Polizeigesetz für Baden-Württemberg

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From the series: Polizeirecht kommentiert
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§ 6 Maßnahmen gegenüber dem Verursacher

(1) Wird die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch das Verhalten von Personen bedroht oder gestört, so hat die Polizei ihre Maßnahmen gegenüber demjenigen zu treffen, der die Bedrohung oder die Störung verursacht hat.

(2) 1Ist die Bedrohung oder Störung durch eine Person verursacht worden, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber demjenigen treffen, dem die Sorge für diese Person obliegt. 2Ist für eine Person ein Betreuer bestellt, kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber dem Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs treffen.

(3) Ist die Bedrohung oder die Störung durch eine Person verursacht worden, die von einem anderen zu einer Verrichtung bestellt worden ist, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber dem anderen treffen.

Literatur: Britz, Abschied vom Grundsatz fehlender Polizeipflicht von Hoheitsträgern?, DÖV 2002, 891; Erichsen/Wernsmann, Anscheinsgefahr und Anscheinsstörer, Jura 1995, 219; Finger, Der „Freier“: Ein Störer im Sinne des Gefahrenabwehrrechts?, VBlBW 2007, 139; Frenz, Störerinanspruchnahme: Grundlagen und Aktuelles, Die Polizei 2013, 279; Garbe, Die Störerauswahl und das Gebot der gerechten Lastenverteilung, DÖV 1998, 632; Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, 2000; Greiner, Die Verhinderung verbotener Internetinhalte im Wege polizeilicher Gefahrenabwehr, 2001; Hartmann, Pflichtigkeit im Polizei- und Ordnungsrecht, JuS 2008, 593; Lennartz, Binnenausgleich zwischen Störern: Gesamtschuld von Verfassungs wegen?, NVwZ 2018, 1429; Martensen, Materielle Polizeipflicht und polizeiliche Verpflichtbarkeit des Bürgers in Anscheins- und Verdachtslagen, DVBl. 1996, 286; Möstl, Die dogmatische Gestalt des Polizeirechts, DVBl. 2007, 122; Rau, Die Rechtsnachfolge in Polizei- und Ordnungspflichten, Jura 2000, 37; Schenke, Die polizeiliche Inanspruchnahme nicht geschäftsfähiger Störer, JuS 2016, 507; Schenke/Ruthig, Rechtsscheinshaftung im Polizei- und Ordnungsamt, VerwArch Bd. 87 (1996), 329 ff.; Schoch, Der Zweckveranlasser im Gefahrenabwehrrecht, Jura 2009, 360; Sokol, Die Bestimmung der Verantwortlichkeit für die Abwehr und Beseitigung von Störungen im öffentlichen und privaten Recht, 2016; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2008; Tölle/Pallek, Polizeiliche Gefahrenabwehr im Bereich diplomatischer oder konsulanischer Vorrechte, DÖV 2001, 547; Zacharias, Die Rechtsnachfolge im öffentlichen Recht, JA 2001, 720; Zimmermann, Alte Grund- und neue Ansätze – Zum Gesamtschuldner-Innenausgleich bei polizei- und ordnungsrechtlicher Störermehrheit, NVwZ 2015, 787; ders., Polizeiliche Gefahrenabwehr und das Internet, NJW 1999, 3145.

Inhaltsübersicht

1. Allgemeines

2. Polizeipflicht und polizeipflichtige Personen

3. Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten (Abs. 1)

4. Verursachung

5. Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten (Abs. 2 und 3)

a) Verantwortlichkeit des Sorgeberechtigten (Abs. 2)

b) Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn (Abs. 3)

6. Rechtsnachfolge

7. Mehrere Verantwortliche

1. Allgemeines

1

§ 6 ist – ebenso wie §§ 7 und 9 – eine Adressatenregelung, die bestimmt, gegen wen sich polizeiliche Maßnahmen richten können. Sie ergänzt hinsichtlich der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen die bei Eingriffen notwendige Ermächtigungsgrundlage.

2

Die §§ 6, 7 und 9 sind nicht anwendbar, wenn spezielle Gesetze, ausdrücklich oder dem Zusammenhang nach, eigene Adressatenregelungen enthalten. So ist z. B. der Kreis der zur Abfallentsorgung Verpflichteten durch § 7 KrWG abschließend festgelegt (BVerwG, NVwZ 1992, 480; 2007, 185, 186; VGH BW, VBlBW 1998, 27, 28). Das USchadG bestimmt in seinem Anwendungsbereich den „Verantwortlichen“ (§ 2 Nr. 3) als Adressaten zulässiger Maßnahmen. § 4 Abs. 3–6 BBodSchG bestimmt den Kreis der nach diesem Gesetz Verantwortlichen abschließend (BVerwG, DVBl. 2000, 1353). § 11 HafenSiG bestimmt den Betreiber einer Hafenanlage als Verantwortlichen. §§ 6, 7 und 9 gelten auch dann nicht, wenn jedermann Adressat sein kann. So etwa bei einzelnen Standardmaßnahmen (z. B. §§ 27 Abs. 1 Nr. 2–7; 34 Abs. 1 Nr. 4 u. 5; 35 Nr. 4, 5, 6 u. 7) oder bei einigen Maßnahmen zur Datenverarbeitung (z. B. §§ 43 Abs. 1, 44 Abs. 2 u. 3)

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Ergänzend können §§ 6, 7 und 9 herangezogen werden, wenn spezielle Gesetze zur Gefahrenabwehr hinsichtlich des Adressaten keine, keine abschließenden oder nur allgemeine Aussagen enthalten.

Beispiel: Da das Wassergesetz für allgemeine Anordnungen nach § 82 Abs. 1 keine Adressatenregelung enthält, ist auf die §§ 6, 7 und 9 des Polizeigesetzes zurückzugreifen (VGH BW, VBlBW 1993, 298; vgl. auch VGH BW, VBlBW 1995, 64, 65; 486, 488; 1996, 221, 222, 351; NVwZ-RR 1996, 387, 388). Zur Verantwortlichkeit des Eigentümers bei bauordnungsrechtlichen Maßnahmen nach der LBO vgl. VGH BW, VBlBW 2007, 356, 357.

Die §§ 6, 7 und 9 gelten grundsätzlich auch für gefahrenabwehrende Maßnahmen (z. B. Untersagung oder Sperrung eines Angebots) im Internet. Mögliche Adressaten sind folgende Dienstanbieter:

– der Content-Provider, der eigene Informationen zur Nutzung bereithält,

– der Access-Provider, der fremde Informationen übermittelt oder den Zugang zu ihrer Nutzung vermittelt bzw. fremde Informationen automatisch, zeitlich begrenzt zwischenspeichert, um die Übermittlung der fremden Informationen effizienter zu gestalten,

– der Host-Provider, der fremde Informationen für den Nutzer speichert.

Nach h. M. gelten die in den §§ 7–10 TMG festgelegten Verantwortungsprivilegierungen bei einer polizeirechtlichen Inanspruchnahme nicht.

Im Anwendungsbereich des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) – vgl. www.lfk.de/recht – steht mit § 59 Abs. 3 RStV i. V. m. § 20 Abs. 1, 4 JMStV eine spezielle Befugnisnorm und mit § 59 Abs. 4 RStV eine eigenständige Adressatenregelung zur Verfügung (vgl. OVG Lüneburg, NJW 2008, 1831).

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Grundsätzlich kann – mit Ausnahme von § 9 – Adressat polizeilicher Maßnahmen nur derjenige sein, der für die Gefahr verantwortlich ist, sei es, weil er sie durch ein Verhalten (Verhaltensverantwortlichkeit, § 6) oder durch den Zustand seiner Sachen (Zustandsverantwortlichkeit, § 7) herbeigeführt hat. Der Verantwortliche wird auch Störer genannt.

Die Verantwortlichkeit ist von subjektiven Momenten unabhängig, d. h., es genügt allein die objektive Herbeiführung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Es kommt also weder auf die Handlungsfähigkeit (§ 12 LVwVfG), die Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB), die Deliktsfähigkeit (§§ 827, 828 BGB), die Strafmündigkeit (§ 19 StGB) noch auf sonstige persönliche Eignungen oder auf die finanzielle Leistungsfähigkeit an. Ebenso ist die Verantwortlichkeit verschuldensunabhängig (VGH BW, NVwZ 1990, 781, 783; NVwZ-RR 1996, 387, 389).

Beispiele: Verantwortlich und damit Adressat können sein ein Kind, ein Betrunkener, ein Bettlägeriger, ein Mittelloser.

Zur Bekanntgabe von Polizeiverfügungen an nicht handlungsfähige Personen, s. o. § 3, RN 13.

2. Polizeipflicht und polizeipflichtige Personen

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Der Verantwortlichkeit liegt die (abstrakte) Pflicht zugrunde, sich so zu verhalten, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht gefährdet wird (Polizeipflicht). Sie besteht unabhängig vom Erlass einer Polizeiverfügung, kann aber durch eine solche konkretisiert werden.

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Polizeipflichtig und damit evtl. verantwortlich sind natürliche Personen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit, ebenso Parlamentsmitglieder, die Mitglieder diplomatischer Missionen und konsularischer Vertretungen, sowie Angehörige internationaler Organisationen bei ihrem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Jedoch sind diesen Personen gegenüber die polizeilichen Befugnisse eingeschränkt, weil sie bestimmte Vorrechte und Immunitäten besitzen (vgl. GABl. 1992, 261 und GABl. 1995, 516). Als Störer können auch die Mitglieder der NATO-Streitkräfte, deren ziviles Gefolge und deren Angehörige in Anspruch genommen werden, allerdings nur außerhalb der überlassenen Liegenschaften. Innerhalb dieser übt die Truppe die Polizeigewalt nach Art. VII (10)(a) NATO-Truppenstatut aus. Vgl. aber auch Art. 28 Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut.

 

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Auch juristische Personen des Privatrechts (eingetragener Verein, Stiftung, GmbH, Aktiengesellschaft) können Adressat polizeilicher Maßnahmen sein, in gleicher Weise auch ein nicht rechtsfähiger Verein sowie die teilrechtsfähige OHG und KG (VGH BW, VBlBW 1993, 298, 301; 1996, 221, 222; VGH BW, Urt. v. 7.10.2014 – 1 S 1327/13).

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Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist zu differenzieren: Soweit keine Sonderrechte bestehen (vgl. z. B. § 35 Abs. 1 StVO, §§ 59, 60 BISchG), unterliegen auch sie den Bindungen des Polizeirechts, sind also polizeipflichtig (vgl. auch Art. 20 Abs. 3 GG).

Beispiel: Die Bundesrepublik Deutschland ist verantwortlich für die Sanierung kontaminierten Erdreichs auf dem Parkplatz einer Bundesstraße (BVerwG, NVwZ 1999, 421) und verantwortlich für die Beseitigung von Abfall auf dem Gelände ihrer Schifffahrtsanlagen an Bundeswasserstraßen (BVerwG, NVwZ 2003, 1252).

Hoheitlich betriebene Anlagen (z. B. Hallenbad, Kraftwerk, Bolzplatz) unterliegen den verfahrensrechtlichen und materiellen Anforderungen des BImSchG und der Überwachung durch die Immissionsschutzbehörden (BVerwG, NJW 1988, 2396, 2397; NVwZ 2003, 346; VGH BW, VBlBW 2001, 496).

Gegen Gefährdungen, die aus dem hoheitlichen Tätigkeitsbereich resultieren, darf die Polizei – außer bei Gefahr im Verzug – grundsätzlich mangels Zuständigkeit nicht einschreiten, weil dem störenden Träger öffentlicher Verwaltung die Gefahrenabwehr selbst obliegt.

Beispiel: Zur Beseitigung von Gefahren, die von einem Bundeswehrgelände ausgehen, ist der Bund und nicht die nächstgelegene Ortspolizeibehörde zuständig (VGH BW, BWVPr 1995, 134, 135).

Bei der Gefahrenabwehr aufgrund spezieller Gesetze lässt die Rechtsprechung allerdings Ausnahmen zu: So sei die zuständige Immissionsschutzbehörde befugt, gegenüber einer Gemeinde den beim hoheitlichen Betrieb ihrer kommunalen Einrichtung einzuhaltenden Immissionsrichtwert anzuordnen. Eine zwangsweise Durchsetzung scheitert jedoch an § 22 LVwVG (vgl. BVerwG, NVwZ 2003, 346; VGH BW, VBlBW 2001, 496 m. w. N.). Verursacht jedoch der Träger öffentlicher Verwaltung bei seiner fiskalischen Tätigkeit Gefahren, muss er sich wie ein Privatmann behandeln lassen, d. h., hier ist die Zuständigkeit der Polizei nicht eingeschränkt.

Beispiel: Gegen den Bund als Eigentümer eines nicht hoheitlich genutzten Gebäudes kann die Baurechtsbehörde eine Verfügung richten, an dem Gebäude Baumaßnahmen vorzunehmen, wenn hiervon eine Verunstaltung nach § 11 LBO ausgeht.

3. Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten (Abs. 1)

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Verantwortlich nach Abs. 1 ist derjenige, der durch eigenes Verhalten (Tun oder Unterlassen) die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht. Durch Unterlassen kann man aber nur zum Störer werden, wenn sich aus einer öffentlich-rechtlichen Rechtsnorm eine Pflicht zum Handeln ergibt (VGH BW, Urt. v. 18.9.2001 – 10 S 259/01). Gleiches muss gelten, wenn ein Nichthandeln zivilrechtliche Normen verletzt, denn auch diese gehören zum Schutzgut „öffentliche Sicherheit“. Zu beachten ist hier aber § 2 Abs. 2 (s. o. § 1, RN 21).

Beispiele: Verhaltensstörer ist, wer – entgegen § 30 f. BestattG nicht für die Bestattung einer Leiche sorgt, – entgegen den Vorgaben einer Satzung nach § 41 Abs. 2 StrG den Gehweg bei Glatteis nicht streut, – entgegen § 46 WG Abwässer nicht dem Beseitigungspflichtigen überlässt. Verhaltensstörer ist, wer als Darlehnsnehmer entgegen § 607 Abs. 1 BGB das Empfangene nicht zurückerstattet. Dennoch verbietet sich ein polizeiliches Einschreiten grundsätzlich aufgrund § 2 Abs. 2.

Keine Pflicht zum Handeln ergibt sich aus Art. 14 Abs. 2 GG (Sozialpflichtigkeit des Eigentums) oder aus der abstrakten Polizeipflicht (s. o. RN 5), da sonst jeder Zustandsstörer gleichzeitig Handlungsstörer ist und somit § 7 PolG überflüssig wäre (BVerwG, NJW 1986, 1626; VGH BW, NVwZ 1996, 1036, 1037).

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Verhaltensstörer ist auch der Anscheinsstörer. Damit bezeichnet man eine Person, die aus Ex-ante-Sicht der Behörde aufgrund verständiger Würdigung objektiver durch ihr Verhalten eine Anscheinsgefahr (s. o. § 1, RN 43) oder hinsichtlich einer real bestehenden Gefahr durch sein Verhalten einen Verursacherschein gesetzt hat. Fehlt ein derartiges Verhalten, kommt nur eine Inanspruchnahme als Nichtstörer in Frage (str., vgl. VGH BW, NVwZ-RR 1990, 24, 26; VBlBW 2011, 155).

Beispiel: Der ortsabwesende Wohnungsinhaber, der durch die Installation einer Zeitschaltuhr Licht und Geräusche erzeugt und damit den Eindruck erweckt, in der Wohnung hielten sich Einbrecher auf, kann – je nach Sachverhalt – Anscheinsstörer sein. Bejahend: VG Berlin, NJW 1991, 2854, verneinend: OLG Köln, DÖV 1996, 86.

Eine Kostentragungspflicht des Anscheinsstörers entsteht nur, wenn er aus Ex-post-Sicht den Anschein der Gefahr selbst verursacht und hierfür einzustehen hat (OVG Hamburg, NJW 1986, 2005, 2006; VG Berlin, NJW 1991, 2854).

4. Verursachung

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Nur ein Verhalten, welches die Gefahr verursacht, führt zur Verantwortlichkeit nach Abs. 1. Es würde jedoch zu absonderlichen Ergebnissen führen, wenn jede für den Erfolg ursächliche Bedingung die Verantwortlichkeit begründete, denn dann wäre z. B. der Winzer polizeirechtlich verantwortlich, wenn jemand, trunken von dessen Wein, Passanten anpöbelt. Zur Eingrenzung dieser weiten naturwissenschaftlichen Kausalität wird heute überwiegend die Theorie der unmittelbaren Verursachung herangezogen (VGH BW, VBlBW 1982, 371, 372; 1983, 110, 113; 2013, 178). Hiernach ist nur das Verhalten kausal, durch welches selbst unmittelbar die Gefahr herbeigeführt wird. Jemand, der nur mittelbar zum Erfolg beiträgt (Veranlasser), gehört nicht zum Kreis der Verantwortlichen. Anders ausgedrückt: Nur wer selbst die Gefahrenschwelle überschreitet kann Störer sein. Somit scheidet als Verantwortlicher bereits der aus, der sich der Rechtsordnung gemäß verhält.

Beispiele: Verursacht der Vermieter durch seine vertragsgemäße Kündigung die Obdachlosigkeit des Mieters, überschreitet er nicht die Gefahrenschwelle, ist also nicht Störer.

Gehen von einem genehmigten Betrieb Immissionen aus, ist eine Inanspruchnahme nicht zulässig.

Kommt es durch den rechtmäßigen Anbau von Mais zu Sichtbehinderungen auf der Straße, ist für Unfälle nicht der Landwirt verantwortlich.

Eine politische Partei wird nicht dadurch zum Störer, indem sie Plakate – die rechtswidrig geklebt werden – hergestellt und in Verkehr gebracht hat (OVG NW, NJW 1979, 2266; OLG Koblenz, DVBl. 2003, 1342).

Wird der Verkehr durch eine Fahrbahnverengung behindert, ist grundsätzlich der Fahrer oder Eigentümer des zuletzt abgestellten Fahrzeugs als verantwortlich anzusehen (OVG Münster, NVwZ 2001, 1314; VG Karlsruhe, Urt. v. 24.1.2008 – 6 K 2399/07).

Andererseits ist der verantwortlich, der gegen Ge- oder Verbote oder Normen des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts verstößt. In den übrigen Fällen erfordert die Feststellung der Unmittelbarkeit häufig eine wertende Betrachtung.

Beispiel: Kommt jemand seiner Verpflichtung aus § 27 Abs. 3 Satz 1 StVZO, die Veräußerung seines Kfz. unverzüglich der Zulassungsstelle zu melden, nicht nach, kann er regelmäßig nicht zur Entfernung des rechtswidrig abgestellten Kfz. herangezogen werden, selbst dann nicht, wenn sich der neue Halter und der Fahrer nicht ermitteln lassen (OVG Bautzen, NJW 1997, 2253; VGH Kassel, NJW 1999, 3650; OVG Hamburg, NJW 2000, 2600, 2601;a. A. VGH BW, VBlBW 1996, 302, 303).

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Als Verursacher wird häufig auch der sog. Zweckveranlasser angesehen. Hierbei soll es sich um eine Person handeln, die das polizeiwidrige Verhalten anderer subjektiv bezweckt oder zumindest billigend in Kauf nimmt (subjektive Theorie) oder die eine eingetretene Störung objektiv bezweckt (objektive Theorie). Nach VGH BW, NVwZ-RR 1995, 663 ist jemand dann Zweckveranlasser, wenn sich durch sein Verhalten das polizeiwidrige Verhalten anderer zwangsläufig einstellt.

Praxis und Rechtsprechung haben u. a. in den folgenden Fällen eine Verantwortlichkeit des „Zweckveranlassers“ angenommen:

Beispiele: Als Folge einer ausgefallenen Schaufensterwerbung bildet sich eine Menschenmenge auf dem Gehweg. Passanten müssen auf die Straße ausweichen. Neben den behindernden Zuschauern ist auch der Kaufhausbesitzer als Zweckveranlasser Störer (PrOVG, 40, 216; 80, 270). Neben den auf der Straße lärmenden Besuchern einer Diskothek ist auch der Diskothekeninhaber als Zweckveranlasser für den Lärm der Besucher verantwortlich (VGH BW, GewArch 1969, 131; BVerwG, NVwZ 1997, 276, 278).

Zweckveranlasser ist der Vermieter von Räumen an Prostituierte im Sperrgebiet (VGH Kassel, NVwZ 1992, 619, 621; 1993, 302, 303), nicht aber der, der (außerhalb eines solchen) Räume an ausländische Prostituierte – die möglicherweise gegen eine Auflage i. S. des § 14 Abs. 2 AusLG verstoßen – vermietet (VGH BW, VBlBW 1995, 404), und ebenso wenig der Freier, der im Sperrgebiet Kontakt zu Prostituierten aufnimmt, denn dieser verursacht nicht das entsprechende Auftreten der Damen, sondern macht lediglich von dem „Angebot“ der Prostituierten Gebrauch, das bereits selbst polizeiwidrig ist (str.). Werden jedoch in einem Sperrbezirk regelmäßig auch unbeteiligte Frauen und Mädchen in der irrigen Annahme, es handele sich um Prostituierte, von Freiern auf die Erbringung sexueller Leistungen angesprochen, so sind die Freier für dieses polizeiwidrige Verhalten (s. o. § 1, RN 25) verantwortlich, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Rechtsfigur des Zweckveranlassers bedarf (zweifelhaft VGH BW, VBlBW 2001, 142, weil in dem entschiedenen Fall der Tatbestand der Verbotsnorm und der Sachverhalt sich nicht decken).

In der Literatur mehren sich die Stimmen, die eine Verantwortlichkeit des „Zweckveranlassers“ ablehnen: Dieser sei lediglich Veranlasser, der nur von den ihm eingeräumten Rechten Gebrauch mache. Mit der Theorie der unmittelbaren Verursachung sei diese Rechtsfigur nicht zu vereinbaren und das Abstellen auf sog. wertende Gesichtspunkte führe nur zu Rechtsunsicherheit. Folgt man dieser Auffassung, kann der „Zweckveranlasser“ allenfalls als Nichtstörer nach § 9 in Anspruch genommen werden.

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Ob der Veranstalter von Großveranstaltungen (z. B. Popkonzerte, Fußballspiele) als Zweckveranlasser nicht nur für die von der Veranstaltung selbst ausgehenden Gefahren (z. B. bei einem Autorennen), sondern auch für die vom Publikum typischerweise veranlassten Gefahren herangezogen werden kann, ist umstritten. Hier lehnen auch die meisten Befürworter der Rechtsfigur „Zweckveranlasser“ eine Verantwortlichkeit des Veranstalters als zu weitgehend oder als Überdehnung der Verantwortlichkeit ab. Konsequent ist das nicht. Richtigerweise wird man den Veranstalter nur als Nichtstörer heranziehen können.

13a

Die Veranstalter von Aufzügen und Versammlungen wird man in nur ganz seltenen Fällen als Verantwortliche für zu erwartende Störungen der öffentlichen Sicherheit ansehen können. Voraussetzung wäre etwa, dass der Zweck der Veranstaltung die Art und Umstände ihrer Durchführung nur den durch Tatsachen belegten Schluss zulassen, dass das eigentliche Ziel der Veranstaltung die Provokation von Gewalt und Gegengewalt ist. Die Missbilligung der in der Veranstaltung geäußerten – verfassungsrechtlich zu tolerierenden – Inhalte durch die Mehrheit der Bevölkerung genügt keinesfalls, um die Störereigenschaft über die Rechtsfigur des Zweckveranlassers zu begründen (BVerfG, DVBl. 2001, 62).