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Die Unsrigen haben mich geschickt

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Inwischen näherte sich immer mehr und mehr der schon früher gehörte Lärm von Trommeln, man hatte sie schon beim Morgenarauen wirbeln hören. Bald daraus bemerkte ich, wie eine Abtheilung der Nationalgarde, langsam sich nähernd und sich fortbewegend wie eine große schwarze Schlange, von links in den Boulevard einschwenkte, ungefähr zweihundert Schritte von der Barrikade; die Bayonetspitzen blitzten in der Sonne, an der Tête befanden sich einige berittene Offiziere.

Als die Abtheilung sich auf dem Boulevard befand, dessen ganze Breite sie einnahm, machte sie gegen die Barrikade Front und avancirte nun; im Rücken war sie durch immer neu herbeikommende Truppenmassen gedeckt.

Die Ankunft dieser Menge Soldaten übte eine eigenthümliche Wirkung auf die eben noch so lauten Bürger aus; jeder Lärm, jedes Lachen verstummte; wenn Einer sprach, that er es mit flüsterndem Ton – es schien ein Schleier aus Gaze über Alle gezogen zu sein. Zwischen der Front der Truppen und der Barrikade war ein ganz leerer Platz, auf welchem nur noch der Staub aufwirbelte und einzelne Holzstückchen um sich selbst tanzten, wenn sich ein leichter Wind erhob; kein lebendes Wesen zeigte sich, da plötzlich läuft ein kleiner, schwarz und weiß gefleckter Hund von der einen Seite der Straße auf die andere – nun kehrt er wieder um, er muß sich verirrt haben und sucht seinen Herrn; denn er bleibt in beständigem Hin- und Herlaufen.

Da ertönt plötzlich ein eigenthümlich hartes, scharfes Geräusch; kommt es von oben, von unten – von vorn, von hinten? Niemand kann es sagen. Es war nicht der Lärm einer Waffe, es hörte sich eher so an, als ob altes Eisen auf das Pflaster geworfen wird. Dem fremdartigen Geräusch folgt tiefe Stille – man lauscht – man wagt kaum zu athmen – selbst die Luft scheint ihre Schwingungen eingestellt zu haben, so ruhig ist es – da ertönt genau über meinem Kopfe ein furchtbares Krachen, und damit war das Räthsel gelöst – die Insurgenten hatten in der von ihnen occupirten oberen Etage der Handschuhfabrik die schweren eisernen Jalousien aufgezogen.

Meine Nachbarn und ich eilten nun so schnell wir konnten an den Häusern des Boulevard entlang. Einer immer hinter dem Andern gehend (ich erinnere mich noch, daß ich dabei bemerkte, wie auf dem leeren Platze vor der Barrikade ein Mann auf allen vieren von der einen Seite nach der andern kroch, wie sein rothes Käppi zur Erde fiel und wie sich der kleine gefleckte Hund im Staub wälzte); die erste Seitenstraße schlugen wir ein und benutzten sie zur Flucht. Wir trafen auf ungefähr dreißig andere Neugierige, unter denen sich auch ein junger Mann von ungefähr zwanzig Jahren befand, der durch einen Streifschuß am Fuße verwundet war. Auf dem Boulevard hinter uns krachten unaufhörlich Flintenschüsse. Wir bogen abermals in eine andere Straße ein, wenn ich mich nicht irre, in die Rue de l‘Echiquier; das eine Ende derselben war durch eine kleine Barrikade gesperrt, auf welcher ein zwölfjähriger Bursche stand, einen alten Türkensäbel schwingend; ein großer Nationalgardist begegnete uns – er sah todtenbleich aus und lief, bei jedem Schritte stolpernd und strauchelnd, während aus dem Aermel seiner Uniform das Blut einer im Kampf erhaltenen Wunde sickerte.

Die Tragödie hatte begonnen; jetzt durfte man nicht mehr daran zweifeln, daß es ernst gemeint sei, obgleich auch in diesem Augenblick noch Niemand befürchtete, daß der Kampf eine solche ungeheure Ausdehnung gewinnen würde.

Da ich weder Lust noch Ursache hatte, mich zu den auf der einen oder andern Seite der Barrikade Kämpfenden zu gesellen, so ging ich nach meiner Wohnung zurück.

Man verbrachte allgemein diesen Tag in einer unsäglichen Aufregung; dabei herrschte eine drückende Hitze. Ich verließ den Boulevard des Italiens nicht, der schwarz von Menschen war – Menschen, den verschiedensten Klassen angehörig. Man verbreitete die unglaublichsten Nachrichten, die dann wieder verdrängt wurden durch solche, welche noch bunter ausgeschmückt, noch phantastischer zugestutzt waren. Gegen Abend stand das eine fest, daß die Insurgenten fast die Hälfte der Stadt Paris siegreich in Besitz genommen hätten. Auf allen Seiten erhoben sich Barrikaden – hauptsächlich auf dem linken Seine-Ufer. Das Militär dagegen hielt die strategisch wichtigen Punkte besetzt – ein Kampf auf Leben und Tod mußte hier entscheiden, das sah Jeder ein.

Am folgenden Morgen war der Boulevard und der größte Theil des von den Insurgenten noch nicht eroberten Paris wie durch einen Zauberschlag verändert. Eine Ordre des Generals Cavaignac, des Commandeurs von Paris, untersagte jedes Umhergehen auf den Straßen. Um diesem Befehl Geltung zu verschaffen, waren die Nationalgarden von Paris und aus der Provinz in den Straßen aufgestellt und bewachten die Häuser und ihre Bewohner; die regulären Truppen und die Mobilgarden kämpften; Fremde, Frauen, Kinder, Greise und Kranke mußten in ihren Zimmern bleiben und die Fenster weit öffnen, damit jede Ueberrumpelung unmöglich wäre.