Körper in Trance

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From the series: Reden reicht nicht!?
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Körper in Trance
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Gilles Michaux

Körper in Trance

Dynamische Relaxation, Aktive Tonusregulation und Psychomotorisches Autogenes Training

Mit einem Geleitwort von Walter Bongartz

2022

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin ✝ (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Reden reicht nicht!?«

hrsg. von Michael Bohne, Gunther Schmidt,

Bernhard Trenkle

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: Heinrich Eiermann

Umschlagfoto: © Albrecht Fietz

Fotos: Patrick Muller, Malou Schleimer

Redaktion: Dr. Eva Dempewolf

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2022

ISBN 978-3-8497-0417-9 (Printversion)

ISBN 978-3-8497-8376-1 (ePUB)

© 2022 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

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Inhalt

Geleitwort

Dank

Vorwort

1 Embodiment, Ideomotorik und Körpertrance

2 Atem-Rhythmisierung oder Wie man die Atmung in Fluss bringt

3 Die Dynamische Relaxation nach Caycedo

3.1 Erster Grad

3.1.1 Übungsbeginn

3.1.2 Atemübungen

3.1.3 Konzentrationsübungen

3.1.4 Lockerungsübungen

3.1.5 Übungssequenzen

3.2 Zweiter Grad

3.2.1 Vorstellungsübungen

3.2.2 Körperwahrnehmungsübungen

3.2.3 Sinneswahrnehmungsübungen

3.3 Dritter Grad

3.3.1 Sitz- und Gehmeditation

3.3.2 Sitz- und Stehmeditation

3.4 Vierter Grad

4 Das Psychomotorische Autogene Training nach Abrezol und Dumont

Lockernde Dehnübungen im Stehen

Lockernde Dehnübungen im Sitzen

Atemübung im Liegen

Körperreise

Modifizierte AT-Übung

Übungsabschluss und Reaktivierung

Entspannungstiefe

Vergleich zwischen TRAM und AT

5 Die Aktive Tonusregulation nach Stokvis

Übungshaltung und -induktion

Suggestive Muskelentspannung

Mentale Umschaltung

Suggestive Symptomneutralisierung

Reaktivierung

Komplementäre Atemübungen

Übungsanleitung

6 Kurzformen: Entspannung im Handumdrehen

Ampelübung

Dynamisch-autogenes Kurztraining

Schnellaktive Tonusregulation

7 Exkurs: Suggestive und imaginative Varianten der Progressiven Relaxation

Suggestionsgestützte PR

Imaginative PR

Nachwort

Anhang

Verzeichnis der Abbildungen

Literatur

Über den Autor

Geleitwort

Mit dem vorliegenden Buch stellt der Autor eine psychotherapeutische Methode vor, die Sophrologie, die in der romanischen Welt, also in Südamerika, Spanien, Frankreich und der französischen Schweiz, weit verbreitet ist. Im deutschsprachigen und auch im angelsächsischen Sprachbereich ist sie hingegen kaum bekannt. Mir ist sie früher eigentlich nur auf internationalen Hypnosekongressen begegnet und zwar in Gesprächen mit z. B. spanischen Kollegen, die auf Ähnlichkeiten zwischen Hypnose und der »Sophrologia« hinwiesen oder bemerkten, dass ihre Methode vielfältigere Ansätze bieten würde als die Arbeit mit Hypnose und sogar über diese hinausgehe. Das hat natürlich mein Interesse an dieser weitverbreiteten und offensichtlich bedeutsamen Methode geweckt. Allerdings fand ich nie den Zugang zu entsprechender Literatur. Zwar gab es einschlägige spanische und französische Bücher, die ich aber nur mühsam lesen konnte. Entsprechende Informationen in Deutsch oder Englisch existierten entweder gar nicht oder waren nicht wirklich informativ. Und so verlor ich die geheimnisvolle Schwester der Hypnose immer wieder aus den Augen.

 

Das ist nun anders geworden. Das Buch von Gilles Michaux erschien mir beim Lesen wie ein präziser Schlüssel, der dem deutschsprachigen Publikum das Tor zum Verständnis der Grundlagen und zur Anwendung der Sophrologie öffnet. Dabei ist mir klar geworden, dass der therapeutische Ansatz der Sophrologie in der Tat weitaus breiter und mehrdimensionaler ist als der von Hypnose oder Autogenem Training, u. a. weil der Begründer der Sophrologie, Alfonso Caycedo, nicht nur Elemente aus verschiedenen körpertherapeutischen Traditionen wie Yoga, Tai-Chi oder Qigong mit z. B. hypnotischen verbindet, sondern auch meditative Techniken aus dem Zen verwendet.

Beim Lesen des Buches ist mir auch die Sorgfalt des Autors aufgefallen. Diese Sorgfalt betrifft zum einen die Präzision seiner Formulierungen, die den klaren und gut lesbaren sprachlichen Stil des Buches kennzeichnet. Zum anderen ist er bemüht, die Leserinnen und Leser aus einer sachlichen Distanz heraus seriös zu informieren und doch auch zu überzeugen.

Mich hat es überzeugt und motiviert, auch einmal praktisch zu werden. Dabei habe ich die körpermeditativen Übungen entdeckt (erster Grad für Anfängerinnen bzw. Anfänger). Ohne komplexe Bewegungsabläufe wie im Qigong oder Tai-Chi erlernen zu müssen, habe ich über diese scheinbar so »einfache« Bewegungsmeditation doch einen sehr tiefen und wohltuenden Einfluss gespürt. Diese körpermeditativen Bewegungen fehlen bei der eher statischen Hypnose und dem Autogenen Training.

Auch Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, wünsche ich eine solch entdeckungsreiche Lektüre!

Prof. Dr. Walter Bongartz

Konstanz, November 2021

Dank

An dieser Stelle möchte ich mich herzlich und im Besonderen bei Dr. Michèle Pisani, Max Bressler und Christian Henning bedanken, die mich der Sophrologie nähergebracht haben, sowie Prof. Günter Krampen, Prof. Dr. Walter Bongartz und Dipl.-Psych. Helmut Brenner einen tiefen Dank aussprechen, die mir als Mentoren die Welt der Entspannungs- bzw. Hypnotherapie eröffnet haben. Ein gebührender Dank gilt dem Vorstand der DG-E (Deutsche Gesellschaft für Entspannungsverfahren), insbesondere ihrem ehemaligen ersten Vorsitzenden Dipl.-Psych. Björn Husmann, für ihre internationale Offenheit und das Forum, das sie den hier dargestellten Verfahren gegeben haben. Ein nachdrücklicher Dank geht auch an Bernard Etchelecou, den Dunod Verlag (Dunod Éditeur SA) und die Thieme Verlagsgruppe (Georg Thieme Verlag KG) für die freundlichen Genehmigungen zur Verwendung der Inspirationsquellen, die in dieses Buch eingegangen sind. Dem Fotografen Patrick Muller und der Yogalehrerin und Tanzpädagogin Malou Schleimer möchte ich für ihr hohes Maß an Professionalität bei der Gestaltung der Illustrationsfotos und die angenehme Lockerheit bei der Zusammenarbeit während der Aufnahmen danken. Diese wurden im »Raum der Stille« des GesondheetsZentrum der Fondation Hôpitaux Robert Schuman aufgenommen. Zu guter Letzt ein großes Merci an meine Lektorin Dr. Eva Dempewolf für die sehr sorgfältige Durchsicht des Manuskripts und die wertvollen Vorschläge zu seiner Optimierung, wie auch an Dr. Juliana Matt für die Herstellung des Kontakts zum Carl-Auer Verlag. Letzterem sei herzlichst für die kompetente und aufgeschlossene Unterstützung bei der Umsetzung dieses Buchprojekts gedankt.

Gilles Michaux

Luxemburg, November 2021

Vorwort

»Wenn man seine Ruhe nicht in sich findet, ist es zwecklos, sie andernorts zu suchen

François de La Rochefoucauld

Die Idee und Inspiration zu diesem Buch entstand im Laufe der 2018 von der Deutschen Gesellschaft für Entspannungsverfahren (DG-E) an der Akademie am Meer auf Sylt organisierten »Entspannungstherapiewoche«, zu der ich als Vortragsreferent und Workshopleiter zum Thema der Sophrologie bzw. Dynamischen Relaxation eingeladen war. Anlass hierfür war das internationale Interesse der DG-E für diese beispielsweise in Frankreich und Spanien sehr weit verbreiteten, in Deutschland aber im Vergleich zum Autogenen Training (AT), der Progressiven Relaxation (PR) und der Achtsamkeit weitgehend unbekannten hypnosenahen Entspannungs- und Stressbewältigungsmethode.

Während die Sophrologie in den Gesundheitssystemen Lateinamerikas und der Mittelmeerländer praktisch mit Entspannungstherapie und Stressmanagement gleichgesetzt wird, gibt es nahezu keine deutschen oder englischen Übersetzungen der entsprechenden spanischen und französischen Original- und Ratgeberliteratur. Interessanterweise scheint auch in der Schweiz die Rezeption der Sophrologie größtenteils an der deutsch-romanischen Sprachgrenze haltzumachen. Gleicherweise sind mir im mehrsprachigen – zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland gelegenen – Luxemburg die unterschiedlichen auto- und heterosuggestiven Entspannungstraditionen deutsch- und französischsprachiger Fachkolleg·innen bewusst.

Die auf der »Entspannungstherapiewoche« erlebte positive Resonanz und der mehrfach von den Workshopteilnehmenden geäußerte Wunsch nach schriftlicher Instruktion und vertiefter Information hat mich dazu angeregt, dieses Buch für eine interessierte deutschsprachige Leserschaft zu verfassen und das entsprechende Fachpublikum im Bereich psychologischer, psychosomatischer und psychomotorischer Entspannungstrainings mit der Dynamischen Relaxation vertraut zu machen. Im Laufe der Buchgestaltung und auf Anregung des Verlags wurde der inhaltliche Rahmen dann auf weitere in Deutschland nahezu unbekannte und sich perfekt komplementarisierende Varianten anerkannter Verfahren wie der Entspannungshypnose, des AT und der PR ausgedehnt.

In dem vorliegenden Buch werden somit körperorientierte Entspannungsverfahren präsentiert, deren Gemeinsamkeit mitunter darin liegt, dass sie bezogen auf ihre praktische Anwendung im deutschen Sprachraum kaum verbreitet oder in Vergessenheit geraten sind. Es sind dies die Dynamische Relaxation der Sophrologie nach Caycedo (siehe Kap. 3),1 die Aktive Tonusregulation nach Stokvis (siehe Kap. 5) sowie die abgewandelte Form des AT nach Abrezol und Dumont (siehe Kap. 4). Eine weitere verbindende Gemeinsamkeit liegt darin, dass es sich um hypnoseverwandte bzw. -basierte Methoden handelt und somit in diesem Buch eine Brücke zwischen Trance- und Körperarbeit geschlagen wird. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihres Körperbezugs, woraus sich eine anwendungsbezogene Komplementarität ergibt, mit einer spezifischen Eignung für unterschiedliche Anwendungsbereiche (siehe hierzu Überblick in Tab. 4). Abrundend und passend dazu werden auch Kurzformen der obigen Verfahren sowie suggestiv-imaginative Varianten der PR präsentiert (siehe Kap. 7). Das Buch erhebt in diesem Sinne keinen Anspruch auf Vollständigkeit, was hypnosomatische Relaxationstechniken angeht. Für einen detaillierten Überblick zu den eingängigen körperbezogenen Entspannungstechniken sei auf Derra (2021) verwiesen. Es eignet sich vielmehr sowohl als Anleitungsmanual für Entspannungstherapeut·innen und -trainer·innen als auch als Begleitfibel oder zum Selbststudium für Trainierende. Bevor wir zu der genauen Darstellung der entsprechenden Verfahren kommen, ein paar allgemeine einstimmende Gedanken zu ihren theoretischen Fundamenten.

1 Die Dynamische Relaxation nach Caycedo ist nicht mit der fast gleichlautenden Dynamischen Entspannung von Bergholz (2012) zu verwechseln. Wenn in Ansätzen auch vergleichbar, so handelt es sich bei letzterer um eine bewegungsorientierte Form der PR.

1 Embodiment, Ideomotorik und Körpertrance

Bereits in den traditionsreichen Ansätzen der Entspannungskultur der asiatischen Versenkungstechniken bilden Körper und Geist eine eng miteinander verwobene Entität, wonach der Körper eine essenzielle Rolle auf dem Weg zur mentalen Beruhigung und Besänftigung spielt, und zwar sowohl auf passiv-statische als auch auf aktiv-dynamische Manier. In diesem Sinne finden sich körperliche Innenschau und Spannungsabfuhr als zentrale Elemente in den Übungen tradierter Entspannungsverfahren wie denen des Yoga, des Tai-Chi und des Qigong wieder (siehe vertiefend Mitzinger 2003 bzw. Scholz 2003). So erkennt auch der Begründer des AT eine deutliche Parallele zwischen der passiven Hinwendung auf neutrale »affektfreie Körpererlebnisse« durch die nach innen gerichtete »Körperschau« des Yoga und seiner sich eben auf diese konzentrierenden und autogenerierenden Entspannungstechnik (Schultz 1932, S. 350 ff.; siehe genauer in Kap. 4). Das Kernprinzip der dynamischen Entspannung des Yoga in Form eines bewussten Einnehmens von und Innehaltens in körperlichen Posituren, den sogenannten Asanas, spiegelt sich tendenziell auch in der Methodik der PR wider, dem kontrollieren Anhalten von muskulärer Spannung. Anders als Schultz distanzierte Jacobson (1963, S. 80; siehe Kap. 7) seine Methode jedoch deutlich vom Yoga, den er aufgrund seiner orientalischen spirituellen Hintergründe als zu mysteriös, sprich »okkult« und somit für Westler nur schwer zugänglich empfand.

Konträr dazu der integrierende Ansatz von Caycedo, dem es mit seiner in den 1960er-Jahren begründeten Dynamischen Relaxation gelang, achtsame Bewegungsübungen aus Tibet, Indien und Japan derart aufzubereiten, dass sie auf leichte, lockere Art und Weise zur psychohygienischen Entspannungsregulation in den westlichen Lebensalltag integrierbar und mit der okzidentalen Weltanschauung vereinbar wurden. Getreu seiner geistigen Wurzeln wählte auch er die Bildersprache für die Bezeichnung seiner Übungspositionen (siehe Kap. 3). Genau wie sich etwa im Yoga die Baumhaltung, die Fisch- und die Kobrapose (siehe Abb. 1) oder im Tai-Chi und Qigong die Bogen- und Kranich-Übungen finden, tragen auch die Übungen der Dynamischen Relaxation bildhafte Namen wie »Marionette« oder »Zielscheibe«. Diese Idee findet sich auch im Psychosomatischen Entspannungstraining (PSE) von Scholz (2001) wieder, dessen Übungen wie etwa die des »Grübelwischers« sich ebenfalls an Tai-Chi und Qigong orientieren. Wollte man eine bewegungsbezogene Metapher verwenden, könnte man auch sagen, dass Caycedo mit seiner Methode »auf den Schultern von Riesen sitzt«. Zu Yoga, Tai-Chi und Qigong liegen mittlerweile vielzählige Wirksamkeitsnachweise in Form von Metaanalysen vor (Pascoe, Thompson a. Ski 2017; Wang et al. 2010; Wang et al. 2013).


Abb. 1: Fischpose im Yoga

Die bildhaften Bezeichnungen dienen dabei nicht nur als schmückendes Beiwerk oder dazu, dass sich die Übungen besser gemerkt werden können; sie verkörpern auch die beim Üben einzunehmende innere Haltung. So kann sich der Yogi oder die Yogini beim Einnehmen der Fischpose der körperlichen Wendigkeit von Fischen im Wasser bewusst werden und somit auf seine Beweglichkeit achten (siehe Abb. 1). Ebenso kann etwa bei der Marionettenübung der Dynamischen Relaxation die Vorstellung, wie sich eine Marionette mit durchgetrennten Fäden hin- und herbewegt, den Fokus auf körperliches Freisein und Loslassen lenken (siehe Kap. 3.1.4.5 und Abb. 22). Wir finden dieses Prinzip auch im spontanen Kinderspiel wieder, wenn diese etwa ein Flugzeug nachahmen und sich dabei mit seitlich ausgestreckten Armen und hin- und herschwingendem Rumpf fortbewegen. Hierin ist bereits das zeitgenössische kognitionswissenschaftliche Konzept des Embodiment, zu Deutsch Verkörperung, vorweggenommen, wonach der körperliche Ausdruck u. a. mentale Einstellungen und Gemütsbewegungen zu modulieren vermag (siehe bspw. Tschacher u. Storch 2012). Auf diese Weise kann bereits eine neutrale, aber selbstbewusst eingenommene Körperhaltung – ähnlich der Berghaltung beim Yoga – Angstzustände mindern (Weineck et al. 2020). Eine Entsprechung zwischen yogischer Körperhaltung und der Aktiven Tonusregulation erkennen Stokvis und Wiesenhütter (1979, S. 178 ff.), indem sie in ihrem Exkurs zur Yogatechnik die Ähnlichkeit zwischen der auch noch als Totenstellung bezeichneten Entspannungslage beim Yoga und der körperlichen Einleitung des Trancezustands, das heißt hypnotischen Bewusstseinszustands, bei ihrer Form der Entspannungshypnose beschreiben – beide gekennzeichnet durch eine totale Erschlaffung der Muskulatur (siehe Abb. 2 und Kap. 5). Hierbei wird der Trancebegriff seiner eigentlichen wie auch übertragenen Bedeutung gerecht, die auf das lateinische Wort transire zurückgeht und so viel meint wie »hinüberschreiten«.

 

Abb. 2: Entspannungslage im Yoga

Aber nicht nur die Körperhaltung kann auf das Mentale wirken. Umgekehrt üben auch gedankliche Ideen einen Einfluss auf den Körper aus, insbesondere auf das Muskelsystem. Dieser als Ideomotorik bezeichnete Zusammenhang wurde erstmals von dem englischen Physiologen William Carpenter beschrieben. Der nach ihm benannte Carpenter-Effekt kann sehr eindrücklich anhand des Chevreulschen Pendelversuchs gezeigt werden, bei dem die Versuchsperson ein Pendel mit zwei Fingern halten soll, ohne es willkürlich zu bewegen, während ihr von außen suggeriert wird, das Pendel kreise oder bewege sich hin und her.2 Auch ohne absichtsvolle Bewegung seitens der Versuchsperson gerät das Pendel durch die »Ideengabe« von außen in Schwingung. Dieser Effekt ist dabei nicht auf das motorische Nervensystem beschränkt, sondern impliziert gleichermaßen auch das vegetative Nervensystem, was als grundlegender Wirkmechanismus des AT sowie der Aktiven Tonusregulation gilt. Ein anderer Weg zur Beeinflussung des Vegetativums führt über die Atmung und soll im Fokus des folgenden Kapitels stehen, bevor wir uns danach den Einzeldarstellungen der hier im Buch zu besprechenden Methoden widmen.

2 Nach dem französischen Naturwissenschaftler Michel-Eugène Chevreul benannt, der sich gegen spiritualistische Erklärungen dieses Phänomens aussprach. Für detailliertere Anleitungen zur Durchführung siehe Kossak (2013, S. 254 f.).