Vor einer Photographie

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Vor einer Photographie

1  Vor einer Photographie

Vor einer Photographie

Wir vergessen erstaunlich rasch die Gesichter uns teurer Menschen, die wir anfangs, nachdem wir sie aus den Augen verloren, lebenslänglich in uns bewahren zu können glaubten, und es ist traurig, daß uns auch Photographien für ein besseres Gedächtnis nicht von wesentlichem Nutzen sein können. Denn unmittelbar nach der Trennung müssen wir zumeist unbefriedigt das Bildnis aus der Hand legen, da es uns nicht das sagt, wonach wir verlangen. Die Züge erscheinen uns tot, es fehlt ihnen das, was sie uns vertraut machen würde! Vielleicht nur ein Lächeln, der Ausdruck des Blicks, der dem nun von uns Getrennten in der gewissen Stimmung gewisser Stunden eigen war, von denen wir jetzt keine mehr miteinander verleben werden; irgendeine winzige Unsagbarkeit, ohne die uns jedoch der Mensch gar nicht der gewesen wäre, der er uns war, solange wir ihn kannten. Mit der Zeit aber verläßt uns die Erinnerung an solche intime Einzelheiten, und es kommt ein Augenblick, wo wir, um die in unserm Gedächtnis unklar gewordenen Züge wieder bestimmter vor uns zu sehen, zur Photographie greifen. Von nun an kennen wir das Gesicht nicht anders, als es uns das Bild zeigt. Und erst wenn es einmal geschieht, daß wir nach längerer Trennung uns ehemals vertraute Züge wiedersehen, bemerken wir, wie verkehrt es war, dem Bilde zu glauben.

Darum sitze ich heute abend und betrachte kopfschüttelnd das kleine Porträt, das ich einem verstaubten Album entnommen habe.

Obwohl die Vorstellung, die ich mir von ihrem Äußern bewahrt hatte, jetzt, nach kaum fünf Jahren, schon recht getrübt war, habe ich das Mädchen doch auf den ersten Blick wiedererkannt. Und es ist ganz gut, daß das Bild mir half, sie zu vergessen; es hätte mich andernfalls doch vielleicht verleiten können, Dummheiten zu machen. Jetzt ist die Gefahr vorbei. Als ich neulich wieder von ihr hörte – Rüttling schrieb mir ganz beiläufig die peinliche Veranlassung, weshalb sie auf einige Zeit von Berlin nach Wiesbaden komme –, gab es mir nur einen kurzen Stich. Die Nachricht kam mir doch etwas unerwartet; so weit hatte ich sie noch nicht geglaubt. Seither habe ich gar nicht mehr daran gedacht – bis ich ihr heute begegnete. Da passierte mir dennoch etwas Sonderbares; ich starrte ihr ins Gesicht und fühlte, wie ich blaß und rot wurde. An der Friedrichstraße – bis dahin war ich ganz konsterniert weitergelaufen – fiel es mir ein, umzukehren und ihr zu folgen. Am Kursaalplatz konnte ich sie gerade noch eine Droschke besteigen sehen und dem Wagen nachblicken, bis er in die Taunusstraße einbog ... Dann kam ich endlich dazu, mir darüber klarzuwerden, daß die Promenade außergewöhnlich belebt war, daß Bekannte mich beobachten könnten, und außerdem, daß für meine siebenunddreißig Jahre ein so mächtiger »Impuls des Augenblicks« immerhin einen gelinden Anachronismus bedeute.

Das alles hat indes nicht viel zu sagen. Dieser erste Eindruck ist schließlich nicht verwunderlich. Mein Gott, wie ist es möglich, in so kurzer Zeit so viele Stufen abwärts zu geraten!

Sie war auffällig gekleidet, sie, die ich immer nur als die überlegte Einfachheit selbst gekannt habe. Dabei schien sie mir schrecklich mager geworden. Das Kleid umschlotterte ihren Körper, und über der Brust warf es mehrere Falten. Sie gibt sich offenbar nicht die Mühe, ihre Erscheinung zu korrigieren; ich habe auch nicht bemerkt, daß sie die viel schärfer gewordenen Linien ihres Gesichtes vertuscht hätte. Wie eisig blaß ihr Gesicht unter den schwarzen Stirnlocken hervorsah! Ach, wenn ich an ihr duffes, blondes Haar denke! Ich fühle es wie Seide in meinen Händen bei der Erinnerung an diesen einzigen Abend. Aber sie scheint sich jetzt ganz auf den pikanten schwarzen Satan hinauszuspielen. Doch daß sie ihr Haar verändert hat, hat ja auch den bewußten andern Grund.

Nur ihre Augen sind noch dieselben. Mit dem rechten, größeren blickte sie genauso fremd und verwundert wie immer. Sie scheint den Ausdruck überhaupt nicht verändern zu können. Mit dem kleineren, verwegenen warf sie an mir vorüber einen frechen Blick auf einen Herrn hinter mir. Sie bewahrte bei dieser Begegnung vollkommen ihre Haltung.

Wozu trage ich jetzt nur diese seltsame, undefinierbar gemischte Wehmut und selbst Traurigkeit mit mir herum. Vielleicht ist es nur, weil uns bei solchen Gelegenheiten, wo wir den Gegenstand eines guten Teiles unserer besten Empfindungen so traurig in Verfall sehen, die eigene décadence erst richtig zum Bewußtsein kommt.

Während der zwei Winter, in denen ich mit ihr verkehrte, traf ich sie immer nur bei ein paar Leuten. Ihre Verwandten, die Spielheims, hüteten sich, sie allzu eifrig zu protegieren; der eigenen Töchter wegen. Ihre Mama, die Witwe eines höheren Verwaltungsbeamten, ohne jedes Vermögen und mit viel Nachwuchs, erschien niemals. Clarisse empfand ihre besondere Stellung, wie mir schien, mehr als nötig. Ihr Wesen, besonders bei flüchtiger Bekanntschaft, war ein Streit von Gedrücktheit und heimlichem Stolz. Letzterer lag immer auf der Lauer und brach hervor, sowie er von fern eine Demütigung witterte. Dabei hätte sie sich, mit etwas weniger Zurückhaltung, recht gut in Mode bringen können. Das ganze Regiment zumal war stark, engagiert.

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