, dies endlich gewöhnt zu werden.

– Meine Frau scheint nicht viel esprit zu haben – so dachte Boris Andrejitsch eines Tages, mit gekreuzten Armen auf dem Divan sitzend.

Die Worte Wjerotschka’s die sie am Tage seiner Erklärung hervorgepreßt: »Ich passe nicht für Sie,« sie hallten jetzt oft in seinem Innern wieder.

»Wäre ich irgend ein Deutscher oder ein Gelehrter – fuhr er in seinem Sinne fort – oder hätte ich wenigstens eine beständige Beschäftigung, welche den größten Theil meiner Zeit in Anspruch nähme, so wäre solch eine Frau ein wahrer Schatz. Aber wie es jetzt ist . . . wäre es möglich, daß ich Mich getäuscht hätte?« – Dieser Gedanke war für ihn peinlicher, als er einst erwartet hatte.

Als ihm an demselben Tage Peter Wassiljewitsch von Neuem wiederholte, daß er es nicht über sich bringen könne, das Ehepaar zu stören, konnte sich Boris Andrejitsch nicht des Ausrufes enthalten:

»Mit Nichten! Du störst uns nicht im Geringsten. Im Gegentheil es ist für uns Beide angenehmer« . . . – er hätte beinahe gesagt: leichter, wenn Du zugegen bist. – Und es war auch wirklich so.

Boris Andrejitsch unterhielt sich gern mit Peter Wassiljewitsch, grade so wie vor der Hochzeit. Zu ihm konnte auch Wjerotschka sprechen, während sie ihren Gemahl für ihre Reden zu hoch hielt und bei all ihrer zweifellosen Anhänglichkeit nicht wußte, wie sie ihn zu unterhalten hätte.

Außerdem bemerkte sie, daß ihn die Gegenwart Peter Wassiljewitsch’s jedesmal aufheiterte. Es endigte kurzweg damit, daß Peter Wassiljewitsch im Hause unentbehrlich wurde. Wjerotschka gewann er lieb wie eine Tochter; es war aber auch unmöglich, dieses gutmüthige Wesen nicht zu lieben. Wenn ihm Boris Andrejitsch einmal aus menschlicher Schwäche als seinem Freunde alle seine geheimen Gedanken klagte und anvertraute, so pflegte ihm Peter Wassiljewitsch energisch seine Undankbarkeit vorzuhalten und alle guten Seiten Wjerotschka’s aufzuzählen. Als sich sogar eines Tages Boris Andrejitsch äußerte, daß ja auch Peter Wassiljewitsch früher die Ansicht ausgesprochen habe, Wjerotschka und er seien nicht für einander geschaffen, antwortete ihm Jener, daß er Wjerotschka’s nicht werth sei, wobei seine aufrichtige Verehrung für die junge Frau durchklang.

– Ich habe an ihr Nichts, nicht das, was ich voraussetzte, gefunden – murmelte Boris Andrejitsch.

– Wie, Nichts gefunden? Hattest Du denn etwas Außerordentliches erwartet? Du hast an ihr ein ausgezeichnetes Weib gefunden. Das ist es!

– Es ist wahr! – beeilte sich Wjasownin zu entgegnen.

Im Hause Wjasownin’s ging Alles her wie zuvor – Alles war friedlich und still; denn mit Wjerotschka wäre es nicht nur unmöglich gewesen zu zanken, es konnten sogar keine Mißverständnisse zwischen ihr und ihrem Manne entstehen. Die innere Kluft gab sich aber an Allem kund. Ungefähr in derselben Weise, wie sich auch beim einzelnen Menschen eine innere, unsichtbare Wunde durch ihre Wirkung äußerlich verrath. Wjerotschka hatte nicht die Gewohnheit, zu klagen; dabei fiel es ihr auch nie ein, Wjasownin Etwas vorzuwerfen. Und so konnte es geschehen, daß ihm nicht beikam, auch ihr möchte dieses Leben nicht leicht sein. Nur zwei Menschen gab es, die ihre Lage klar auffaßten: das waren der alte Vater und Peter Wassiljewitsch. Stepan Petrowitsch pflegte sie jedesmal, wenn sie ihn besuchte, mit einer rührenden Inbrunst zu liebkosen und ihr in die Augen zu schauen. Er richtete keine Fragen an sie; dafür aber ächzte er öfter, wenn er das Zimmer durchmaß, und sein »brau, brau« klang nicht mehr so unerschütterlich seelenruhig wie früher, es tönte nicht mehr der Friede heraus, der das Irdisches überbreitet und von ihm nicht angefochten wird. Getrennt von seiner Tochter, schien er blasser und magerer zu werden. – Für Peter Wassiljewitsch war es auch kein Geheimniß, was in der Seele Wjerotschka’s vorging. Wjerotschka verlangte keineswegs, daß ihr Mann sich mehr mit ihr beschäftige oder sie unterhalte; sie quälte vielmehr der Gedanke, daß sie ihm zur Last sei. Peter Wassiljewitsch fand sie einmal unbeweglich stehend, mit dem Gesicht an die Wand gelehnt. Wie ihr Vater, dem sie noch in vieler Beziehung ähnelte, zeigte sie nicht gerne ihre Thränen; sie wandte sich ab, sobald ihr das Weinen ankam, mochte sie auch ganz allein im Zimmer sein. Peter Wassiljewitsch ging leise an ihr vorüber und hütete sich, sie auch nur durch einen Wink auf den Gedanken zu bringen, daß es ihm klar sei, weshalb sie ihr Gesicht an die Wand gelehnt habe. Dafür aber ließ er Wjasownin keine Ruhe. Freilich, er brachte nie jene verletzenden, unnützen und selbstgefälligen Worte über die Lippen: »hab’ ich Dir nicht gleich gesagt?« – jene Worte, die, beiläufig bemerkt, auch die allerbeste Frau im wärmsten Augenblicke der Theilnahme nicht zurückzuhalten vermag. Er machte ihm vielmehr die herzhaftesten Vorwürfe wegen seiner Gleichgültigkeit gegen Wjerotschka, wegen Hypochondrie, und brachte ihn einmal so weit, daß er zu Wjerotschka hinlief und sie mit Unruhe zu betrachten und zu befragen anfing. Sie sah ihn mit einer solchen Milde an, antwortete mit solcher Ruhe, daß er sie, im Innern über die Vorwürfe Peter Wassiljewitsch’s, mit denen er ihn quälte, aufgebracht, verließ, und sich damit beruhigte, daß doch wenigstens Wjerotschka von Allem keine Ahnung habe . . . so verging der Winter.

Boris Andrejitsch wurde nicht reizbar und despotisch, wie es oft der Fall bei Menschen ist, die sich im Unrecht fühlen. Er erlaubte sich auch nicht jenes wohlfeile und brutale Vergnügen, das auch kluge Leute oft nicht unterlassen können, sich über Dinge, die sie nicht genannt hören mögen, durch Spötteln und Aufziehen hinwegzuhelfen. Er verfiel auch nicht in Melancholie. Es begann ihn einfach der Gedanke zu beschäftigen: auf welche Weile kannst Du gut eine Reise bewerkstelligen – freilich, nur auf kurze Zeit.

– Eine Reise! – wiederholte er sich jeden Morgen beim Erwachen – eine Reise! – flüsterte er vor dem Schlafengehen. Und in diesem Worte schien ihm, je öfter er es wiederholte, ein um so größerer Reiz zu liegen. Er machte eine kleine Probe und fuhr zur Zerstreuung zu Sofia Kirillowna; aber ihre Schönrednerei, ihre Unnatürlichkeit, ihr Lächeln, ihre Gederden erschienen ihm doch allzu abgeschmackt. »Welcher Vergleich mit Wjerotschka!« dachte er bei sich und betrachtete mit einer gewissen Geringschätzung die geputzte Wittwe. Und nichtsdestoweniger wollte ihn der Gedanke, sich von dieser nämlichen Wjerotschka losmachen, nicht verlassen . . .

Der Odem des in’s Land gezogenen Frühlings, jener Jahreszeit, die sogar die Vögel aus der Ferne zieht und lockt, zerstreute seine letzten Zweifel und verdrehte ihm gänzlich den Kopf. Er fuhr nach Petersburg – unter dem Vorwande eines wichtigen und keinen Aufschub duldenden Geschäftes, von welchem bisher noch niemals die Rede gewesen war . . . Als er von Wjerotschka Abschied nahm, fühlte er, wie sich sein Herz zusammenzog, wie es beinahe verblutete: es war Mitleid, was er fühlte, mit seiner sanften, guten Gattin. Die Thränen strömten ihm aus den Augen und netzten ihre blasse Stirn, die er soeben mit seinen Lippen berührt hatte. – Ich komme bald, recht bald wieder, mein Herz, und werde auch schreiben – wiederholte er ein paar Mal. Nachdem er sie noch der Freundschaft und Fürsorge Peter Wassiljewitsch’s empfohlen, stieg er in den Wagen – gerührt und voll Trauer . . .

Seine Schwermuth verschwand aber augenblicklich beim Anblick der Weiden, deren erstes, zartes Grün die Landstraße begleitete, welche sich zwei Werst entlang von seinem Dorfe hinzog. Ein unerklärliches, fast jugendliches Entzücken machte sein Herz pochen; seine Brust dehnte sich aus und er senkte mit einer sehnsüchtigen Gier seinen Blick in die Ferne.

– Nein! – rief er aus – ich sehe, daß:

 
»Ein Renner und ein Netz am Wagen
Dem Kutscher nimmermehr behagen.«
 

Aber was war er für ein Renner?

Wjera blieb nun allein. Ader erstens besuchte sie Peter Wassiljewitsch oft, und zweitens – woran ihr am meisten lag – der Vater willigte endlich ein, sich von seiner geliebten Behausung zu trennen und zu seiner Tochter zu ziehen. Alle drei begannen nun ein glückliches Leben. Ihre Urtheile, ihre Gewohnheiten stimmten ja so sehr überein! Dabei aber wurde Wjasownin nicht nur nicht vergessen; im Gegentheil, er war das unsichtbare, geistige Band, welches sie unter einander verknüpfte. Sie unterhielten sich beständig von ihm, von seinem Verstande, von seiner Güte, seiner Bildung und Einfachheit im Betragen. Die Liebe zu Boris Andrejitsch schien in seiner Abwesenheit zu wachsen. Es stellte sich prächtiges Wetter ein. Die Tage flogen nicht in eiliger Hast dahin; sie verstrichen friedlich und heiter, gleich hohen, hellen Wolken an dem blauen, heitern Himmel. Wjasownin ließ von Zeit zu Zeit von sich hören. Seine Briefe wurden gelesen und abermals gelesen, mit innigem Vergnügen. In jedem seiner Briefe gedachte er seiner baldigen Rückkehr . . . Da, eines schönen Tages, erhielt Peter Wassiljewitsch von ihm nachstehende Zeilen:

 

»Lieber Freund! Mein guter Peter Wassiljewitsch! Ich habe lange nachgedacht, wie ich diesen Brief anfangen solle; es schien mir aber schließlich das Beste zu sein, Dir kurzweg zu sagen: ich gehe in’s Ausland. Diese Nachricht – ich weiß es im Voraus – wird Dich überraschen, wird Dich erzürnen; Du konntest dies am wenigsten erwarten. Und Du wirst auch ganz Recht haben, mich einen liederlichen und leichtsinnigen Menschen zu schelten. Ich habe nicht die Absicht, mich zu vertheidigen, ich fühle in diesem Augenblicke sogar, daß ich erröthe. Ader höre mich mit etwas Nachricht an. Erstens verreise ich auf eine kurze Zeit, dabei in Gesellschaft und unter so vortheilhaften Bedingungen, wie Du es Dir kaum vorstellen kannst. Zweitens bin ich fest überzeugt, daß, nachdem ich zum letzten Male ausgelassen gewesen sein werde, nachdem ich zum letzten Male meine Leidenschaft befriedigt haben werde, Alles zu kennen und zu erproben – daß ich dann sicherlich ein guter Gatte, ein Familienvater und häuslicher Charakter sein werde. Ich werde dann auch beweisen, daß ich die von der Vorsehung an mir geübte Gnade, der ich ein solches Weib wie Wjerotschka zu verdanken habe, zu schätzen weiß; Ich bitte Dich, suche sie hiervon zu überzeugen und zeige ihr diesen Brief. Ich selbst schreibe ihr heute nicht; es fehlt mir der Muth dazu. Aber sie erhält unbedingt einen Brief aus Stettin, wohin sich der Dampfer direkt begiebt. Einstweilen sage ihr, daß ich mich vor ihr auf die Kniee werfe und sie demüthig anflehe, ihrem thörichten Gatten zu verzeihen. Da ich ihr engelhaftes Gemüth kenne, bin ich überzeugt, sie wird mir nicht zürnen. Ich aber schwöre bei Allem in der Welt daß ich in drei Monaten, und nimmermehr später, nach Wjasowna zurückkehre, und daß alsdann keine Macht der Erde mehr im Stande sein wird, mich bis zum Ende meines Lebens noch einmal von dort fortzulocken. Lebe wohl – oder richtiger aus baldiges Wiedersehen! Ich umarme Dich und küsse die zierlichen Hündchen meiner Wjerotschka. Von Stettin aus werde ich Euch mein Adresse angeben. Sollte sich inzwischen etwas Unvorhergesehenes ereignen, so rechne ich auf Dich – wie überhaupt in allen Angelegenheiten, die mein Haus betreffen – wie auf eine Wand von Fels.

Dein

Boris Wjasownin.

P.S. Zum Herbst bitte ich mein Cabinet mit frischen Tapeten bekleiden zu lassen . , . hörst Du? . . . aber unbedingt!«

Leider war es den von Boris Andrejitsch in diesem Briefe ausgesprochenen Hoffnungen nicht beschieden sich zu verwirklichen. In Stettin kam er, wegen der vielen Laufereien und der neuen Eindrücke nicht dazu, an Wjerotschka zu schreiben.

Er schickte ihr aber aus Hamburg einen Brief, in welchem er ihr seine Absicht mittheilte – »zu dem Zwecke« einige industrielle Anstalten in Augenschein zu nehmen und diese und jene für ihn wichtige Vorlesung an der Universität zu hören.« – Paris besuchen zu wollen, wohin er sich auch ausbat, ihm die auf Weiteres, poste restante, etwaige Briefe zu schicken. Wjasownin kam eines Morgens früh in Paris an. Nachdem er im Laufe des Tages die Boulevards, den Tuillerien-Garten, die Place de la Concorde, das Palais-Royal durchlaufen und sogar die Vendôme-Säule bestiegen hatte, begab er sich zu Vesour, wo er in dem Tone eines Habitúe sein Mittagessen bestellte, besuchte das Chatêau de fleurs und sah sich schließlich mit dem Ernste des Beobachters an, was denn eigentlich der Cancan bedeute und wie die wahren Pariser diesen Tanz ausführen. Der Tanz an sich gefiel ihm zwar nicht, dafür aber fand er Wohlgefallen an einer demoiselle, die eben den Cancan tanzte, einer lebhaften, schlanken Brünette mit einem Stumpfnäschen und feurigen Augen. Er stellte sich öfter und öfter ihr gegenüber, wechselte zuerst Blicke mit ihr, dann ein Lächeln, endlich Worte . . . eine halbe Stunde später ging sie schon Arm in Arm mit ihm, nannte ihm ihren »petit, nom:« Julie! und machte Andeutungen, daß sie hungrig sei, und daß es nichts Besseres gebe als ein Abendbrot »à la Maison d’or, dans un petit cabinet particulier.« Boris Andrejitsch für seinen Theil spürte zwar keinen Hunger; auch war er auf ein Souper in Gesellschaft von demoiselle Julie nicht vorbereitet. Indessen – dachte er – wenn die Sitte einmal so ist, muß man sie mitmachen. – Partout! – sagte er laut – aber in diesem Augenblick trat ihm Jemand heftig auf den Fuß. Er schrie auf, wandte sich um und sah einen Herrn in mittleren Jahren vor sich, untersetzt und breitschulterig, mit steifem Halskragen, in einem bis oben hin zugeknöpften Civilrocke und breiten, militärisch zugeschnittenen Hosen. Den Hut bis auf die Nase, unter der wie in zwei kleinen Cascaden ein gefärbter Schnurrbart herablief, in’s Gesicht gedrückt, die Hosentaschen mit den Daumen seiner behaarten Hände auseinanderdehnend, richtete dieser Herr – allem Anschein nach ein Offizier von der Infanterie – einen festen Blick auf Wjasownin. Der Ausdruck seiner gelben Augen, feiner widerwärtig gerötheten glatten Wangen, seiner bläulichen herumstehenden Backenknochen, seines ganzen Gesichtes überhaupt war frech und herausfordernd.