Der Kopf

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Sie beugte sich ihm in den Nacken, damit er sich nicht schämen sollte, ließ den Arm, um ihn zärtlicher zu stimmen, über seine Schulter hängen, und murmelte: »Wie? Du hast mit ihr abreisen wollen ... Jemand sagte es.«

Der Bruder war nicht im Zweifel, wer dieser zögernd erwähnte Jemand sei. Und ihr Arm, ihre lockende Stimme! Sie benahm sich wie eine Frau, wie – Jene. Er hielt still, und er schwieg.

»Ich wußte auch. Du wartetest dort draußen vergebens.«

»Warum?«

»Weil sie drüben sitzen blieb, bis lange nach Abgang des Zuges, und erst spät das Haus verließ.«

Er wandte sich schnell um. »Ich sehe, wir sind Beide bestimmt, manches Stückchen zu erleben ... Ich gehe hinüber.«

»Sie ist doch ausgezogen«, rief die Schwester ihm nach. Er kehrte um. »Du weißt wohl, was Du sagst?«

»Sie ist ins Hotel gezogen, ich weiß nicht in welches. Wie siehst Du aus. Tu' mir nichts!«

Er stürmte die Straße hinan. Sie war steil, der Wind strich her, ihm stockte der Atem. Der Körper meinte zu erstarren, so weit voraus lief ihm die Seele. Am Markt dahinter ein Wagen, noch hält er, ihn einholen! Das Gepäck darauf, – und als sie hervortrat und einstieg, war auch er da. Er schwang sich von drüben in den fahrenden Wagen, sogleich ergriff er ihre beiden Handgelenke, er bog sie. »Du wolltest abreisen, gestehe!«

»Was ist da zu gestehen.« Sie suchte ihr Gesicht dem Fenster zu nähern, sie hatte Furcht!

»Ich zerbreche Dir die Hände.«

Sie schrie auf, unvermittelt aber sagte sie mit ihrer gewöhnlichen klaren Stimme: »Der Fürst hat geschrieben. Er versöhnt sich mit mir. Was kannst Du danach noch wollen?«

»Dich«, sagte er, bog ihre Gelenke und küßte sie, in ihren Mund gewühlt, wie gestern Nacht am Hafen.

»Zum Hafen!« rief er hinaus. Die Schenke von gestern! – und darüber im Hause ein Zimmer für die Verrichtungen der Hafendirnen, unter denen sie gestern sich verloren hatte, denen sie glich! Fühlst Du, wer Du nun bist? Dies tat Dir not, um unter meinen Händen weich zu werden.

In das Zimmer ließ sie sich tragen, auf das Bett ließ sie sich werfen. Das Zimmer roch wie eine leere wattierte Schachtel, nach einem verbrauchten Inhalt. Das Bett hatte Vorhänge, und oben vereinigte sie ein Spiegel.

Der Zwanzigjährige sagte ihr rachsüchtig in den Mund: »Und jetzt? Kommst Du jetzt mit mir?«

Glücklich seufzend sagte die Frau von drüben: »Dummer Mann, das hättest Du früher haben können.«

»Ich will, daß Du mit mir kommst.«

»Der Fürst hat aber geschrieben« – gähnend.

»Du wärest fähig, hinzugehen?«

»Selbstverständlich.«

Er hob die Fäuste. Sie sagte in der Abwehr: »Es ist nun so.«

»Daß Du mich quälst? Daß Du Dich verkaufst? Daß Du uns um unser ganzes Glück bringst?«

»Daß wir vernünftig sind«, schloß sie und zog ihn zu sich herab.

Er hatte gewütet, hatte vor Schmerz gebrüllt, vor Trauer geweint, – nun denke nicht mehr, genieße! Ihr Leib ist weiß, wie eine Ampel, geschmeidig, wie ein kämpfendes Tier. Er breitet aus der Armut dieses verdächtigen Gelasses sich hinaus und wächst Dir in das All, Du bist von ihm voll. Schweige, trink', gebannt an ihr dämmerndes Gesicht, fließende Ahnungen in Dich hinein. »Sie ist eine fremde Frau, und hat das Haar meiner Schwester. Eine Dirne, und hat, gereifter, ihren Mund. Ich küsse ihren Mund, jetzt kenne ich erst meine Schwester. Verschwistert ist diese ihr und mir. Wir alle sind eins.«

Sie fragte: »Wovon ist Dein Gesicht so schön?« denn es war schwärmend, war selig aufgelöst.

»Von Dir ein Kind!« sagte er glühend; und wie sehr sie ihn auslachte, sich empörte und ihm ihren unversehrten Leib zeigte: »Von Dir ein Kind!« – bis sie an ihm hing, bittend und ergeben.

Endlich nochmals: »So soll ich ohne Dich hinausgehen.« Darauf sagte sie: es klinge schlimm und sei doch nur das Leben. Man gewöhne sich, allein zu sein und dennoch überall abzuhängen. Dieses Beides sei es. »Mir kann es nichts anhaben.«

»Ist denn das Leben nur geschaffen, um uns nichts anzuhaben? Welchen Zweck hat es?«

»Diesen!« sagte sie im Kuß.

Zweites Kapitel. Die Ringer

Nach einigen Semestern an Universitäten, deren absichtsvoll erhaltene Romantik ihn in seiner modernen Geistesverfassung nur bestärkt hatte, ging Wolf Mangolf, um seine Studien abzuschließen, 1894 nach München. Dieser junge Doktor verkehrte bald bei mehreren Professoren und mit ihrer Hilfe noch weiter oben. Er glänzte nicht weniger auf Faschings- oder Sommerfesten, als bei den ernsteren Veranstaltungen der kunst- und bildungsbeflissenen Jugend.

Aber in seinen beiden elegant möblierten Parterrezimmern, wo der Lebenskämpfer unbeachtet nur die bescheidenste kalte Mahlzeit aß, streifte er sogleich seinen gutgeschnittenen Rock ab, und in alten, engen Schülerkleidern, die Stirn in Falten, rechnete er und zog die Bilanz. Die glühenden Wangen der Mädchen, die sich hatten küssen lassen, wurden genau so hoch veranschlagt, wie der Einfluß ihrer Väter reichte. Der kalte Händedruck eines jungen Adeligen wog schwerer. Der Beifall, nachdem wir »Tristan« gespielt hatten, ward auf seinen praktischen Gehalt untersucht. Wie viele Beziehungen hatte der Sommer uns eingetragen, wohin führte jene Einladung auf das Land, welche Aussichten auf offizielle Beachtung eröffnete solch' eine rechtzeitige Heuchelei?

Graf Lannas, »mein Kollege Graf Lannas«, hatte wörtlich gesagt: »Jeder junge Mann, der unsere tatsächlichen Zustände heute richtig beurteilt, darf annehmen, daß irgendwo gewisse Personen, die hierzu in der Lage sind, ein Auge auf ihn haben.«

Langsam und deutlich, vorigen Dienstag sieben Uhr, auf der Toilette. War es dennoch nur so hingesagt? »Am Mittwoch nahm er meine Einladung zum Frühstück an, am Donnerstag kam er. Er schien nicht verwundert, daß es Kaviar gab. Die Bürgschaft auf dem Wechsel verlangte er wahrhaftig von gleich zu gleich. Ich bin felsenfest überzeugt, daß er mich nicht mit ihr hängen läßt. Ein Graf Lannas, Sohn des Botschafters! Früher oder später erfährt es der Vater. Man hat ein Auge auf mich.«

Was nicht hinderte, daß die Bürgschaft den Hals kosten konnte! »Ich bin harmlos wie ein Kind. Was machen sich jene Leute noch aus dem Plebejer, der ihnen gedient hat.« Heiß emporsteigend der Haß gegen die Mächtigen, – aber selbst den Haß übertäubte der durchbohrende Schmerz: Du bist klein, bist abhängig von Wesen, die nach dem Recht der Natur Dir untergeben wären. Du mußt Dich in ihre Art einfühlen, Dein besseres Wissen hat sich auszugleichen mit ihrer Gesinnung, Du verleugnest Dich täglich. Wie lebst Du!

Den Brechreiz aufhalten, sich hinstrecken und die Augen schließen. Da erschien hinter den Lidern der Freund, verloren, ausgemerzt seit Jahren, von fern wie sehr verachtet, – aber träte er jetzt ein, Du fielest auf die Knie. Er würde sein maskenloses Gesicht haben, das die wahren Gefühle furchten, und es würde Reinheit fordern, auch von Dir. »Von mir! Was weiß er von mir. So einer fährt wie ein Tor durch die Welt, er will nichts, ihn brennt nichts, ihn reißt nichts hinab. Den Zwiespalt, worin Verzweiflung und Tod lauern, er sieht ihn garnicht. Der hat es leicht, der ist kein Ehrgeiziger!«

Und der Ehrgeizige neigte sich gegen sein Spiegelbild, diese bestgekannten Züge. Zu solcher Stunde waren sie von Selbstqual vertieft und zurückgesunken unter der breiten gelben Stirn, einer erschlafften Greisenstirn. Die Augen begegneten sich selbst mit bangem Haß. So saß er, und sein Geist durchmaß nun glühend, nun mit Schaudern, Erfolg, Macht und Tod, – bis endlich von allem Irdischen das Beste kam, der Schlaf, so heißgeliebt von einem süchtigen Ich, das sich vergessen darf.

Am Morgen erinnerte er sich dann: »Ich war noch immer nicht bei Lea. Die Bahnfahrt ist kurz, und sie wartet.« Er brach ab. Liebte man denn eine erfolglose Schauspielerin?

Dann also hinaus unter Menschen, heiter und nützlich sein, und gefallen. Schön gelenkig, auf den Händen durch das Zimmer! Einem so gewandten jungen Mann sieht niemand das Gesicht an, das er gestern zur Nacht hatte. Fratzen vor dem Spiegel! Das stimmt gelassen. Ist der Anzug einwandfrei in den Augen des Gecken wie des Spießers?

Schon war er unterwegs und in Gang gesetzt, der unbefangene junge Mann namens Wolf Mangolf; – da kreuzte seinen beschwingten Weg der Gedanke an eine unpassend gewählte Kravatte, und nichts half, er mußte nochmals umkehren.

An solchem schönen Septembertag begegnete er einem gewissen Kurschmied, einem unbeträchtlichen Bekannten. Mangolf wußte zuerst nicht einmal, wo er den geringelten Blondkopf schon gesehen habe. In der Umgebung eines Stadttheaters offenbar. Ganz recht, bei Lea. Ein Kollege, der ihr seine Verse vorlas. Aussichtsloses Mittel, ihr die Besinnung zu rauben.

Dieser Kurschmied überbrachte Grüße von ihr, und zwar in einer betretenen und anzüglichen Art. Es sollte bedeuten: »Sie ruft nach Dir, warum kommst Du nicht. Ich, der ich sie ehrlicher liebe als Du, habe von ihr den Auftrag, Dich zu holen. Da bin ich mit meinem tragischen Weh, was sagst Du.«

Mangolf nahm ihn einfach auf die Oktoberwiese mit, zur Erheiterung im Glanz der Buden, Karussells und Bierhallen. Zwei launige Maler waren noch dabei, ein reicher Junge, und dann Graf Lannas. Frauen fehlten, der Reiche bemerkte es schmerzlich, indes er um zwei Köpfe höher als Andere, dort oben sein Monokel einklemmte. Da stürmte er langbeinig in das Gedränge. Die Musik, von allen Seiten zusammendröhnend, verschlang seinen Schlachtruf, aber es war klar, er hatte ein Weib gesichtet. Die Übrigen folgten, Kurschmied immer bei Mangolf, immer beflissen für den Bevorzugten, als sei es ein Vorgesetzter.

 

Endlich zeigte es sich, was der Reiche vorhatte. An einem großen, wild flirrenden und brüllenden Karussell vorbei stürzte er sich hinter eine Budenreihe und auf ein nichts ahnendes Geschöpf. Es stand in kurzen Flitterröckchen, hielt frierend ein armes Tuch am Hals zusammen und erwartete irgendwen, zwischen Latten und flatterndem Sackleinen, an der Kehrseite des Festglanzes.

Die Freunde des Reichen ließen ihn gewähren, von drüben aber nahte schnell und sicher eine gedrungene Gestalt, befreite kurzer Hand das Flitterröckchen und ging mit ihm ab. Unter einer Lampe waren sie zu sehen, sie hatte viel rotes Haar, er aber ein überaus entschlossenes Profil. Hiebei ließen die Herren es bewenden, nur Mangolf nicht. Er verlor absichtlich die Anderen. Kurschmied freilich war unverlierbar, Mangolf mußte sich ihm halbwegs anvertrauen. Jener Mann – es beunruhigte ihn, ob es wirklich ein alter Bekannter sei. Nicht, daß er, unter solchen Umständen, die Bekanntschaft zu erneuern wünschte. Kurschmied werde es verstehen.

Kurschmied verstand noch mehr. Sein schonender Ton besagte, er ahne Hintergründe. So suchten sie gemeinsam rund um das große, wild flirrende Karussell und auf den dunklen Rückseiten nach Claudius Terra.

Aber einmal, in der Helligkeit der größten Budengasse, begegnete der Freund ihm wirklich. Während Kurschmied in der Menge suchte, sah Mangolf den Freund dort hinten durch einen freien Kreis schreiten. Halstuch und helles Jäckchen, die Hand in der Tasche der schwarzen Hose, heruntergekommen, aber den Kopf im Nacken. Mangolf wußte, der ablehnende Blick des Freundes habe ihn schon gestreift, er werde nicht mehr hersehen, so konnte er ihn lange betrachten. Im Betrachten aber ward sein Ausdruck demütig, – und als er dessen bewußt ward, war es zu spät; Kurschmied stand da und nickte, als wisse er alles.

Worauf Mangolf ihn kurz entließ und seiner Wege ging. Wer wollte sich zwischen ihn und Terra drängen! Er suchte den Rest des Tages nach ihm, wo er hinkam, gespannt, wie zum Zweikampf. Er lehnte es ab, Auskünfte einzuholen; von ihm selbst, aus eigenem Mund, wollte er wissen, auf welcher schiefen Bahn der Freund begriffen sei, wohin das ungebundene, ehrgeizlose Leben führte. Terra hatte ihn erblickt; er war nicht der Verräter, ihm dauernd auszuweichen.

Am Abend in der Kneipe ging die Tür auf, – er stand da. Mangolf hatte gerade einen Witz gemacht. Aus seinem Erfolg heraus begrüßte er Terra wie einen Erwarteten, aber gönnerhaft. »Gottlob«, dachte er dabei, »er hat sich anständig angezogen.« Terra ließ sich mit Selbstbewußtsein und einer gewissen Strenge die Gesellschaft vorstellen, den Grafen Lannas, den reichen Pilz, die beiden Maler und Kurschmied. Zeremoniös, unter scharfem Mienenspiel erkundigte er sich bei dem Grafen Lannas nach dem Befinden seines Herrn Vaters. Ob er ihn kenne? – »Aus seinen Taten«, sagte er klangvoll durch die Nase – und wandte sich an den reichen Pilz, dessen Millionen er auch schon kannte. »Die Seifen Ihres Herrn Vaters werden teurer, was ist denn da geschehen«, bemerkte er, machte aber sogleich die beiden Maler darauf aufmerksam, daß ein Nachbartisch sich offenbar für ihre berühmten Gesichter interessiere. »Es geht vorwärts«, sagte er und zog die Brauen hinauf.

Den Schauspieler Kurschmied, der ihn unverwandt musterte, übersah er. »Nun zu uns Beiden«, verhieß er und trank Mangolf zu. Das Trinken geschah ausführlich, mit kostenden Lippen und in besonders energischer Haltung. Wo hatte er es gelernt, mit Menschen so umzuspringen? Und sah er nicht, daß er auffiel? Mangolf stellte beunruhigt fest, daß die beiden Maler ihn schon karikierten; mit dem rötlichen, geteilten Bart, den er sich hatte wachsen lassen, seinen feurigen schwarzen Augen, dem Mund, dessen Winkel die Tatkraft förmlich ballte, – und alles doch nur das Gesicht eines Halbzwergen, der sich angestrengt größer macht.

Nach beendigtem Trinkakt erhob Terra das Glas nochmals gegen den Mittrinker, setzte es liebevoll hin und fragte mit plötzlich betonter Wiedersehensfreude:

»Womit, mein lieber Wolf, hast Du Dir also die Zeit vertrieben?«

»Wenn dies das entsprechende Wort wäre, dann, scheint es, hättest Du mehr zu berichten«, erwiderte Mangolf.

»Ich habe mir nicht die Zeit vertrieben«, sagte Terra; und hell trompetend: »Ich habe mich blamiert.«

»Du faßt die Blamage als Beruf auf?«

»Was könnte ein junger Hund, sofern er nicht schwachsinnig zur Welt gekommen ist, in ihr sonst tun, als sich blamieren.« Weiter, zu Kurschmied: »Wir sehen uns nicht das erste Mal, mein Herr.«

»Es wäre möglich.« Kurschmied wechselte mit Mangolf einen besorgten Blick. Terra fing ihn ab, worauf er sich, von der Vorfreude gehoben, an Pilz wandte. »Auch wir kennen uns. Die junge Dame, die Sie hinter einer Budenreihe des Volksfestes Ihrer Verehrung versicherten, verdient sie auf mein Wort. Sie hat eine Haut, so blendend, daß die Schlange, womit die Dame sich berufsmäßig umwickelt, im Schillern es mit ihr nicht aufnimmt. Schwarze Fingernägel stören Sie bei einer Frau nicht?«

Der Reiche verneinte es sachlich. Graf Lannas fragte nachlässig: »Sind Sie beim Varieté, Herr –?«

»Terra.« Und stotternd: »Herr Graf schmeicheln mir. Obwohl ich mancherlei Berufe –«

Sogar die Maler, die aufhörten sich anzustoßen, sahen mit Staunen, wie wehrlos jener Mensch war, sobald einer seinen Angriffen zuvorkam. Schon aber setzte Terra sich zurecht. Lannas begegnete seinem Blick nicht, – obwohl es immer ungewiß war, wohin die Augen des jungen Edelmannes, undurchsichtige Augen vom Glanz der Halbedelsteine, zielten. So blickte Terra von Lannas zu Mangolf; er begann feierlich:

»Mein verehrter Herr Graf! Ihr verehrter Herr Vater –«

»Was wollen Sie nur immer mit meinem Vater.« Der Edelmann zog vor dem unzarten Menschen die Schultern zusammen, als ob es ihn fröre.

»Ist mir der unwiderlegbarste Bürge Ihrer großen staatsmännischen Zukunft.« Gedämpft aber scharf: »Der Graf ist im Begriff, Minister zu werden.«

Der junge Lannas zuckte zusammen, bei der Nennung des streng behüteten Familiengeheimnisses. Er überzeugte sich, ob Mangolf gehört habe. Mangolf sah peinlich berührt aus. Terra, der nur darauf los behauptet hatte, ging sogleich daran, seine jetzt erworbene Vertrauenswürdigkeit auszunützen.

»Eben darum wagt meine obskure Wenigkeit es. Ihnen den Gedanken nahe zu legen, daß Sie es nicht eilig haben. In Ihrem Wesen, Ihrer Erscheinung macht sich selbst dem Uneingeweihtesten jene besondere und, das Wort sei erlaubt, verhängnisvolle Glut bemerkbar, die auf Erden nun einmal nur beim Theater ihre geeignete Verwendung findet.«

Wobei er die korrekte Gestalt des jungen Edelmannes ehrfurchtsvoll erstaunt überblickte. Die anderen bekamen hierauf neugierige Mienen, sogar Mangolf. Terra beachtete dies nicht. Er zog sich, als habe er die gräfliche Aufmerksamkeit schon zu lange mißbraucht, mit Zartgefühl ein wenig vom Tisch zurück.

Unvermittelt überkam ihn nochmals die Wiedersehensfreude, er trank wieder dem Freunde zu. Der Freund suchte zu erraten, welches neue Unheil bevorstehe, da kam schon die Frage: »Wann warst Du das letztemal bei meiner Schwester?« Und bevor Mangolf eine unanstößige Antwort geben konnte: »Meine Schwester befindet sich in einem öffentlichen Hause«, – klar und zu allen. Mangolf griff ein. »Der Witz ist gut. Auch ein Stadttheater ist mehr oder weniger ein öffentliches Gebäude.« Worauf die Mienen Erleichterung ausdrückten. Graf Lannas zeigte sogar Teilnahme.

»Hat Ihr Fräulein Schwester Talent? Glauben Sie, Herr, Pilz solle das Theater gründen, von dem er immer spricht? Ist ein Theater ein gutes Geschäft? Würden Sie die Leitung übernehmen und vielleicht auch Ihr Fräulein Schwester engagieren, falls sie Talent hat?« – wobei der junge Herr die Schultern zusammenzog.

Terra beantwortete diese hilflosen Fragen wie ein Vater. Er unterrichtete die Herren über die laufenden Gründungspläne, verriet ihnen einen erstrangigen, von Niemand noch erkannten Bauplatz und stellte sich ihnen persönlich zur Verfügung. »Was meine Schwester betrifft, ein pompöses Weib, werde ich mir erlauben, sie den Herren bei der ersten Gelegenheit hierselbst vorzuführen.« – »Ah!« machte der reiche Pilz und lebte auf.

Unverzüglich wollten die beiden Maler nach den Angaben Terras die Pläne entwerfen für das künftige Theater. »Ich glaube doch, Herr Mangolf wollte Ihnen noch einen Witz erzählen«, sagte Terra teuflisch. Aber Mangolf und Kurschmied, an dem Zeitvertreib unbeteiligt, setzten sich weiterhin, im schon geleerten Lokal – Mangolf schweigsam und gelb. Er sah gramvoll vor sich hin, sein plötzlich gealtertes Gesicht bebte leise.

»Ich verstehe Sie«, begann Kurschmied; und auf einen fremd fragenden Blick: »Welche Enttäuschung erleben Sie an Ihrem Jugendfreunde.« Zufolge einer Bewegung Mangolfs: »Sie wollen nicht, daß man es sieht, aber ich sehe alles. Ihr Freund macht seine Geschäfte auf Ihre Kosten«.

»Wer weiß«, sagte Mangolf, »ob im Grunde nicht mehr vorgeht, als eine einmalige Fopperei.« Er runzelte die Stirn, weil er bereute, laut gedacht zu haben, und lenkte ab.

Als Mangolf dann aufbrach, erhob sich auch Terra. »Meine Herren, so sehr ich Ihre vielversprechende Leidenschaft noch weiter mit meinen schwachen Talenten zu unterhalten wünschte, hier ist mein Freund. Wir entbehren einander seit Jahren. Trennen Sie uns an diesem ersten Abend nicht!«

Und er nahm den Arm seines Freundes, um mit ihm fortzugehen.

Der Freund sagte: »Du bist mitteilsamer geworden. Ich wollte nicht sagen: zynischer.«

»Das Meiste hab' ich allerdings schon mitgemacht.«

»Mit der Frau von drüben? Ihr habt euch in der Welt umgesehen?«

»Sie hatte besseres zu tun. Statt ihrer sahen sich zwei volle Dutzend jener Damen, deren Urtyp sie war, in meinem Hirn und meiner Tasche um. Ich hatte alle Hände voll zu tun. Und Du, mein lieber Wolf?«

Da bekannte Mangolf, plötzlich vertraulich wie einst, was ihm der Ehrgeiz sei. Kein Drang, sich zu versorgen und groß dazustehen. Eine Leidenschaft, dem Gelichter unbekannt, aber wirkend aus geheimer Tiefe, und darum in steter, geheimnisvoller Verbindung mit dunklen Kräften. »Man hat ein Auge auf mich.«

Terra blies durch die Nase und schwieg. Von der Seite stellte er fest, der Freund habe gerötete Backenknochen. »Darauf möchte ich Dir vorschlagen, eine gute Flasche Wein zu trinken«, sagte er zeremoniös wie bei einer ersten Vorstellung.

Mangolf war nicht geneigt, länger aufzubleiben, immerhin begleitete er Terra noch ein Stück Weges nach seiner erstaunlich abgelegenen Wohnung. Terra fragte: »Sollte Dir der Abenteurer Wiborg aus seinen Taten bekannt sein?«

»Wenn Du mich als Juristen fragst.«

»Er war mein Lehrer. Ein teurer Lehrer, aber es hat sich gelohnt. Dank seinem praktischen Unterricht stehe ich den verschiedenartigsten Zumutungen des Lebens nicht mehr mit solcher gottverdammten Hilflosigkeit gegenüber. Ich finde mich in Palästen und Spelunken zurecht. Dabei fällt mir ein, daß Du mich heute in einer Verkleidung gesehen hast.«

Indes Terra für seinen Aufzug von Nachmittags eine verblüffende Erklärung gab, bedachte Mangolf, daß sie schon wieder nicht fern von dem Festplatz seien. »Todmüde, und weit und breit kein Wagen – nimm mich mit auf Deine Bude!«

Hiegegen sträubte sich Terra, mit Gründen, die nicht überzeugten. Zum Schein machte Mangolf sich auf den langen Heimweg. Er wartete aber unter dem Hause gegenüber, bis bei Terra das Licht ausging, dann läutete er gegenüber, schlief in einer Pension, und am Morgen rief er Kurschmied herbei. »Lieber Kurschmied, hier stimmt etwas nicht, man hält mich zum Besten. Ich würde schweigen; aber Ihre Teilnahme gestern Abend schien ehrlich. Sie haben Ihren photographischen Apparat mit?«

Als Terra das Haus verließ, war er in dem Aufzug wie gestern. Sie folgten ihm, – wahrhaftig, auf die Wiese ging er. Mangolf, dem erschütternde Zusammenhänge aufdämmerten, sprach kein Wort. Hinter dem großen, flirrenden und dröhnenden Karussell, wie ausgelöscht von der Übermacht seines Glanzes, drehte sich ein Kleines. Sie waren immer daran vorbeigegangen, nicht einmal seine Musik war zu hören, in dem Gebrüll der anderen. Dort hinauf sprang Terra, während es sich drehte, sprang drinnen wieder ab, sprach mit dem zerlumpten Buben, der den Sammelteller hielt, und stellte sich statt seiner selbst hin.

Das Karussell lief ab, der Knabe ging, die zuschauenden Kinder anzulocken, Terra ermunterte die Mädchen. Als alle Mitreisenden bezahlt hatten, setzte er das bescheidene Musikwerk in Bewegung, und der hölzerne, grell bemalte Zauber nahm von neuem seinen Lauf. Die Kinder in einem heftig schaukelnden Postwagen machten eine bewegte Reise, der Junge auf dem Schimmel fühlte sich als General, und die Mädchen, die der goldene Schlitten trug, lebten, wenn auch die Hände ihrer Liebhaber ihnen um den Leib lagen, in einer Wirklichkeit, die nicht weniger trügerisch war. Dem Allen sah Terra zu, stand in der Mitte und verteilte es sozusagen – flüchtiges Glück für arme Menschen, denen übrigens nicht zu trauen war; hier aber drehte er sie, teuflisch lächelnd, um seine eigene Person.

 

Er lächelte zeitweilig mit einem Hohn, der an Irrsinn erinnerte; Mangolf und Kurschmied traten unwillkürlich näher zu einander. Dann aber bekam er ein Vatergesicht, sah gutmütig dem Traum nach, der seine Kinder entführte, um schließlich, indes das Karussell schon langsamer ging, als der gewöhnliche Aufpasser an seinem Posten zu stehen, plump, schofel und mit Geschäftsmiene.

Das Karussell hielt ganz, keine Musik mehr, da hörte Mangolf neben sich das Knipsen. »Sie haben ihn auf der Platte?« – »Ihn und seinen Betrieb.« – »Dann gehen wir.«

Aber jetzt brach durch die Menge das Mädchen mit dem Flitterröckchen. Ein karierter Mantel verdeckte heute das Röckchen, und zu dem alten Mantel paßte nicht der gepuderte Kopf, mit dem reichen roten Haar. Sie sprang entschlossen auf das Karussell, drüben half Terra ihr ritterlich, abzusteigen. Er ließ den Jungen allein einsammeln und führte sie nach der Mitte, in den bunt bewimpelten Verschlag aus Holz und Segeltuch. Da er die Tür schloß, sagte Kurschmied: »Wir müssen durch das Fenster sehen, steigen wir auf den Elefanten!«

Sie saßen droben und drehten sich schon, da ging durch das Volk hinter ihnen ein hörbarer Ruck. Geschrei, – und gegen das Karussell her wälzte sich etwas, zwei starke Männer, in Trikots aus ihrer Bude entwichen. Einer wollte den andern verhindern, aufzuspringen. Inzwischen erlangte das Karussell seine volle Geschwindigkeit, sie wurden fortgeschleudert und trollten sich, einander beschimpfend.

In dem Verschlag ward Geld hingezählt, man sah Hände auf dem Tisch. Nur Teile ihrer Bewegungen erfaßte man im Vorbeisausen; welche Hand gab, welche nahm? Kurschmied war dennoch seiner Sache sicher. »Er läßt sich von dem Mädchen bezahlen«, sagte er empört. »Das hätte ich denn doch nicht von ihm gedacht.« Hierzu schwieg Mangolf.

»Jetzt können Sie verschwinden«, bedeutete er kurzer Hand dem Schauspieler, als sie standen; und Kurschmied, enttäuscht aber gefaßt, verschwand.

Aus dem Verschlag trat das Mädchen, eine Hand hatte sie noch drinnen bei dem Mann, vielleicht an seinem Mund, vielleicht um seinen Hals. Sie sah schon von ihm weg, ihr Gesicht trug noch die Leidenschaft der Umarmung und schon die Angst des Abschiedes. Sie zog die soeben geliebkoste Hand an sich, an ihr Herz, und ging hinaus in das Leere. Aber schon an der nächsten Ecke ward sie erwartet von dem einen der starken Männer, einem gelben Menschen, der im Zustand der Ruhe, mit schlotterndem Trikot, nicht mehr stark, nur noch krank aussah. Er nahm sie sorgenvoll in Empfang, er zog, ängstlich verhandelnd, mit ihr ab.

Mangolf sagte eindringend: »Du bist entlarvt.«

»Wer sagt das!« rief ihm Terra, fast gleichzeitig, entgegen. Er war hochrot, er nahm eine Zigarette und paffte aus verzerrtem Munde. Ebenso plötzlich entspannte er sich wieder. »Nimm Platz, mein lieber Wolf!« und er wies auf eine Kiste.

Dann: »Dein bewährter Scharfsinn läßt Dich natürlich nicht einen Augenblick im Zweifel über Wesen und Bedeutung meiner öffentlichen Stellung. Die Menschen richtig lenken, wie sie es gewohnt sind, nämlich im Kreise; sie in Bewegung setzen, berauschen, beschwindeln, ihnen ihr Geld abnehmen und sie zum Teufel schicken: – tu' als Staatsmann mehr für sie, wenn Du kannst! Oder bin ich ein Dichter?«

»Mit geringeren Kosten«, sagte Mangolf, die Mundwinkel gesenkt. »Wo willst Du hinaus, mit Deiner unheimlichen Spielerei?«

»Mich hat das Leben gleich bei meinen ersten Gehversuchen dafür bestraft, daß ich es ernst nahm. Gott in seiner Güte bewahre mich davor, daß ich dem Leben je noch einmal auf den Leim krieche.«

Um sie her klingelte das Karussell. Jauchzen kreiste zur Musikbegleitung.

»Du entgehst ihm nicht. Komm wieder in die Welt mit! Es ist feige, dem Leiden auszuweichen«, sagte der Freund von unten, auf seiner Kiste.

»Gott hat mir die unvergleichliche Gabe versagt, unter meiner eigenen Schlechtigkeit so leiden zu können, als sei sie der ganze Schmerz der Welt.« Mit eherner Stimme sprach Terra. Der Freund aber, von unten:

»Das Mädchen, das hier war, sah nicht aus, als dächte es wie Du. Der ist es ernst.«

»Sie ist tausendmal wertvoller als ich«, sagte Terra durchdrungen. »Einzig mit Demütigen läßt es sich auskommen. Meine Verbindung mit dem Leben der Menschen sind die Töchter des Volkes, besonders die Rothaarigen.« Unvermittelt bekam er zornige Augen. »Kannst Du den Haß verstehen, dessen Menschen fähig sind? Warum lastet er so furchtbar auf mir? Ich trage diese Maskerade«, er berührte seine Kleider, »weil ich vorübergehend ohne größere Barmittel bin. Sie sehen es mir an, daß ich für eine solche Verfassung nicht gedacht war; das ist Grund genug für ihre teuflische Bosheit, sich zu belustigen, wo immer sie meiner ansichtig werden.«

Mangolf stutzte. »Irrst Du Dich nicht?« Terra sah ihn scharf an. »Als wäre es bei Euch in der Kneipe anders gewesen. Der ganze Theaterplan war eine Erfindung der Deinen, um mich im Atem zu halten und Euch etwas zum Lachen zu geben.«

»Mich dünkt doch –«. Aber Mangolf stockte. Die Augen Terras waren gerötet, und sie flackerten. Das Gesicht hatte seine ganze Zucht verloren. In diesen Zügen wankte der Wille.

Da sagte Mangolf gesenkt, und nun selbst erhitzt: »In der Kneipe trugst Du freilich bessere Kleider. Aber der Grund weshalb sie uns hassen, sind nicht unsere ärmeren Kleider, es ist unser reicherer Geist.«

Terra, auch gesenkt: »Sie zwingen uns, da sie uns unterdrücken wollen, herrschsüchtig zu sein.«

»Wir haben den Trieb, zu herrschen«, blies der Freund ein. »Habe Erfolg!«

»Ich sträube mich noch«, gestand Terra ganz leise. »Ich will noch rein bleiben. Aber als ich unlängst von dem Bankrott meines Vaters erfuhr, den ich doch leidenschaftlich ersehnt hatte, da hat mich zu meiner ewigen Schande das Entsetzen gepackt, daß ich nun also ganz im Ernste ein Deklassierter sei.«

Der Freund nickte. Wo waren eherne Stimme und überlegene Vernunft, wo auch das Mißtrauen beider. Eine Wolke verdunkelte das Fenster, in dem engen Verlies sahen sie ihre Gesichter nicht mehr. Jeder für sich litt köstlich unter seiner tiefen Ähnlichkeit mit dem andern.

Draußen war es vorbei mit Jauchzen und Musik, ein Streit brach aus, Terra mußte dazwischentreten. Als er zurückkam, hatte er nur den einen Gedanken, sich zu rächen für den Augenblick der Selbstentblößung. Aber Mangolf kam ihm zuvor. »Hat das Mädchen Dir nicht, als sie hier war, Geld gegeben?«

Terra wankte wie von einem Stoß. Er stotterte lange, verzerrte das Gesicht, brachte aber dann klar geformt hervor:

»Ich muß es bekennen, da ich nun doch einmal von Dir durchschaut bin. Ja, Dein Jugendfreund ist ein so tief gesunkenes Subjekt, daß er nur noch von dem Schandgeld einer Dirne sein bejammernswertes Dasein fristet.«

Mit stark übertriebenem Ausdruck. Der Freund fragte sich: Was will er. Terra aber beruhigte ihn: »Deine tiefe Seelenkenntnis kann an der Echtheit meiner Zerknirschung unmöglich zweifeln.« Worauf Mangolf gehen wollte. Jetzt aber kam Terra mit seiner Überraschung. »Gibt es hienieden einen mildernden Umstand für meine Verworfenheit, dann suche ihn bitte einzig in der feststehenden Vernunftwidrigkeit des Lebens, die grade einen Mann wie mich zum politischen Agenten ausersehen mußte.«