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Zwei Freunde

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– Woher? Nun, selbstverständlich aus der Stadt. Nur Ihr seid so glücklich, nicht nach der Stadt fahren zu dürfen. Ader ich, Dank der Vormundschaft und Dank jenem Herrchen – da – fügte er hinzu, mit dem Finger auf den unter Gericht stehenden Beamten hinweisend – . . . ich habe meine Pferde schier todtgefahren und bin in der Stadt nicht zu Athem gekommen. Daß es ihm vergolten werde!

– Gestatten Sie mir, Sie zu begrüßen, Michej Michejitsch – ließ sich das »Herrchen« vernehmen.

Michej Michejitsch sah ihn an.

– Da hört sich Verschiedenes auf! Sag doch einmal, wandte er sich mit gekreuzten Armen an ihn – wann wirst Du denn endlich aufgeknüpft werden?

Das »Herrchen« fühlte sich verletzt.

– Du hättest es schon längst verdient! Bei Gott, Du solltest aufgeknüpft werden! Die Regierung ist viel zu nachlässig gegen Eures Gleichen – das ist es. Macht es Dir denn viel Sorgen, daß Du unter Gericht stehst? I bewahre! Nicht im Geringsten! Nur Eins wird Dich betrüben: daß es nämlich jetzt nicht mehr geht . . . »Ist einmal gewesen!« wie die Deutschen sagen. – Und Michej Michejitsch machte mit der Hand eine Bewegung, als ob er Etwas in der Luft erhascht hätte und sich in die Tasche steckte. – Damit ist’s jetzt vorbei! Man kennt Euch. Ihr seid nicht wählerisch: von Todten und Lebendigen – Alles ist Euch recht.

– Sie belieben immer zu spaßen – erwiederte der also Geschmähte – wollen aber dabei gar nicht in Betracht ziehen, daß der Gebende in seiner Macht hat zu geben, ebenso wie der Nehmende zu nehmen. Zudem habe ich diesmal wahrhaftig nicht aus eigenem Antriebe gehandelt, sondern mehr durch Veranlassung einer zweiten Person – wie ich bereite erklärt habe.

– Nun ja, freilich! – bemerkte ironisch Michej Michejitsch. – Der Fuchs hat sich vor dem Regen unter die Egge geflüchtet. Nicht jeder Tropfen trifft ihn da . . . Aber sage die Wahrheit: unser Ispravnik3 hat Dir doch eine tüchtige Leition gegeben, nicht? Der Ex-Beamte zuckte zusammen.

Das ist ein Mann . . . der allzu diensteifrig ist – brachte er endlich mit Mühe hervor.

– Recht so!

– Und trotzdem! Man muß auch diesem Herrn lassen, daß er . . .

– ein goldener Mensch ist, ein wahrer Schatz, he? – unterbrach ihn Michej Michejitsch, und fuhr, sich an Stepan Petrowitsch wendend, fort: – für solche Kerle und für Säufer ist er an seinem Platze, wie der Stein in der Mühle.

– Brau, brau! – bestätigte Stepan Petrowitsch.

In diesem Augenblicke trat wiederum Wjerotschka mit einer Tablette und zwei Tassen ein.

Michel Michejitsch begrüßte sie durch eine Verbeugung.

– Nach eine! – bedeutete sie der Vater.

– Aber warum bemühen Sie sich denn selbst? – warf Boris Andrejitsch ein, indem er ihr seine Tasse aus der Hand nahm.

– O, das ist doch keine Mühe! – antwortete Wjerotschka. – Den Diener möchte ich nicht hereinschicken: ich denke, es schmeckt so besser.

– Freilich, aus Ihren Händen . . .

Aber Wjerotschka hatte keine Zeit, sein Compliment zu Ende zu hören; sie verließ das Zimmer und kam bald mit einer neuen Tasse für Michej Michejitsch zurück.

– Haben Sie gehört, – begann Michej Michejitsch wieder, indem er seine Tasse leerte – Mavra Iljinischna liegt sprachlos darnieder.

Stepan Petrowitsch blieb stehen und richtete den Kopf etwas in die Höhe.

– Ja, ja! Leider ist es so! – fuhr Michel Michejitsch fort. – Ein Schlaganfall hat sie getroffen. Sie wissen ja, daß sie es stets liebte, sehr gut und reichlich zu speisen. Nun, da sitzt sie vorgestern wieder bei Tische – auch Gäste waren zugegen. Es wird Botwinja4 aufgetragen. Sie hatte schon zwei Teller genossen, verlangte aber noch einen, sah plötzlich um sich und sagte, aber – wissen Sie – ihre Worte lang ausdehnend: »Nehmt die Botwinja weg! Alle, die hier sitzen, sehen so grün aus.« . . . Und wie sie das gesagt hatte, fiel sie vom Sessel herunter. Man stürzt hinzu, sie aufzuheben, man fragt, was mit ihr geschehen sei – sie kann aber nur durch Zeichen antworten, die Zunge versagte ihr den Dienst. Nebenbei erzählt man sich noch, daß sich unter Kreisphysikus bei dieser Gelegenheit ganz besonders ausgezeichnet habe. Er soll aufgesprungen sein und geschrieen haben: »Einen Arzt! Holet einen Arzt!« Er hatte sich ganz verloren. Nun, seine Praxis ist ja auch darnach. Er lebt ja nur von Leichen. . . .

– Brau, brau! – bemerkte Barssukow nachdenkend.

– Auch wir haben heute Botwinja – sagte Wjerotschka, die unterdessen in einer Ecke Platz genommen hatte.

– Womit denn bereitet? – Mit Stör? – fragte lebhaft Michej Michejitsch.

– Mit gekochtem und gedörrtem Stör.

– Das ist köstlich! Und da finden sich noch Leute, die behaupten wollen, Botwinja sei kein Essen für den Winter, weil sie kalt ist. Dummes Zeug! . . . Was meinen Sie, Peter Wassiljewitsch?

– Ganz und gar dumm! – antwortete dieser. – Hier im Zimmer ist es doch warm, nicht?

– Sehr warm.

– Und weshalb soll denn in einem warmen Zimmer keine kalte Speise genossen werden? Ich begreife das nicht.

– Ich auch nicht.

Auf diese Weise wurde das Gespräch noch ziemlich lange unterhalten. Der Hauswirth hatte sich an demselben fast gar nicht betheiligt und ging wie gewöhnlich auf und nieder. Bei Tisch wurden alle satt: so schmackhaft war Alles zubereitet, obwohl die Gänge einfach waren. Wjerotschka saß obenan, betheilte Alle mit Botwinja, schickte die andern Gänge herum, verfolgte mit den Augen, ob sich die Gäste auch genügend versahen, und gab sich Mühe, ihren Wünschen zuvorzukommen. Wjasownin saß neben ihr und ließ sie nicht aus den Augen. Wjerotschka konnte kein Wort sagen, ohne dabei gleich ihrem Vater zu lächeln. Wjasownin wandte sich dann und wann mit Fragen an sie, nicht etwa der Antwort wegen, sondern nur um dieses Lächeln zu sehen.

Nachmittags setzten sich Michej Michejitsch, Peter Wassiljewitsch und »das Herrchen«, dessen eigentlicher Name Onuffri Iljitsch war, zum Kartenspiel nieder. Michej Michejitsch äußerte sich nicht mehr so derb über ihn, obwohl er noch immer fortfuhr, ihn aufzuziehen. Vielleicht, weil er bei Tisch etwas zu viel Wein genossen hatte. Zwar erklärte er im Voraus beim jedesmaligen Aussehen der Karten, daß sich alle Asse und Trümpfe bei Onuffri vorfinden würden, daß dieser »Gerichtsbeamte« Schwindeleien treibe, daß er doch nun einmal solche Raubhände habe; dafür hielt er aber auch nicht mit seinem Lohe zurück, wenn Jener wirklich ein gutes Spielchen gemacht hatte.

– Sag’, was Du willst: freilich, Du bist zweifellos ein ganz gehöriger Lump – sagte er zu ihm – aber nichts destoweniger lieb’ ich Dich doch . . . wahrhaftig! Denn erstens liegt das in meiner Natur, und zweitens – überlegt man, so giebt es noch viel schlimmere Leute, als Du bist. Ja, man kann sagen, daß Du in Deiner Art noch ein anständiger Kerl bist!

– Brav gesprochen, Michej Michejitsch! – erwiederte Onuffri Iljitsch, dem diese Worte Muth machten – Ihre Aeußerung hat ihre volle Wahrheit. Nur sind es freilich die Verfolgungen und Verleumdungen . . .

– Nun, min! Gieb weiter ans! – unterbrach ihn Michej Michejitsch. – Was Verfolgungen und Verleumdungen! Du solltest noch Deinem lieben Gott danken, daß Du nicht im Pugatscheff’schen Thurme an einer Kette festgenagelt liegst . . . Gieb weiter!

Onuffri Iljitsch beeilte sich, die Karten auszugeben, lebhaft mit den Augen blinzelnd und noch gewandter als sonst den rechten Daumen mit seiner langen, spitzen Zunge befeuchtend.

Unterdessen ging Stepan Petrowitsch im Zimmer auf und ad, während Boris Andrejitsch sich in Wjera’s Nähe hielt. Ihr Gespräch erlitt manche Unterbrechung – sie entfernte sich nämlich fortwährend – und die Unterhaltung war an sich so unbedeutend, daß es schwer wäre, ihren Inhalt hier wiederzugeben. Er fragte, wer in der Nachbarschaft wohne, ob sie oft ausfahre, ob sie die Hauswirthschaft liebe. Auf die Frage nach ihrer Lektüre antwortete sie: »Ich möchte wohl lesen, aber es fehlt mir an Zeit.« Und trotzdem, als der Dienstbursche im Kabinet erschien und meldete, daß die Pferde angespannt sein, ward es ihm schwer, sich zu entfernen, nur sehr ungern mochte er diese seelenvollen Augen, dieses klare Lächeln verlassen. Hätte ihn nur Stepan Petrowitsch ein wenig zurückgehalten er wäre sicherlich geblieben. Aber Stepan Petrowitsch that es nicht – nicht etwa, weil ihm der neue Gast nicht willkommen war, sondern weil es bei ihm eingeführt war, daß, wer zur Nacht bleiben wollte, selbst sein Bett bestellen mußte. Michej und Onuffri Iljitsch verfuhren auch ganz in diesem Sinne. Sie nahmen sogar ein gemeinschaftliches Zimmer ein und unterhielten sich dort bis spät nach Mitternacht Ihre Stimmen drangen dumpf bis in das Kabinet herein. Onuffri Iljitsch ließ sich am meisten hören; es schien, als ob er Etwas erzählte oder von Etwas überzeugen wollte, während sein Genosse nur zuweilen, bald bezweifelnd, bald zustimmend, ein »hm!« einmischte. Am andern Tage fuhren sie nach Michej Michejitsch’s Dorfe und von dort aus, ebenfalls zusammen, nach der Stadt.

Auf dem Rückwege verharrten sowohl Peter Wassiljewitsch als Boris Andrejitsch längere Zeit in Schweigen. Peter Wassiljewitsch war sogar beim Klingeln der Schellen und der gleichmäßigen Bewegung des Schlittens eingeschlumrnert.

 

– Peter Wassiljewitsch! – sagte endlich Boris Andrejitsch.

– Was denn? – fragte Peter Wassiljewitsch, aus dem Schlafe fahrend.

– Warum fragen Sie mich denn nicht?

– Was soll ich fragen?

– Nun, wie Sie es früher gethan haben – ob es passe?

– Also wegen Wjerotschka?

– Nun ja! – Da hast Du’s! Habe ich sie Ihnen denn vorgeschlagen? Sie ist nicht für Sie.

– Sie sind sehr im Irrthum. Sie gefällt mir viel mehr, als alle Ihre Emerenzija’s und Sofia Kirillowna’s.

– Was Sie sagen!

– Ich spaße nicht.

– Aber wie geht denn das zu? Sie ist ja ein ganz einfaches Mädchen! Eine gute Wirthin vielleicht. Ist denn das aber Alles, was Sie brauchen?

– Und weshalb denn nicht? Vielleicht ist es eben das, was ich suche.

– Aber Boris Andrejitsch, wie ist denn das möglich? Wie geht denn das zu? Sie spricht ja kein Französisch!

– Was macht’s? Kann man denn ohne Französisch nicht auskommen?

Peter Wassiljewitsch schwieg ein wenig.

– So was hätte ich gar nicht vermuthet . . . von Ihnen nämlich. Mir scheint immer noch, Sie spaßen.

– Nein, wirklich! Ich spaße nicht.

– Der liebe Gott soll aus Ihnen klug werden! Und ich dachte immer, daß sie nur für unser Einen passen könnte. Uebrigens, sie ist ja auch wirklich ein allerliebstes Mädchen.

Nachdem er dies gesagt, schob Peter Wassiljewitsch seine Mütze zurecht, grub den Kopf in die Kissen und schlief wieder ein. Boris Andrejitsch fuhr indessen fort, über Wjerotschka nachzudenken. Ihr Lächeln, die heitere Sanftmuth ihrer Augen schwebten ihm immer vor der Seele. Die Nacht war hell und kalt. Der Schnee spielte in bläulichem Lichte gleich einem Diamantenfelde. Der Himmel war sternklar, der kleine Bär funkelte hell, der gefrorene Schnee knarrte und knisterte unter dem Schlitten. Die bereiften und beeisten Baumäste ließen ein kaum hörbares Flüstern vernehmen und warfen im Mondenscheine einen Glanz ab, als ob sie aus Glas waren. In solcher Zeit spielt die Phantasie besonders gern ihre lockenden Weisen. Wjasownin hatte Gelegenheit, diese Erfahrung jetzt auch an sich zu machen. Was hatte er nicht durchdacht während der ganzen Zeit, bis der Schlitten vor seinem Hause hielt! Das Bild Wjerotschka’s ging ihm nicht aus dem Kopfe: es begleitete im Geheimen alle seine Gedanken.

Wie schon bemerkt, war Peter Wassiljewitsch von dem Eindrucke überrascht, den Wjerotschka auf Boris Andrejitsch gemacht hatte. Seine Ueberraschung stieg aber noch, als ihm zwei Tage später Boris Andrejitsch erklärte, daß er die feste Absicht habe, zu Barssukow zu fahren, Und daß er sich allein aus den Weg machen werde, falls sein Freund nicht aufgelegt sei, ihn zu begleiten. Peter Wassiljewitsch antwortete selbstverständlich, daß es ihn freue und daß er bereit sei, mitzufahren. Unsere Freunde begaben sich also wiederum zu Barssukows. Wie jüngst, trafen sie auch diesmal einige Gäste bei ihm an, denen Wjerotschka ebenfalls mit Kaffee und Nachmittags mit Confitüren aufwartete. Wjasownin unterhielt sich aber diesmal mehr mit ihr, als vor drei Tagen, das heißt, er sprach mehr zu ihr. Er erzählte ihr von seinem früheren Leben, von Petersburg, von seinen Reisen – kurz, von Allem, was ihm in den Kopf kam. Sie hörte ihm mit ruhiger Neugier zu, von Zeit zu Zeit lächelnd und ihn ansehend, ohne jedoch einen Augenblick ihre häuslichen Pflichten außer Acht zu lassen: kaum bemerkte sie, daß sich ein Gast nach Etwas umsah, so erhob sie sich auch schon und brachte das Gewünschte selbst herbei. Während sie von ihrem Platze entfernt blieb, behielt Boris Andrejitsch den seinen inne und sah zufrieden um sich. Sie kehrte zurück, setzte sich wieder neben ihn, nahm ihre Hausarbeit auf, und er begann von Neuem das unterbrochne Gespräch. Stepan Petrowitsch, der im Zimmer herumspazierte, ging beim Rückgang jedesmal auf sie zu, hörte auf die Erzählungen Wjasownin’s, brummte vor sich hin: »brau, brau!« – und so verlief die Zeit unbemerkt rasch. Diesmal blieben Wjasownin und Peter Wassiljewitsch über Nacht und verabschiedeten sich erst am folgenden Tage, des Abends spät. Beim Abschiednehmen drückte Wjasownin Wjerotschka die Hand. Sie erröthete. Bis zu diesem Tage hatte ihr noch nie ein Mann die Hand gedrückt; sie dachte, das müsse wohl Petersburger Sitte sein.

Beide Freunde wiederholten nun öfters ihre Besuche bei Stepan Petrowitsch, besonders war es Boris Andrejitsch, der dort ganz heimisch wurde. Es zog und trieb ihn hin. Einige Mal fuhr er sogar allein vor. Wjerotschka gefiel ihm immer mehr; es hatte sich zwischen ihnen ein Freundschaftsverhältniß angebahnt und schon fand er, daß sie eine zu kühle und bedächtige Freundin abgebe. – Peter Wassiljewitsch hatte aufgehört, mit ihm von Wjerotschka zu sprechen . . Jedoch, eines Tages sah er ihn wie gewöhnlich einige Zeit stillschweigend an und sagte endlich bedeutungsvoll:

– Boris Andrejitsch!

– Was giebt’s? – fragte Boris Andrejitsch und wurde dabei etwas roth, ohne recht zu wissen warum.

– Was ich Ihnen sagen wollte, Boris Andrejitsch . . . Sehen Sie . . . daß . . . nun, es würde nicht schon fein, falls zum Beispiel etwas . . .

– Was haben Sie denn nur? – versetzte Boris Andrejitsch. – Ich verstehe Sie nicht.

– Ich meine Wjerotschka . . .

– Wjerotschka?

Boris Andrejitsch enöthete noch tiefer.

– Ja wohl. Geben Sie Acht: es ist nicht schwer Unheil zu stiften. . . ich will sagen, ein Unrecht zu begehen. Sie entschuldigen meine Aufrichtigkeit, aber ich denke, daß meine Pflicht als Freund . . .

– Aber was fällt Ihnen denn ein, Peter Wassiljewitsch? – unterbrach ihn Boris Andrejitsch. – Wjerotschka ist ein Mädchen von der strengsten Sittlichkeit – und übrigens besteht ja zwischen uns Nichts als eine ganz gewöhnliche Freundschaft . . .

– Aber entschuldigen Sie, Boris Andrejitsch! – Unterbrach jetzt Peter Wassiljewitsch. – Wie kann es denn nur sein, daß zwischen Ihnen, einem gebildeten Manne, und einem Mädchen vom Lande, die außer ihren vier Wänden . . .

– Wieder die alte Geschichte! – unterbrach ihn zum zweiten Male Boris Andrejitsch. – Wozu Sie da die Bildung herbeischleppen, kann ich wahrlich nicht begreifen!

Boris Andrejitsch wurde etwas ärgerlich.

– Hören Sie doch nur zu! – rief Peter Wassiljewitsch ungeduldig aus. – Da wir nun einmal schon so weit sind, muß ich Ihnen erklären, daß Sie zwar das volle Recht haben, sich vor mir zu verstecken; mich oder hinter’s Licht führen – nein! das wird Ihnen nicht gelingen. Ich habe meine Augen für mich. Der gestrige Tag (sie waren nämlich beide einen Tag zuvor bei Stepan Petrowitsch gewesen) hat mir über Manches Aufschluß gegeben.

– Ueber was hat er Ihnen denn Aufschluß gegeben? – fragte Boris Andrejitsch.

– Er hat mir klar gemacht, daß Sie sie lieben, und daß Sie sogar eifersüchtig sind.

Wjasownin sah Peter Wassiljewitsch groß an.

– Nun, und liebt sie mich auch?

– Mit Bestimmtheit möchte ich das nicht sagen; es wäre aber zu verwundern, wenn sie Sie nicht lieben sollte.

– Weil ich eben gebildet bin, wollen Sie sagen.

– Aue diesem Grunde, und auch deshalb, weil Sie vermögend sind. Ihr Aeußeres kann auch gefallen. Die Hauptsache bleibt aber doch – weil Sie vermögend sind.

Wjasownin erhob sich und ging ans Fenster.

– Woraus konnten Sie aber bemerken, daß ich eifersüchtig bin? – fragte er, sich plötzlich wieder umwendend.

– Daraus, daß Sie gestern nicht wieder gekommen waren, so lange der Windbeutel Karantjeff nicht abgefahren war.

Wjasownin gab keine Antwort, fühlte aber, daß sein Freund die Wahrheit gesagt hatte. Dieser Karantjeff war ein Mensch, der seine Studien nicht zu Ende gebracht hatte, ein lustiger und nicht dummer Junge mit Herz und Gemüth, der jedoch vom rechten Wege abgekommen war und sich zu Grunde richtete. Die Leidenschaften hatten schon in der frühesten Jugend alle seine Kräfte angegriffen: er war immer unbeaufsichtigt gewesen. Er hatte ein kühnes Zigeunergesicht und sah auch im Uebrigen einem Zigeuner nicht unähnlich, er sang und hüpfte auch wie ein solcher. Er verliebte sich in alle Frauen. Auch Wjerotschka gefiel ihm sehr. Boris Andrejitsch hatte seine Bekanntschaft gemacht und war ihm anfangs gewogen. Als er aber eines Tages bemerkte, daß Wjerotschka seine Lieder mit einem ganz besonderen Gesichte anhörte, fing er an, anders über ihn zu denken.

– Peter Wassiljewitsch – sagte Boris Andrejitsch, indem er auf seinen Freund zuging und vor ihm stehen blieb – ich muß bekennen . . . es scheint mir nämlich, daß Sie Recht haben. Ich habe es schon längst selbst gefühlt. Sie aber haben mir die Augen geöffnet. Ja, es ist wahr, ich bin nicht gleichgültig gegen Wjerotschka. Aber hören Sie mich an, Peter Wassiljewitsch – Was folgt dann daraus? Sowohl sie, als ich – wir beide werden nichts Unehrliches beabsichtigen. Dabei habe ich Ihnen ja, wie mir scheint, bereits erklärt, daß ich an ihr keine besondere Neigung zu mir verspüre.

– Alles wahr! – erwiederte Peter Wassiljewitsch – aber der böse Dämon ist machtvoll.

Boris Andrejitsch schwieg eine Weile.

– Was soll ich nun machen, Peter Wassiljewitsch?

– Was machen? Stellen Sie Ihre Besuche ein!

– Sie glauben, daß es nöthig sei.

– Freilich! Sie denken doch nicht etwa daran, sie zu heirathen?

Wjasownin schwieg von Neuem.

– Und weshalb sollte ich sie nicht heirathen? – brach er endlich aus.

– Deshalb, Boris Andrejitsch, weil, wie ich Ihnen bereits gesagt habe, weil sie nicht für Sie paßt.

– Ich sehe das nicht ein.

– Wenn Sie das nicht einsehen, nun so handeln Sie nach Gutdünken! Ich bin nicht Ihr Vormund.

Peter Wassiljewitsch machte sich an das Stopfen seiner Pfeife.

Boris Andrejitsch setzte sich an’s Fenster und verfiel in Nachdenken. Peter Wassiljewitsch störte ihn nicht, und blies kleine Rauchwolken in die Luft. Endlich erhob sich Boris Andrejitsch und befahl mit merkbarer Aufregung, den Schlitten vorzufahren.

– Wohin? – fragte Peter Wassiljewitsch.

– Zu Barssukow’s – antwortete Boris Andrejitsch kurzeweg.

– Soll ich mitfahren ?

– Nein, Peter Wassiljewitsch, es wäre mir lieb, allein zu fahren. Ich will mit Wjerotschka selbst eine Unterredung suchen.

– Wie Sie wollen.

– Ja, ja – sagte er zu sich, nachdem er Boris Andrejitsch hinausgeleitet hatte – jetzt gehts los . . . und Alles kommt daher, das er es zu gut hat! – fügte er hinzu, sich auf dem Divan ausstreckend.

An demselben Tage Abends, als Peter Wassiljewitsch schon glaubte, die Rückkehr seines Freundes umsonst abgewartet zu haben, und sich anschickte zu Bett zu gehen, drang plötzlich Boris Andrejitsch, mit Schnee bestäubt, in’s Zimmer und fiel seinen Freunde um den Hals.

– Mein Freund! Peter Wassiljewitsch, gratulire mir! – rief er aus, ihn zum ersten Male mit »Du« anredend. – Sie ist einverstanden, der Alte auch – Alles ist fertig! – Wie! . . . Was ist geschehen? – stotterte staunend Peter Wassiljewitsch.

– Ich heirathe!

– Wjerotschka?

– So ist’s . . . Alles ist schon abgemacht, Alles ist in Ordnung.

– Nicht möglich!

– Was bist Du aber für ein Mensch! Ich sage Dir doch – Alles ist beschlossen!

Peter Wassiljewitsch zog hastig die Pantoffel über die Füße, warf den Schlafrock um die Schulter und rief:

Macedonia, Thee! – Dann fügte er hinzu: – Nun, da einmal Alles abgemacht ist, so muß es dabei bleiben. Gehe Euch Gott seinen Segen! Aber erzähle – wie ist das zugegangen?

Merkwürdig – von diesem Tage an redeten sich unsere Freunde mit »Du« an, als ob es zwischen ihnen nie andere gewesen wäre.

– Recht gern, mit Vergnügen! – antwortete Wjasownin und fing an zu erzählen.

Der Besuch war nämlich folgendermaßen abgelaufen.

Als Boris Andrejitsch bei Stepan Petrowitsch eintrat, fand er dort ausnahmsweise keinen einzigen Gast vor. Der Hausherr selbst ging auch gegen seine Gewohnheit nicht auf und nieder, sondern saß in einem Lehnstuhl; er fühlte sich nicht ganz wohl. So oft er sich anschickte zu sprechen, brach er jedesmal plötzlich wieder ab. Er begrüßte daher den eintretenden Wjasownin mit einem freundlichen Kopfnicken, deutete zuerst auf den Tisch hin, auf dem wie gewöhnlich ein kaltes Frühstück vorbereitet stand, dann auf Wjerotschka, und schloß die Augen. Wjasownin hatte das nur abgewartet. Er setzte sich gleich neben Wjerotschka und knüpfte ein halblautes Gespräch mit ihr an. Es hatte zuerst die Gesundheit Stepan Petrowitsch’s zum Gegenstande.

– Es wird mir so unheimlich – sagte Wjerotschka flüsternd – jedesmal, wenn er sich unwohl fühlt. Er ist nun einmal so: nie wird er klagen, nie nach etwas verlangen. Es ist fast unmöglich, ein Wort aus ihm herauszupressen. Ist er krank, so sagt er es nicht.

 

– Und Sie lieben ihn sehr? – fragte sie Wjasownin.

– Wen? Meinen Vater? . . . Ueber Alles in der Welt! Behüte der Himmel, daß ihm Etwas zustoße! Mir ist, als könnte ich dann nicht mehr leben.

– Also wäre es für Sie unmöglich, sich von ihm zu trennen?

– Zu trennen? Und weshalb denn von ihm trennen? Boris Andrejitsch blickte zu ihr auf.

– Nun, ein Mädchen darf doch nicht ewig im elterlichen Hause bleiben.

– Ach! das meinten Sie! Nun in dieser Hinsicht bin ich ganz ruhig . . . Wer sollte mich denn heirathen.

»Ich« hätte Boris Andrejitsch beinahe herausgeplatzt; doch er hielt an sich.

– Was macht Sie so nachdenkend? – fragte sie, indem sie ihn mit ihrem gewöhnlichen Lächeln ansah.

– Ich denke – erwiederte er – ich denke, daß . . .

Er änderte plötzlich den Ton und fragte sie, ob sie Karantjeff schon lange kenne.

– Ich kann mich wahrlich nicht besinnen. Es kommen ja so viele Herren zu meinem Vater. Ich glaube, er war im vorigen Jahre zum ersten Male bei uns.

– Gefällt er Ihnen?

– Nein! – antwortete Wjerotschka nach einigem Besinnen.

– Und weshalb nicht?

– Er ist so unreinlich – erwiederte sie naiv. – Uedrigens scheint er ein guter Mensch zu sein, er singt so schön – er bewegt mir jedesmal das Herz, wenn er singt.

– Sol – gab Wjasownin zurück, und nach einer Pause fügte er hinzu: – Wer gefällt Ihnen denn!

– Es gefallen mir Viele . . . Sie gefallen mir auch.

– Wir sind ja Freunde. Gefällt Ihnen aber Niemand besonderes?

– Aber was Sie doch neugierig sind!

– Und Sie sind kalt.

– Wieso? – fragte Wjerotschka unschuldig.

– Hören Sie mich an! – begann Wjasownin. – Aber in diesem Augenblicke drehte sich Stepan Petrowitsch im Sessel herum. – Hören Sie – fuhr er kaum hörbar fort, während ihm das Blut zu Kopfe schoß. – Ich muß Ihnen Etwas mittheilen, etwas sehr Wichtiges . . . aber nicht hier.

– Wo denn ?

– Meinetwegen in dem angrenzenden Zimmer.

– Um was handelt es sich – fragte Wjerotschka, sich erhebend. – Ein Geheimniß?

– Jawohl, ein Geheimniß.

– Ein Geheimniß . . . – wiederholte Wjerotschka verwundert und trat zum Zimmer hinaus. Wjasownin folgte ihr; er war wie im Fieber.

– Nun, um was handelt es sich? – fragte sie neugierig.

Boris Andrejitsch wollte etwas weit ausholen. Als er aber in das junge Gesicht, welches von dem lichten, ihm so sympathischen Lächeln belebt wurde, in diese klaren, weichen Augen schaute, verlor er sich, und fast wider seinen Willen fragte er sie ohne jede Einleitung.

– Wjera Stepanowna, würden Sie einwilligen meine Frau zu werden?

– Wie? – fragte Wjerotschka, und wurde feuerroth.

– Wollen Sie meine Frau werden? – wiederholte Wjasownin mechanisch.

– Ich . . . ich weiß nicht . . . ich habe nicht erwartet . . . es war so . . . stotterte Wjera, mit ihrer Hand das Fensterkreuz fassend, um nicht umzufallen. Dann, auf einmal stürzte sie aus dem Zimmer in ihr Schlafgemach.

Boris Andrejitsch blieb noch eine Weile stehen und kehrte dann verwirrt in das Kabinet zurück. Aus dem Tische lag eine Nummer der »Moskauer Nachrichten.« Er nahm die Zeitung in die Hand, setzte sich und starrte aus die Zeilen. Er wußte nicht, was mit ihm vorging, geschweige daß er sich hätte Rechenschaft geben können, was dort stand. Etwa eine halbe Stunde brachte er in dieser Stellung zu. Da vernahm er ein leichtes Geräusch hinter sich; ohne sich umzusehen, wußte er, daß Wjera eingetreten war.

Es vergingen noch einige Augenblicke. Er ließ den Blick etwas von den ,,Nachrichten« abgleiten. Sie saß am Fenster mit abgewendeten Augen und war blaß. Endlich nahm er sich zusammen, ging auf sie zu und ließ sich auf einem Stuhl neben ihr nieder.

Stepan Petrowitsch bewegte sich nicht; er saß mit rückwärts gelehntem Kopfe im Sessel.

– Entschuldigen Sie mich Wjera Stepanowna! – begann Wjasownin mit einer gewissen Anstrengung – Ich bin wirklich schuldig. Ich hätte Sie nicht so erschrecken sollen, nicht so auf einmal . . . und dabei . . . ich hatte keinen Grund . . .

Wjerotschka schwieg.

– Da es aber einmal geschehen ist, – fuhr er fort – so möchte ich doch wenigstens wissen, welche Antwort . . .

Wjerotschka senkte die Augen; ihre Wangen rötheten sich von Neuem.

– Wjera Stepanowna, nur ein Wort . . .

– Ich weiß wahrlich nicht – begann sie – Boris Andrejitsch . . . es hängt Alles vom Vater ab.

– Was? Unwohl? – erscholl plötzlich die Stimme Stepan Petrowitsch’s.

Wjerotschka fuhr zusammen und hob rasch den Kopf. Die Augen Stepan Petrowitsch’s waren grade auf sie gerichtet und sahen sehr unruhig aus. Sie ging sofort auf ihn zu.

– Rufen Sie mich, Vater?

– Unwohl? – wiederholte er.

– Wer? Ich? Ader nein! Wie kommen Sie darauf?

Er sah sie scharf an.

3Chef der Landpolizei.
4Ein russisches Essen, das sich aus saurer Kräutersuppe, eingeschnittenen Gurken, Zwiebeln und gesalzenen Fische zusammensetzt.