Read only on LitRes

The book cannot be downloaded as a file, but can be read in our app or online on the website.

Read the book: «Assja», page 7

Font:

XIX

Ich stieg geschwind den Weinberg hinunter und rannte in die Stadt. Rasch hatte ich alle Gassen durchflogen, überall nachgesehen, sogar zu den Fenstern der Frau Luise aufgeblickt, war an den Rhein gekommen und lief längs dem Ufer hin . . . Von Zeit zu Zeit begegneten mir Frauengestalten; Assja jedoch war nirgends zu sehen. Es war jetzt nicht mehr Aerger, was ich empfand, mich quälte eine geheime Furcht, und nicht blos Furcht . . . nein, ich fühlte Reue, das brennendste Mitleid, Liebe. – Ja! die zärtlichste Liebe. Mit Händeringen rief ich hinaus in das aufsteigende nächtliche Dunkel, nach Assja, anfangs schwach, dann lauter und immer lauter; hundertmal wiederholte ich, daß ich sie liebe, ich schwor mich nie von ihr zu trennen; Alles in der Welt würde ich darum gegeben haben, ihre kalte Hand wieder halten, ihre sanfte Stimme wieder hören, sie selbst wieder vor mir sehen zu können . . . So nahe war sie mir gewesen, mit vollem Vertrauen, in der vollen Einfalt des Herzens und Gefühls war sie mir entgegengekommen, hatte sie ihre unerfahrene Jugend in meine Hand gegeben . . . und ich hatte sie nicht an meine Brust gedrückt, hatte mir das Glück entgehen lassen, das liebliche Gesicht zu schauen, wie es vor Freude und stillem Entzücken erblüht wäre . . . Dieser Gedanke machte mich wahnsinnig.

»Wohin kann sie gegangen sein, was ist aus ihr geworden? rief ich angsterfüllt in ohnmächtiger Verzweiflung . . . Etwas Weißes schimmerte plötzlich hart am Ufer. – Ich kannte jene Stelle: dort stand über dem Grabe eines vor siebenzig Jahren ertrunkenen Mannes, ein altes, halb in den Boden versunkenes, steinernes Kreuz mit alterthümlicher Inschrift. – Das Herz erstarrte mir im Leibe. Ich , lief zum Kreuze: die weiße Gestalt war verschwunden; ich rief: Assja! Mein wilder Schrei erschreckte mich – Niemand gab Antwort . . .

Ich beschloß nachzufragen, ob vielleicht Gagin sie gefunden habe.

XX

Während ich den Fußweg im Weinberg eilig hinanstieg, gewahrte ich Licht in Assja‘s Zimmer . . . das beruhigte mich etwas.

Ich näherte mich dem Hause; die Thür unten war verschlossen, ich klopfte an. Ein Fenster im nicht erleuchteten unteren Stock wurde behutsam geöffnet und es zeigte sich Gagins Kopf.

– Gefunden? fragte ich.

– Sie ist zurückgekehrt« flüsterte er mir zu: sie ist auf ihrem Zimmer und kleidet sich aus. Alles ist in Ordnung.

– Gott sei gedankt! rief ich in einem Anfalle von unaussprechlicher Freude; Gott sei gedankt! Jetzt ist Alles gut. Sie wissen aber, wir haben uns noch Etwas zu sagen.

– Ein anderes Mal, erwiederte er, indem er sachte das Fenster an sich zog: – ein anderes Mal, für jetzt leben Sie wohl.

– Auf morgen also, sagte ich: – morgen soll Alles klar werden.

– Leben Sie wohl, wiederholte Gagin. Das Fenster wurde geschlossen. Fast hätte ich daran wieder geklopft. Ich wollte Gagin sogleich erklären, daß ich um die Hand seiner Schwester bäte. Doch eine solche Freiwerberei zu solcher Stunde . . . Auf Morgen denn, dachte ich: – Morgen werde ich glücklich sein . . .

Morgen werde ich glücklich sein! Das Glück hat keinen morgenden Tag; es hat auch keinen gestrigen; es weiß von keiner Vergangenheit, denkt an keine Zukunft; die Gegenwart gehört ihm, und nicht einmal der Tag, nur der Augenblick.

Ich weiß nicht mehr wie ich nach S. Kam. Nicht meine Füße hatten mich hingebracht, nicht das Boot mich hinübergesetzt, wie auf breiten, mächtigen Flügeln ward ich hinüber getragen. Mein Weg führte mich an einem Gebüsche vorbei, in welchem eine Nachtigall flötete: mir dünkte, sie singe von meiner Liebe und meinem Glücke.

XXI

Als ich am folgenden Morgen mich dem wohlbekannten Häuschen näherte, befremdete mich ein Umstand: alle Fenster in demselben standen offen, und auch die Thür war geöffnet; Papierfetzen lagen in der Schwelle verstreut umher; eine Magd mit einem Besen war hinter der Thür zu sehen.

Ich trat zu ihr heran.

– Sind fort! platzte sie heraus, bevor ich sie noch fragen konnte, ob Gagins zu Hause wären?

– Fort? wiederholte ich . . . Wie denn, fort? Wohin?

– Sind heute Morgen sechs Uhr abgereist und haben nicht gesagt wohin. Doch, warten Sie, Sie sind wohl der Herr N.?

– Ich bin Herr N.

– Es liegt ein Brief für Sie bei der Wirthin. Das Dienstmädchen ging hinaus und kehrte mit einem Briefe zurück. Da ist er, bitte.

– Das ist aber nicht möglich . . . Wie kam denn das! . . . sagte ich. Die Magd blickte mich stumpfsinnig an und begann zu fegen.

Ich öffnete den Brief. Es war Gagin, der an mich schrieb; von Assja nicht eine Zeile. Er fing mit der Bitte an, ich wolle ihm seiner unerwarteten Abreise wegen nicht böse sein; er sei versichert, ich werde nach reiflicher Ueberlegung seinen Entschluß billigen. Er habe kein anderes Mittel gefunden, um aus einer Lage, die schwierig und gefährlich werden konnte, herauszukommen. »Gestern Abend, schrieb er, als wir Beide schweigend auf Assja warteten, überzeugte ich mich vollends, daß eine Trennung nothwendig sei. Es gibt Vorurtheile, die ich zu würdigen weiß; ich begreife, daß Sie Assja nicht heirathen können. Sie hat mir Alles erzählt; um ihrer Ruhe willen, war ich gezwungen ihren wiederholten, inständigen Bitten nachzugeben.« – Am Schlusse des Briefes äußerte er sein Bedauern, daß unsere Bekanntschaft so schnell abgebrochen sei, wünschte mir Glück, drückte mir freundschaftlich die Hand und beschwor mich, ich möge mir nicht die Mühe geben sie aufzusuchen.

– Welche Vorurtheile! rief ich aus, als ob er mich hören könnte: – dieser Unsinn! Wer hat ihm das Recht gegeben, sie mir zu rauben . . . Ich faßte mich am Kopfe. . . Die Dienstmagd fing an, laut, nach der Wirthin zu rufen: ihr Schrecken gab mir die Fassung wieder. Ein Gedanke hatte sich meiner bemächtigt: sie aufzusuchen, aufzusuchen, was es auch kosten möge. Diesen Schlag hinzunehmen, sich mit solch einem Ausgange zufrieden zu geben, war unmöglich. Von der Wirthin erfuhr ich, daß sie um sechs Uhr Morgens ein Dampfschiff bestiegen hätten und den Rhein hinunter gefahren seien. Ich begab mich auf‘s Comptoir: dort sagte man mir; sie hätten Fahrbillets bis Köln gelöst. Ich ging nach Hause« in der Absicht sogleich einzupacken und ihnen zu folgen. Mein Weg führte mich beim Hause der Frau Luise vorbei . . . Auf einmal höre ich: es ruft mich Jemand. Ich richtete den Kopf in die Höhe und erblickte in dem Fenster desselben Gemaches, wo ich Tags zuvor mit Assja zusammengekommen war, die Bürgermeisterswittwe. Mit ihrem widerlichen Lächeln rief sie mich an. Ich wandte mich ab und wollte vorbei; sie rief mir aber nach, es wäre Etwas für mich da. Diese Worte brachten mich zum Stehen und ich trat in das Haus. Wie beschreibe ich meine Gefühle, als ich jenes Zimmer wiedersah . . .

– Eigentlich, redete mich die Alte an, indem sie mir einen kleinen Zettel zeigte, – sollte ich Ihnen das hier nur in dem Falle übergeben, wenn Sie von freien Stücken zu mir gekommen wären, Sie sind aber ein so schmucker, junger Herr. Nehmen Sie‘s.

Ich nahm den Zettel- Auf einem ganz kleinen Stückchen Papier standen folgende, hastig mit Bleistift hingekritzelte Worte:

»Leben Sie wohl, wir werden uns nicht mehr sehen. Nicht aus Hochmuth reife ich fort – nein, ich kann nicht anders. Gestern, als ich vor Ihnen weint,« bedurfte es nur eines Wortes von Ihnen, nur eines einzigen Wortes – und ich wäre geblieben. Sie haben es nicht ausgesprochen. So mußte es wohl besser sein . . . Leben Sie wohl, für immer.«

Ein Wort . . . Oh« ich Thor! Dieses Wort . . . ich hatte es am vorigen Abend unter Thränen wiederholt ausgerufen, hatte es in den Wind gestreut, hatte es inmitten der einsamen Felder so oft wiederholt . . . zu ihr aber hatte ich es nicht gesprochen, ihr hatte ich nicht gesagt, daß ich sie liebe . . . Und ich konnte ja auch damals jenes Wort noch nicht aussprechen. Als ich mit ihr in jenem verhängnißvollen Zimmer zusammenkam, hatte ich noch kein klares Bewußtsein von meiner Liebe; war es doch selbst dann noch nicht in mir erwacht, als ich mit ihrem Bruder in stumpfem und qualvollem Schweigen dasaß. Erst einen Augenblick später brach es mit unaufhaltbarer Macht los, als ich vor der Möglichkeit eines Unheils erschrak, sie zu suchen, zu rufen begann; doch dann war es schon zu spät. Das ist ja unmöglich! wird man mir entgegnen; ich weiß nicht, ob es möglich ist – weiß aber, daß es wahr ist. Assja wäre nicht fortgereist, wenn in ihr auch nur eine Spur von Coquetterie gesteckt hätte und ihre Stellung nicht eine falsche gewesen wäre. Sie vermochte nicht das zu ertragen, was jede Andere ertragen hätte: das hatte ich nicht begriffen. Mein böser Dämon hielt mein Geständniß auf meinen Lippen zurück, als ich zum letzten Male mit Gagin vor dem dunkelen Fenster zusammentraf, und der letzte Faden, den ich noch hätte erfassen können, entschlüpfte meinen Händen.

Am selben Tage kehrte ich mit gepacktem Reisesack in die Stadt L. zurück und fuhr nach Cöln. Ich erinnere mich das Dampfschiff stieß bereits ab und ich nahm Abschied im Geiste von jenen Gassen, von allen jenen Orten, die ich fortan nie mehr aus dem Gedächtniß verlieren sollte, als ich Hannchen vor mir erblickte. Sie saß auf einer Bank am Ufer. Ihr Gesicht war bleich, aber nicht traurig; ein junger hübscher Bursche stand an ihrer Seite und erzählte ihr lachend Etwas; auf dem anderen Ufer des Rheins blickte wie immer das kleine Madonnenbild aus dem dunkelen Grün der alten Esche traurig herüber.

XXII

In Köln kam ich den, Gagins auf die Spur; ich erfuhr, daß sie nach London gereist waren; ich machte mich auf, ihnen nach; in London blieben jedoch alle meine Nachforschungen fruchtlos. Noch lange mochte ich mich nicht zufrieden geben, noch lange hielt ich beharrlich Stand, endlich jedoch mußte ich die Hoffnung aufgeben, sie wiederzufinden.

Und ich habe sie auch nicht mehr wiedergesehen – habe Assja nicht wiedergesehen. Von ihm kam mir noch einiges Wenige zu Ohren, sie aber war für immer für mich verschwunden. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt. Einmal, es war einige Jahre nachher im Auslande, sah ich flüchtig in einem Eisenbahnwaggon eine Frau, deren Gesicht mich lebhaft an unvergeßliche Züge erinnerte . . . doch, wahrscheinlich ward ich durch zufällige Aehnlichkeit irre geführt. Assja blieb in meiner Erinnerung dasselbe Mädchen, wie ich es in der schönsten Zeit meines Lebens gekannt hatte, wie ich es noch zuletzt, über die Lehne des niedrigen, hölzernen Stuhles gebeugt, gesehen hatte.

Ich muß indessen bekennen« daß ich mich nicht gar zu lange um sie gegrämt habe, ja, mir dünkte sogar, das Schicksal habe gut daran gethan, uns nicht mit einander zu verbinden; ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß ich wahrscheinlich mit einer solchen Frau nicht glücklich geworden wäre. Ich war damals jung, und die Zukunft, dieses kurze, flüchtige Leben, schien mir noch endlos. Warum könnte sich nicht dachte ich, was sich einmal ereignet hat, nochmals wiederholen, und zwar besser, schöner? Ich habe andere Frauen gekannt, – doch das Gefühl, welches Assja in mir entzündet hatte, jenes brennende, zärtliche, tiefe Gefühl, es wiederholte sich nicht mehr. Nein! es konnten keine Augen mir jene ersetzen, die einst mit solcher Liebe auf mich geheftet waren; keinem Herzen, das sich an meine Brust geschmiegt hat, schlug das meine mit so freudiger, süßer Beklemmung entgegen! Zum einsamen Leben eines familienlosen Hagestolzen verurtheilt, verbringe ich trübselig meine Jahre; doch bewahre ich wie ein Heiligthum ihre Briefe und den verdorrten Geraniumzweig, jenen Zweig, den sie mir einst aus dem Fenster zuwarf. Noch bis jetzt giebt er einen schwachen Duft von sich, die Hand aber, die ihn mir gab, jene Hand, die an meine Lippen zu drücken mir nur einmal vergönnt war, sie modert vielleicht schon lange im Grabe . . . Und ich selbst – was bin ich geworden? Was ist von mir übrig geblieben, was von jenen seligen und qualvollen Tagen, von jenem geflügelten Hoffen und Sehnen? So überlebt der schwache Duft eines unscheinbaren Krautes alle Freuden und alle Trübsale des Menschen – überlebt den Menschen selbst.

Genres and tags
Age restriction:
0+
Release date on Litres:
10 December 2019
Volume:
70 p. 1 illustration
Copyright holder:
Public Domain