Das Märchen im Drama

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From the series: Forum Modernes Theater #55
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I.3 Resümee

Bei Tieck lässt sich eine (durch Gozzi bereits angelegte) satirische Behandlung des Märchens beobachten, die sich nicht gegen das Märchen als Gattung, sondern vielmehr gegen die geläufigen Erwartungen an ein Märchendrama richtet. So werden im parabatischen Spiel im Spiel in Tiecks Gestiefeltem Kater konventionelle Erwartungen, die das Märchen als Gattung weckt, explizit benannt und zugleich gebrochen, wenn sich die Satire nicht den Einwänden gegen die Märcheninszenierung anschließt, sondern sich stattdessen gegen die Kritiker derselben wendet.

Weiterhin nutzen Gozzi und Tieck, wenn auch mit unterschiedlich ausgeprägten Fertigkeiten, die Märchengattung, um zeitgenössische Debatten und Personen zu verspotten; so scheint es, als würde die generische ‚Neigung’ des Märchens hin zu Stereotypen und zur Überspitzung eine gute Plattform für derartige Satiren bieten. Beispielsweise wird in Tiecks Däumchen die märchenimmanente Überspitzung genutzt, um künstliche Gattungskonventionen und Versmaße zu spiegeln und dem Spott preiszugeben. Dies ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal des Märchens, so bedient sich etwa Tieck auch anderer Vorlagen für seine Satiren. Dennoch ergibt sich aus dem trivialen Ruf, den das Märchen mitunter hat, eine besondere Pointe, wenn gerade dieses dazu genutzt wird, scheinbar elaborierte Diskurse wie im Gestiefelten Kater oder überholte Normen wie in Rothkäppchen spöttisch vorzuführen.

Im Zuge der Reflexion von Märchen- und Theaterkonventionen und deren immanenten Illusionsmechanismen werden bei Gozzi, vor allem aber bei Tieck, neben dem Märchen als Hauptprätext zahlreiche weitere Bezüge hergestellt. Durch diese verschiedenen Handlungsebenen und Anspielungen auf reale Umstände und Zeitgenossen wie etwa im Däumchen wird das Märchen mehrfach gebrochen und somit auch als Form unberechenbar.1 Dieser bewusste und oftmals selbstreflektierte Bruch mit den jeweiligen Erwartungshaltungen lässt die Märchendramen im Kontext ihrer Zeit aktuell und auch aus heutiger Sicht relevant werden.

Gerade die Leerstellen im Handlungsmovens des Märchens eignen sich besonders für kritische Interpretationen, die an aktuelle Debatten und Ereignisse anknüpfen oder die sich, wie bei Gozzi, mit anderen künstlerisch-künstlichen Spielformen wie den Stereotypen der Commedia dell’arte produktiv verbinden lassen. Dabei kommt es bei beiden Autoren zu einer Aneignung der reduzierten psychologischen Darstellung im Märchen. Dies lässt sich besonders an Tiecks Blaubart deutlich ablesen, wo die lakonische Figuren- und Ereignisdarstellung des Märchens als spezifische Eigenart übernommen, revidiert und so erneut eingelöst wird. Bemerkenswert ist dabei, dass die holzschnittartigen Stereotype des Märchens teils in einer derartig widersprüchlichen Weise psychologisch gefüllt werden. Daher lässt nicht von einer einheitlichen oder realistischen Figurenzeichnung sprechen. In der dramatischen Adaptation werden die Spezifika der Märchengattung betont und weiterentwickelt.

Zudem wird die bereits in der stilisierten, formelhaften Überzeichnung des Märchens angelegte Selbstreferentialität im sich selbst thematisierenden Drama symbiotisch gesteigert. So kommt es bei beiden Autoren zu einer wirkungsästhetischen Verweigerung, indem die Künstlichkeit des Märchens und die des Dramas betont werden. Sowohl das Märchen als auch das Drama werden bei Gozzi und Tieck zu einem Spiel mit Illusionen eingesetzt, das sich von einem Wahrscheinlichkeitsanspruch zu befreien sucht. Nachweisbar haben gerade Tiecks Märchendramen eine „vorbildstiftend[e] Funktion ironisch-ambivalenter Märchendramaturgie für die romantische Geschichtsschreibung nach 1800“2, unter anderen auf Georg Büchners märchenhafte Groteske Leonce und Lena und Christian Grabbes Märchenspiel Aschenbrödel. Manfred Frank geht noch weiter und attestiert Tieck einen grundlegenden Einfluss auf das Drama des 19. und 20. Jahrhunderts: „Die moderne Dramatik – von Pirandello zu Ionesco und Brechts epischen Theater, von der Märchenkomödie von Maeterlinck (vgl. Ariane et Barbe-Bleue, 1899) zu Giraudoux – wäre undenkbar ohne Tiecks Vorläuferschaft.“3

Ob und in welcher Form sich die vor allem durch Tieck etablierte Herangehensweise der satirischen Märchenbearbeitung mit tendenziell selbstreferentiellem Charakter auch in neueren deutschsprachigen Märchendramen für Erwachsene durchsetzt, werde ich nun an dem vorzustellenden Korpus der Theatertexte untersuchen. Nach der Betrachtung des dominanten satirischen Charakters der Märchendramen von Gozzi und Tieck überprüfe ich im folgenden Kapitel zunächst die Hypothese, dass auch jüngere Märchendramen ähnlich starke Tendenzen zur Satire haben.

Dabei möchte ich zwischen Märchenadaptationen unterscheiden, die als eindeutige Märchensatiren klassifiziert werden können, und jenen, die vielmehr satirische Elemente aufweisen. Nicht zuletzt werde ich erneut fragen, ob in den jüngeren Märchendramen ein vergleichbares Verfahren angewendet wird und ob eine inhaltliche und formale Satire nicht über das Märchen, sondern mithilfe der charakteristischen Wesenszüge des Märchens generiert werden kann.

II. Disposition zur Satire

Bei der Betrachtung der deutschsprachigen Märchendramen fällt auf, dass ungewöhnlich viele von ihnen einen stark satirischen Charakter aufweisen.1 Untersucht man die seit Beginn des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Märchendramen, handelt es sich bei über dreiviertel der Stücke um Märchensatiren bzw. Märchendramen mit satirischen Elementen. Rein quantitativ weisen die Bearbeitungen von Märchen im Drama demnach eine Disposition zur komischen und überspitzten Verfremdung auf.2 Diese kann sich sowohl im Einsatz von Sprache, Figuren und Szenen des Lächerlichen und Komischen, als auch in einem auktorialen Gestus der Belustigung äußern.3 Dabei lassen sich die Spielformen des Satirischen hinsichtlich ihres Schärfegrads unterscheiden. Hier folge ich im Wesentlichen András Horns thetischer Abbreviatur zum Komischen – laut Horn ist das Lächerliche „nach dem Grad seiner Harmlosigkeit abgestuft: wenn es absolut ungefährlich, absolut harmlos ist, ist seine (literarische) Darstellung humoristisch, humorvoll, humorig; wenn es relativ gefährlich ist, so ist sie satirisch“4.

Es geht mir jedoch weniger darum, aufzuzeigen, dass der Untersuchungsgegenstand statistisch gesehen oft satirisch ist, sondern vielmehr darum, dass wesentliche Merkmale des Märchendramas gewinnbringend betrachtet werden können, wenn man sie auf eine potentiell satirische Dimension prüft.5 Nicht zuletzt gilt es, den satirischen Zugriff auch im historischen Kontext der jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Diskurse zumindest in Ansätzen einzuordnen und greifbarer zu machen. Dabei geht die Satire, wie das parodistische Genre insgesamt, nicht immer gänzlich in einem rein negativen Verhältnis zu ihrem Gegenstand auf; die Satire kann im Akt einer Imitation der Vorlage auch indirekt affirmativ sein und somit eine produktive Verbindung von Fortschreibung und Kritik etablieren.6

Der Fokus liegt grundsätzlich auf der Frage, welches konkrete Satireverfahren die Autorinnen und Autoren jeweils für die Bearbeitung der Märchen wählen. Häufig kommt es zu einer latenten Infragestellung der märchenhaften Erzählweise und der Figuren, die im Folgenden genauer untersucht werden soll. Um nachvollziehen zu können, wie in den Dramen mit den Märchenversionen von Perrault und den Grimms umgegangen wird, ist weiterhin zu klären, auf welche Weise die satirische Aneignung erfolgt, aus der sich nicht zuletzt das Verhältnis von Märchen und Adaptation ergibt. Daher steht im Vordergrund der folgenden Auseinandersetzung, was genau die Nähe zum Satirischen im Märchendrama über seine generischen Eigenarten aussagt.

So vermag etwa die Distanz, die durch die Ironie entsteht, den artifiziellen Abstand, den sowohl das Märchen in seiner narrativen Überzeichnung als auch das Drama als illusionäre Kunstform bereits schaffen, produktiv zu verstärken. Auf diese Weise wird eine allzu enge Identifikation mit dem Gegenstand verhindert.7 Grundsätzlich lassen sich Termini wie Ironie, Satire, Paradox, Widerspruch, Konflikt oder Antinomie nur schwer voneinander abgrenzen, wenn man nach der Differenz zur Vorlage als fundamentale Kategorie fragt. Eine Trennung der Begriffe erscheint auch nur bedingt sinnvoll; so gehen diese beispielsweise gerade in der Romantik miteinander einher.

Dennoch lassen sich mitunter Differenzen zwischen den Phänomenen festmachen, beispielsweise sind nicht unbedingt alle Widersprüche, Konflikte und Dilemmata paradox. Das Paradox verstehe ich als Wiederholung eines Elements, indem dieses explizit verneint wird, während die Ironie eher eine implizite Inversion darstellt.8 Mit Jens Roselt gesprochen, wird durch die Ironie eine „Pluralität von Stilen“9 gebündelt: „Die Qualität eines solchen Verfahrens ist darin zu sehen, daß sich eigentlich ausschließende ästhetische Konzepte uneigentlich integriert werden, da die ironische Perspektive das Nebeneinander differenter Möglichkeiten erlaubt.“10

Auf Grundlage dieser Annahmen möchte ich überprüfen, ob sich das Zusammenspiel von märchenhaften und dramatischen Spezifika in den Adaptationen besonders für einen satirischen Zugriff anbietet. Andernfalls würde das Märchen wie viele andere populäre Vorlagen nur genutzt werden, um mit ihm in abgewandelter Form spielerische Kritik zu üben. Um diese Frage zu klären, werde ich untersuchen, ob die satirische Dimension der Märchendramen von den Autorinnen und Autoren über die generischen Charakteristika wie etwa die der Überzeichnung oder Stereotypie entfaltet wird. Um das Verhältnis der satirischen und anderer Bezüge im Märchendrama zu bestimmen, geht es nur vordergründig um die Frage, gegen wen bzw. was sich die Satire richtet. Entscheidender wird hier die Frage sein, aus welchen Gründen gerade die Gattung des Märchens als Instrument gewählt wurde.

 

Die satirische Behandlung stützt sich nicht auf eine Kritik des Märchens an sich, vielmehr wird das Märchen als Form genutzt, um mithilfe seiner spezifischen Eigenarten Satire zu betreiben – als Sujets der kritischen Auseinandersetzung zeichnen sich bei den Märchendramen implizit oder explizit vorausgesetzte gesellschaftliche Normen und Diskurse ab. Zudem werden oftmals als solche von den Autorinnen und Autoren wahrgenommene Theaterkonventionen durch die ‚naive’ Perspektive des Märchens in Frage gestellt.

Um den satirischen Zugriff der Märchendramen im Hinblick auf diese Hypothesen zu untersuchen, werde ich sie sowohl formal und inhaltlich als auch der Veröffentlichung der Märchendramen chronologisch folgend vorstellen. Der Zeitraum der vorliegenden Stücke umfasst beinahe 200 Jahre; daher kann eine Einordnung der Märchendramen in den jeweiligen historischen Kontext sowie eine Übersicht der theaterpraktischen und theoretischen Diskurse in diesem Rahmen nur skizzenhaft erfolgen.11 Indem der Fokus auf den satirischen Mitteln der einzelnen Dramen liegt, werden allein die zeit- und kulturgeschichtlichen Hintergründe aufgegriffen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der satirischen Dimension der Texte stehen.

Es geht mir weniger darum, einzelne Werke und ihre Autorinnen und Autoren im Kontext ihrer Zeit vorzustellen; vielmehr möchte ich die Entwicklung und die Zusammenhänge der satirischen Tradition des Märchendramas im deutschsprachigen Raum aufzeigen. In diesem Sinne liegt das Augenmerk auf den Tendenzen der satirischen Disposition, ihrer spezifischen Ausprägung im Märchendrama und ihren Verwandtschaften untereinander. Ausgehend von Gozzi und Tieck lässt sich so eine Übersicht der märchenhaften Satirestücke geben.

Zu bedenken ist, dass eine derartige Suggestion den Blick auf die einzelnen Stücke verändert: Im Zuge der gemeinsamen Befragung könnten satirische Tendenzen dominanter interpretiert werden, als sie sich unabhängig voneinander darstellen würden. Um einer verzerrten Interpretation entgegenzuwirken, werde ich nicht nur auf die unterschiedliche Ausprägung der Märchensatiren und Märchendramen mit satirischen Elementen, sondern auch kurz auf Ausnahmen und Gegenbewegungen eingehen. So kann nicht zuletzt auch ein besserer Überblick der Märchendramen gegeben werden.

II.1 Komik und Ironie in Märchendramen des 19. Jahrhunderts
August von Platen: Der gläserne Pantoffel. Eine heroische Komödie in fünf Akten (1823)

Mit seinem Gläsernen Pantoffel1 hat Platen formal Tiecks Verfahren der Märchendramatisierung übernommen, wobei er als erster deutschsprachiger Autor zwei heterogene Märchen in einem Drama zusammenlegt – Perraults La Belle au bois dormant (zu Dt. Dornröschen) und Cendrillon ou la petite pantoufle de vair (zu Dt. Aschenputtel).2 Seine Märchenkomödie hält sich dabei eng an die beiden Märchenvorlagen und weist wie bei Tieck zahlreiche Anspielungen auf Shakespeares Werk auf.3

Doch wenn auch zweifellos von Tieck inspiriert, geht Platen grundsätzlich in eine andere Richtung als dieser, wie auch Uwe Japp konstatiert: „Während nämlich Tieck das Nichtzusammengehörende zusammenbringt, um aus der offenkundigen Asymmetrie den Witz hervorgehen zu lassen, investiert Platen einen nicht unerheblichen intellektuellen und metrischen Aufwand, um dem Disparaten den Anschein poetisch legitimierter Plausibilität zu verleihen.“4 Platens Märchendrama nimmt sich einerseits der wundersamen Handlung beider Märchen an und schmückt diese szenisch aus, andererseits begrenzt es die märchenhaften Elemente zugunsten komödiantischer Szenen, denen Tiecks satirische Schärfe fremd ist.

Inhaltlich gestaltet sich dies in Platens Adaptation so, dass ein König zwei Söhne hat, die auf Brautschau gehen sollen. Während sich der eine in das hundert Jahre alte Bildnis einer Fremden (Dornröschen) verliebt, tanzt der andere auf einem Ball mit Aschenbrödel. Diese ist von ihrer Patin, einer Fee, für das Fest von ihrem ansonsten durch die Stiefmutter fremdbestimmten Leben befreit worden. Wie im Märchen muss sie den Ball verlassen, ohne dem Prinzen, der ihr bereits ganz ergeben ist, ihre Identität zu offenbaren. Dem Prinzen bleibt nur ihr gläserner Schuh, den sie auf dem Ball zurücklässt. Währenddessen schläft die Königstochter Dornröschen, ebenfalls ein Mündel der Fee, vergessen in einem zerfallenen Schloss. Im Verlauf des Stückes finden schließlich beide Paare mit der Hilfe der Fee und ihres supranaturalen Gefolges auf mehr oder weniger märchenhafte Weise zusammen. Vorab jedoch sehen sich Aschenbrödel und der Prinz unter den skeptischen Blicken des verzweifelnden Königs und den spöttischen Kommentaren der anderen einigen Hindernissen ausgesetzt; die schlafende Dornröschen ahnt hingegen nichts von ihrem Verehrer.

Der süffisante Ton, den Der gläserne Pantoffel aufweist, lässt sich vor allem an der Figur des Hofnarren Pernullo festmachen, denn dieser erinnert stark an Shakespeares Narrentypus und subtil an Gozzis gewitzte Buffoni.5 Seine emotionalen Szenen erhält das Stück, wie Gozzis Fiabe, primär durch das Leiden und Aufbegehren der jungen Liebenden. So etwa wird der Moment, in dem Prinz Diobat die schlafende Dornröschen findet, als schaurig anmutenden Szene ausgebaut:

DIOBAT Hier könnten Mörder ihren Raub verscharren,

Durch nichts entdeckt; es würde mit dem Beile

Der Henker stets auf ihre Häupter harren.

Doch, was ist das, vor dem ich hier verweile?

Ein roter Vorhang, sinkt herab mit Quasten,

Befestiget an lange, goldne Seile.

Soll hinter diesem jene Dame rasten?

O Gott! Was schlägt mein Herz mir an die Rippe?

Und was vermag ich nicht, ihn anzutasten?

Vielleicht verbirgt er nichts als ein Gerippe

Mit hohlen Augen, die mir finster grollen,

Daß mir der Hauch erstarrt auf meiner Lippe!

Wo nicht, so birgt er einen Sarg, verquollen

Durch langes Alter, rötlich angestrichen,

Mit schwarzem Kreuz und runden, schwarzen Stollen.

Allein, was gilt’s, und wenn sie auch erblichen?

Was ist der Tod? Dem Tode trotzt das Leben,

Das ewig lächelnde dem fürchterlichen!

O Diobat! Du hast verlernt, zu beben!

Geht nicht im Christenvolk die große Sage,

Daß auch die Toten sich zuletzt erheben? […]6

Die Kontraststrukturen sind vergleichbar mit denen in Gozzis Werk: Während sich die adeligen Märchenpaare auf die Suche nach einander begeben und sich in Abenteuern bewähren müssen, sorgen die von Platen zugefügten Figuren der Untergebenen für unterhaltsame Szenen – so etwa wenn Prinz Astorf Pernullo bittet, ihm bei der Suche nach der verschwundenen Aschenbrödel zu helfen:

ASTOLF Sage nur, wie man der Verlorenen auf die Spur kommen kann!

PERNULLO Durch Spürhunde!

ASTOLF Immer diese Spitzfindigkeiten!

PERNULLO Sie sind keine für Euch, wenn Ihr die Spitze findet.

ASTOLF Wenn ich nur wüßte, wo ich sie suchen sollte?

PERNULLO Die Spitze meiner Spitzfindigkeiten?

ASTORF Nein, die Prinzessin.

PERNULLO Ich will euch suchen helfen.7

Ähnlich wie Gozzi personifiziert Platen hierzu die romantisch leidenden Protagonisten und kontrastiert sie durch sprachlich saloppe und gewitzte Nebenfiguren, die deren Handeln hinterfragen. So wird das dramatisch reizvolle Potential an fantastischen Elementen voll ausgeschöpft; dabei belässt es der Autor jedoch nicht, sondern betont mit der teils kritischen, teils freundlichen Kommentierung der schematisierten Märchenfiguren und ihrer unrealistischen Handlungen eben deren märchentypische Künstlichkeit. Ebenso wie bei Gozzi ist die distanzierte Haltung gegenüber der zuweilen naiven Fraglosigkeit der Märchenhelden eindeutig den unadeligen Figuren zugeteilt. Dabei zeichnet sich in den selbstbewussten Kommentaren Pernullos eine gewisse Skepsis gegenüber einer als weltfremd wahrgenommenen Aristokratie ab. Im vierten Akt etwa äußert er sich teils kritisch, teils amüsiert über die Leiden der beiden verliebten Prinzen:

PERNULLO

Ich könnte die beiden Prinzen an die Enden meines Narrenseils binden und mein Brot dabei verdienen. Der eine liebt eine hundertjährige Schönheit, der andere betet vollends einen Pantoffel an. Was soll aus unserm Hofe werden? Der eine wird die Toupets wieder einführen wollen, weil seine Geliebte weiland eins getragen; der andere wird uns zwingen, in gläsernen Stiefeln zu gehen, bis wir uns die Scherben in die Füße treten.8

Platen schafft insofern eine Komödie im Sinne von Lisa Hutcheons „paradox of parody“9, als dass er eine theatral-affirmative Vergrößerung der wundersamen Handlung beider Märchen und zugleich eine humorvolle Distanzierung von der naiv-romantischen Art ihres Personals vornimmt. So wird die Märchenvorlage durch die teils ironische Behandlung in eine tendenziell selbstreflektierende und distanzierte Zuspitzung getrieben. Große Befriedigung zieht Pernullo gerade aus dem gewitzten Schlagabtausch über das Theaterspiel mit dem intellektuell gleichgesinnten Schauspieler Hegesippus.10 Die selbstreferentiellen Elemente dieses Dialogs, die an Tiecks Thematisierung des Schauspiels in seinem Gestiefelten Kater erinnern, kreieren beim Rezipienten eine weitere ironische Distanz zum Geschehen. So konstruiert Platen eine Adaptation, die latent Ironie in sich trägt und durch ihre heiteren Satireelemente vermeidet, zu einem unreflektierten Märchenstück zu werden.

Durch diese Transformation, die sich in kontrastierender und zugleich verspielter Übertreibung äußert, wird nicht zuletzt die theatrale Verwandtschaft des Dramas und des Märchens offengelegt und betont. Dies geschieht vor allem dank des Narren Pernullo, der fröhlich Spott mit der ausgestellten Verklärtheit der märchenhaften Figuren treibt. Ähnlich wie die Masken in den Fiabe, die Platen sehr schätzt, lässt er Pernullo die Märchengeschehnisse immer wieder ironisch kommentieren.11

Nichtsdestotrotz bleibt die Distanz zum aristokratischen Märchenpersonal bei Platen, der selbst einer Adelsfamilie entstammt, dem Bereich des Närrischen verhaftet.12 Denn auch wenn Pernullo hin und wieder die wunderlichen Geschehnisse am Hof satirisch kommentiert, liegt der dramaturgische Fokus auf Aschenbrödels Hochzeit mit dem Prinzen.13 Indem allein Aschenbrödel, die klügste und anständigste Tochter eines Edelmanns, die königliche Braut werden kann, wird innerhalb des Stückes tendenziell eher der Erhalt einer sozialen und politischen Hegemonie der Aristokratie gefestigt. So bedient Platens Adaptation gängige ästhetische Selbstdarstellungen und -stilisierungen der Adelsklasse.14 Grundsätzlich wird so die gesellschaftliche Vormachtstellung des Adels durch Aschenbrödels Hochzeit mit dem Prinzen bestätigt und im glücklichen Ausgang des Stückes unhinterfragt propagiert. Allein wenn rangniedere Figuren wie Pernullo die Bestrebungen der Prinzen als närrisch und verklärt entlarven, schwingt eine leicht humorvoll formulierte Skepsis über einen weltfremd agierenden Adel mit.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Platen den Ansatz Tiecks, eine selbstironische Märchenadaptation zu erschaffen, in Teilen übernimmt und durch eine Figurenkonstellation umrahmt, die auf Gozzis kontrastreiche Dramaturgie zurückgreift. Platen wählt das Märchen, um sich der genreüblichen Stereotype seiner Figuren, der weltfremden Motive seiner Protagonisten und der fantastischen Motive seiner Handlung zu bedienen. Insgesamt zeigt sich Platens Märchenkomödie nur subtil ironisch. Mit dem Gläsernen Pantoffel strebt Platen so größtmöglichen Unterhaltungswert an und lässt von einem ernsthaften satirischen Zugriff ab.