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Der Hund

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Wir hatten einen Grafen in der Nachbarschaft, der sich furchtbare ausländische Hunde hielt. Mir zittern die Knie; ich stürze zu einem Spiegel, um zu sehen, ob ich nicht gebissen bin. Nein, Gott sei Dank, nichts zu sehen; nur ist mein Gesicht grün. Indessen liegt Nymphodora Ssemjonowna auf dem Diwan und gluckst wie eine Henne. Das ist auch wohl begreiflich: erstens die Nerven und zweitens die Empfindsamkeit. Sie kommt aber wieder zu sich und fragt mich, mit so matter Stimme, ob ich noch lebe. Ich sage ihr, daß ich noch lebe und daß Tresor mein Retter ist. – ›Ach,‹ sagt sie drauf, ›welch ein Edelmut! Hat ihn also der tolle Hund erwürgt?‹ – ›Nein,‹ sage ich, ›er hat ihn nicht erwürgt, aber stark verletzt.‹ – ›Ach,‹ sagt sie wieder, ›in diesem Falle muß man ihn sofort niederschießen!‹ – ›Nein,‹ sage ich, damit bin ich gar nicht einverstanden; ich will versuchen, ihn zu kurieren . . .‹ Indessen kratzt Tresor von außen an der Türe; ich will ihn hereinlassen. – ›Ach,‹ sagt sie, ›was fällt Ihnen ein? Er wird ja uns alle beißen!‹ – ›Erlauben Sie,‹ erwidere ich, ›das Gift wirkt nicht so schnell.‹ – ›Ach,‹ sagt sie, ›wie kann man nur so was sagen! Sie sind wohl verrückt!‹ – ›Nymphotschka,‹ sage ich ihr, ›beruhige dich, sei doch vernünftig . . .‹ Da schreit sie aber auf: ›Hinaus, hinaus, sofort verlassen Sie das Haus zusammen mit Ihrem ekelhaften Hund!‹ – ›Gut,‹ sage ich, ›gerne, ich gehe schon.‹ – ›Sofort, in dieser Sekunde! Entferne dich,‹ sagt sie, ›du Mörder, und wage nicht, mir je wieder unter die Augen zu kommen. Du kannst ja selbst toll werden‹ – ›Sehr gut,‹ sage ich, ›lassen Sie mir nur einen Wagen geben, denn ich fürchte mich jetzt, zu Fuß nach Hause zu gehen.‹ – Sie starrte mich an. – ›Gebt ihm einen Wagen, eine Kutsche, eine Droschke, was er will, nur daß ich ihn nicht mehr sehe! Diese Augen! Was er für Augen macht!‹ Mit diesen Worten rennt sie aus dem Zimmer, gibt einem Dienstmädchen, das ihr gerade in den Weg kommt, eine Ohrfeige, – und ich höre, wie sie im Nebenzimmer einen hysterischen Anfall bekommt. – Sie mögen es mir glauben, meine Herren, oder nicht, doch von diesem Tag an brach ich jeden Verkehr mit Nymphodora Ssemjonowna ab; und bei reiflicher Überlegung muß ich sagen, daß ich auch für diesen Dienst meinem Freund Tresor bis an mein Lebensende zum Danke verpflichtet bin.

Ich ließ also einen Wagen anspannen, setzte mich mit Tresor hinein und fuhr nach Hause. Zu Hause untersuchte ich ihn, wusch seine Wunden aus und beschloß, ihn am nächsten Morgen zu einer weisen Frau, die im Kreise Jefremow wohnte, zu bringen. Diese weise Frau war übrigens ein alter Bauer, ein ganz merkwürdiger Mensch: er flüsterte einige Worte über Wasser, – andere sagen, daß er Schlangenspeichel hineintat, – gab davon zu trinken, und im Nu war jede Krankheit weg. Bei dieser Gelegenheit wollte ich mir in Jefremow zur Ader lassen: das ist manchmal sehr gut gegen Schreck; nur selbstverständlich nicht am Arme, sondern an der Daumenader.«

»Wo liegt denn die Daumenader?« fragte mit schüchterner Neugier Herr Finoplentow.

»Das wissen Sie nicht? Das ist eben die Stelle auf der Faust neben dem Daumen, wohin man Schnupftabak schüttet, bevor man eine Prise nimmt – hier ist sie! Für den Aderlaß ist es die geeignetste Stelle; denn urteilen Sie selbst: aus dem Arme kommt frisches Aderblut, aber da kann nur verbrauchtes Blut herauskommen. Die Ärzte wissen es nicht und verstehen es nicht; wie sollten sie es auch, diese Deutschen! Bei uns befassen sich hauptsächlich Schmiede damit. Und was es für geschickte Leute unter ihnen gibt! So ein Schmied setzt den Meißel an, haut mit dem Hammer darauf – und fertig! . . . Während ich auf diese Weise überlegte, war es draußen ganz finster geworden, also höchste Zeit, schlafen zu gehen. Ich legte mich zu Bett, und Tresor blieb selbstverständlich bei mir im Schlafzimmer. Ich weiß nicht, war es noch der Schreck, oder kam es von der stickigen Luft, von den Flöhen, oder weil ich zu viel Gedanken im Kopfe hatte, – aber ich konnte nicht einschlafen, wie sehr ich mir auch Mühe gab! Ich hatte ein so eigentümliches, beklemmendes Gefühl, daß ich es gar nicht beschreiben kann; ich versuchte alles Mögliche: trank Wasser, öffnete das Fenster, spielte auf der Gitarre die Kamarinskaja mit italienischen Variationen . . . es nützte alles nicht! Es trieb mich aus dem Zimmer . . . schließlich nahm ich mein Kissen, die Bettdecke, ein Laken und begab mich durch den Garten in den Heuschuppen und richtete mich da ein. Es war so angenehm, meine Herren: die Nacht ist still, ungewöhnlich still, nur ab und zu streicht mir ein Windhauch, zart wie eine Frauenhand, über das Gesicht; das Heu duftet wie Tee, auf den Äpfelbäumen zirpen die Grillen; mitunter schlägt eine Wachtel, und man fühlt, daß es auch ihr, der Kanaille, so wohlig zumute ist, während sie mit dem Weibchen im Tau sitzt . . . Und am Himmel eine strahlende Pracht: die Sternchen flimmern, und zuweilen schwebt ein Wölkchen vorbei, weiß wie Watte, und bewegt sich kaum . . .«

An dieser Stelle mußte Skworewitsch niesen; auch Kinarewitsch, der nie hinter seinem Freunde zurückblieb, nieste. Anton Stepanowitsch sah die beiden beifällig an.

»Nun,« fuhr Porfirij Kapitonowitsch fort, »so liege ich da und kann noch immer nicht einschlafen. Ich muß in einem fort denken und zwar hauptsächlich über die menschliche Weisheit: wie wunderbar hat mir doch Prochorytsch das warnende Zeichen gedeutet, und warum solche Wunder gerade mit mir geschehen? . . . Ich wundere mich, weil ich nichts begreife; Tresor liegt indessen zusammengerollt auf dem Heu und winselt leise; seine Wunden schmerzen ihn. Ich will Ihnen auch sagen, was mich am Schlafen hinderte, Sie werden es wohl kaum glauben: der Mond! Er steht so rund, groß, gelb und flach gerade vor mir, und starrt mich an, bei Gott! So frech und zudringlich starrt er mich an . . . Schließlich zeigte ich ihm sogar die Zunge. Was bist du so neugierig? – denke ich mir. Wenn ich mich von ihm abwende, kriecht er mir ins Ohr, bestrahlt mir den Nacken, übergießt mich wie ein Regen; und wenn ich die Augen öffne, ist es noch ärger: jedes Hälmchen, jedes unnütze Ästchen im Heu, jedes noch so unbedeutende Spinngewebe beleuchtet er so grell, so unverschämt: sieh dir nur alles recht genau an! Es ist nichts zu machen; ich stütze mich auf einen Ellenbogen und fange an zu sehen. Ich kann auch nicht anders: meine Augen sind plötzlich wie die eines Hasen, sie sind so weit aufgerissen, wollen beinahe aus dem Kopfe herausspringen; sie sind so unheimlich wach, als ob sie gar nicht wüßten, was Schlaf heißt. Ich glaube, ich hätte mit den Augen alles verschlingen können. Das Tor steht weit offen, an die fünf Werst weit kann ich im Felde alles sehen: so unheimlich deutlich und zugleich undeutlich, wie es immer in einer Mondscheinnacht ist. So sehe ich, und sehe, und blinzle nicht mal mit den Augen . . . Und plötzlich kommt es mir vor, als ob sich in weiter Ferne etwas regte. Es vergeht einige Zeit, wieder huscht ein Schatten vorbei, diesmal etwas näher; und dann noch einmal und wieder näher. Was kann das sein? Vielleicht ein Hase? Nein, es scheint größer als ein Hase zu sein, auch springt ein Hase ganz anders. Ich sehe: der Schatten zeigt sich wieder und huscht schon als dunkler Fleck über die Viehweide – die Viehweide liegt aber im Mondlichte ganz weiß da. Es ist ja klar: ein Tier, ein Fuchs oder ein Wolf. Das Herz steht mir still . . . doch was soll ich mich fürchten? Es treibt sich doch immer allerlei Getier nachts im Feld umher. Die Neugierde ist aber größer als die Furcht; ich stehe auf, starre hinaus, und auf einmal überläuft es mich ganz kalt; ich erstarre, als ob man mich bis über die Ohren in Eis gesteckt hätte; doch warum? Das weiß Gott allein! Und ich sehe: der Schatten wird immer größer und wächst und rückt gerade auf meinen Schuppen los . . . Und ich sehe ganz genau, daß es ein großes Tier mit dickem Kopf ist . . . Es saust daher wie ein Wirbelwind, wie eine Flintenkugel . . . Du lieber Himmel! Was mag das sein? Das Tier bleibt auf einmal stehen, als ob es etwas witterte . . . Das ist ja . . . der tolle Hund von heute früh! Er ist es, er ist es! Gott! Und ich kann mich weder rühren, noch schreien . . . Der Hund springt in den Schuppen, seine Augen funkeln, und er stürzt heulend gerade auf mich los!