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Klara Militsch

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VII

Nur wenige Spaziergänger traf er dort. Das Wetter war naß und ziemlich kalt. Er bemühte sich über sein Thun nicht nachzudenken, strengte sich an Alles was ihm begegnete aufmerksam zu betrachten und sich einzubilden, daß er, wie die übrigen Spaziergänger, blos um zu lustwandeln hierher gekommen sei. Den gestrigen Brief hatte er in der Rocktasche und er fühlte beständig hin, ob er noch da sei. Ein paar Mal war er den Boulevard entlang auf und ab gewandelt und hatte dabei jede weibliche Figur, die sich ihm näherte, scharf in‘s Auge gefaßt – sein Herz klopfte heftig. Er fühlte sich ermüdet und setzte sich auf eine Bank. Plötzlich kam ihm der Gedanke: Wie, wenn nun aber der Brief gar nicht von ihr, sondern von jemand Anderem, von einem anderen Frauenzimmer herrührte? Eigentlich hätte ihm das ganz gleichgültig sein müssen; und doch mußte er sich gestehen, daß ihm das nicht erwünscht wäre. »Das wäre gar zu dumm,« dachte er, »noch dümmer, wie das Gegentheil!« Eine nervenaufregende Unruhe bemächtigte sich seiner, es fröstelte ihn, – nicht von außen, sondern von innen. Einigemal zog er die Uhr aus der Westentasche, schaute aus das Zifferblatt, steckte sie ein, und vergaß jedesmal wieder, wieviel Minuten noch an fünf Uhr fehlten. Ihm war, als ob alle Vorübergehenden ihn mit spöttischem Erstaunen, neugierig betrachten. Ein Hündchen kam zu ihm herangelaufen, beschnupperte seine Füße und wedelte mit dem Schwanze. Ärgerlich scheuchte er es von sich. Am meisten aber ärgerte er sich über einen Fabrikjungen im Zwillichkittel, der ihm gegenüber auf einer Bank saß und sich dort etwas vorpfiff, sich kratzte, und mit den, in plumpen, zerrissenen Stiefeln steckenden Beinen baumelte, ihn aber dabei fortwährend anschaute. »Gewiß wartet sein Meister längst auf ihn,« dachte Aratow, »während der Faulpelz hier sitzt und Maulaffen feil hat.«

Plötzlich aber kam es ihm vor, als ob Jemand herangetreten und nahe hinter ihm stehen geblieben wäre . . . es war als ob ihn ein warmer Athem anwehe . . .

Er wandte sich um . . . sie war es!

Er erkannte sie sogleich, obschon ein dunkelblauer Schleier ihre Züge verbarg. Er sprang auf – und blieb, ohne ein Wort hervorbringen zu können, vor ihr stehen. Sie schwieg gleichfalls. Er war sehr verwirrt – aber ihre Verwirrung war nicht geringer. Trotz des dichten Schleiers konnte er doch nicht umhin zu bemerken, daß sie todtenbleich sei. Dessenungeachtet ergriff sie das Wort zuerst.

– Danke, – begann sie mit stockender Stimme, – danke, daß Sie gekommen sind. Ich hoffte nicht darauf . . . Sie wandte sich ein wenig ab und schritt den Boulevard entlang. Aratow folgte ihr.

– Sie verdammen mich vielleicht? – fuhr sie fort, ohne den Kopf zu wenden, gewiß, . . . mein Benehmen ist sehr sonderbar . . . Aber ich habe so viel von Ihnen gehört. . . doch nein! Das war nicht der Grund . . . Wenn Sie wüßten . . . Ich wollte Ihnen so Vieles sagen . . . Mein Gott, . . . wie mach‘ ich das nur. . . Wie soll ich es nur machen! . . .

Aratow ging neben ihr, blieb aber ein wenig zurück. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, nur ihren Hut und einen Theil ihres Schleiers sah er, und eine lange, schwarze, schon etwas schäbige Mantille. Plötzlich kehrte sein ganzer Groll gegen sie und gegen sich selbst zurück. Das Lächerliche, das Unsinnige dieser Zusammenkunft auf öffentlichem Boulevard, trat ihm plötzlich vor die Augen.

– Ich bin Ihrer Einladung gefolgt, – fing er nun an, – ich bin gekommen, mein gnädiges Fräulein (ihre Schultern erzitterten leicht, sie bog in einen Seitenweg ein, er folgte ihr) – blos deshalb, um klar zu werden, um zu erfahren, was das wohl für ein sonderbares Mißverständnis sein mag, welches Sie veranlaßte, sich an mich, an einen Ihnen gänzlich fremden Menschen zu wenden, der . . . der nur deshalb errieth, – wie Sie sich in Ihrem Briefe ausdrückten – nur deshalb es errieth, das Sie die Schreiberin seien, weil es Ihnen während jener literarischen Matinée beliebte, ihm eine zu auffällige . . . zu auffällige Aufmerksamkeit zu schenken.

Diese ganze, kurze Rede wurde von Aratow in dem, obschon klaren, aber doch nicht ganz festen Tone gesprochen, in welchem jüngere Leute bei einem Examen ihre gutgelernte Lection herzusagen pflegen. Er ärgerte sich, war zornig . . . und dieser Zorn war es auch, der ihm die, sonst eigentlich nicht sehr bewegliche Zunge gelöst hatte.

Sie ging etwas langsamer denselben Weg entlang; Aratow folgte ihr wie früher, und sah immer nur ihre alte Mantille und ihren ebenfalls nicht mehr neuen Hut. Seine Eigenliebe litt unter dem Gedanken, daß sie sich jetzt einbilden könnte: sich brauchte blos ein Zeichen zu geben, – und er lief sofort herbei!

Aratow schwieg . . . er wartete, was sie ihm sagen würde; – aber sie brachte kein Wort hervor.

– Ich bin bereit, Sie anzuhören, – begann er wieder; – und werde sogar sehr froh sein, wenn ich Ihnen irgendwie nützlich sein kann . . . obschon, ich muß es gestehen, es wunderbar ist, bei meinem zurückgezogenen Leben . . .

Bei den letzten Worten wandte sich Klara plötzlich zu ihm – und er blickte in ein so erschrockenes, in ein so tief-trauriges Gesicht, mit solch‘ hellen, großen Thränen in den Augen, mit einem solchen kummervollen Ausdruck um die geöffneten Lippen, – und das Gesicht war so schön . . . daß er unwillkürlich stockte und selbst etwas wir Schreck, wie Mitleid und Rührung empfand.

– Ach, weshalb, . . . weshalb sind Sie so . . . sprach sie mit einem so unwiderstehlich innigen und wahrhaftigen Ausdruck – und wie klang ihre Stimme so rührend!t . . . Wäre es denn möglich, daß Sie beleidigt sein könnten? . . . durch meine Bitten . . . ist es möglich, daß Sie mich nicht verstanden? . . . Ach, ja! Nichts haben Sie begriffen, . . . nichts verstanden Sie von dem, was ich Ihnen sagte, Sie haben Gott weiß was von mir gedacht, . . . haben nicht einmal überlegt, was es mich gekostet hat . . . Ihnen zu schreiben! . . . Sie waren nur um sich selbst, um Ihre Würde, um Ihre Ruhe besorgt! . . . Bin ich denn etwa . . . (sie drückte ihre zu den Lippen emporgehobenen Hände so fest zusammen, dass die Gelenke knackten) . . . Als ob ich irgend welche Forderungen an Sie stellte, als ob es erst einer Erklärung bedürfte . . . »Mein gnädiges Fräulein« . . . »es ist mir wunderbar« . . . »wenn ich Ihnen nützlich sein kann« . . . Ach, ich Wahnsinnige! Ich habe mich in Ihnen, in Ihrem Gesicht getäuscht! . . . Als ich Sie das erste Mal sah, da . . . Jetzt stehen Sie da – und kein einziges Wort! Also wirklich kein einziges Wort? . . .

Sie flehte! . . . Plötzlich aber erglühte ihr Antlitz und nahm, ebenso plötzlich, einen bösen und dreisten Ausdruck an: – Herr Gott! Wie ist das einfältig! – rief sie plötzlich mit schrillem Gelächter; wie ist unsre Zusammenkunft einfältig!. . . Wie bist ich dumm! . . . und auch Sie . . .Pfui!

Sie machte eine verachtungsvolle Handbewegung, als ob sie ihn beseitigen wolle, ging an ihm vorbei, lief über den Boulevard hinüber und verschwand.

Diese Handbewegung, dieses beleidigende Gelächter, dieser letzte Ausruf gaben Aratow sofort seine frühere Stimmung wieder und erstickten in ihm das Gefühl, welches sich in seiner Seele zu regen begann, als sie mit Thränen in den Augen sich zu ihm wandte. Er ward wieder zornig und es fehlte nicht viel, so hätte er dem forteilenden Mädchen nachgerufen: »Aus Ihnen kann eine gute Schauspielerin werden, – weshalb aber bilden Sie sich denn ein, mit mir Komödie spielen zu können?

Mit schnellen Schritten eilte er nach Hause, und obschon er sich noch immer ärgerte und entrüstet war, so konnte er doch sticht umhin, inmitten aller dieser Gefühle des Unwillens und Zorns, sich an das wunderbare Gesicht, welches er nur während eines Momentes gesehen hatte, zu erinnern. Er stellte sich sogar die Frage: »Weshalb antwortete ich ihr denn nicht, als sie nur ein einziges Wort von mir begehrte?« . . . Ich hatte nicht Zeit . . . dachte er, – sie ließ mich nicht zu Worte kommen . . . Und was für ein Wort hätte ich ihr auch sagen sollen? . . . Sofort aber schüttelte er wieder energisch den Kopf und rief vorwurfsvoll: Komödiantin!

Und doch, war nicht die Eigenliebe dieses unerfahrenen, leicht erregbaren Jünglings, die Anfangs so beleidigt schien, jetzt wieder geschmeichelt, daß er eine solche Leidenschaft hatte einzuflößen können?

– Nun, dagegen aber ist jetzt, in diesem Moment, – fuhr er in seinen Betrachtungen fort, – natürlich Alles vorbei . . . Ich muß ihr den Eindruck des Lächerlichen gemacht haben!

Dieser Gedanke war ihm widerwärtig – und er wurde wieder ärgerlich, – sowohl auf sie, wie auch auf sich selbst. Zu Hause angekommen, schloß er sich in sein Kabinett ein. Er wollte jetzt nicht mit Platoscha zusammenkommen. Die gute Alte kam ein paar Mal an seine Stubenthür, legte das Ohr an das Schlüsselloch, seufzte und flüsterte ihr Gebet. . . .

»– Jetzt ist‘s losgegangen!« – dachte sie . . . Und er ist erst fünfundzwanzig Jahr alt . . . Ach, zu früh . . . noch zu früh!

VIII

Am folgenden Tage war Aratow sehr schlecht aufgelegt. – Was ist mit Dir, Jascha? – fragte Platonida Iwanowna, – Du bist heute wie zerzaust?! In der eigenthümlichen Sprachweise der Alten bezeichnete dieser Ausdruck ziemlich genau den moralischen Zustand Aratows. Arbeiten konnte er nicht, und er wußte selbst nicht, was er wollte. Theils war er wieder in der Erwartung von Kupfer‘s Besuch (er argwöhnte, daß es Kupfer gewesen sei, der Klara seine Adresse gegeben hatte), dann war er wieder im Zweifel, ob denn wirklich seine Bekanntschaft mit Klara auf solch, eine Weise ihr Ende erreicht haben sollte? Dann bildete er sich wieder ein, sie würde ihm noch einmal schreiben; dann fragte er sich, ob er ihr nicht einen Brief schreiben müsse, um Alles zu erklären? – da er ja doch nicht die Absicht haben könne, eine ungünstige Meinung von sich zu hinterlassen. Aber was sollte er denn eigentlich erklären? . . . Dann wieder quoll in ihm ein Widerwille gegen sie empor, gegen ihre Zudringlichkeit, Frechheit; dann erschien ihm wieder dieser unsäglich rührende Ausdruck und er hörte ihre unwiderstehliche Stimme; dann erinnerte er sich wieder an ihren Gesang, ihren Vortrag – und er wußte nicht, ob er auch mit seiner Berurtheilung in Bausch und Bogen nicht Unrecht gehabt hatte. – Mit einem Worte, er war ein »zerzauster« Mensch! Endlich wurde ihm das Alles zuwider – und er entschloß sich, wie man zu sagen pflegt, die Sachlage zu akzeptieren und diese ganze Geschichte auszulöschen, da kein zweifel darüber obwalten konnte, daß sie ihn in seinen Beschäftigungen hinderlich war und seine Ruhe störte. Aber es wurde ihm nicht leicht diesen Entschluß auszuführen . . . Es verging über eine Woche, ehe er wieder in‘s alte Geleise kam. Glücklicherweise war Kupfer ausgeblieben; es war, als ob er Moskau verlassen habe. Kurz vorher, ehe diese Episode stattfand, hatte Aratow angefangen, sich mit Malen zu beschäftigen, zu photographischen Zwecke; – jetzt nahm er diese Beschäftigung mit doppeltem Eifer wieder auf.

 

So vergingen unbemerkt zwei, es vergingen drei Monate – einige Rückfälle, wie die Aerzte zu sagen pflegen, abgerechnet. Diese Rückfälle bestanden z. B. Darin, daß er einst auf dem Sprunge war der Fürstin eine Visite zu machen, – endlich aber wurde Aratow doch wieder der alte Aratow. Nur dort unten, unter der Oberfläche seines Lebens begleitete ihn geheimnisvoll etwas Schweres und Dunkles. So schwimmt ein eben an der Angel gefangener Fisch, der noch nicht vom Haken losgelöst ist, auf dem Grunde des tiefen Flusses, genau unter dem Kahne, in welchem der Fischer mit der starken Angelruthe in der Hand sitzt.

Da begab es sich einst, als er einige nicht mehr ganz nette Nummern der Moskauer Zeitung durchblätterte, dass er auf folgende Korrespondenz stieß:

»Mit größtem Kummer« – schrieb ein Provinzial-Schriftsteller aus Kasan – »tragen wir in die Chronik unseres Theaters die Nachricht von dem plötzlichen Tode unsrer talentvollen Schauspielerin Klara Militsch ein, der es während der kurzen Zeit ihres Engagements gelang ein Liebling unsres, nicht leicht zu befriedigenden Publikums zu werden. Unser Kummer ist um so größer, da Fräulein Militsch ihrem jungen Leben aus eigenem Entschluß ein Ende machte, und zwar durch Gift. Diese Vergiftung ist tun so fürchterlicher, da sie im Theater selbst geschah. Man konnte sie kaum nach Hause bringen, wo sie zum allgemeinen Bedauern starb. Es geht das Gerücht, daß es verschmähte Liebe war, die sie zu diesem fürchterlichen Entschluß gebracht hatte.«

– Aratow legte die Zeitungsnummer sachte wieder auf den Tisch. Anscheinend war er ganz ruhig geblieben . . . Innerlich aber fühlte er gleichsam einen Stoß in der Brust und im Kopfe, – und dann« nach und nach, in allen Gliedern. Er stand auf, blieb eine Zeitlang auf der gleichen Stelle stehen, setzte sich dann wieder hin und las diese Korrespondenz noch einmal. Dann stand er wieder auf, legte sich aufs Bett, verschränkte die Arme unter dem Kopfe und blickte, wie betäubt, zur Decke empor. – Nach und nach schien es ihm als ob die Decke unsichtbar würde, – dann verschwand sie ganz, und er sah, unter einem grauen Himmel den Boulevard – und sie in der schwarzen Mantille. Dann sah er sie wieder auf den Brettern, in jenem Saale . . . sah sogar sich in ihrer Nähe. Das, was ihm solch‘ einen heftigen Stoß in die Brust versetzt hatte, fing jetzt an höher zu steigen, erhob sich bis zur Kehle . . . Er wallte sich räuspern, wollte Jemand rufen, – aber die Stimme versagte – und zu seiner eigenen Bestürzung rannen unaufhaltsam die Thränen aus seinen Augen . . . Was war es, das diese Thänen hervorgerufen? Mitleid? Reue? Oder waren es blos die Nerven, die diese plötzliche Erschütterung nicht ertragen konnten? Sie war ihm ja doch nichts? – Oder doch? . . .

– »Ja, – vielleicht ist das gar nicht wahr!« – stieg ihm plötzlich der Gedanke auf. »Das muß ich erfahren! . . . aber von wem? Von der Fürstin? – Nein, von Kupfer . . . von Kupfer! – Aber man sagt ja er sei verreist? . . . Ganz gleich! – zuerst muß ich zu ihm!«

Mit diesem Entschlusse zog sich Aratow eilig an, nahm eine Droschke und fuhr zu Kupfer.

IX

Er vermuthete, dass er ihn nicht antreffen würde – traf ihn aber doch. Kupfer war wirklich eine Zeitlang verreist gewesen; seit einer Woche aber befand er sich wieder in Moskau und hatte sich sogar vorgenommen Aratow zu besuchen. Er empfing ihn mit gewohnter Treuherzigkeit und war eben im Begriff ihm etwas zu erklären, – als ihn Aratow sofort mit der ungeduldigen Frage unterbrach:

– Hast Du gelesen? . . . Ist es wahr?

– Was soll wahr sein? – antwortete der verblüffte Kupfer.

– Das über Klara Militsch!

Kupfers Antlitz nahm den Ausdruck von Mitgefühl an. »Ja,, ja, Bruder, es ist leider wahr; – sie hat sich vergiftet! Solch ein Elend!«

Aratow schwieg . . . »Hast Du es auch aus der Zeitung?« fragte er, – »oder bist Du vielleicht selbst in Kasan gewesen?«

– Ich bin wirklich in Kasan gewesen; die Fürstin und ich, wir haben sie dorthin gebracht. Sie trat dort auf und hatte großen Erfolg. Aber bis zur Katastrophe selbst blieb ich nicht dort, – ich war in Jaroslaw.

– In Jaroslaw?

– Ja. Ich begleitete die Fürstin dorthin . . . Sie hat sich jetzt in Jaroslaw niedergelassen.

– Ader Du hast sichere Nachrichten?

Die sichersten . . . aus erster Hand! Ich machte in Kasan die Bekanntschaft ihrer Familie. – Aber halt, Bruder, . . . es scheint, daß Dich diese Nachricht aufregt? . . . Und doch erinnere ich mich, daß Dir Klara damals mißfiel? . . . Schade! Es war ein wunderbares Mädchen – aber was für ein Kopf! Ein wahrer Tollkopf! Sie hat mir sehr viel Kummer verursacht!

Aratow erwiderte kein Wort und ließ sich auf einen Stuhl nieder. Aach einer Weile bat er Kupfer ihm zu erzählen . . . er stockte.

– Was? – fragte Kupfer.

– Nun . . . Alles, – antwortete Aratow zögernd. – Von ihrer Familie, und dergleichen. . . Alles was Du weißt!

– Interessiert Dich denn das? . . . Meinetwegen!

Und Kupfer, dem man es durchaus nicht ansah, daß er sich um Klara so sehr gegrämt habe, fing an zu erzählen.

Aratow erfuhr von ihm, daß der eigentliche Name von Klara Militsch – Katharina Milowidow war, daß ihr verstorbener Vater Zeichenlehrer in Kasan gewesen sei und schlechte Porträts und Heiligenbilder gemalt habe; außerdem hatte er den Ruf eines Säufers und Haustyrannen. Er hinterließ erstens eine Wittwe, – eine Kaufmannstochter, wie Ostrowskij sie in seinen Komödien schildert; – ein ganz dummes Weib, – und zweitens, eine Tochter, die viel älter wie Klara und ihr gar nicht ähnlich war, – ein sehr gescheites, aber schwärmerisches, kränkliches, merkwürdiges – auch geistig sehr entwickeltes Mädchen. Ferner, daß Beide, – die Wittwe und ihre Tochter, ohne Noth zu leiden, in einem kleinen, anständigen Häuschen wohnen, welches durch den Verkauf der schlechten Porträts und Heiligenbilder erworben war, sind daß Klara – oder Katja, wenn Du willst, – schon in der Kindheit durch ihre Begabung Aufsehen erregt habe, aber ein unbändiges, kapriziöses Wesen hatte, und mit ihrem Vater in fortwährender Fehde lag. Daß sie schon in ihrem sechzehnten Jahre, weil sie eine unüberwindliche Neigung für‘s Theater hatte, mit einer Schauspielerin aus dem elterlichen Hause entflohen sei. . .

– Mit einem Schauspieler? – unterbrach ihn Aratow.

– Nein, nicht mit einem Schauspieler, sondern mit einer Schauspielerin, zu der sie sich hingezogen fühlte. Allerdings hatte diese Schauspielerin einen Beschützer, einen reichen, alten Herrn, der sie nur deshalb nicht heirathete, weil er schon verheirathet war; übrigens war auch die Schauspielerin, glaub‘ ich, verheirathet. – Weiter theilte Kupfer Aratow mit, daß Klara schon vor ihrer Ankunft in Moskau auf Privinzialtheatern gesungen und gespielt hatte; daß nachdem sie ihre Freundin verloren, (der alte Heer war auch gestorben oder hatte sich wieder mit seiner Frau vereinigt, – Kupfer wußte es nicht genau) . . . sie die Bekanntschaft der Fürstin gemacht hatte, dieser goldenen Frau, die Du, lieber Freund Jakob Andrejtsch – fügte der Erzähler gefühlvoll hinzu – nicht nach ihrem Werthe zu schätzen gewußt hast; daß man schließlich Klara ein Engagement in Kasan angeboten, und daß sie es angenommen hatte, obschon sie kurz vorher versicherte, sie wolle Moskau nie mehr verlassen. Wie die Bewohner Kasans sie schnell liebgewannen – es war zum verwundern! Bei jeder Darstellung erhielt sie Bouquetts und Geschenke. Ein Getreidehändler, der größte Kapitalist im ganzen Gouvernement, schenkte ihr sogar ein goldenes Tintenfaß! . . . Kupfer erzählte das Alles mit großer Lebhaftigkeit, ohne übrigens dabei besonders gefühlvoll zu werden; unterbrach aber seine Rede mit den Fragen: »Wozu brauchst Du denn das?« oder: »Weshalb willst Du denn das wissen?« – wenn Aratow, der ihm mit verzehrender Aufmerksamkeit folgte, immer mehr Einzelheiten forderte. Endlich war Alles erzählt, Kupfer verstummte und belohnte sich für seine Mühe mit einer Cigarre.

– Was war denn aber der Grund, daß sie sich vergiftete? – fragte Aratow, – In der Zeitung steht . . .

Kupfer breitete die Arme auseinander. – »Nun, . . das kann ich Dir nicht sagen . . . das weiß ich nicht! Die Zeitung aber lügt. Klara‘s Betragen war musterhaft . . . von Liebschaften war keine Rede! . . . Wie wäre das auch bei ihrem Stolze möglich gewesen? Stolz war sie – wie Satan selbst, . . . und unzugänglich! Ein Tollkopf! Hart wie Marmor! Wirst Du es wohl glauben, – ich habe sie doch gewiß genau gekannt – nie habe ich Thränen in ihren Augen gesehen.

– Ich aber sah welche! – dachte Aratow bei sich.

– Nur das noch, – fuhr Kupfer fort: – in letzter Zeit bemerkte ich eine große Veränderung an ihr. Sie war so traurig geworden, so schweigsam; stundenlang konnte man kein Wort aus ihr herausbringen. Ich fragte sie öfters: Hat Sie Jemand beleidigt, Katharina Ssemjonowna? – denn ich kannte ihren Charakter; eine Beleidigung konnte sie nicht ertragen . . . Sie schwieg blos. Sogar die Bühnenerfolge konnten sie nicht aufheitern; wenn von allen Seiten Bouquetts kamen, lächelte sie nicht einmal! Das goldene Tintenfaß blickte sie flüchtig an, um es dann fortzustellen. Sie klagte, daß ihr Niemand eine ordentliche Rolle nach ihrem Wunsche schreibe. Das Singen hatte sie ganz aufgegeben. Verzeihe, Bruder, – ich theilte ihr damals mit, daß Du geäußerst habest, sie hätte keine Schule. Aber trotz alledem ist ihre Selbstvergiftung unbegreiflich! Und noch dazu wie sie sich vergiftete!

– In welcher Rolle hatte sie wohl den größten Erfolg? – Aratow wollte eigentlich wissen, in welcher Rolle sie das letzte Mal aufgetreten sei – fragte aber aus irgend einem Grunde etwas Anderes.

– Soviel ich mich erinnere in Ostrowskij‘s Grunja. Aber ich wiederhole Dir – von Liebschaften keine Rede! Stelle Dir nur vor: Sie wohnte bei ihrer Mutter . . . Weißt Du, es giebt gewisse Kaufmannhäuser, – in jedem Winkel ein Heiligenschrein und ein Lämpchen davor; eine Luft zum Umkommen, überall riecht es sauer; im Gastzimmer, längs den Wänden, lauter Stühle und sonst nichts. Aufs den Fenstern Geranien, – und wenn ein Gast ankommt, dann ächzt und stöhnt die Hausfrau, als ob der Feind vor der Thüre wäre. Wie kann da von Couxmachen und Liebschaften die Rede sein? Es kam zuweilen sogar vor, daß man mich nicht hereinließ. Die Magd, ein robustes Frauenzimmer, in grober Bauernkleidung, mit hängenden Brüsten stellt sich Einem im Vorzimmer entgegen und brüllt: – Wohin? – Nein, ich kann es nicht begreifen, weshalb sie sich vergiftete. Es muß Lebensüberdruß gewesen sein! – schloß Kupfer philosophisch seine Betrachtung.

Aratow saß mit niedergebeugtem Kopfe da. – Kannst Du mir die Adresse ihres Hauses in Kasan geben? – fragte er endlich.

– Das kann ich, aber wozu brauchst Du sie? Oder willst Du etwa einen Brief dahin senden?

– Vielleicht!

– Nun, wie Du willst. Aber die Alte wird Dir nicht antworten; – denn sie kann weder lesen noch schreiben. Vielleicht aber die Schwester. . . . Oh, die Schwester, die ist gescheit! – Aber, Bruder, ich muß mich über Dich wundern; früher diese Gleichgültigkeit, – und jetzt dieses Interesse! Das kommt Alles, mein Lieber, von der Einsamkeit!

Aratow antwortete aus diese Bemerkung nicht und ging fort, nachdem er sich die Adresse hatte geben lassen.

Als er zu Kupfer fuhr, war Erregtheit, Bestürzung, Erwartung in seinem Gesichte zu lesen; – jetzt ging er ruhigen Schrittes, mit gesenkten Augen, den Hut tief in die Stirn gedrückt. Fast Jeder, der ihm begegnete, maß ihn mit prüfenden Blicken – aber er bemerkte die Begegnenden nicht . . . Auf dem Boulevard war es anders gewesen.

»Unglückliche Klara! Wahnsinnige Klara!« – tönte es in seiner Seele.