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Tagebuch eines Überflüssigen

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27. März. – Das Thauwetter hält an.

Die Angelegenheiten befanden sich in der oben geschilderten Lage – der Fürst und Lisa liebten sich gegenseitig. Die alten Oschogins warteten ab, was da kommen werde. Bismenkoff war auch noch anwesend – sonst hätte man ihn nicht weiter zu erwähnen. Ich marterte mich ab wie ein Fisch im Eise und fuhr fort angestrengt zu beobachten. Ich stellte mir damals, wie ich mich erinnere, zur Aufgabe, wenigstens nicht zuzulassen, daß Lisa in den Klauen des Verführers zu Grunde gehe, und infolge dessen fing ich an, dem Stubenmädchen eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen und auf die verhängnißvollen Hintertreppen aufzupassen – während ich andererseits oftmals ganze Nächte hindurch darüber phaniasirte, mit welcher rührenden Großmuth ich seiner Zeit meine Hand dem betrogenen Opfer darreichen und ihr sagen würde: »Der Arglistige ist Dir untreu geworden; aber ich bin Dein treuer Freund . . . vergessen wir die Vergangenheit und seien wir glücklich.« – Da verbreitete sich plötzlich in der Stadt das freudige Gerücht, der Adelsmarschall des Bezirkes beabsichtige zu Ehren des geschätzten Gastes auf seinem eigenen Gute Gornostajewka, auch Gudniakoff genannt, einen großen Ball zu geben. Alle Personen von Rang und officiellen Stellung in der Stadt O . . . erhielten Einladungen, vom Polizeidirektor an bis zum Apotheker – einem Deutschen, der sich einbildete, rein Russisch zu sprechen, weshalb er sich unaufhörlich und nicht immer gerade zur gelegenen Zeit kräftiger Ausdrücke in schlechtem Russisch bediente, nie: »Hol mich der Teufel, ich bin heute ein ganz famoser Kerl«. . . Nun ging es, wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, energisch an die Vorbereitungen: Ein Cosmetikenhändler brachte sechzehn dunkelblaue Büchsen mit Pomade an den Mann, welche die Aufschrift trugen: à la esmin (an das letzte Wort war noch der russische stumme Laut angehängt !). Die jungen Damen besorgten sich steife Kleider mit quetschend enger Schneppentaille; die Mütter errichteten auf ihren eigenen Köpfen grausame Verunzierungen, die sie Hauben zu nennen beliebten; die geschäftigen Väter hatten, wie man sagt, die Beine unter die Arme genommen . . . Der ersehnte Tag erschien endlich. Ich gehörte zu den Geladenen. Von der Stadt bis Gornostajewka waren neun Werst. Kirillo Matweijewitsch bot mir einen Platz in seinem Wagen an, aber ich lehnte ab . . . so pflegen bestrafte Kinder, indem sie sich an ihren Eltern rächen wollen, bei Tisch ihre Lieblingsspeisen zu verschmähen. Ueberdies fühlte ich, daß meine Gegenwart Lisa geniren würde. Bismenkoff wußte von meiner Einladung zum Balle. Der Fürst fuhr in seinem eigenen Wagen, ich – in einer abscheulichen Droschke, die ich um vieles Geld für diese feierliche Gelegenheit gemiethet hatte. Ich werde den Ball nicht beschreiben. Es ging hier Alles von statten, wie es sich gehört: Musikanten mit auffallend verstimmten Trompeten – auf einer besonderen Erhöhung; verblüffte Gutsbesitzer mit ihren altfränkischen Familien, veilchenblaues Eis, schleimige Mandelmilch – die Diener mit ausgetretenen Stiefeln und mit gestrickten baumwollenen Handschuhen – Löwen aus der Provinz mit krampfhaft verzogenen Gesichtern u.s.w., u.s.w. Und diese ganze kleine Welt drehte sich um ihre Sonne – um den Fürsten. In der Menschenmenge verloren, sogar von den 48 jährigen Fräuleins mit rothen Blüthen auf der Stirn und blauen Blümchen im Haar, von diesen sogar unbemerkt, blickte ich unaufhörlich bald auf den Fürsten, bald auf Lisa. Sie war sehr nett gekleidet, und überhaupt war sie überaus anmuthig an jenem Abende. Sie tanzten blos zweimal mit einander (doch war es auch die Mazurka die er mit ihr tanzte!), aber es schien – wenigstens mir schien es – daß zwischen ihnen ein geheimer, unaufhörlicher Verkehr bestand. Sie nicht einmal ansehend, nicht mit ihr sprechend, schien er sich doch an sie zu wenden, und nur an sie allein. Er war liebenswürdig, glänzend und mit Anderen im Gespräche gefällig – aber es galt nur ihr. Sie schien sich als Königin des Balles zu fühlen und sich bewußt zu sein, daß sie geliebt sei. Ihr Gesicht strahlte zu gleicher Zeit von kindlicher Freude, von unschuldigem Stolze und glänzte mitunter in einem noch anderen, viel tieferen Gefühle. Ihr ganzes Wesen hauchte Glückseligkeit. Ich bemerkte dies Alles . . . Es war nicht das erste Mal, daß ich sie beide beobachtete . . . Anfangs betrübten mich meine Wahrnehmungen, später erregten sie in mir eine Art von Rührung und zuletzt wurde ich aufgebracht. Ich fühlte mich auf einmal ungewöhnlich erbost, und wie ich mich erinnere, freute ich mich außerordentlich dieser neuen Empfindung und gewann mir sogar selbst eine Art Achtung ab. »Wir werden schon zeigen, daß wir keine überflüssigen Leute sind,« sagte ich zu mir selbst. Als die ersten herbeirufenden Klänge der Mazurka erschallten, sah ich mich gelassen um, ging kalt und ungezwungen auf ein Fräulein mit langem Gesichte, einer rothen, glänzenden Nase, einem ungeschickt geöffneten, gleichsam aufgeknöpften Munde und mit einem sehnigen Halse, der an den Griff eines Contrabasses erinnerte, zu – ich ging auf sie zu und engagirte sie, indem ich trocken mit dem Absatz aufknallte. Sie trug ein rosafarbenes Kleid, welches so aussah, als ob es sich erst vor Kurzem, und dies noch nicht vollkommen von einer Krankheit erholt habe, auf ihrem Kopfe zitterte Etwas wie eine welke, niedergeschlagene Fliege auf einer überaus dicken, kupfernen Feder – und überhaupt war dieses Fräulein, wenn man sich so ausdrücken darf, durchtränkt von einer Art schaaliger Langeweile und vlämischer Sauertöpfigkeit. Vom Beginne des Abends hatte sie sich noch nicht vorn Flecke gerührt; Niemand dachte daran sie zu engagiren. Ein sechzehnjähriger, blonder Jüngling hatte einmal die Absicht – aus Mangel an einer andern Dame – sich an dieses Fräulein zu wenden und machte sogar schon einen Schritt in ihrer Richtung – überlegte es sich aber, sah sie an und verschwand flink in der Menschenmenge. Sie können sich also vorstellen, mit welch freudiger Verwunderung sie mein Anerbieten annahm. Ich führte sie feierlich durch den Saal, suchte zwei Sessel aus und setzte mich mit ihr in den Kreis der zehnpaarigen Mazurka, fast dem Fürsten gegenüber, dem man selbstverständlich den ersten Platz angewiesen hatte. Der Fürst tanzte, wie schon bemerkt, mit Lisa. Weder ich noch meine Dame wurden mit Engagements beunruhigt, mit hatten also Zeit genug zur Unterhaltung. Die Wahrheit zu sagen zeichnete sich meine Dame keineswegs durch die Fähigkeit aus, Worte in zusammenhängender Rede auszusprechen. Sie gebrauchte ihren Mund mehr dazu, um ein eigenthümliches, von mir bisher nicht gesehenes Lächeln nach unten zustande zu bringen, wobei sie die Augen nach oben richtete, als ob ihr Gesicht durch eine unsichtbare Mast in die Länge gezogen würde. Aber ich bedurfte ihres Rednertalentes nicht, um so weniger, da ich erbost war und meine Dame mir keine Schüchternheit einflößte. Ich sing nun an, Lille und Alles in der Weit zu bekritteln, besonders die Herren aus der Residenz und die Petersburger Stutzer, und verging mich so weit, daß meine Dame allmählich zu lächeln aufhörte und, anstatt die Augen nach oben zu lenken, plötzlich anfing – wahrscheinlich aus Ueberraschung – zu schielen, und dabei so eigenthümlich, als ob sie zum ersten Male gewahr würde, dass sie eine Nase habe – und mein Nachbar, einer von den Löwen, von denen ich sprach, sich sogar mit dem Ausdrucke eines Schauspielers an mich wendete, der in einer ihm fremden Gegend erwacht – als wollte er sagen: »Wie kommst du denn dazu ?« Uebrigens, indem ich, wie man zu sagen pflegt, wie eine Nachtigall meinen Gesang fortsetzte, ließ ich den Fürsten und Lisa nicht aus den Augen. Man engagirte sie unaufhörlich; aber ich litt weniger, wenn sie beide tanzten – auch dann, wenn sie nebeneinander saßen und sich unterhielten, wenn sie sich gegenseitig mit jenem sanften Lächeln zulächelten, das vom Gesichte glücklicher Liebhaber nicht schwinden will – auch alsdann empfand ich die Qualen weniger. Aber als Lisa mit irgend einem verwegenen Modehelden im Saale herumschwebte, und der Fürst, ihre hellblaue Gazeschärpe aus dem Knie haltend, sie nachdenklich mit den Augen verfolgte, als ob er sich an seiner Errungenschaft ergötzte – dann, o alsdann empfand ich die unerträglichsten Qualen und ließ aus Aerger boshafte Bemerkungen fallen, daß die Pupillen meiner Dame von beiden Seiten sich vollkommen nach der Nasenspitze richteten. Unterdessen näherte sich die Mazurka ihrem Ende. Man war an der Figur, die la confidente genannt wird. In dieser Figur setzt sich die Dame, welche an der Reihe ist, in die Mitte des Kreises, wählt eine zweite Dame als Vertraute und flüstert ihr den Namen desjenigen Herrn ins Ohr, mit dem sie zu tanzen geneigt ist. Einer der Cavaliere führt ihr einzeln die Tänzer zu, und die vertraute Dame weist sie ab, bis schließlich der im Voraus bestimmte Glückliche an die Reihe kommt. Lisa setzte sich in die Mitte des Kreises und wählte die Tochter des Hauses, ein Mädchen von jener Sorte, von welcher man zu sagen pflegt: ‚s ist schon gut!« – Der Fürst schritt nun an das Aufsuchen des Auserwählten. Nachdem er vergebens zehn junge Leute vorgestellt hatte (die Tochter des Hauses sagte ihnen Allen mit dem allerliebenswürdigsten Lächeln ab), wendete er sich zuletzt an mich. Etwas ganz ungewöhnliches ging in mir in diesem Momente vor: ich erzitterte am ganzen-Körper, wollte anfangs absagen, stand aber doch auf und folgte ihm. Der Fürst führte mich aus Lisa zu . . . Sie sah mich nicht einmal an; die Tochter des Hauses machte mit dem Kopfe eine verneinende Bewegung, der Fürst drehte sich zu mir herum, und, wahrscheinlich angespornt durch den dummen Ausdruck meines Gesichtes, machte er eine tiefe Verbeugung – diese Abweisung durch meinen triumphirenden Rivalen, sein fahrlässiges Lächeln, die gleichgültige Unaufmerksamkeit von Seiten Lisa’s – Alles dies empörte mich . . . Ich machte einige Schritte gegen den Fürsten und sagte wüthend :

 

»Sie scheinen mich auslachen zu wollen?«

Der Fürst sah mich mit einer verächtlichen Ueberraschung an, faßte mich wiederum beim Arme und sich anstellend, als ob er mich nach meinem Platze begleiten wollte, antwortete er kalt: »Ich?«

– »Ja, Sie! – fuhr ich halblaut fort, indem ich ihm indessen gehorchte, das heißt zu meinem Platze folgte – »Sie! Aber ich werde es nicht erlauben, daß ein hohler Petersburger Emporkömmling« . . .

Der Fürst lächelte ruhig, fast nachsichtig, drückte mir die Hand und sagte leise: »Ich verstehe; doch hier ist nicht der Ort dazu. Wir werden und noch sprechen. Mit diesen Worten wendete er sich ab, ging auf Bismenkoff zu und führte ihn Lisa vor. Der bleiche Beamte erwies sich als Lisas Auserwählter. Sie stand auf und ging ihm entgegen.

Als ich mich neben meine Dame mit der wehmuthsvollen Fliege auf dem Haupte niederlegte, hatte ich fast das Gefühl eines Helden. Mein Herz schlug stark, die Brust hob sich würdevoll hinter dem gestreiften Chemisette, ich athmete tief und rasch – und warf plötzlich auf meinen Nachbar, auf einen Stutzer, einen derart großartigen Blick, daß derselbe unwillkürlich mit seinem auf mich zugerichteten Füßchen zurückzuckte. Nachdem ich mit diesem Herrn fertig geworden, musterte ich mit den Augen den ganzen Zirkel der Tanzenden . . . Ich glaube, daß zwei, drei Herren mich mit einem gewissen Bedenken ansahen; im Uebrigen wurde meine Unterredung mit dem Fürsten wohl kaum bemerkt . . . Mein Nebenbuhler saß bereits wie zuvor auf seinem Sessel; er war vollkommen ruhig und behielt sein bisheriges Lächeln. Bismenkoff brachte Lisa auf ihren Platz. Sie machte ihm eine freundliche Verbeugung und wendete sich bald wieder zum Fürsten – wie mir schien, mit einer gewissen Unruhe im Gesicht. Er aber antwortete ihr mit einem Auflachen, machte mit der Hand eine graziöse Bewegung und mußte ihr wohl etwas sehr Angenehmes sagen, denn sie wurde ganz roth vor Vergnügen, ließ die Augen sinken und sah alsbald wieder mit dem Ausdruck freundlichen Vorwurfes zu ihm auf.

Die heroische Stimmung, welche sich plötzlich meiner bemächtigt hatte, erhielt sich bis zum Schlusse der Mazurka; jedoch, ich witzelte nicht mehr und unterließ auch das Kritteln. Ich warf nur von Zeit zu Zeit einen düstern und strengen Blick auf meine Dame, die mich augenscheinlich zu fürchten anfing; denn sie stotterte und bewegte unaufhörlich und ruhelos ihre Augen, während ich sie in den Schutz ihrer natürlichen Festung, ihrer Mutter nämlich, zurückführte – einer überaus wohlbeleibten Dame mit einem fuchsrothen Bande auf dem Kopfe . . . Nachdem ich das verschüchterte Fräulein an ihren Bestimmungsort abgeliefert hatte, ging ich an das Fenster, kreuzte die Arme und wartete ab, was noch kommen sollte. Ich wartete ziemlich lange. Der Fürst war die ganze Zeit vom Hausherrn umgeben – buchstäblich umgeben, wie England vom Meere umgeben ist, nicht zu reden von den sonstigen Familienmitgliedern des Bezirks-Adelsmarschalls und den übrigen Gästen. Uebrigens konnte er ja auch nicht, ohne allgemeine Verwunderung zu erregen, auf einen so unbedeutenden Menschen wie mich zugehen und ihn anreden. Diese meine Bedeutungslosigkeit war mir damals sogar willkommen, wie ich mich noch jetzt zu erinnern weiß. »Dummes Zeug!« dachte ich bei mir, indem ich zusah, wie er sich höflich bald an den einen, bald an den andern der Gäste wendete, die sich um die Ehre bewarben, von ihm bemerkt zu werden – und einen Augenblick bemerkt zu werden, wie sich die Poeten auszudrücken belieben. – »Dummes Zeug, mein Verehrtester! . . . Du wirst ja schon auf mich kommen – ich habe Dich ja beleidigt.« Endlich, nachdem er sich auf eine gewandte Weise von seinen Anbetern losgemacht hatte, ging er an mir vorüber, blickte auf – es konnte sowohl dem Fenster wie meinem Haare gelten – stellte sich als ob er weitergehen wollte, blieb aber plötzlich stehen, als ob er sich an Etwas erinnere.

– Ach ja! – sagte er, mit einem Lächeln sich an mich wendend – à propos: ich habe ein kleines Anliegen an Sie.

Zwei Gutsbesitzer von der Sorte der zudringlichsten Leute, die dem Fürsten auf Schritt und Tritt nachfolgten, waren wahrscheinlich der Meinung, daß es sich um ein »Anliegen« handle, welches den Dienst betreffe, und zogen sich ehrfurchtsvoll zurück. Der Fürst nahm mich unter den Arm und führte mich beiseite. Mein Herz pochte stürmisch.

– Sie haben, wie ich glaube – fing er an, das »Sie« ausdehnend und meinen Kinnbart verächtlich fixirend – der seine stand seinem frischen, hübschen Gesichte besonders gut – Sie haben mir eine Grobheit gesagt?

– Ich sagte, was ich dachte – erwiderte ich, meine Stimme erhebend.

– St! . . . ein wenig stiller! – bemerkte er. Anständige Leute schreien nicht. Sie werden sich gefälligst mit mir schlagen?

– Das ist Ihre Sache – antwortete ich, mich aufrichtend.

– Ich werde genöthigt sein, Sie herauszufordern – bemerkte er nachlässig von Neuem – sobald Sie Ihre Auslassungen nicht zurücknehmen.

– Ich habe nicht die Absicht, irgend Etwas zu widerrufen – erwiderte ich stolz.

– Wirklich? – fragte er mit einem ironischen Lächeln – In diesem Falle – setzte er nach einer Pause hinzu – werde ich die Ehre haben, Ihnen morgen meinen Sekundanten zu schicken

– Sehr gut – sagte ich mit einer möglichst gleichgültigen Stimme.

– Der Fürst machte eine leichte Verbeugung.

– Ich kann Ihnen nicht verbieten, mich für einen hohlen Menschen zu halten – fügte et noch hinzu, indem er die Augen herausfordernd zusammenkniff; – aber ein Fürst N . . . kann keinesfalls ein Emporkömmling sein. – Auf Wiedersehen, Herr . . . Herr Stukaturin.

Er wendete mir hastig den Rücken und ging wieder auf den Wirth zu, der bereits etwas unruhig ward.

– Herr Stukaturin! . . . Ich heiße Tschulkaturin . . . Ich fand keine Antwort auf diese neue Beleidigung und konnte ihm nur einen wüthenden Blick nachschicken – »Bis morgen!« flüsterte ich zähneknirschend und suchte sofort einen bekannten Officier auf, einen Ulanen-Rittmeister Koloberdiajeff – einen Erzbummler, sonst alter braven Kerl. Ich erzählte ihm in einigen Worten meinen Streit mit dem Fürsten und forderte ihn auf, mein Sekundant zu sein. Er willigte begreiflicherweise bald ein, und ich begab mich nach Hause.

Ich konnte die ganze Nacht nicht einschlafen – vor Aufregung, nicht etwa aus Feigheit. Ich bin kein Feigling. Ich dachte sogar wenig an die bevorstehende Möglichkeit, das Leben, dieses, wie die Deutschen versichern, höchste Gut auf Erden, zu verlieren. Ich dachte nur an Lisa, an meine zugrundegegangenen Hoffnungen und endlich dachte ich auch daran, was ich zu thun hätte. »Muß ich mir Mühe geben, den Fürsten zu tödten?« fragte ich mich selbst – »Selbstverständlich!« – Ich wollte ihn nicht aus Rache tödten, sondern, wie ich mir sagte, weil ich das Wohl Lisas im Auge hatte. »Aber sie wird diesen Schlag nicht überleben!« fuhr ich fort. – »Nein, er mag lieber mich tödten!« . . . Ich gestehe, es war mir nebenbei nicht unangenehm, daß ich, ein unbedeutender Provinziale, eine so hochgestellte Persönlichkeit veranlaßte, sich mit mir zu schlagen.

Der Morgen traf mich in diesen Betrachtungen und ehe ich mich dessen versah, erschien Koloberdiajeff.

– Nun, – fragte er mich, lärmend in mein Schlafzimmer eintretend, – wo ist denn der Sekundant des Fürsten?

– Wo denken Sie hin? – antwortete ich ärgerlich – es ist kaum sieben Uhr; der Fürst wird wahrscheinlich noch im Bette liegen.

– In diesem Falle – entgegnete der unverbesserliche Rittmeister – lassen Sie mir Thee kommen. Ich habe noch Kopfschmerzen von der letzten Nacht . . . Auch habe ich mich nicht ausgekleidet. Uebrigens, – fügte er gähnend hinzu, – ich kleide mich überhaupt selten aus.

Man brachte ihm Thee. Er trank nacheinander sechs Glas mit Rum, rauchte dabei vier Pfeifen aus, erzählte mir, daß er Tags zuvor zu einem Spottpreise ein Pferd gekauft habe, für welches sich kein Kutscher finden lasse – daß er beabsichtige, es selbst durch Aneinanderbinden der Vorderbeine einzufahren – endlich schlief er, ohne sich auszukleiden, mit der Pfeife im Munde auf dem Sopha ein. Ich stand auf und ordnete meine Papiere. Ein Einladungsbillet von Lisa – das einzige Billet, welches ich von ihr erhalten hatte – barg ich anfangs an meiner Brust; doch besann ich mich und warf es wieder in das Fach. Koloberdiajeff schnarchte leise, wobei sein Kopf vom ledernen Kissen herabhing. Ich betrachtete, wie ich mich besinne, lange sein zerzaustes, kühnen, sorgloses und gutmüthiges Gesicht. – Um zehn Uhr zeigte mir der Diener die Ankunft Bismenkoff’s an. Der Fürst hatte ihn zum Sekundanten gewählt!

Wir weckten beide den tief eingeschlafenen Rittmeister. Er erhob sich zur Hälfte, sah uns mit verdutzten Augen an, bat mit heiserer Stimme um »Wodka«· kam dann zu sich und begab sich, nachdem er und Bismenkoff sich begrüßt, mit diesem in das Nebenzimmer, um über den Zweikampf zu berathen. Die Conferenz der Herren Sekundanten dauerte nicht lange; eine Viertelstunde später kehrten sie zu mir in das Schlafzimmer zurück. Koloberdiajeff zeigte mir an, daß »wir uns noch heute, um drei Uhr, schießen würden.« Ich nickte schweigend, als Zeichen der Zustimmung Bismenkoff verabschiedete sich sofort und fuhr davon. Er sah etwas blaß und aufgeregt aus, gleich einem Menschen, der an solche Streiche nicht gewöhnt ist – im Uebrigen war er höflich und kalt. Es war mir, als ob ich mich ihm gegenüber schuldig fühlte, und ich konnte ihm nicht in’s Gesicht sehen. Koloberdiajeff fing wiederum an, von seinem Pferde zu erzählen. Diese Erzählung war mir nicht besondere angenehm; ich fürchtete, daß er auch auf Lisa zu reden kommen werde. Ader mein guter Rittmeister war kein Mann von Klatschereien, und außerdem verachtete er alle Frauen, die er, Gott weiß warum, mit der Benennung »Salat« gekrönt hatte. Um zwei Uhr frühstückten wir und um drei Uhr befanden wir uns schon an Ort und Stelle – in demselben Birkenhaine, in dem ich einst mit Lisa spazierte, zwei Schritte von jenem Abhange . . .

Wir waren die ersten am Platze. Aber der Fürst und Bismenkoff ließen nicht lange auf sich warten. Der Fürst war – ohne zu übertreiben – frisch wie eine Rose; seine braunen Augen blitzten freundlich hinter dem Schirm seiner Mütze hervor. Er rauchte eine Zigarre und als er Koloberdiajeff bemerkte, drückte er ihm sehr freundlich die Hand. Sogar mir machte er eine anmuthige Verbeugung. Ich hingegen fühlte, daß ich blaß aussah; meine Hände zitterten ein wenig, zu meinem großen Aerger . . . die Kehle wurde mir immer trockener . . . Bisher hatte ich noch kein Duell ausgefochten. »O lieber Gott’«, dachte ich, »wenn mir nur dieser spottlustige Herr meine Aufregung nicht als Feigheit deuten wollte!« Innerlich verwünschte ich meine Nerven. Als ich aber endlich zum Fürsten aufblickte und von seinen Lippen ein fast unmerkliches Lächeln auffing, wurde ich von Neuem erbost und beruhigte mich sofort. Unterdessen hatten unsere Sekundanten eine Barrière aufgestellt, die Schritte abgemessen und die Pistolen geladen. Koloberdiajeff war dabei am thätigsten. Bismenkoff beobachtete mehr. Es war ein herrlicher Tag – gleich jenem Tage, an welchem der unvergeßllche Spaziergang stattgefunden hatte. Die dichte Bläue des Himmels durchdrang wie damals das vergoldete Laub der Bäume. Das Säuseln der Blätter schien mich zu necken. Der Fürst hörte nicht auf, seine Cigarre zu tauchen und stand mit der Schulter an den Stamm einer jungen Linde gelehnt.

– Wollen Sie sich stellen, meine Herren: fertig! – sagte endlich Koloberdiajeff, und reichte uns die Pistolen.

Der Fürst ging einige Schritte zurück, blieb stehen, und, den Kopf rückwärts drehend, fragte er mich über die Schritten »Und Sie wollen Ihre Worte immer noch nicht zurücknehmen?« Ich wollte ihm antworten, aber die Stimme versagte mir den Dienst, und ich begnügte mich mit einer wegwerfenden Handbewegung. Der Fürst lächelte wiederum und stellte sich an seinen Platz. Wir fingen an uns näher zu treten. Ich hob die Pistole, zielte auf die Brust meines Feindes – in diesem Augenblicke war er wirklich mein Feind – rückte aber plötzlich die Mündung der Pistole nach aufwärts, als ob mich Jemand an den Ellbogen gestoßen hätte, und drückte ab. Der Fürst schwankte, fuhr mit der linken Hand über die linke Schläfe – ein kleiner Blutstrom schoß über seine Wange hinter dem weißen, semischledernen Handschuh hervor. Bismenkoff warf sich ihm entgegen.

– Thut Nichts – sagte er, die durchschossene Mühe abnehmend, – da er nicht in den Kopf gegangen, wird es bloß eine Schramme geben.

Er zog gelassen ein Battisttuch aus der Tasche und legte es auf die von Blut durchnäßten Locken. Ich sah ihn bestürzt an und rührte mich nicht von der Stelle.

– Bitte zur Barrière zu treten – bemerkte mir Koloberdiajeff streng.

 

Ich gehorchte.

– Wird das Duell fortgesetzt? – fügte er fragend hinzu, sich an Bismenkoff wendend.

Bismenkoff gab ihm keine Antwort; der Fürst, das Tuch nicht von der Wunde nehmend und sich nicht einmal das Vergnügen gönnend, mich an der Barrière noch ein wenig abzuquälen, erwiderte lächelnd: »Das Duell ist beendet!« und that einen Schuß in die Luft. Ich konnte mich vor Aerger und Wuth kaum des Weinens enthalten. Dieser Mann hatte mich durch seine Großmuth vollkommen vernichtet, hatte mich umgebracht. Ich wollte widerstreben, wollte verlangen, daß er auf mich losschieße; aber er kam auf mich zu und reichte mir die Hand.

– Jetzt ist zwischen uns Alles vergessen, nicht wahr? – sagte er in freundlichem Tone.

Ich blickte auf sein erblaßtes Gesicht, auf das mit Blut getränkte Tuch – und vernichtet, beschämt und gedemüthigt drückte ich ihm convulsivisch die Hand.

– Meine Herren, – fügte er hinzu, sich an die Sekundanten wendend, – ich hoffe, daß Alles unter uns bleiben wird?

– Versteht sich! – antwortete Koloberdiajeff. – Aber, Fürst, Sie erlauben . . .

Und er verband ihm eigenhändig den Kopf.

Beim Weggehen machte mir der Fürst von Neuem eine Verbeugung. Bismenkoff hingegen würdigte mich keines Blickes. Vernichtet – moralisch vernichtet, kehrte ich in Begleitung von Koloberdiajeff nach Hause zurück.

– Aber was ist mit Ihnen? – fragte mich der Rittmeister. – Beruhigen Sie sich: die Wunde ist nicht gefährlich. Er wird, wenn er Lust haben sollte, morgen schon wieder tanzen können. Oder bedauern Sie etwa, ihn nicht getödtet zu haben? Dann wäre es wirklich schade, er ist doch ein prächtiger Kerl!

– Warum hat er mich verschont? – stammelte ich endlich hervor:

– Da verstehe ich Sie erst recht nichts – erwiderte der Rittmeister. – Na, diese Romanschreiber! . . .

Es ist unbegreiflich, wie er dazu kam, mich für einen Romanschreiber zu halten.

Ich unterlasse es ein für alle Mal, die Qualen zu schildern, welche ich den Abend nach diesem unglückseligen Duell ausgestanden habe. Mein Ehrgefühl litt unbeschreiblich. Nicht das Gewissen plagte mich – das Bewußtsein der traurigen Rolle, die ich spielte: dieses vernichtete mich ganz und gar. »Ich, ich selbst habe mir den letzten entscheidenden Schlag versetzt!« wiederholte ich unaufhörlich und stürmte dabei das Zimmer auf und ab. – »Der Fürst, durch mich verwundet und mir verzeihend . . . ja, Lisa ist jetzt sein. Jetzt kann sie Nichts mehr bewegen, an der Schwelle des Abgrundes anzuhalten, Nichts mehr retten.« Ich wußte recht gut, daß unser Duell trotz der Worte des Fürsten kein Geheimniß bleiben konnte; jedenfalls konnte es Lisa nicht verheimlicht werden. »Der Fürst ist nicht so dumm«, wiederholte ich wüthend, »um keinen Gebrauch davon zu machen . . . « und nichtsdestoweniger habe ich mich getäuscht: vom Duell und seiner nahen Ursache erfuhr, wie sich von selbst versteht, die ganze Stadt schon am nächsten Tage; aber nicht der Fürst war es, der es ausgeplaudert hatte – im Gegentheil: als er mit verbundenem Kopfe und einem im Voraus erdichteten Vorwande vor Lisa trat, wußte sie schon Alles. Bismenkoff hat mich nicht verrathen – auf welchem Wege sie es erfahren, vermag ich nicht zu sagen. Doch ist es denn in einer kleinen Stadt möglich Etwas zu verhehlen? Sie können sich vorstellen, wie Lisa ihn empfing, wie ihn die ganze Oschogin’sche Familie aufnahm! Was mich anbelangt, so wurde ich plötzlich Gegenstand eines allgemeinen Unwillens, der Verabscheuung – ein Ungeheuer, ein verrückter Eifersüchtiger, ein Menschenfresser. Meine wenigen Bekannten wendeten sich von mir ab, wie von einem Verpesteten. Die Behörden der Stadt gingen sofort den Fürsten an, mich exemplarisch bestrafen zu lassen; und nur der energischen und eindringlichen Fürsprache des Fürsten selbst war es zu verdanken, dass dieses Mißgeschick von mir fern gehalten wurde. Diesem Menschen war es beschieden, mich auf jede mögliche Weise zu vernichten. Mit seiner Großmuth hatte er mich zugedeckt, wie mit dein Deckel eines Sarges. Es wäre überflüssig hinzuzufügen daß sich das Oschogin’sche Haus bald für mich verschloß. Kirillo Matweijewitsch schickte mir sogar einen ganz gewöhnlichen Bleistift zurück, den ich bei ihm vergessen hatte. Eigentlich hatte er am wenigsten Ursache gehabt, mir zu zürnen. Meine, wie man sich in der Stadt ausdrückte, »wahnsinnige« Eifersucht hatte das Verhältniß zwischen Lisa und dem Fürsten geklärt, so zu sagen, erleuchtet. Von nun an wurde er von den alten Oschogin’s und den anderen Stadtbewohnern fast als Bräutigam betrachtet. Eigentlich konnte ihm dies nicht besonders angenehm sein; aber Lisa gefiel ihm sehr; dabei hatte er seine Ziele bis hierher noch nicht erreicht . . . Mit der Geschmeidigkeit eines klugen Weltmannes fand er sich bald in seine neue Lage – er ging sofort, wie man zu sagen pflegt, in den Geist seiner neuen Rolle ein . . .