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Tagebuch eines Überflüssigen

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25. März. – Ein weißer Wintertag.

Ich habe nachgelesen, was ich gestern aufgeschrieben, und war schon auf dem Punkte, das ganze Heft in Stücke zu zerreißen. Es kam wir vor, als ob ich zu ausführlich und zu sentimental erzähle. Doch, da meine Erinnerungen aus jener Zeit nichts Erfreuliches darbieten – außer der eigenthümlichen Wonne, welche Lermontow mit den Worten bezeichnete, daß es »ein erlabender Schmerz sei, die Narben von veralteten Wunden zu reizen« – warum sollte ich mir diesen unschuldigen Zeitvertreib nicht gönnen? Aber man soll sich auch nicht vergessen. Ich will daher ohne Sentimentalität fortfahren.

Im Laufe der Woche, nach dem Spaziergange außerhalb der Stadt, besserte sich meine Lage nicht im geringsten, obwohl die Veränderung an Lisa mit jedem Tage mehr zum Vorschein kam. Wie gesagt, ich deutete diese Veränderung in einer für mich vollkommen günstigen Weise . . . Das Unglück der Verlassenen und Schüchternen – aus Eigenliebe Schüchternen – besteht eben darin, daß sie, Augen besitzend und sogar nach allen Seiten umschauend, dennoch Nichts, oder Alles in falschem Lichte sehen, wie durch eine farbige Brille. Es sind eben ihre eigenen Gedanken und Beobachtungen die sie hieran auf jedem Schritte verhindern. Am Anfange unserer Bekanntschaft benahm sich Lisa mir gegenüber vertraulich und ungenirt wie ein Kind; es ist sogar möglich, daß ihre Neigung zu mit etwas mehr als einfache, kindliche Zuneigung war. . . Nachdem aber in ihr jener seltsame, fast plötzliche Vorgang erfolgt war, fühlte sie sich nach einem kurzen Schwanken in meiner Gegenwart beängstigt; unwillkürlich wendete sie sich von mir ab und verfiel dabei in Schwermuth und Nachdenken . . . Sie wartete ab . . . aber was? Das wußte sie selbst nicht . . . und ich . . . wie schon gesagt, ich freute mich dieser Veränderung . . . Ich war Wie betäubt vor Entzücken. Uebrigens, ich will zugeben, daß auch ein Anderer an meiner Stelle sich täuschen konnte. Wer ist denn frei von Eigenliebe? – Es ist i wohl überflüssig, zu sagen, daß mir Alles erst später klar wurde, als ich genöthigt war, meine beschnittenen und schon ohnedies nicht kräftigen Flügel sinken zu lassen.

Das Mißverständnis, welches zwischen mir und Lisa entstanden war, dauerte eine ganze Woche – und das ist doch am Ende gar nicht etwas so Außergewöhnliches: ich bin schon Augenzeuge von Mißverständnissen gewesen, die sich Jahre hindurch fortsetzten. Und wer hat denn je gesagt, daß nur die Wahrheit allein reell sei? Die Lüge ist eben so lebenskräftig wie die Wahrheit, wenn nicht noch mehr. Ich denke daran, wie im Laufe jener Woche, dann und wann in meinem Innern sich Etwas wie ein Wurm regte . . . aber unser Einer, ein verlassener Mensch – ich muß es wiederum bemerken – ist ebenso unfähig zu begreifen, was in ihm vorgeht, wie er es in Betreff Desjenigen ist, was vor seinen Augen geschieht. Und zu alledem: ist etwa die Liebe ein natürliches Gefühl? Ist es denn dem Menschen angeboren, zu lieben? Dir Liebe ist – eine Krankheit; und für eine Krankheit ist kein Gesetz geschrieben. Ich gestehe, mein Herz schnürte sich manchmal schmerzvoll zusammen; in meinem Innern ging ja aber so wie so Alles drunter und drüber. Wie soll man in einem solchen Zustande beurtheilen was Recht und was Unrecht ist, welchen Grund, weiche Bedeutung jede Empfindung für sich habe?

Aber, wie dem auch sei, alle diese Mißverständnisse, Vorgefühle und Hoffnungen klärten sich in folgender Weise auf.

Eines Tages – es war am Morgen, ungefähr gegen Mittag – hatte ich kaum das Vorzimmer bei Oschogins betreten, als sich eine unbekannte volltönende Stimme aus dem Saale vernehmen ließ. Die Thür that sich auf, und auf der Schwelle erschien in Begleitung des Hausherrn ein kräftiger, schlanker Mann, im Alter von etwa fünfundzwanzig Jahren. Er warf sich einen Militärmantel, der auf einer Bank gelegen hatte, um, verabschiedete sich liebenswürdig von Kirillo Matweijewitsch, legte an mir vorübergehend nachlässig die Finger an die Mütze – und verschwand sporenklirrend.

– Wer ist dass – fragte ich Oschogin.

– Fürst N . . . – antwortete er nachdenklich – ans Petersburg hierher gesandt – zur Rekrutenaushebung. – Aber – fuhr er ärgerlich fort – wo sind denn die Leute? Niemand ist da, der ihm den Mantel hätte reichen können.

Wir traten in den Saal ein.

– Ist er schon lange hier? – fragte ich.

– Seit gestern Abend, wie ich höre. Ich habe ihm ein Zimmer angeboten, aber er hat es ausgeschlagen. Sonst scheint er mir ein recht netter Mann zu sein.

– Er hat sich lange bei Ihnen aufgehalten?

– Etwa eine Stunde. Er bat mich, ihn Olimpiada Nikitischna vorzustellen.

– Und Sie haben ihn vorgestellt?

– Freilich.

– Und Lisaweta Kirillowna hat er . . .

– Er hat auch sie kennen gelernt – ja wohl.

Ich schwieg ein wenig.

– Wird er längere Zelt hier bleiben?

– Ja wohl! Ich glaube, er wird zwei Wochen oder langer hier zu verweilen gezwungen sein.

Und Kirillo Matweijewitsch lief weg, sich umzukleiden. Ich ging einige Male im Saale auf und ab. Ich kann mich nicht erinnern, ob die Ankunft des Fürsten N . . . schon damals einen besonderen Eindruck auf mich gemacht hatte, mit Ausnahme des entgegenstrebenden Gefühles, welches uns beim Erscheinen einer neuen Person in unserer nächsten Umgebung gewöhnlich beschleicht. Vielleicht gesellte sich zu diesem Gefühle noch eine Art von Neid – seitens eines schüchternen und dunkeln Moskauers gegen den glänzenden Petersburger Officier. »Der Fürst,« so dachte ich, »ist ein Petersburger Großmogul, er wird auf uns von oben herabblicken« . . . Ich sah ihn nur einen Augenblick, doch hatte ich Zeit genug, zu bemerken, daß er hübsch, gewandt und in seinem Auftreten ungezwungen war. – Nachdem ich einige Zeit im Saale herumspaziert war, blieb ich endlich vor dem Spiegel stehen, zog einen Kamm aus der Tasche, verlieh meinem Haar eine Art malerischer Nachlässigkeit und, wie es wohl oft geschehen mag – ich vertiefte mich plötzlich in die Betrachtung meines eigenen Gesichtes. Ich erinnere mich, daß meine Aufmerksamkeit besondere aus die Nase gerichtet war; die weichlichen und unentschiedenen Conturen dieses Gliedes verursachten mir sein besonderes Vergnügen – Da auf einmal öffnete sich in der dunkeln Tiefe des geneigten Spiegels, der fast das ganze Zimmer reflektirte, die Thür, und die schlanke Gestalt Lisas kam zum Vorschein. Ich weiß nicht mehr, wie es geschah, daß ich mich nicht rührte und im Gesicht den früheren Ausdruck beibehielt. Lisa streckte den Kopf vor, sah mich aufmerksam an und angespannt lauschend, die Lippen zusammengepreßt, zog sie sich mit verhaltenem Athem, wie ein Mensch, der froh ist, nicht bemerkt worden zu sein, langsam zurück. Als sie die Thür sacht hinter sich anzulehnen suchte, brachte dieselbe ein schwaches Knarren hervor. Lisa fuhr zusammen und blieb wie erstarrt stehen . . . Ich rührte mich immer noch nicht . . . Sie faßte von Neuem an die Thürklinke und verschwand. Es war nicht mehr zu zweifeln: der Ausdruck in Lisas Gesicht, in dem Augenblicke als sie mich gewahr wurde, – dieser Ausdruck, in welchem sonst Nichts zu lesen war, als der Wunsch, unbemerkt zu verschwinden und einem unangenehmen Zusammentreffen aus dem Wege zu gehen, – ein flüchtiger Wiederschein des Wohlbehagens, den ich in ihren Augen las, als sie glaubte, daß es ihr wirklich gelungen sei, ungesehen zu entschlüpfen – dies Alles sagte mir nur zu deutlich: dieses Mädchen liebt dich nicht. Lange, lange war ich nicht im Stande, im Spiegel meinen Blick von der unbeweglichen, stummen Thür abzuwenden. Es war, als wollte ich meiner eigenen Figur zulächeln – ich ließ den Kopf sinken, begab mich nach Hause und warf mich auf das Sopha. Es war mir ungewöhnlich schwer zu Muthe, so schwer, daß ich nicht weinen konnte – und worüber sollte ich denn weinen? . . . »Ist es denn möglich?« – wiederholte ich unaufhörlich auf dem Rücken wie ein Gestorbener liegend und die Hände über die Brust zusammengefaltet – »ist es denn möglich?« . . . Wie gefällt Ihnen dieses: »ist es denn möglich!« . . .

26. März. – Thauwetter.

Als ich am darauffolgenden Tage nach längerem Zögern und beklommenen Herzens in das Empfangszimmer Oschogin’s eintrat, war ich nicht mehr derselbe Mensch, den s sie an mir drei Wochen hintereinander gekannt hatten. Alle meine früheren Eigenheiten, denen ich mich unter dem Einflusse des neuen Gefühles allmählich zu entwöhnen begonnen hatte, kehrten plötzlich wieder und nahmen Besitz von mir, wie ein Herr, der in sein Haus zurückkommt. Solche Menschen, wie ich, richten sich gewöhnlich nicht so sehr nach positiven Thatsachen, als nach subjektiven Eindrücken; ich, der ich erst gestern von »der Freude einer gegenseitigen Liebe« geschwärmt, zweifelte heute schon nicht mehr im Geringsten an meinem »Unglück« und verfiel in eine entschiedene Verzweiflung, obgleich ich selbst nicht im Stande war, einen vernünftigen Grund zur Erklärung meiner Verzweiflung zu finden. Auf den Fürsten N . . . konnte ich ja nicht eifersüchtig sein, und wie hoch man auch seine Eigenschaften anschlagen mochte – sein Erscheinen genügte für sich allein noch nicht, um auf einmal das Wohlwollen zu vernichten, welches mir Lisa . . . nun fürwahr! existirte denn in Wirklichkeit dieses Wohlwollen? Ich durchmusterte die Vergangenheit »Aber der Spaziergang im Walde?« wendete ich mir selbst ein. »Jedoch der Ausdruck ihres Gesichtes im Spiegel?« – »Indeß«, fuhr ich fort, »der Spaziergang im Walde, scheint mir . . . O pfui! o du mein lieber Gott, was bin ich doch für ein nichtswürdiges Wesen!« rief ich endlich zuletzt aus. – Solche halbausgesprochenen, halbgedachten Ideen waren es eben, die tausend Mal hintereinander zurückkehrend, in meinem Kopfe herumwirbelten. Ich wiederhole es, ich trat diesmal bei Oschogins als derselbe argwöhnische, zu Verdacht geneigte, unheimliche Mensch ein, der ich seit meiner Kindheit gewesen bin . . .

 

Ich traf die ganze Familie im Empfangszimmer versammelt. Bismenkoff war auch da und saß im Winkel. Alle schienen gut aufgelegt zu sein; besonders Oschogin – der strahlte vor Freude und schon nach den ersten paar Worten theilte er mir mit, daß Fürst N . . . gestern den ganzen Abend bei ihnen zugebracht habe. Lisa begrüßte mich ruhig und gelassen. »Nun«, sagte ich zu mir selbst, »nun verstehe ich schon, weshalb ihr so guter Laune seid.« Ich will nicht verhehlen, daß mich der zweite Besuch des Fürsten befremdete. Ich war darauf nicht vorbereitet. Ueberhaupt pflegt ein Mann von unserem Schlage alles Mögliche zu erwarten: nur nicht das, was sich nach den Gesetzen des natürlichen Verlaufs der Dinge ereignen muß. Ich schmollte und nahm die Miene beleidigter Großmuth an, als wollte ich Lisa durch meine Ungnade bestrafen – woraus übrigens doch wohl folgt, daß ich immer noch nicht ganz verzweifelte. Man sagt, es sei, wenn man wirklich geliebt wird, manchmal sogar ganz nützlich, das vergötterte Geschöpf ein wenig zu quälen; in meiner Lage nahm sich dies jedoch ungewöhnlich dumm aus; Lisa würdigte mich in der allerunschuldigsten Weise keiner Beachtung. Nur Frau Oschogin bemerkte meine feierliche Schweigsamkeit und erkundigte sich sehr sorgfältig nach meiner Gesundheit. Ich antwortete, wie Sie erwarten, mit einem bitteren Lächeln, daß ich mich gottlob recht wohlfühle, daß ich vollkommen gesund sei. Oschogin fuhr fort, über seinen Gast des Breiteten zu berichten, da er jedoch gewahr wurde, daß ich ihm ungern antwortete, so wendete er sich mehr an Bismenkoff, der ihm mit großer Aufmerksamkeit zuhörte – als plötzlich des Diener eintrat und den Fürsten N . . . anmeldete. Der Hausherr sprang aus und lief ihm entgegen. Lisa, auf die ich sofort einen Adlerblick geworfen hatte, erröthete vor Freude und rückte unruhig auf dem Sessel hin und her. Der Fürst trat ein – parfümirt, munter, liebenswürdig . . .

Da ich hier keine Novelle für einen gnädigen Leser verfasse, sondern einfach zu meinem Vergnügen schreibe, so habe ich nicht nöthig, zu den üblichen Kunstgriffen der Herren Schriftsteller zuflucht zu nehmen. Ich sage daher kurzweg, ohne weiteren Aufschub, daß sich Lisa vom ersten Tage an leidenschaftlich in den Fürsten verliebte – und der Fürst verliebte sich auch in sie, theils aus Langeweile, theils aus Gewohnheit, den Frauen den Kopf zu verdrehen, aber doch auch deshalb, weil Lisa wirklich ein liebenswürdiges Geschöpf war. Daß sie sich gegenseitig lieb gewannen, darin lag grade nichts Besonderes. Er vermuthete wahrscheinlich keineswegs eine solche Perle in einer so abscheulichen Schale (ich verstehe darunter das elende, von Gott verlassene Nest O . . .), und sie hatte sich bis dahin noch Nichts von einem auch nur annähernd so glänzenden, klugen und bezaubernden Aristokraten träumen lassen.

Nach der ersten Begrüßung stellte mich Oschogin dem Fürsten vor. Er kam mir sehr höflich entgegen. Er war überhaupt gegen Jeden höflich und verstand es, ungeachtet der unmeßbaren Entfernung die zwischen ihm und unserem dunkeln, provinziellen Zirkel lag, nicht nur Niemanden zu geniren, sondern sogar eine Miene zu machen, als ob er unseres Gleichen wäre und nur zufällig seinen Wohnsitz in St. Petersburg hätte.

Dieser erste Abend . . . O dieser erste Abend!i In der glücklichen Zeit unserer Jugend pflegen uns die Lehrer einen Zug heldenmüthiger Ausdauer eines jungen Spartaners zu erzählen und als Vorbild hinzustellen, der – als er einen Fuchs gestohlen hatte und ihn unter seinen Mantel zu verstecken genöthigt war, sich, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, sein ganzes Eingeweide von dem Fuchse verzehren ließ, und auf diese Weise den Tod der Schande vorzog . . . Ich konnte keinen passenderen Vergleich wählen, um die unzähligen Qualen zu schildern, die ich während jenes Abends, als ich zum ersten Mal den Fürsten neben Lisa sah, auszustehen hatte. Mein anhaltend erkünsteltes Lächeln, mein qualvolles Aufpassen, mein stumpfes Schweigen, das sehnsüchtige und vergebliche Verlangen, mich zurückzuziehen – dies Alles mußte sich in seiner Art wahrscheinlich ganz merkwürdig ausnehmen. In meinem Innern wühlte mehr als ein Fuchs. Eifersucht, Neid, das Gefühl meiner Nichtigkeit, ein machtloser Aerger peinigten mich. Ich verschlang den Fürsten mit den Augen; wahrlich, ich vergaß zu zwinkern, indem ich ihn immerwährend anschaute. Er unterhielt sich nicht ausnahmslos mit Lisa, sprach aber selbstverständlich nur für sie allein. Meiner war er, wie es scheint, recht bald überdrüssig geworden . . . Er war gewiß sofort darauf gekommen, daß er es in mir mit einem verstoßenen Liebhaber zu thun hatte; doch aus Mitleid mit mir und in Folge seines sicheren Bewußtseins, daß ich vollkommen ungefährlich sei, behandelte er mich ungewöhnlich zart. Sie können sieh wohl denken, wie mich das beleidigte. Im Laufe des Abends machte ich, so viel ich mich erinnern kann, einen Versuch, meinen Fehler wieder gut zu machen; ich (lachen Sie ja nicht über mich, wer Sie auch sein mögen, dem diese Zeilen vor die Augen kommen könnten – um so weniger, da dies mein letzter Wahn gewesen ist) . . . ich bildete mir plötzlich, inmitten meiner vielseitigen Quäler, ein, ich bildete mir bei Gott plötzlich ein, daß Lisa nur die Absicht habe, mich für meine hochmüthige Kälte am Anfange meines Besuches zu strafen, daß sie mir zürne und nur aus Aerger mit dem Fürsten kokettire . . . Ich paßte einen günstigen Moment ab, und mit einem reuigen und freundlichen Lächeln auf sie zugehend, sagte ich ihr ganz leise: »Genug! – Verzeihen Sie mir . . . übrigens, es geschah nicht deshalb, weil ich fürchtete« – und plötzlich, ohne ihre Antwort abzuwarten, gab ich meinem Gesichte einen ungewöhnlich lebhaften und heiteren Ausdruck, brachte ein verzerrtes Lächeln hervor, hob meine Hand über den Kopf gegen die Zimmerdecke empor (ich wollte, wie ich mich erinnere, mein Halstuch in Ordnung bringen) – ich war sogar im Begriff, einen Knix zu machen, als ob ich sagen wollte: ,Alles ist vorbei – ich bin guter Laune, lassen Sie uns Alle guter Laune sein!« Indessen, ich unterließ den Knix, vor Furcht, zu fallen, da ich nämlich eine merkwürdige Erstarrung am Knie verspürte . . . Lisa hatte mich entschieden nicht verstanden; sie sah mir verwundert in’s Gesicht, lächelte in aller Eile, als wenn sie sich rasch losmachen wollte, und ging wiederum auf den Fürsten zu. Mochte ich noch so blind und taub sein, ich konnte jetzt nicht umhin, innerlich zu bekennen, daß sie mir gar nicht zürnte und daß sie in diesem Augenblicke gegen mich absolut Nichts hatte: sie hatte einfach an mich gar nicht gedacht. Der Schlag war ein entscheidender: meine letzten Hoffnungen stürzten mit einem Krachen zusammen, wie eine Eisscholle, die, von der Frühlingssonne durchdrungen, plötzlich in kleine Stücke auseinanderfällt. Ich war aufs Haupt geschlagen – gleich beim ersten Angriffe; gleich den Preußen vor Jena habe ich an einem Tage und auf einmal Alles verloren. Nein, sie zürnte mir nicht! . . .

Ach, grade das Gegentheil! Sie selbst – ich sah es – konnte kaum dem Wogenschlag ihres Herzens widerstehen. Gleich einem jungen Bäumchen, welches sich bereits bis zur Hälfte vom Ufer herniedergesenkt hat, hatte auch sie sich mit Gier über den Strom gebeugt – bereit, ihm auf immer das erste Sprossen ihres Frühlings und ihr ganzes Leben hinzugeben.

Wem es je einmal beschieden gewesen, Augenzeuge einer solchen selbstvergessenen Hingerissenheit zu sein, der hat gewiß, wenn er selbst liebte und sich keiner Gegenliebe erfreute, sehr bittere Momente gehabt. Ich werde sie ewig im Andenken behalten – diese verschlingende Aufmerksamkeit, diese zärtliche Heiterkeit, diese willenlose Unschuld, diesen noch kindlichen, aber doch schon weiblichen Blick, dieses glückselige Lächeln, welches, aufbrechend wie eine Knospe, die halbgeöffneten Lippen und die gerötheten Wangen nicht verließ . . . Alles, was Lisa während unseres Spazierganges im Haine nur dunkel ahnte, das erfüllte sich jetzt; und der Liebe sich hingebend, wurde sie zugleich immer ruhiger und klärte sich ab – wie ein junger Wein, der zu gähren aufhört, weil seine Zeit gekommen ist . . .

Ich hatte die Geduld, diese ersten Tage und auch die nächstfolgenden Abende auszuharren . . . alle, bis zu Ende! Ich konnte Nichts mehr hoffen. Lisa und der Fürst wurden mit jedem Tage anhänglicher zu einander . . . aber ich verlor vollkommen das Gefühl der Selbstachtung und konnte mich von dem Bilde meines Unglücks nicht losreißen. Ich denke noch daran, wie ich einst den Versuch machte, nicht hinzugehen, noch am Morgen nahm ich mir das Versprechen ab, zu Hause zu bleiben – aber um 8 Uhr Abends (gewöhnlich pflegte ich gegen die siebente Stunde auszugehen) sprang ich auf wie ein Tobsüchtiger, setzte die Mütze auf und kam athemlos in das Empfangszimmer von Kirillo Matweijewitsch gelaufen. Meine Lage war eine ungewöhnlich dumme; ich schwieg hartnäckig manchmal brachte ich während des ganzen Abends keine Silbe hervor. Wie schon früher bemerkt, habe ich mich nie durch Schönrednerei ausgezeichnet: aber jetzt, in Gegenwart des Fürsten, hatte sich vollends Alles, was ich noch an Geist besaß, in mir verflüchtigt und ich war unfähig, mich an der Gesellschaft zu betheiligen. Zu alledem pflegte ich noch, wenn ich allein war, mein Gehirn so stark in Anspruch zu nehmen – indem ich langsam über Alles, was ich im Laufe des vergangenen Tages gesehen oder abgelauert hatte, nachgrübelte – daß ich, bei Oschogins eintreffend, kaum noch im Besitz der Kräfte war, um Beobachtungen anzustellen. Man schonte mich wie einen Kranken; ich sah es. Jeden Morgen faßte ich einen neuen letzten Entschluß, den ich meistens in den Qualen einer schlaflosen Nacht ausgebrütet hatte; bald nahm ich mir vor, mich Lisa zu erklären, ihr einen freundschaftlichen Rath zu ertheilen . . . aber, sobald ich Gelegenheit hatte, mit ihr allein zu sein, hörte meine Zunge auf, sich zu bewegen, als ob sie erstarrt wäre, und wir erwarteten mit Bangigkeit das Erscheinen einer dritten Person: bald wandelte es mich an wegzulaufen, versteht sich für immer, und ihr, dein Ziel meines Sinnens und Trachtens einen Brief voller Vorwürfe zurückzulassen. Ich fing sogar schon einmal an, einen solchen Brief abzufassen; aber das Rechtsgefühl war in mir noch nicht ganz verschwunden, ich begriff, daß ich kein Recht habe, Jemandem, wem es auch sei, in irgend einer Beziehung Vorwürfe zu machen, und schleuderte den Brief in’s Feuer. Bald wollte ich mich opfern, ich segnete Lisa, wünschte ihr eine glückliche Liebe Und lächelte von meinem Winkel aus dem Fürsten sanft und freundschaftlich zu – aber das hartherzige Liebespaar dankte mir nicht für mein Opfer, es bemerkte vielmehr gar Nichts von meiner Absicht und schien weder meinen Segen noch mein Zulächeln nöthig zu haben. Ich pflegte alsdann vor Aerger plötzlich in die entgegengesetzte Gemüthsstimmung umzuschlagen. Ich gab mir das Wort – von irgend einem Winkel aus, gleich einem Spanier in einen Mantel gehüllt meinen glücklichen Nebenbuhler zu ermorden, und mit einer thierischen Freude stellte ich mir schon die Verzweiflung Lisa’s vor . . . Aber erstens gab es in der Stadt O . . . sehr wenig solcher Winkel, und zweitens . . . ein hölzerner Zaun, in der Nähe eine Laterne und ein Schutzmann – nein! solch ein Winkel mag eher zum Handeln mit Brezeln passen, als um Menschenblut zu vergießen. Ich muß gestehen, daß ich unter andern Erlösungsmitteln – wie ich mich unbestimmt auszudrücken pflegte, wenn ich mich mit mir selbst unterhielt – noch auf den Gedanken gekommen bin, mit Oschogin selbst freiweg eine Unterredung zu pflegen, die Aufmerksamkeit dieses Edelmannes auf die gefährliche Lage seiner Tochter zu richten, auf die traurigen Folgen ihres Leichtsinns . . . Eines Tages lenkte ich sogar schon das Gespräch auf diesen heiklen Punkt, that es aber in allzufeiner und dunkler Weise, so daß er, nachdem er mich eine Weile angehört, auf einmal wie vorn Schlafe geweckt, sich kräftig und hastig über die Stirn rieb, ohne dabei die Nase zu verschonen – einen eigenthümlichen Laut hervorbrachte und mich schließlich stehen ließ. Es wäre überflüssig anzuführen, daß ich mir bei diesem Vorhaben einredete, aus lauter uneigennützigen Motiven zu handeln, nur Aller Wohl im Auge zu haben und die Pflicht eines Hausfreundes zu erfüllen . . . Aber es ist mir doch wahrscheinlich, daß, hätte auch Kirillo Matweijewitsch meine Herzensergüsse nicht unterbrochen, es mir doch an Muth gefehlt hätte, meine Rede zu Ende zu bringen. Manchmal wandelte es mich an, mit dem Ernste eines antiken Weisen die guten Eigenschaften des Fürsten auf die Waagschale zu legen; manchmal wiederum vertröstete ich mich mit der Hoffnung, daß dies alles nur vorübergehend sei, daß Lisa zur Besinnung kommen werde, daß ihre Liebe keine echte sei . . . O, keinesfalls echt! Mit einem Worte, ich kenne keinen Gedanken, der mir nicht damals zu schaffen gemacht hätte. Nur ein Mittel – das muß ich aufrichtig gestehen – ist mir nie durch den Kopf gegangen: es ist mir kein einziges Mal in den Sinn gekommen, mir selbst das Leben zu nehmen. Weshalb nicht? – das wüßte ich nicht zu sagen . . . Vielleicht hatte ich schon damals das Vorgefühl, daß ich ohnedies nicht mehr lange leben werbe.

 

Es versteht sich von selbst, daß unter derartig ungünstigen Verhältnissen mein Benehmen gegen andere Menschen mehr als je an Unnatürlichkeit und Ueberspanntheit leiden mußte. Sogar die alte Frau Oschogin – dieses von Mutterleibe an bornirte Geschöpf – fing an, sich unheimlich in meiner Gegenwart zu fühlen und wußte nicht, von welcher Seite sie an mich herantreten sollte. Bismenkoff, der immer höflich und dienstfertig erschien, wich mir aus. Es kam mir schon damals vor, als ob ich an ihm einen Leidensgefährten hätte, als ob auch er in Lisa verliebt sei. Er pflegte aber nie auf meine Anspielungen zu antworten und unterhielt sich überhaupt nicht gern mit mir. Der Fürst benahm sich gegen ihn sehr freundlich; man kann sagen, er achtete ihn. Weder ich, noch Bismenkoff – wir störten weder den Fürsten noch Lisa. Aber Bismenkoff hielt sich nicht ferne von ihnen, wie ich es that, sah nicht aus wie ein Bär oder wie ein Opferlamm, und gesellte sich gern zu ihnen, so oft sie ihn dazu aufforderten. Wahr ist es, daß er sich in solchen Fällen durch keine besondere Scherzhaftigkeit auszeichnete; jedoch lag in seiner Heiterkeit auch früher etwas Stilles.

In dieser Weise vergingen ungefähr zwei Wochen. Der Fürst war nicht nur hübsch und klug; er verstand auch Clavier zu spielen, zu singen, et zeichnete nicht übel und besaß die Gabe zu erzählen. Seine Anekdoten, die er den höheren Kreisen des Residenzlebens entlehnte, machten auf die Zuhörer immer einen starken Eindruck – einen um so stärkeren, als er selbst seinen Erzählungen anscheinend keine Bedeutung beilegte . . . Dieser, wenn Sie wollen, einfache Kunstgriff von Seiten des Fürsten hatte zur Folge, daß er in der Zeit seines kurzen Aufenthaltes in O . . . die ganze dortige Gesellschaft entschieden bezauberte. Einem Manne aus den höheren Kreisen ist es immer ein Leichtes, unser Einen, einen Steppenbewohner zu bezaubern. Die öfteren Besuche des Fürsten bei Oschogins (er pflegte bei ihnen die Abende zuzubringen) erregten selbstverständlich den Neid der anderen Edelleute und Beamten. Der Fürst aber, als Mann von Welt und Verstand, hatte keinen Einzigen von ihnen übergangen; er stattete Allen Besuche ab, schenkte sämmtlichen alten und jungen Damen wenigstens ein liebenswürdiges Wort, ließ sich mit allerlei künstlichen und schwerverdaulichen Gerichten füttern und mit schlechten Weinen aufwarten, die unter großartigem Namen aufgetragen wurden – kurz, er benahm sich vortrefflich: vorsichtig und geschickt. Fürst N . . . war überhaupt ein Mann von heiterer Natur, gesellig, liebenswürdig aus Neigung – in diesem Falle aber auch aus Berechnung, wie sollte er also keinen vollkommenen Erfolg in Allem haben?

Seit seinem Erscheinen fanden Alle im Hause, daß die Zeit mit ungewöhnlicher Schnelligkeit verfliege. Alles ging prächtig von statten. Der alte Oschogin – obwohl er sich anstellte, als ob er Nichts bemerke – rieb sich wahrscheinlich im Stillen die Hände bei dem Gedanken – einen solchen Eidam zu besitzen. Der Fürst selbst leitete die ganze Angelegenheit äußerst still und anständig – als plötzlich ein unerwartetes Ereigniß . . .

Bis morgen. Heute bin ich müde. Diese Erinnerungen regen mich auf, sogar noch an der Schwelle des Grabes. Terentjewna hat heute gefunden, daß mein »Näschen« schon spitz geworden sei; und daß soll, wie es heißt, ein schlechtes Anzeichen sein.