Read the book: «Segeln mit Huhn»
GUIREC SOUDÉE
SEGELN
MIT
HUHN
GUIREC & MONIQUE UND IHRE VERRÜCKTE REISE UM DIE WELT
AUS DEM FRANZÖSISCHEN VON JUTTA ORTH
INHALT
1. ETAPPE
VON DER BISKAYA AUF DIE KANAREN
2. ETAPPE
ÜBER DEN ATLANTIK
3. ETAPPE
DIE KARIBIK
4. ETAPPE
VON DEN ANTILLEN NACH GRÖNLAND
5. ETAPPE
GRÖNLAND
ÜBERWINTERUNG
6. ETAPPE
DIE NORDWESTPASSAGE
7. ETAPPE
ALASKA
8. ETAPPE
VON ALASKA NACH SAN FRANCISCO
9. ETAPPE
VON SAN FRANCISCO NACH SANKT HELENA
SEGELN MIT HUHN
GUIREC & MONIQUE UND IHRE VERRÜCKTE REISE UM DIE WELT
EINLEITUNG
Schon immer habe ich davon geträumt, um die Welt zu segeln. Um diesen Traum zu verwirklichen, habe ich jahrelang hart gearbeitet, und nun bist du da, direkt vor meiner Haustür. Du wirst YVINEC heißen wie meine geliebte Insel, mein Paradies auf Erden. Du wirst mein Paradies auf See sein. YVINEC ist 28 Jahre alt, ein Haufen altes Metall, an dem der Zahn der Zeit genagt, der Ozean geleckt, die Korrosion gefressen hat. Die Korrosion, oder anders gesagt: der Rost, ist das Hauptproblem bei Stahlbooten. Und ich dachte, mit dem Kauf von YVINEC ein gutes Geschäft gemacht zu haben ... Ihr Rumpf ist so verrostet, dass er an manchen Stellen so dünn ist wie Zigarettenpapier. Als ich ihn reparieren wollte, sind beim Druck auf die ramponierten Stellen gleich Löcher entstanden.
»Mit einem Boot in diesem Zustand in See zu stechen ist der reine Wahnsinn.« Niemand glaubt an dieses Boot. Aber ich, ich glaube daran. Und ich glaube auch, dass man im Leben nichts hinkriegt, wenn man nicht positiv denkt. Es wird Monate dauern, das Boot auf der Werft auf Vordermann zu bringen, abgesehen davon, dass ich kein Geld mehr habe, aber darauf brenn loszufahren. Auf YVINEC warte ich seit drei Jahren. Damals war ich 18 Jahre alt und hatte einen einzigen Traum: mir ein Segelboot zu kaufen. Ich schmiss die Schule, die mich langweilte, und verkaufte mein Motorrad. Mit diesem Geld brach ich mit einem einfachen Ticket nach Australien auf, ohne ein Wort Englisch zu sprechen, mit nur 200 Euro in der Tasche. Nach ein paar anstrengenden Nächten in den Straßen Sydneys fuhr ich ins Landesinnere, um mir auf einer Farm Arbeit zu suchen. Mit meinen ersten Ersparnissen kaufte ich mir ein Fahrrad und radelte kreuz und quer durch den Südwesten, hangelte mich von einem kleinen Job zum nächsten. Dann bekam ich eine Stelle auf einem Krabbenkutter. Aus den drei Wochen, die ich auf dem Meer verbringen wollte, wurde schlussendlich ein Jahr. Ich arbeitete wie ein Besessener, fast 20 Stunden pro Tag, verlud wochenlang Garnelen. So konnte ich genügend Geld verdienen, um nach Frankreich zurückzukehren und YVINEC zu kaufen.
Es kommt gar nicht infrage, noch eine Minute länger zu warten; es gibt immer zu viele gute Entschuldigungen dafür, zu Hause zu bleiben.
Ehe ich mich auf diese Reise begebe, würde ich gern ein Tier adoptieren, um mich nicht so allein zu fühlen und das Leben an Bord ein wenig angenehmer zu gestalten. Ein Hund würde unglücklich, und mit Katzen habe ich es nicht so. So denke ich an ein Huhn: Es würde mir nicht nur Gesellschaft leisten, sondern auch Eier liefern – clever, oder? Leider klären Freunde, die Hühner halten, mich auf, dass gestresste Hühner keine Eier legen. Also lasse ich die Finger davon, zugegebenermaßen enttäuscht.
Rasch erledige ich die anstehenden Arbeiten und bringe eine Schicht grüner Farbe auf – die Farbe der Hoffnung –, und ein paar Wochen später sind nur noch letzte Vorbereitungen zu treffen. Der große Aufbruch rückt näher. Ich gebe meine letzten Euro für eine Unmenge Proviant aus. Hauptsächlich kaufe ich Konserven. Es gibt keinen Kühlschrank an Bord, es bringt also nichts, zu viele verderbliche Lebensmittel mitzunehmen. Ich kaufe außerdem Pulverschokolade und Frühstücksflocken, die mir an schlechten Tagen als Balsam für die Seele dienen sollen.
Schließlich bin ich startbereit und YVINEC ebenfalls. Los geht’s. Stürzen wir uns ins Unbekannte, ins Ungewisse, ins Unendliche, in die Freiheit. Leben wir unseren Traum!
YVINEC
Modell: SCORPION 9
Länge über alles: 11,70 M
Länge in der Wasserlinie: 9,20 M
Breite: 3,50 M
Tiefgang: 1,10 M/2,20 M
Gewicht: 9.000 KG
Material: STAHL
Segelfläche raumschots: 178 M2
Segelfläche am Wind: 64 M2
Architekt: JOËL STABILIE
Bau: ANONYM
Jahr: 1985
ETAPPE
01
VON DER BISKAYA AUF DIE KANAREN
2.249 MEILEN
141 TAGE
O EIER
48° 50’ NORD, 3° 13’ WEST
VON DER BISKAYA AUF DIE KANAREN
Die Stunde des Aufbruchs ist da. Die letzten Vorbereitungen sind getroffen. Endlich kann das Abenteuer beginnen!
27.11.2013
Nach einer kurzen Übungsfahrt um meine geliebte Insel laufe ich aus dem kleinen Hafen von Tréguier aus. Allein an Bord, mache ich vieles zum ersten Mal. Ich habe Probleme mit dem Steuern, muss zugeben, dass ich mich auf dem Boot noch nicht richtig auskenne. Doch dank der Empfindungen, die das Meer in mir auslöst, bin ich dabei, mich in es zu verlieben – leidenschaftlich und intensiv. Das friedliche Schlingern YVINECS in meiner ersten Nacht auf See, der Stolz, mit dem ich meinen ersten Fisch aus dem Wasser ziehe, die Stille des ersten Sonnenaufgangs ... dieses neue Leben hat mich gepackt, wie könnte ich umkehren wollen?
AUCH DAS NOCH!
Nur zwei Tage nach dem Aufbruch funktioniert der Autopilot von YVINEC nicht mehr. Dieses Boot lässt wahrlich keine Wünsche offen! Der Schaden ist ärgerlich, denn mit dem Autopiloten kann ich das Boot steuern, ohne eingreifen zu müssen. Dank ihm kann ich mich ausruhen und anderen Beschäftigungen widmen. Ein paar Stunden später gibt die Windsteueranlage den Geist auf. Ich kann mein Boot nur noch steuern, wenn ich ununterbrochen am Ruder bleibe, und das ist unmöglich. Ich bin in der Biskaya und beschließe, umzukehren und die südliche Bretagne anzusteuern.
1.12.
In Concarneau angekommen, kann ich den Schaden reparieren. Es geht auf Weihnachten und Neujahr zu. Meine Familie wünscht sich, dass ich aus der Not eine Tugend mache und die Feiertage mit ihr auf unserer Insel Yvinec verbringe. Doch mit dem Kopf bin ich schon woanders, ich habe keine Lust heimzufahren, nicht jetzt.
15.12.
Es wird allmählich Winter, und das Wetter ist schlecht. Ich werde auf eine Gutwetterperiode warten müssen, ehe ich wieder in See stechen kann. Von Frankreich aus führt der traditionelle Kurs auf die Antillen durch den südlichen Teil des Azorenhochs, um die Kanaren herum nach Kap Verde in Richtung Nordostpassat. Der Passat ist ein warmer, beständiger Wind, der auf der Nordhalbkugel von Ost nach West weht. Weit davon entfernt, ein gestählter Seemann zu sein, beschließe ich, keine Experimente zu machen und dieser Route zu folgen.
Dank einer Flaute kann ich mich zwischen zwei Stürmen hindurchschlängeln. Euphorisch hisse ich nun ernsthaft die Segel.
EUPHORIE
Ein Monat Wartezeit. Umso besser, ich habe ihn für Gelegenheitsjobs genutzt, um die Bordkasse aufzubessern. Diesmal ist der Wind mir endlich wohlgesinnt. Dank einer Flaute kann ich mich zwischen zwei Stürmen hindurchschlängeln. Euphorisch hisse ich nun ernsthaft die Segel. Wenn ich jetzt nicht aufbreche, riskiere ich, den ganzen Winter hier festzuhängen. Ich werde den Nordwesten Spaniens ansteuern, um dort Zuflucht zu suchen. In der Biskaya nimmt das Abenteuer seinen Anfang.
21.1.2014
Soeben bin ich in Spanien angekommen, in Ribadeo. Mit dem Navigieren hatte ich keine Probleme, abgesehen davon, dass ich ein Segel zerrissen habe. Mangel an Erfahrung! Ich werde lernen müssen, meine Segelkünste zu verfeinern. Morgen starte ich gen Süden auf der Suche nach Sonne und Wärme.
16.2.
Ich war gezwungen, mich in La Coruña vor Unwettern in Sicherheit zu bringen. Seit fast einem Monat bin ich nun hier. Glücklicherweise habe ich einen Job gefunden und arbeite nun auf einem Schiff mit einer hundertjährigen Takelage, die voll schöner Geschichten steckt. Das imposante, wundervolle Schiff ist direkt neben YVINEC vertäut. Es kommt mir gar nicht wie Arbeit vor, so viel Freude macht es mir, mich darum zu kümmern, vom Schiffsrumpf bis zur Mastspitze. Morgen mache ich die Leinen los und segle Richtung Peniche.
Meine gigantischen Vorräte. Auf dem Speiseplan für die kommenden Wochen stehen Nudeln, Reis und Konserven.
NUDELN UND REIS ...
Wieder aufs Meer hinauszufahren ist so schön. Seitdem ich den 40. Breitengrad passiert habe, steigt die Wassertemperatur, und die Luft wird wärmer. Die Bedingungen sind perfekt: leichter Seegang, viel Sonne, ein regelmäßiger Wind aus der richtigen Richtung ... Ich habe meine Badehose an, Wärme und Gischt liebkosen mich. Zur Krönung tanzten vorhin Delfine um das Boot. Bald müsste ich Portugal erreicht haben.
Ich esse nicht sehr abwechslungsreich an Bord: Nudeln und Reis. Ich müsste eine Angel ins Wasser werfen. Ich träume von einem gegrillten Fisch.
22.2.
Am frühen Morgen erreiche ich Peniche in Portugal. Vorhin habe ich die Wetterdaten abgerufen: Die Bedingungen sind gut. Morgen steche ich wieder in See, in Richtung Madeira. Der Gedanke, meinen Horizont buchstäblich zu erweitern, begeistert mich.
Nach einer Woche auf dem Meer empfängt mich die Blumeninsel. Das Wetter war fabelhaft, obwohl manchmal der Wind fehlte ... Zwei Tage lang bin ich unter 3 Knoten geblieben. Seeleute nennen das Flaute. Aber ich mache kein Wettrennen, die Geschwindigkeit interessiert mich nicht, ich habe alle Zeit der Welt. Es gelingt mir nicht zu erklären, was ich auf dem Meer empfinde. Um es zu verstehen, muss man es, glaube ich, erleben. Es ist so gut, seinen Träumen zu folgen.
10.3.
YVINEC liegt bei Funchal vor Anker. Sie schlingert; der Ankerplatz ist nicht sehr komfortabel. Aber um nichts in der Welt werde ich woanders schlafen als auf meinem Boot. Ich habe keine Lust, von Bord zu gehen, es geht mir hier zu gut. Von Bord aus eröffnen sich mir die schönsten Aussichten der Welt. In dieser Nacht sind es die im Dunkeln funkelnden Lichter der Stadt, die mich davontragen werden. Morgen geht’s wieder aufs Meer hinaus.
... UND 10 KG GROBES SALZ
Gestern bin ich auf den Kanaren angekommen, auf Teneriffa. Statt zwei habe ich sechs Tage dafür gebraucht. Dabei waren es ab Madeira nur 260 Meilen. Unterwegs habe ich auf der Insel Selvagem haltgemacht. Ein Naturschutzgebiet, das von Jack, Carlos und ihrem Hund Selvagem gut bewacht wird. Die beiden Freunde sind so liebenswürdig, dass ich vier Tage statt einem auf der Insel verbracht habe. Das ist das Gute daran, keinen Zeitplan zu haben. Sie haben mir alte Geschichten erzählt, mich in jeden Winkel der Insel mitgenommen und regelrechte Festmahle mit mir geteilt. Jack war der Erste auf der Insel, er hat sogar den Leuchtturm installiert. Es ist nicht einfach, einen Ort zu verlassen, an dem man sich wohlgefühlt hat. Aber es ist mir gelungen, mit frischem Brot und vor allem zehn Kilogramm selbst gemachtem groben Salz, die sie mir geschenkt haben, damit ich künftig meine Fische konservieren kann. Jetzt, auf Teneriffa, werde ich das Boot für die Atlantiküberquerung fit machen. Die Abfahrt ist definitiv für die nächste Woche geplant.
EIN ETWAS SPEZIELLES GESCHENK
Bei der Planung meiner Zwischenstopps und Starts richte ich mich nach dem Wind. Ich bin immer noch nicht losgefahren. Das Wetter lässt es nicht zu. Aber ich habe es nicht eilig, ich habe keine Verpflichtungen, bin vollkommen frei. Wenn möglich, nutze ich die Zeit, um zu arbeiten und ein bisschen Geld zu verdienen. Im Moment unterrichte ich Kitesurfing.
Vor ein paar Tagen ist eine fuchsrote Schönheit mit schelmischem Blick und seltsamem Gang in mein Leben getreten. Der Gedanke an ein Huhn hat mich insgeheim nie losgelassen, und diesmal ist es eine ausgemachte Sache, dass ich nicht allein, sondern mit Huhn wieder in See steche. Ich habe darüber mit Freunden vor Ort gesprochen, die mir angeboten haben, eins für mich aufzustöbern. So habe ich dieses etwas spezielle Geschenk in einer kleinen Pappkiste erhalten. Ich habe es Monique getauft. Wie die alte bretonische Trinkschale in meiner Kombüse, auf der dieser Name in Schönschrift geschrieben steht. Sie stand bereits im Schrank, als ich YVINEC gekauft habe, und wartete auf ihren Besitzer. Wie von selbst haben sich die Dinge geregelt.
Auf See: Ich genieße das Meer in all seinen Facetten.
ETAPPE
02
ÜBER DEN ATLANTIK
3.140 MEILEN
28 TAGE
25 EIER
28° 16’ NORD, 16° 36’ WEST
ÜBER DEN ATLANTIK
Gemeinsam fahren wir hinaus auf das große blaue Meer: Vom warmen Passat geschaukelt, überqueren wir den Atlantik im Rhythmus der auf- und untergehenden Sonne. Hätte ich mir für eine erste lange Ozeanüberquerung bessere Bedingungen erträumen können?
17.4.2014
Schon in der ersten Nacht an Bord legt Monique ein Ei. In ihrem zusammengebastelten Verschlag hinten im Cockpit fühlt sie sich, glaube ich, schon zu Hause.
21.4.
Wir haben die Kanaren vor fünf Tagen verlassen und sind jetzt 200 Meilen von den Kapverden entfernt. Seit unserer Abfahrt herrscht ein angenehmer Seegang mit stetigem Wind. Doch gegen 14 Uhr legt der Wind heftig zu. Der Spinnaker, aus dem Gleichgewicht gebracht, lässt YVINEC gefährlich von einer Seite zur anderen schwanken. Ich muss ihn so schnell wie möglich bergen, damit die Geschichte nicht böse endet. Noch ehe ich etwas unternehmen kann, ertönt plötzlich ein ohrenbetäubender Lärm. Als mein Blick auf den Mast fällt, ist der Spinnaker nicht mehr da. Ich bin leicht verwirrt und brauche einige Sekunden, um zu begreifen, dass er gerissen und dann ins Meer gefallen ist. Mit weit ausgestreckten Armen muss ich ihn aus dem Wasser ziehen. Ich werde ihn an Land flicken. Den Rest der Atlantik- überquerung muss ich ohne ihn auskommen.
23.4.
Ich lerne, mich auf YVINEC einzustellen: essen, mich von A nach B bewegen, bei Krängung schlafen. Es stimmt, dass an Bord nichts einfach ist und alles mehr Zeit braucht: Geschirr spülen, Wäsche waschen, denn das Boot ist ja nicht mit elektronischen Haushaltsgeräten ausgestattet, Mahlzeiten zubereiten und gleichzeitig navigieren ...
Trotzdem habe ich das seltsame Gefühl, Zeit zu gewinnen. Ich lerne viel und denke viel nach. Mein Geist schweift umher, macht Pläne, webt Netze, kehrt in die Vergangenheit zurück, erfindet sie neu und erschafft eine Zukunft. Wohin wird meine nächste Etappe mich führen? Was wird mein nächstes Projekt sein? Wie soll ich an Land mit den 60 Cent, die ich noch habe, auskommen? Ich muss die Bordkasse wieder auffüllen, wenn ich YVINEC auf Vordermann bringen will.
23.4.
Monique scheint sich gut an ihr neues Leben auf See zu gewöhnen. Sie spaziert die ganze Zeit auf Deck herum trotz Wind, Regen oder sich brechender Wellen. Nichts hält sie auf.
Aus Angst, dass sie ins Wasser fallen könnte, schaue ich reflexartig immer wieder ins Kielwasser des Boots. Doch immer schafft sie es, sich mit einem Flügelschlag wieder zu fangen, und mit einem fliegenden Fisch im Schnabel kommt sie klitschnass zurück. Mir ist bewusst, dass ich ein Risiko eingehe. Aber auf Deck fühlt sie sich wohler als unter Deck eingesperrt.
Ich mache seltsame Erfahrungen, seitdem wir zusammen sind. Vor Kurzem habe ich entdeckt, dass ihre Eier leicht nach Jod schmecken, wenn sie Fisch gefressen hat.
Auf dem Meer scheint die Zeit stillzustehen, Tage und Stunden verlieren an Bedeutung.
ICH FISCHE DORADEN, THUNFISCHE, BARRAKUDAS USW. MIT DEN EIERN VON MONIQUE UND DEM GANZEN FRISCHEN FISCH MAUSERT SICH YVINEC ZU EINEM FÜNF-STERNE-RESTAURANT.
29.4.
Soeben ist mir ein Thunfisch entwischt. Er hatte sich gut im Angelhaken verbissen, hat sich aber losgerissen, als ich ihn aus dem Wasser ziehen wollte. Er war so groß, das ich nichts machen konnte. Ohnehin behalte ich Fische nur, wenn ich sicher bin, dass ich sie komplett aufessen kann. Die größten lasse ich widerwillig ziehen. Ich kann sie nicht konservieren, und ich will wirklich nichts vergeuden.
Auf dem Meer ernähre ich mich nur von dem, was ich fange. Hinter YVINEC schleift immer eine Angel durchs Wasser. Ich fische Doraden, Thunfische, Barrakudas usw. Mit den Eiern von Monique und dem ganzen frischen Fisch mausert sich YVINEC zu einem Fünf- Sterne-Restaurant.
Oft teile ich diese Köstlichkeiten mit Monique. Ehrlich gesagt lässt sie mir eigentlich gar keine Wahl: Sie stürzt sich auf die erbeuteten Fische, als wäre sie am Verhungern.
Welchen Tag haben wir? Ich habe aufgehört, die Tage zu zählen, ich muss nachschauen. Auf dem Meer scheint die Zeit stillzustehen, Tage verlieren ihre Bedeutung ebenso wie Stunden. Ich bin in meiner Blase, im Einklang mit den Elementen. Ich fühle mich privilegiert. Im Lauf der Zeit lerne ich YVINEC besser kennen: Wo liegen ihre Grenzen, wo ihre Möglichkeiten? Ein Boot ist wie ein Mensch. Beide haben eine eigene Persönlichkeit, individuelle Charaktereigenschaften. Um gemeinsam voranzukommen, müssen wir einander akzeptieren und verstehen.
Abends versuche ich zu lesen, auch wenn es mir keinen großen Spaß macht. Ich studiere den Wetterbericht, um den Horizont, die Zeichen des Himmels, die Wolken, den Regen, den Seegang besser zu begreifen. Da ich auf einer Insel groß geworden bin, habe ich die Grundlagen des Navigierens erlernt, aber meine Kenntnisse reichen nicht aus. Auf dem Wasser muss man in der Lage sein, in jedem Augenblick vorauszuahnen, was geschieht.
5.5.
Es kommt mir vor, als sei ich schon ewig unterwegs, doch paradoxerweise ist die Abfahrt noch gar nicht lange her. Ich habe Lust weiterzufahren. Als ich heute Morgen mit dem Finger über eine Weltkarte spaziert bin, habe ich mich »verlaufen«. Was, wenn ich gen Norden, nach Grönland segeln würde? Und wenn ich dort überwinterte? Die Idee beginnt, in meinem Kopf Gestalt anzunehmen. Warten, bis das Meer gefriert, und mich mit YVINEC vom Packeis mitnehmen lassen bis zum Frühling, bis zur Eisschmelze. Die Natur scheint dort oben so mächtig, so wild zu sein. Ich spüre das Bedürfnis, mich mit der Größe der Elemente zu konfrontieren.
Und dann das Alleinsein! Allmählich finde ich Geschmack daran. Ich möchte gern auf mich gestellt sein, mich kennenlernen, mit jeder Faser leben.
Mir fällt ein, dass meine Eltern sich vor meiner Abreise Sorgen gemacht haben: »Und wenn dir auf dem Meer etwas passiert?« Meine Antwort war so kühn wie befremdlich: »Jemand wird kommen und mich holen, macht euch keine Sorgen!« Denkste! In der Realität bin ich hier allein und ohne Kommunikationsmittel. Es gibt nur ein kleines UKW-Funkgerät mit geringer Reichweite, über das ich mit den Schiffen in der Nähe kommunizieren kann. Ich bin allein auf der Welt, und ich liebe es.
6.5.
Das GPS-Gerät hat den Geist aufgegeben. Das überrascht mich nicht: Die Instrumente, die auf dem Boot waren, waren schon alt. Doch ich mache mir keine Sorgen: Der Passat weht aus der richtigen Richtung. Er trägt seinen Namen nicht umsonst: Das spanische »pasada« bedeutet so viel wie »Überfahrt«.
8.5.
GUTE NACHRICHTEN! DAS GPS IST REPARIERT. YVINEC SAUST IN DIE RICHTIGE RICHTUNG.
13.5.
Die Insel Antigua zeichnet sich undeutlich in der Ferne ab. Ich bin außer mir vor Freude, klettere den Mast hoch und versuche, ein Funknetz zu erwischen, um meinen Vater anzurufen. Diesen Augenblick möchte ich mit ihm teilen. Er antwortet. Er ist so stolz, und ich bin so bewegt. Doch die Verbindung reißt ab. Ich werde ihn noch einmal anrufen, wenn ich angekommen bin und mich auf ein stabileres Netz verlassen kann.
15.5.
Nach 28 Tagen und 25 Eiern sind wir da. Ich hab’s geschafft! Ich sehe die Lichter von Saint-Barthélemy in der Nacht glitzern. Ich habe keine genauen kartografischen Daten, und mein Echolot geht nicht. Morgen, im Schimmer der Morgendämmerung, werden wir anlegen.